„… nicht für reine Nostalgie zu stehen und seine fünften ‚Greatest Hits‘ zu veröffentlichen, sondern ein nagelneues Album, ist schon eine Leistung.“

Rückkehr zum Spaß: Bon Jovi im Interview

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(Bild: Debby Wong/Shutterstock)

Bon Jovi feiern ihr 40. Bandjubiläum mit einem starken neuen Album, drei Hochzeiten und frisch operierten Stimmbändern.

Viel medialer Tamtam, eine Doku über die Bandgeschichte und ein neues Album mit dem programmatischen Titel ‚Forever‘ – alles, wie es sich für eine Band mit stolzen 130 Millionen verkauften Tonträger gehört. Doch in Sachen Interviews macht sich Mastermind Jon Bongiovi rar. Was entweder an seinen Stimmbandproblemen liegt – oder an einer Menge Themen, über die der 62-Jährige eher ungern spricht. Marcel Anders hat ihn London getroffen.

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INTERVIEW

Jon, du nennst ‚Forever‘ ganz bescheiden dein „bestes Album seit 20 Jahren“. Inwiefern?

Weil es eine Rückkehr zum Spaß ist. Und nach allem, was in den letzten Jahren passiert ist, war das auch dringend nötig. Mein letztes Album ‚2020‘, das während Covid entstanden ist, war definitiv nicht besonders optimistisch. Es hatte einen kritischen Tenor und eine klare Aussage, die mir in dem Moment wichtig schien. Doch das Neue blickt positiv nach vorne – nach den Stimmproblemen, der Pandemie und dem politischen Chaos. Diesmal hat das Schreiben und Aufnehmen wieder Spaß gemacht.

‚My First Guitar‘ handelt von deiner ersten Gitarre. Besitzt du die etwa noch?

Ich habe genau diesen Song darauf geschrieben – so, wie ich es singe. Und es war ein tolles Gefühl, sie zurückzuerhalten und den Original-Koffer zu öffnen. In dem Zustand, in dem sie sich befand, bezweifle ich, dass der Typ, dem ich sie damals verkauft habe, sie je benutzt hat. Als er sie mir zurückgab, meinte er, sie gehöre einfach zu mir. Und ich konnte nicht anders, als sofort einen Song darauf zu schreiben.

Wann und warum hast du dich überhaupt davon getrennt, wenn sie so einen sentimentalen Wert besitzt?

Das muss 1979 gewesen sein – da hatte ich besagte billige Stratocaster-Kopie, von einer Firma namens Univox. Es war eine 100-Dollar-Gitarre, aber meine erste elektrische. So ein Teil, mit dem jeder anfängt. Aber natürlich wollte ich eine, wie sie meine Helden spielen – ich habe auf meine erste Fender gespart. Und dafür habe ich die Univox einem Kind aus meiner Nachbarschaft verkauft.

Mittlerweile ist er ein erwachsener Mann, aber er lebt noch immer in meiner Heimatstadt. Er ist dort Polizist und steht kurz vor der Rente. Eine Aushilfe in meinem Restaurant Soul Kitchen meinte: „Ich kenne ihn. Er hat deine Gitarre noch.“ Was bei mir die Frage aufwarf, ob er sie mir wohl zurückverkaufen würde. Und der Polizist war wirklich nett und sehr realistisch in seinen Preisvorstellungen.

Ich habe ihn und seine Kinder getroffen, ihm eine andere Gitarre und ein paar Dollar gegeben, und das war‘s – ich hatte meine allererste Gitarre zurück.

Hast du deine Stimmprobleme mittlerweile überwunden – und worin bestanden sie überhaupt?

Das ist eine echte Plackerei – nichts, was ich meinem schlimmsten Feind wünschen wollte. Denn: Ich bin immer noch in der Reha – seit fast zwei Jahren. Dabei fingen die Probleme schon 2014/2015 an. Wobei ich lange nicht wusste, worin sie konkret bestanden – mein Gesang hörte sich über weite Strecken einfach nicht richtig an oder er klang nicht so gut, wie er sollte. Und ich habe nicht verstanden, warum das so war – warum ich das plötzlich nicht mehr so hinkriege, wie ich es über Jahrzehnte getan habe. Die Shows zu ‚2020‘ waren einfach nicht gut, sie waren mir und den Jungs sogar richtig peinlich.

