Im Interview

Steve Di Giorgio: Fretless Fingerstyle Bass

Anzeige
(Bild: Nikko Deluna)

Müsste man an einem Zeitstrahl die einflussreichsten Fingerstyle-Spieler im Metal aufreihen, käme gleich nach Iron-Maiden-Chef Steve Harris und dem 1986 verstorbenen Metallica-Bassisten Cliff Burton Steve Di Giorgio. Mit seinem halsbrecherischen Drei-Finger-Fretless-Spiel hat der gebürtige Kalifornier mehrere Dutzend Alben als Bandmitglied oder Gastmusiker veredelt.

Die von ihm mitbegründeten Überschall-Thrasher Sadus gelten in Underground-Kreisen als Kult, die stilprägende Band Death hat mehrere Genre-Klassiker mit ihm aufgenommen, und die Szenetitanen Testament greifen seit rund 25 Jahren auf seine Dienste zurück.

Anzeige

Wir erwischen den 56-Jährigen zwischen zwei Tourneen zu Hause, wo er uns unter anderem sein neues Signature-Modell Ibanez SDGB1-DMT vorstellt und von seinem Doppel-Bass-Projekt Quadvium mit dem niederländischen Virtuosen Jeroen Paul Thesseling erzählt.

Steve, fasse doch bitte mal kurz zusammen, was das Besondere an deinem Signature-Bass ist.

Ich habe mir im Laufe der Jahre mehrere Custom-Bässe von Ibanez bauen lassen, und irgendwann dachte dort wohl jemand: „Der Kerl gibt sich nicht mit unseren Serienmodellen zufrieden, also sollten wir ihn vielleicht fragen, was er für verbesserungswürdig hält.“ Sie kamen also auf mich zu, und gemeinsam entwickelten wir dieses Signature-Modell; es ist tatsächlich mein erstes überhaupt, was bedeutet, dass nun jeder genau den gleichen Bass spielen kann, den ich mit auf die Bühne nehme.

Die Konfiguration beruht größtenteils auf dem normalen BTB, aber vor allem bei der Elektronik sind wir neue Wege gegangen, denn neben dem herkömmlichen Mittenregler kann man diesen Frequenzbereich zusätzlich per Vari-Mid-Regler beeinflussen. Gerade im Metal-Bereich ist das bei bundlosen Bässen praktisch, um sich mit einem Scoop der tiefen oder hohen Mitten gegen die Gitarren durchzusetzen.

Du hast einen sehr harten Anschlag, der selbst hartes Griffbrettholz strapazieren dürfte. Habt ihr euch deshalb für das Kunststofflaminat Ebonol entschieden?

Ich habe im Laufe der Zeit mit verschiedenen Alternativen experimentiert. Bei einigen meiner anderen Bässe ist der ganze Hals mit Epoxidharz lackiert, und als ich dieses Laminat ausprobierte, hörte ich keinen wesentlichen Unterschied zu Holz. Es klang allenfalls ein wenig heller, was aber nur auffällt, wenn man alleine spielt. Ich habe es über die Iron-Label-Serie von Ibanez kennengelernt, die mit ihrer einheitlich schwarzen Optik auf Metal-Musiker zugeschnitten ist. Und für Ebonol spricht auch die Tatsache, dass sich das Klima auf unseren langen Tourneen manchmal drastisch verändert. Außerdem ist die Luftfeuchtigkeit in Konzertsälen grundsätzlich hoch, und natürlich spritzt auch mal Bier aufs Instrument.

Ein Beispiel dazu: Als Jeroen und ich neulich bei ihm in Amsterdam aufgenommen haben, war es draußen feuchtwarm. Im Studio stand ein Fenster auf, und draußen regnete es. Er spielt ja Warwick, die zu Recht große Stücke auf ihre Hölzer halten, doch durch die Witterung klang Jeroens Bass völlig dumpf, wohingegen meiner weitgehend unbeeinträchtigt blieb. Außerdem benutze ich Roundwound-Saiten, die ich sehr oft wechseln muss, weil ich stark schwitze und eben so hart anschlage, doch hinzu kommt, dass diese Art der Wicklung das Griffbrett schneller zerkratzt.

