Im Interview

Yvette Young: Die Gitarre als Therapie

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(Bild: Matt Ferguson)

Eine der größten Überraschungen beim 2023er Guitar Summit in Mannheim war die Amerikanerin Yvette Young, die sowohl bei einem Workshop als E-Gitarristin mit ihrer Ibanez Talman überzeugen konnte, auf der Bühne aber auch ein hinreißendes Akustik-Set ablieferte.

Yvette ist die Tochter eines aus China stammenden Sängers und Akkordeon-Spielers und einer Organistin. Sie studierte Kunst an der University Of California in Los Angeles und veröffentlichte 2009 ihre ersten Videos über die Sozialen Medien. Auf dem Guitar Summit zeigte sie nicht nur ihre exzellente Fingertechnik, sondern präsentierte auch ihr quietschgelbes Ibanez-YY10- Signature-Instrument. Wir haben Yvette kurz nach einem lautstark bejubelten Workshop zu ihrem – in der Tat ungewöhnlichen – Lebenslauf und ihren musikalischen Vorlieben befragt.

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Yvette, du bist mit verschiedenen Instrumenten aufgewachsen, vor allem mit Cello und Klavier. Die Gitarre kam erst später dazu. Was sind aus deiner Sicht die Gemeinsamkeiten und was die größten Unterschiede?

Für mich geht es bei jedem Instrument um das Gefühl, das ich damit artikulieren kann. Ich benutze die Instrumente, um kleine Geschichten zu erzählen, die mich bewegen und die auch beim Zuhörer hoffentlich etwas bewirken.

Interessant ist, dass du als Kind Musik überhaupt nicht gemocht hast.

Das stimmt, ich habe sie sogar gehasst, denn ich wurde von meinen Eltern gezwungen, Cello in einem Orchester zu spielen. Sie haben mir ihren Ehrgeiz übergestülpt. Ich musste an Wettbewerben teilnehmen, musste immer perfekt sein, und wenn ich bei einem Wettbewerb mal nicht gewann, bekam ich zuhause Ärger. Ich war erst neun Jahre alt und wurde zu etwas gezwungen, was ich nicht wollte. Anstatt wie andere Kinder den Spaß und die Schönheit von Musik zu erleben, stand ich ständig unter Leistungsdruck.

Was irgendwann zu einer schlimmen Depression geführt hat, nicht wahr?

Ja, ich musste ins Krankenhaus, weil ich einfach nicht mehr konnte. Ich hatte Essstörungen, ich litt an Burnout, denn der enorme Druck, der auf mir lastete, war nicht mehr auszuhalten. Im Krankenhaus habe ich dann begonnen, mir selbst das Gitarrespielen beizubringen. Dadurch änderte sich meine Einstellung zur Musik grundlegend. Es war das erste Mal, das etwas aus mir allein heraus entstand, ohne Lehrer, ohne Druck, nur aus dem Spaß am Entdecken heraus. Das hat mir gesundheitlich enorm geholfen, sowohl bei meinen Essstörungen als auch bei den Depressionen. Ich fand meine innere Kraft wieder und konnte dann sogar mit einem anderen Gefühl Klavier und Cello spielen. Es war quasi die Aufarbeitung meiner Kindheit.

Hast du eine Idee, weshalb deine Eltern einen so enormen Druck auf dich ausgeübt haben? Was genau war ihr Ehrgeiz?

Ich denke nicht, dass sie mich zur Berufsmusikerin machen wollten. Ich selbst wollte es ja auch nicht. Ich wollte Kunstlehrerin werden, habe einen Hochschulabschluss in Malerei und Pädagogik und wollte andere Menschen unterrichten. Doch die Musik bekam in meinem Leben immer mehr Gewicht, und nachdem ich einige Videos veröffentlicht hatte, die durch die Decke schossen, habe ich den Kunstunterricht wieder aufgegeben und mir überlegt: Ich bin jung, es gibt diese Chance, also weshalb sollte ich es nicht probieren?

Obwohl ich zugeben muss, dass das öffentliche Performen nicht unbedingt zu meinen Lieblingsdisziplinen zählt, da es durch meine Kindheit sehr negativ besetzt ist und ich es leider mit Druck, Wettbewerb und Stress verbinde. Das, was ich demgegenüber wirklich liebe, ist Songwriting und Recording.

Wussten deine Eltern, dass du dich überfordert fühlst?

