Im Interview

Chris Rocha: Das Auge hört mit

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(Bild: Gretsch)

Der Name Chris Rocha dürfte vielen Lesern bislang eher unbekannt sein. Mit seiner neuen Gretsch-Signature-Gitarre dürfte sich das zumindest ein Stück weit ändern. Und ein Kennenlernen lohnt sich, denn der Mann hat einiges zu erzählen – und dazu in seiner Karriere etliche Hürden überwunden. Heute zählt der Texaner zu den großen Playern seines Metiers.

Interview

Chris, dein Signature-Modell wartet mit einigen Besonderheiten auf. Das trifft auch ein Stück weit auf deine Vita zu, denn du wurdest anders sozialisiert als viele deiner Zeitgenossen.

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Das stimmt. Ich bin quasi in der Kirche aufgewachsen. Mein Vater kam schwer traumatisiert aus Vietnam zurück. Unser Zuhause war ein sehr destruktiver Ort, bis er sein Leben dem Glauben widmete. Das änderte alles. Ich war damals sieben Jahre alt. Mein Vater war Musiker und zeigte mir einige Grundlagen auf der Gitarre.

Ich war schnell völlig besessen von der Musik und fing an, in Bands zu spielen und Freunde zu unterrichten. Leider fehlte uns das Geld für eine College-Ausbildung, dazu war unser Heimatort in der Nähe der mexikanischen Grenze alles andere als ein guter Startpunkt. Ich habe daher die Lehrbücher von einem Freund übernommen und mich in das Thema Audiotechnik eingearbeitet. Als Tellerwäscher verdiente ich mir das Geld für ein eigenes kleines Studio.

Ich fing an, Bands zu produzieren und verband die Gitarre mit der Studiowelt. Ein Schwerpunkt dabei war christliche Musik, vorwiegend von hispanischen Interpreten. Nach und nach wurden die Bands und Gigs größer, bis hin zu einer Live-Aufnahme im Madison Square Garden mit der Band Miel San Marcos im Jahr 2017. Das war eine Riesennummer für mich.

Wann kamst du mit Gretsch in Kontakt?

Das war etwa zu dieser Zeit. Bei den Konzerten spielte ich weltweit pro Abend vor bis zu 20.000 Besuchern und habe dabei ein Statement für und mit Gretsch abgegeben. Eines Tages habe ich mit dem Vize-Präsidenten von Gretsch gesprochen und ihm meine Geschichte erzählt. Ich bin in einer sehr toxischen Umgebung aufgewachsen, wo Musiker sich nicht gegenseitig unterrichten, und habe mir quasi alles selbst beigebracht.

Heute biete ich eine komplette Unterrichts-Plattform an und besitze dazu eine Plattenfirma. Ich habe es geschafft, eine komplette kleine Industrie aufzubauen. Außerdem arbeite ich in meiner Kirche als musikalischer Leiter. Ich bin sehr stolz, das alles geschafft zu haben. Gretsch fand meine Leidenschaft für ihre Gitarren und meine Geschichte offenbar so interessant, dass sie mir anboten, ein Signature-Modell aufzulegen. Ich fühle mich wahnsinnig geehrt, ein Teil der Gretsch-Artist-Liste zu sein, und habe viel Arbeit in die Entwicklung investiert.

Die Gitarre hat all die wichtigen Merkmale der Pro-Series-Instrumente, ist dabei mit rund 1.200 € jedoch recht günstig – und sieht obendrein auch noch echt wunderbar aus.

Du wurdest 1979 geboren. Welche Musiker prägten deinen Stil?

Ich wuchs, wie erwähnt, in einem christlichen Haushalt auf und wurde quasi in einer kleinen Blase groß gezogen. Da war es so etwas wie eine Sünde, weltliche Musik zu konsumieren. Ich hatte also begrenzte Möglichkeiten. Was ich damals viel hörte, waren christliche (White-Metal-) Künstler wie Stryper oder Whitecross. Rock war zu der Zeit total mein Ding.

Mit 12 Jahren besuchte ich dann ein G3-Konzert. Das hat mir den Verstand weggeblasen. Joe Satriani, Steve Vai und dazu Eric Johnson. Was für Gitarristen! Zu Eric Johnson habe ich dabei die engste Verbindung. Er ist so melodisch. Sein technisches Level ist wie von einem anderen Planeten. Ich liebe sein Spiel – und seinen Sound. Alle Zeit der Welt würde nicht reichen, auf dieses Level zu kommen. Aber im Ansatz denke ich ähnlich. Ich bin vom Herz her Produzent. Mein Spiel spiegelt das wieder.