Man sieht das selbst bei Ebonol, worüber sich schon manche Käufer beschwert haben, aber ich mag es, wenn man erkennt, dass ein Instrument benutzt wird und sozusagen ein echter „Road Warrior“ ist. Richtig tiefe Rillen können den Hals ja unbrauchbar machen, doch mir wurde versichert, dass der Verschleiß nicht über kleine Kratzer hinausgeht, so ähnlich wie bei Edelstahlgriffbrettern. Jedenfalls beeinflussen Saiten und Tonabnehmer den Sound meines Erachtens stärker als das Griffbrettholz. Und um ein altes, aber zutreffendes Klischee zu bemühen: Am Ende kommt der Ton sowieso aus den Fingern.

(Bild: Ibanez)

Du scheinst dich eingehender mit Instrumentenbau zu beschäftigen als der Durchschnittsbassist. Einige Stücke aus deiner Sammlung hast du auch selbst modifiziert.

Ich habe mich eigentlich nie für den allzu technischen Kram interessiert, bin aber bei der Entwicklung dieses Basses ein bisschen zum Gear-Nerd geworden, weil ich viel über Holzarten und so weiter lernen konnte. Letztlich kommt es jedoch darauf an, ob sich ein Bass gut anfühlt. Du drehst ein paar Knöpfe, bis dir der Klang gefällt, und das war’s dann. Wenn mich Kollegen nach meiner Technik oder meinem Equipment fragen, habe ich meistens keine schlauen Antworten. Es gibt keine verbindlichen Einstellungen, denn was sich bei dir bewährt hat, funktioniert bei mir vielleicht gar nicht.

Das mit dem Ton aus den Fingern kann man bei dir wörtlich nehmen, du warst mit deinem Drei-Finger-Spiel schon auf den ersten Sadus-Alben unverkennbar. Wie bist du darauf gekommen?

In der Schulband spielte ich als Junge Kontrabass, also übertrug ich die Pizzicato-Zupftechnik bei Sadus einfach auf den E-Bass. Ich lernte viel von den Bassisten der Bands, die Ende der 1970er und in den frühen 1980ern angesagt waren: Rainbow, Black Sabbath, Iron Maiden, Judas Priest und so weiter. Viele von ihnen spielten mit Plektrum, das es bei hohem Tempo leichter macht, gleichmäßig anzuschlagen, doch für mich war das Fingerspiel intuitiver.

Dann lernten wir all das für die damalige Zeit rasante Zeug von Anvil, Exciter, Raven, Mercyful Fate und natürlich Slayers ‚Show No Mercy‘ kennen. Wir wollten diesen Gruppen nacheifern, weshalb ich mir etwas einfallen lassen musste, denn die Gitarristen spielten so flink, dass man ihren Händen kaum folgen konnte. Zeitweise setzte ich sogar zusätzlich den Daumen zum Anschlagen ein, aber im Laufe der Jahre hat sich der „Testament-Stil“ eingebürgert, wie ich es nenne: Ich spiele dabei nur auf Bassdrum und Snare, während sich die Gitarren fast überschlagen. So legt man ein solides Fundament, denn immerhin soll es ja heavy klingen. Auf alle Fälle bin ich aus Notwendigkeit zu meiner Technik gekommen. Etwas Entsprechendes gab es ja zu dem Zeitpunkt noch nicht, wir mussten diese Art von Musik quasi erst erfinden.

Du hast das also anfangs auch gar nicht analysiert?

Nein, bis ich Alex Webster von Cannibal Corpse traf, der es genauer wissen wollte. Erst da fing ich an, mir Gedanken über meine Spielweise zu machen, doch das war gut, denn anschließend konnte ich weiter daran feilen. Ehrlich gesagt spielte ich in den frühen Tagen ziemlich schlampig und musste viel üben. An meiner undogmatischen Herangehensweise hat sich aber bis heute nichts geändert: Ich höre einfach, was ein Song verlangt, verinnerliche seine Struktur und achte darauf, was am Schlagzeug passiert.

Dann kommt es darauf an, je nach Situation schnelle Grundtöne zu spielen oder mit der linken Hand etwas akrobatischer zu werden, wenn die Gitarristen akzentuierte Rhythmen oder Arpeggios spielen. Theoretisch könnte man ein Buch über die Drei-Finger-Technik schreiben, doch ich kenne viele Bassisten, die sie verwenden, und jeder tut es auf eine andere Weise.

