Im Interview

Erik Rutan & Cannibal Corpse: Der Drill-Sergeant

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Bei Morbid Angel stand Erik Rutan immer im Schatten von Bandleader Trey Azagthoth, doch spätestens mit seiner eigenen Band Hate Eternal und seiner Tätigkeit als Produzent für einschlägige Szene-Acts wurde der 52-Jährige zu einer der wichtigsten Figuren im amerikanischen Death Metal. Bei Cannibal Corpse sitzt der redselige Equipment-Nerd seit 2006 hinter den Reglern, 2021 nahm die Gruppe ihn offiziell als Leadgitarristen auf.

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interview

Erik, ich hörte, du seist sehr wählerisch, was Verstärker und Boxen angeht. Bist du in deinem Studio Mana Recording auch entsprechend ausgestattet?

Klar, und ich lege auch großen Wert darauf, bei Mikrofonen und Kompressoren verschiedene Optionen ausprobieren zu können. Bei mir hat sich mit der Zeit eine Menge Zeug angehäuft, das ich tatsächlich auch verwende. Obwohl es meistens so läuft, dass man im Vorfeld einer Produktion bestimmte Geräte ins Auge fasst und am Ende doch ganz andere einsetzt.

Mittlerweile sind sechs Cannibal-Corpse-Alben von mir produziert worden, doch wir haben nie das gleiche Equipment benutzt, wenn man von Mesa-Boogie-Amps absieht, die zu unserer Grundausstattung gehören. Sie definieren den Sound der Band, doch das Drumherum ist völlig offen, was auch mit meiner Philosophie als Produzent zu tun hat: Ich betrachte ein Album, das aufgenommen werden soll, wie eine leere Leinwand. Die Songstrukturen sind das Gerüst, den Rest füllt man mit verschiedenen Klangfarben und -texturen aus.

Dementsprechend höre ich auch Musik – ich visualisiere sie räumlich. Meistens sitze ich mit geschlossenen Augen im Studio, während ich etwa eine Gitarrenspur laufenlasse, und stelle mir die weiteren Komponenten dazu vor. Das ist ungefähr so, als würde man eine Mahlzeit mit Gewürzen abschmecken, und die Besonderheit bestand bei ‚Chaos Horrific‘ auch darin, dass es das erste Album war, das ich mit meinem brandneuen Origin-SSL-Mischpult aufgenommen habe.

Um bei der Mal-Metapher zu bleiben: Du mischst also auch Farben?

Genau. Ich bin zu einer Zeit aufgewachsen, in der alles analog war, und liebe es, wenn Musik dieses warme, menschliche Element in sich trägt. Mir geht es in erster Linie darum, die Persönlichkeit einer Band herauszuarbeiten und authentische Performances einzufangen. Deshalb fertigen wir noch traditionell Demos an und machen eine Vorproduktion, bei der wir unterschiedliche Gerätekombinationen testen, um optimale Voraussetzungen zu schaffen.

Meine bevorzugte Technik dazu habe ich schon vor über 30 Jahren bei meiner ersten Band Ripping Corpse angewandt: Ich nehme vier Rhythmusgitarrenspuren auf, was bei Cannibal Corpse bedeutet, dass unser anderer Gitarrist Rob Barrett und ich unsere Parts jeweils doppeln. Damit das funktioniert, muss man natürlich sehr tight sein, doch die Gitarrenwand, die dadurch entsteht, wenn man die Spuren jeweils auf dem linken und rechten Kanal verteilt, ist irre.

Das Grundsetup für ‚Chaos Horrific‘ war wie beim letzten Album ein Mesa Boogie Dual Rectifier mit einem Maxon-ST-9-Pro+-Super-Tube-Pedal, was an sich nicht sonderlich flexibel ist, doch die Kombination mit anderen Amps sowie verschiedenen Boxen ermöglicht ein sehr breites dynamisches Spektrum. Uns stand ein ganzes Arsenal zur Auswahl, Modelle von Engl, Bogner, Peavey 5150 und mehrere Marshalls.