Ich arbeite gerne mit Melodien, mit Hooks. Wenn ich einen Part schreibe oder live spiele, denke ich als Erstes: Lass uns den Song griffiger machen. Wenn es ein paar Takte gibt, wo ich entweder shredden oder mit etwas eher Melodischem daherkommen kann, entscheide ich mich immer für Letzteres. Ich bin zwar einerseits ein aggressiver Rockgitarrist, aber ich gehe es von einem melodischen Standpunkt an.

Kannst du dich erinnern, wann du das erste Mal eine Gretsch in der Hand hattest?

Genau weiß ich das nicht mehr, aber einer meiner Kumpels hatte eine. Ich habe mich sofort in sie verliebt. Zusätzlich zum Sound ist ihr Look der Wahnsinn. Ich stehe total auf Ästhetik. Wenn ich das Aussehen einer Gitarre nicht mag, spiele ich sie nicht. Die erste Gretsch, die ich in die Finger bekam, und mit der ich auch gleich ein Konzert gespielt habe, war eine Broadkaster Jr. mit Centerblock – eine hammer Gitarre, die auch mit High Gain umgehen konnte. Was ich an Gretsch-Gitarren mag, ist, dass sie eine breite Palette von Ambient-artigen Sounds mit Chime bis hin zu sehr aggressiven Sounds abdecken.

Das können nicht alle Gitarren so gut. Ich spiele viele unterschiedliche Dynamik-Level. Für mich ist eine Gretsch ein perfekter Partner. Außerdem sind sie sehr langlebig, ich kann mich auf einer Tour immer auf sie verlassen. Es ist wirklich schwer, etwas Negatives an ihnen zu finden. Ich bin definitiv ein großer Fan dieser Firma.

Du spielst anders, als sich viele einen klassischen Gretscher vorstellen. Bei dir geht es nicht um Rockabilly oder Rock-Rhythmus-Sounds, sondern häufig um Melodie- und Sololinien mit reichlich Verzerrung. Hast du keine Probleme mit Feedback?

Nein. Wahrscheinlich hat das auch mit den Orten zu tun, in denen ich spiele. Wenn ich einen Amp direkt neben mir stehen hätte, hätte ich vielleicht ein paar Schwierigkeiten. Mit Hollowbodies ist das natürlich etwas ganz anderes, aber mein Signature-Modell ist eine Semi mit einem Centerblock. Das funktioniert auch mit High Gain. Ich habe in meinem Setup keine Probleme damit – vielleicht auch, weil ich gelernt habe, mit den Gegebenheiten umzugehen. Ich spiele ziemlich akkurat und drehe in Pausen mein Volume-Poti zu.

Und du verwendest dazu ein Dämpf-Hilfsmittel auf dem Hals, das du vom Sattel aus hochschiebst.

Es gibt ein paar Firmen, die so etwas herstellen. Bei jeder heißt es ein wenig anders. Die Company, von der ich es aktuell verwende, nennt es „Damper“. Eine weitere Option ist der „Fretwrap“ von Gruvgear. Ich weiß nicht mehr, wann ich das erste Mal davon gehört habe. Davor habe ich eine schwarze Socke um den Hals gewickelt, um die Saiten zu dämpfen. Das ist eine Studio-Technik – die ich allerdings auch live eingesetzt habe, was einige Leute irritiert hat. Aber es hilft definitiv. Und mittlerweile gibt es ja auch die erwähnten professionellen Hilfsmittel.

Du hast gesagt, dass in deinem Signature-Modell viele Ideen von dir drin sind. Zählt auch das Finish in Weiß und Gold dazu?

Oh ja. Ich fühlte mich, als ob ich gar keine andere Wahl hätte. Wenn man eine Gitarre entwirft, denkt man doch wohl zuerst an die Farbe, oder? Die Farbkombination zieht mich an – und sie besitzt auch einen sentimentalen Aspekt. Wie gesagt, wir waren früher nicht gerade wohlhabend. Meine erste E-Gitarre bekam ich von meinem Onkel, er hatte sie Jahre lang im Schrank. Es stand nicht mal ein Firmennamen auf ihr. Ich habe sie gespielt, bis sie buchstäblich auseinander gefallen ist, denn sie war nicht von sonderlich guter Qualität.

Als ich zwölf Jahre alt war, kaufte mein Vater einem seiner Freunde eine Gitarre ab – mit weißem Lack und goldfarbener Hardware. Das war meine erste richtige E-Gitarre. Für mich war sie das Größte überhaupt. Diese Kombination aus Weiß und Gold strahlt in meinen Augen die pure Eleganz aus. Ich habe bereits zwei oder drei Gitarren in dieser Farb-Kombi und wollte sie unbedingt auch für mein Signature-Modell.