In meiner Familie wird nicht oft über Gefühle gesprochen. Aber ich denke, dass sie verstanden haben, was mir die Gitarre bedeutet und dass sie dazu beigetragen hat, wieder gesund zu werden und neue Kraft zu schöpfen. Zumal ich durch die Gitarre auch wieder Zugang zu Klavier und Cello bekommen habe. Das freut meine Eltern natürlich.

Hast du von deinen Fähigkeiten auf Klavier und Cello beim Gitarrelernen profitiert?

Oh ja absolut, vor allem, weil ich beim Cello-Unterricht oft Gehörtraining, Stimmbildung und Harmonielehre bekommen habe. Das hat mir bei der Gitarre enorm geholfen. Die meisten Licks und Riffs, die ich spiele, entstehen in meinem Kopf und ich singe sie zuerst, bevor ich sie auf dem Griffbrett umsetze. Das hat den Vorteil, dass ich einerseits völlig frei in meinen Ideen bin, und andererseits Melodien entstehen, die lange in Erinnerung bleiben, da man sie mitsummen kann. Natürlich haben mir auch die Fingerübungen beim Klavierspielen sehr geholfen …

… obwohl ein Klavier einen völlig anderen Aufbau hat als eine Gitarre?

Ja, trotzdem, denn das Klavier ist die beste Schule, um Mehrstimmigkeit zu verstehen. Denn man hat die linke Hand für die Harmonie, also für die Grundlage, sozusagen die Rhythmusgitarre, und die rechte Hand für die Melodie, quasi die Leadgitarre. Alles das, was man auf dem Klavier entwickelt, kann man auch auf die Gitarre übertragen.

War für dich der Übergang von der Akustik- zur E-Gitarre ein großer Schritt?

Ich hatte anfangs zu wenig Selbstvertrauen, um diesen Schritt zu wagen. Ich hörte zwar überall, dass nur ein Gitarrist, der beides spielt, also Akustik- und E-Gitarre, ein wahrer Könner ist, aber mich schreckte die Lautstärke eines Gitarrenverstärkers für lange Zeit ab. Wenn ich in einem Musikgeschäft war, traute ich mich nicht, einen der Amps anzuschalten und eine Gitarre auszuprobieren. Also spielte ich E-Gitarren anfangs nur ohne Verstärker. Erst als ich ein gewisses Niveau erreicht hatte und mir und meinen Fähigkeiten traute, wurde es mir egal, ob es jemand hört oder nicht.

Deine erste E-Gitarre war aber noch keine Ibanez, oder?

Nein, meine erste E-Gitarre war eine SX Telecaster, irgendein billiges Modell. Ich hatte damals nicht viel Geld, kaufte im Internet die Tele und einen kleinen Drum-Computer, schrieb mein erstes Riff, postete es im Internet und wurde so bekannt.

Kam so auch der Kontakt zu Ibanez zustande, aus dem dein Signature-Modell entstanden ist?

Irgendjemand aus der Firma entdeckte mich auf YouTube. Sie kontaktierten mich und fragten: „Hey Yvette, was hältst du von der Idee, mal eine unserer Gitarren auszuprobieren?“ Damals spielte ich gerade eine Ibanez RG, die ich mir anfangs nur geliehen hatte. Ich war mir zunächst nicht sicher, ob ich dem Angebot von Ibanez folgen sollte. Ich hatte bereits einigen Endorsement-Offerten zugesagt, wusste aber nicht, ob alle angebotenen Instrumente für meinen Spielstil geeignet sind.

Ich antwortete Ibanez: „Ich weiß nicht, ob ich wirklich eine Gitarre im Metal-Style spielen sollte!“ Doch Ibanez reagierten ganz cool und erwiderten: „Das musst du auch nicht. Wir haben ein Modell namens Talman, das wir weiterentwickeln wollen und das perfekt zu dir passen würde. Du solltest es mal testen.“ Also schickten sie mir eine Talman und ich war restlos begeistert, vom Hals, vom Sustain, von der Spielbarkeit.

Hast du zu einer E-Gitarre ein anderes künstlerisches Gefühl als zur Akustik-Gitarre?

Ich denke, dass meine Stimme auf jedem Instrument völlig anders klingt. Auf einer Akustikgitarre spiele ich viel detaillierter, viel mehr mit Dynamiken, und natürlich ist der Klang deutlich softer. Auch bei E-Gitarren geht es um große Melodien, aber zusätzlich verwende ich Effektpedale wie Distortion, Fuzz oder Delay, um die Parts farbiger zu machen. Meine Denkweise ist dann dreidimensional und ich betrachte das Endergebnis eher wie ein Produzent. Der Sound ist dann ebenso wichtig wie die Melodie, während bei der Akustikgitarre die Melodie und die Emotion über allem stehen.