Also habe ich mich auf die Suche nach einem Chirurgen gemacht. Und als ich ihn gefunden hatte, erklärte er mir, dass eines meiner beiden Stimmbänder verkümmert war – es war nur noch etwa halb so groß, wie es sein sollte und im Begriff, abzusterben. Das andere war dagegen angeschwollen und drohte das schwächere, kleinere regelrecht wegzudrücken. Dadurch habe ich die Töne nicht mehr getroffen. Bei der anschließenden Operation habe ich eine Art Implantat bekommen, das das schwächere Stimmband verstärkt, die beiden wieder im richtigen Maß zusammendrückt und das alte Gleichgewicht herstellt. So kann das schwächere wieder wachsen und zu alter Stärke zurückfinden. Wodurch dann – hoffentlich – alles wird, wie es mal war. Momentan, nach zwei Jahren, sieht es ziemlich gut aus. Ich bin bei ungefähr 80 Prozent von dem, wo ich mal war.

Wie groß sind die Chancen, dass du wieder auf Tour gehst? Wie lange soll die Reha noch dauern?

Momentan bin ich noch nicht so weit, dass ich wieder auf Tour gehen könnte. Aber ich habe vier Tage die Woche Gesangstraining und bei den Proben, die einmal im Monat stattfinden, halten wir jede Verbesserung ganz genau fest. Für das neue Album hat es ja schon gereicht: Ich kann durchaus wieder singen. Jetzt ist das Ziel, so gesund zu werden, dass ich zweieinhalb Stunden am Stück hinkriege, vier Abende pro Woche.

Wo siehst du dich in der heutigen Musikwelt? Bist du Dinosaurier, Überlebender oder ein verdienter Staatsmann des Rock?

Ein bisschen von allem. Denn es ist doch so: Wenn du 40 Jahre lang Platten machst, ist das eine verdammt lange Zeit. Und da nicht für reine Nostalgie zu stehen und seine fünften ‚Greatest Hits‘ zu veröffentlichen, sondern ein nagelneues Album, ist schon eine Leistung. Eine, auf die ich stolz bin – zumal wir immer noch zeitgemäß sind. Wir haben gerade wieder einen Hit mit ‚Legendary‘. Und ‚Living Proof‘ wird ähnlich gut laufen. Insofern mögen wir inzwischen alte Männer sein, aber wir haben immer noch Hits.

(Bild: Universal)

Stellst du dir manchmal die Frage, wie es wohl wäre, wenn du heute mit der Band anfangen würdest? Wäre eine Karriere wie deine überhaupt noch möglich?

Ich komme gerade aus einem Plattenladen, wo ich Poster mit unserem Albumcover signiert habe. Währenddessen haben drei junge Bands ihr Equipment aufgebaut, um dort vor etwa 100 Leuten zu spielen. Ich fand das wahnsinnig aufregend – eben zuzusehen, wie sie ihre Verstärker und ihr Schlagzeug aufbauen und tatsächlich Rockmusik spielen.

Das hat mir einmal mehr bewusst gemacht, dass wir zwar in einer anderen Zeit leben, sie aber nicht zwangsläufig schlechter ist. Sie ist nur anders. Und die heutigen Kids haben die Vorteile des Internets, die wir gar nicht kannten. Dafür haben wir die goldenen Jahre der Musikindustrie erlebt, in der man noch richtig viele Schallplatten verkauft hat. Trotzdem können sie ihren eigenen Pfad zum Erfolg finden. Sie müssen es nur anders, also zeitgemäßer, angehen.

Aber den neuen Kurt Cobain haben wir in den letzten 30 Jahren nicht gefunden …

Leider nein. Und ich habe aktuell zwar nicht viel Überblick über das, was in der Welt passiert, aber zumindest in Amerika ist es so, dass das Singer/Songwriter-Genre immer noch angesagt und vital ist – mit Künstlern wie Noah Kahan oder Zach Bryan. Außerdem erleben wir eine Renaissance der Americana-Bewegung. Und ich höre Popkünstler wie Olivia Rodrigo und Rockbands wie Inhaler, also die Gruppe von Bonos Sohn, und bin fest davon überzeugt, dass sie eine große Zukunft haben werden. Einfach, weil sie jung, lebendig und wirklich gut sind.

Von daher mache ich mir keine Sorgen um die Musik. Und das Internet an sich würde ja auch einen nächsten Kurt Cobain zulassen, weil er sich keine Sorgen über das Format-Radio machen müsste. Er könnte eine Hörerschaft finden, weil er keinen Hit bräuchte, wie er die Grundvoraussetzung für Einsätze in den Mainstream-Wellen ist. Er könnte auch einen viralen Durchbruch schaffen. Das ist der Unterschied zu früher.

Wie geht es bei dir weiter?

Ich tue alles, um gesund zu werden – und dann möchte ich endlich wieder live in Deutschland spielen. Das vermisse ich sehr.


(erschienen in Gitarre & Bass 09/2024)

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