Chris Rocha mit seiner Gretsch-Electromatic-Broadkaster-Jr.-Signature (Bild: Gretsch)

Daneben fällt der Vibratohebel ins Auge. Du hast dich dabei nicht für die gerade Variante, sondern für die auffälligere gebogene Version entscheiden. Hat das ebenfalls einen historischen Hintergrund?

Nicht ganz. Hier wurde ich von etwas anderem inspiriert. Die Gretsch-Webseite ist eine meiner liebsten Seiten auf meinem Smartphone. Sobald man den Buchstaben „G“ eingibt, erscheint „Gretsch Guitars“. Von ein paar Jahren stolperte ich dabei über das Billy-Duffy-Modell (Gitarrist von The Cult). Er hat diesen abgedrehten Bigsby-Hebel drauf. Als ich das gesehen habe, fand ich es gleich großartig, denn es verleiht der Gitarre dieses extravagante Feel und ist dazu ziemlich einzigartig. Es hat definitiv meine Aufmerksamkeit erregt. Hoffentlich sehen das andere ähnlich. Ich jedenfalls liebe diesen Look, und nur darum geht es. Als ich meine Gitarre designt habe, war klar, dass ich so einen Hebel möchte.

Ein weiteres Detail sind die Pickups: Du besitzt einige Gretsch-Gitarren mit den etwas heißeren FullTron-Tonabnehmern, bei deinem Signature-Modell hast du dich jedoch für FilterTrons entschieden. Warum?

Ich habe eine rote Jet mit FilterTrons, in deren Sound ich mich verliebt habe. Der FilterTron ist zwar einen Hauch zu spitz für meinen Geschmack, aber dennoch stehe ich voll auf seinen Ton. Als es an meine Gitarre ging, hatte ich diese Kombination im Kopf. Wenn du einen solchen Pickup in eine Semiakustik statt in eine Solidbody packst, wird der Ton etwas wärmer. Diese Balance wollte ich finden – und ich denke, es ist uns gelungen.

Apropos Ton: Bist du generell jemand, der mit einem eher cleanen Amp arbeitet und den Sound dann mit Pedalen formt?

Im Lauf der Jahre musste ich einiges an mir modifizieren. Ich hatte einen Job in einer Band angenommen, die quasi ständig auf Tour ist. Andererseits hat es Jahre gedauert, um an einen Punkt zu gelangen, an dem ich die Top-Künstler meines Genres produziere. Das wollte ich nicht aufgeben. Also musste ich einen Weg finden, beides zu kombinieren. Damals war das Coolste, das ich kannte, ein Line 6 Helix. Ich besorgte mir eins und fand einen Weg, in Hotelzimmern aufzunehmen. Und das auch schon mal um zwei oder drei Uhr morgens, egal ob in Peru oder Argentinien.

Ich besorgte mir ein Macbook und machte mich mobil. So konnte ich auf Tour Platten produzieren, während ich in der Welt unterwegs war. Röhrenamps in Hotelzimmern funktionieren nicht. Ich musste also diese digitale Lösung finden, um das umsetzen zu können. Nach und nach schaffte ich es, meine Sounds mit Amp-Simulationen hinzubekommen. Die digitale Welt ist extrem komfortabel. Für mein Pedalboard brauche ich nur eine kleine Reisetasche, dennoch habe ich darauf alles, was ich brauche. Mit den ganzen Impulse Responses hat sich mir ein neues Universum eröffnet.

Ursprünglich komme ich, wie die meisten Gitarristen, aus der Welt der Röhrenamps. Ich stand damals total auf Dr.-Z-Verstärker und hatte ein paar davon. Es war genau so, wie du es angesprochen hast: ein cleaner Grundton, etwa aus einem Dr. Z MAZ 38, alles Weitere geschah über Pedale. Das mache ich heute immer noch so, allerdings mittlerweile mit Amp-Simulationen. Aber das Konzept ist das gleiche geblieben.

Das heißt, du schickst dein Board und damit deinen Sound heute direkt ins Pult?

Genauso ist es. Das ist extrem bequem. Ich komme mit einem kleinen, einfachen Rig, das ich nur kurz verkabeln muss. Und schon kann die Show losgehen.

Das Live-Pedalboard #1: MCG Pedals Genesis, GFI System Specular Tempus, Line 6 HX Stomp, Jackson Audio Asabi, Chris Rocha El Valiente & Disaster Area Design DPC
Das Live-Pedalboard #2: DSM & Humboldt Simplifier Deluxe, JET Pedals MR JAX - Chris Rocha Signature Series, Chris Rocha El Valiente, DSM & Humboldt Black Clouds, Jackson Audio Bloom, Alexander Pedals Space Force, Alexander Pedals Rewind & Disaster Area Design DPC

(erschienen in Gitarre & Bass 06/2024)

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