Du spielst beide Gitarren ausschließlich mit Fingern, nicht wahr?

Ja, allerdings habe ich eine eigene Technik, bei der ich teilweise meine Finger wie ein Plektrum einsetze.

Hatte der Wechsel zur Ibanez Talman einen signifikanten Einfluss auf dein Spiel?

Ich habe den Eindruck, dass ich durch die Talman zunehmend immer besser werde. Je mehr man sich mit seinem Instrument beschäftigt, umso variantenreicher und sicherer wird man. Zumal der Hals der Talman wirklich super-komfortabel zu spielen ist.

Yvettes Pedalboard mit Boss Octaver OC-5, Ground Control Noodles Active EQ, Earthquaker The Warden, D’Addario Tuner, Universal Audio Del-Verb, MXR Carbon Copy Deluxe, Walrus Julia Chorus & Ibanez TS9DX Turbo Tube Screamer (Bild: Matthias Mineur)

Ist für dich der Hals das wichtigste Kriterium? Gibt es noch andere Aspekte, die erfüllt sein müssen?

Ehrlich gesagt ist mir zum Beispiel das Design einer Gitarre völlig egal. Für mich ist nur entscheidend, ob ein Instrument genau das macht, was ich von ihm erwarte. Ich werde wahnsinnig, wenn eine Gitarre nicht meinen Ideen folgt. Dazu gehört auch der richtige Ton, denn wenn ich etwas spielen möchte, und es hat nicht den passenden Sound, werde ich schnell sauer. Bei einer perfekten Gitarre schließt man die Augen, spielt sie und möchte sie nie wieder aus der Hand legen. Ich habe zuhause eine Talman mit Sunburst-Finish, keine besondere Schönheit, aber aus irgendeinem Grund möchte ich diese Gitarre dauerhaft spielen.

Das Gewicht einer perfekten Gitarre darf nicht zu hoch sein, weil sonst der Rücken schnell schmerzt. Aber natürlich spielt das Holz eine große Rolle, und je mehr Holz ein Instrument hat, umso mehr Sustain bekommt man. Bei modernen Pickups wie einem aktiven EMG mag man das Sustain in Verbindung mit entsprechenden Effekten ja auch von allein bekommen, aber für mich, die überwiegend Single Coils spielt und große Dynamik möchte, ist das natürliche Sustain der Gitarre von entscheidender Bedeutung.

Immer Single Coils?

Ja, immer, und eine tiefe Saitenlage, denn ich spiele häufig Tappings, mit .011- auf .056er-D‘Addario-Saiten. Eine Zeitlang habe ich auch 12er-Sätze genommen, aber sie killten meine Hände. Je mehr Bendings ich im Laufe der Jahre gespielt habe, umso notwendiger wurde es, auf 11er-Sätze zu gehen.

Spielst du in deiner Band immer noch über den VOX AC30?

Ja, den AC30 besitze ich schon seit vielen Jahren, ebenso wie den Roland JC-40, übrigens immer in Kombination mit einem ganzen Arsenal an Effektpedalen, darunter ein The Warden von Earthquaker Devices, ein MXR Carbon Copy Deluxe, ein Boss Octaver OC-5, ein Ibanez Overdrive und ein Del-Verb von Universal Audio.

Seit vielen Jahren ihr ständiger Begleiter: der VOX AC30 (Bild: Matthias Mineur)

Wie würdest du deinen Stil generell mit eigenen Worten beschreiben?

Meine Band heißt Covet, wenn ich für sie komponiere, ist es wie eine Liebeserklärung an die Musik. Ich lasse mich von allem inspirieren, was ich an Musik so schätze. Am Jazz mag ich die Akkord-Voicings und die atmosphärische Stimmung, am Prog mag ich die verrückten Zählzeiten und komplexen Polyrhythmen, am Post Rock liebe ich die Dynamik, am Pop die griffigen Hooks und Melodien, am Grunge die raue Energie, die man bis in die Magengegend spürt. Ganz besonders liebe ich Bands wie My Bloody Valentine oder Smashing Pumpkins, das alles kommt in meinen Songs zusammen.

(erschienen in Gitarre & Bass 02/2024)

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