Wie hast du gelernt, wann du dich zurückhalten musst und wann du virtuoser spielen darfst?

Bei Testament weiß ich nach gut 25 Jahren, wo ich hingehöre, während ich bei Sessions besonders genau hinhöre und viel mit den Musikern rede, um herauszufinden, wie sie ticken und was ihnen vorschwebt. Da ich einen gewissen Ruf habe, werde ich manchmal angeheuert, um verrückte Sachen zu spielen, aber vieles ist wirklich nur zweckmäßiges und präzises Arbeiten. Wenn jemand allerdings sagt, ich solle meiner Fantasie freien Lauf lassen, kann ich damit nichts anfangen, weil es alles Mögliche bedeuten mag. Selbst als kreativer Bassist darf man nicht vergessen, dass man eine begleitende Rolle einnimmt und sich dem Song unterordnen musst.

Für manche Sessions erhalte ich vorab Noten mit Vorschlägen für meinen Part, was mir sehr recht ist, da ich dann weiß, woran ich bin. Einiges läuft auch nach all den Jahren noch nach dem Versuchsprinzip, in der Regel kann ich aber auf meinen üppigen Erfahrungsschatz zurückgreifen.

Lass mich raten, Quadvium wird das genaue Gegenteil dieser zurückhaltenden Vorgehensweise sein, richtig?

Ja, es ist völlig verrückt, wie ich jetzt versichern kann, da die Produktion fast abgeschlossen ist. Jeroen und ich hatten schon vor Jahren die Idee zu einem gemeinsamen Projekt, obwohl wir nur ungefähr wusste, was wir eigentlich tun wollten. Fest stand nur, dass unser Bassspiel im Mittelpunkt stehen sollte, und das tut es auch. Nichtsdestoweniger haben wir gemeinsam mit unseren beiden Mitmusikern komponiert und einen Bandsound entwickelt.

Du meinst Gitarrist Jennings Smith und Drummer Yuma van Eekelen.

Genau. Die Musik ist rein instrumental, zweifellos einzigartig und der Traum jedes Bassisten. Natürlich gibt es die Duo-Alben von Victor Wooten und Steve Bailey oder das Bassinvaders-Projekt, bei dem Markus Grosskopf von Helloween mit etlichen anderen Metal-Bassisten spielt, aber was wir machen, ist ganz anders. Bekannte von mir, die bei Plattenfirmen arbeiten, finden es zu progressiv, wohingegen ich einfach sagen würde, es ist etwas für Leute, die gerne Rätsel lösen – Fusion Metal vielleicht.

Die Abmischung stellt eine Herausforderung dar, weil alle fantastisch spielen und deshalb jeder zur Geltung kommen soll, ohne dass die Transparenz verlorengeht. In diesem Zusammenhang muss ich unbedingt eine Lanze für Jeroen treffen, er ist ein wahnsinnig guter Musiker und zeichnet für einen Großteil der Songarrangements verantwortlich. Er besitzt die besondere Gabe, strukturell sehr komplexe und technisch anspruchsvolle Kompositionen so zu unterteilen, dass sie relativ leicht spielbar werden.

Es ist auch gar nicht angeberisch, sondern ausgesprochen musikalisch, als würden wir beide auf unseren Instrumenten miteinander reden, Fragen stellen und Antworten geben. Zudem gibt es keine gewöhnlichen Solos und Leads, wir spielen viele Parts zweistimmig und rücken Harmonien in den Vordergrund.

Du bist bald wieder mit Testament unterwegs. Hast du irgendwelche Routinen auf Tour, um geistig und körperlich fit zu bleiben?

Ich bin tatsächlich schlecht darin, mich zu schonen, und mit dieser Band durch die Welt zu reisen kann ziemlich turbulent sein. Ich habe aber nach Corona aufgehört, mich zu beschweren, denn während der Lockdowns keine Konzerte geben zu können hat uns bewusst gemacht, wie gerne wir das tun. Auch wenn ich manchmal immer noch Heimweh bekomme, ist es gut eine Beschäftigung zu haben und Livemusik am Leben zu halten.

(erschienen in Gitarre & Bass 07/2024)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.