Marshall ‘79 JMP, Mesa Dual Rectifier, Marshall JCM 800 & Ampeg SVT 50th Heritage

Die Kombination variiert aber nicht von Song zu Song, oder?

Letztlich haben wir die gedoppelten Rhythmusspuren über einen 1979er Marshall JMP aufgenommen, der mit dem Hot Mod V2 EVO von Legendary Tones aufgemotzt ist, dadurch kann man im Grunde auf zwei Vorstufenröhren statt nur einer zugreifen. Es blieb also relativ einheitlich, wenn man davon absieht, dass wir hier und da einen Ibanez TS9 Tube Screamer 30th Anniversary dazugenommen haben, während für die Solos auch ein Marshall JCM 800 und ein Bogner Uberschall Verwendung fanden.

Die zweite Rhythmusspur war gegenüber der ersten jeweils drei bis sieben Dezibel leiser, was den Gesamtsound transparenter gemacht hat, ohne ihm den Druck zu nehmen. Was Boxen angeht, haben wir uns auf eine Marshall 1960BX mit 4×12 Celestion G12M-25-Greenbacks beschränkt, obwohl hier auch Cabinets mit Vintage-30- und G12T-75-Speakern rumstehen.

Eriks Marshall JMP ist mit Hot-Mod-V2-EVO-Röhren von Legendary Tones ausgestattet

Da du seit 2021 ein Signature-Modell von B.C. Rich hast, schätze ich, dass die Platte damit eingespielt wurde.

Richtig, ich habe zwei sechs- und eine siebensaitige Ironbird; letztere ist mein Hauptinstrument, sie hat einen durchgehenden Hals und eine extralange 26,5“-Mensur. Rob spielte auch einen Teil seiner Parts damit, weil sie einfach so monströs klingt, seine Dean Z brauchte er nur für die Stücke, die in der A#-Stimmung komponiert worden sind.

Alle unsere Gitarren sind mit aktiven Fishman-Fluence-Tonabnehmern bestückt, und ich bin sehr froh mit der Ironbird 7, weil ich schon seit meiner Zeit bei Morbid Angel Siebensaiter benutze, aber nie solche Modelle von B.C. Rich fand, die mir gefielen. Dank Firmenchef Bill Xavier und Casey Crabtree vom Custom Shop habe ich jetzt mein Trauminstrument, es ist gerade rechtzeitig für die Produktion fertig geworden, spielt sich fantastisch und bleibt in Stimmung, egal wie wild es zugeht.

B. C. Rich Custom Shop Ironbird Signature 7-String

Cannibal-Corpse-Alben klingen stets urwüchsig, man fühlt sich geradezu körperlich davon angegriffen – seid ihr quasi die letzte Bastion gegen den klinisch kalten, sauberen Digitalsound jüngerer Death-Metal-Bands.

Ach, ich denke, alles hat seinen Platz und dient einem bestimmten Zweck. In der Musik gibt es kein richtig oder falsch. Erlaubt ist, was gefällt, egal ob Amp-Simulationen, digitale Fingerabdrücke mikrofonierter Boxen oder am Raster ausgerichtete Drum-Aufnahmen. Ich habe ja selbst gemeinsam mit Two Notes, die im Bereich der Impulse-Response-Technologie führend sind, eine Sammlung virtueller Lautsprecher herausgebracht, die Mana Recording Sessions DynIR Cabinet Collection. Moderne Entwicklungen haben also definitiv ihren Platz, auch wenn ich persönlich eben zur alten Schule gehöre, schließlich war meine erste selbst gekaufte LP das Iron-Maiden-Debüt, nachdem ich schon eine Weile Black Sabbath gehört hatte; zuvor war ich über meinen Onkel auf AC/DC und Kiss gekommen, das ist die stilistische Ecke, aus der ich komme.

Es kommt wohl darauf an, ob man Technik sinnvoll gebraucht oder missbraucht.

Ja, und ich habe in diesem Zusammenhang zwei Leitsätze, die Bands, mit denen ich arbeite, ständig zu hören bekommen: „Performance schlägt Perfektion“ ist der erste. Ich reiße lieber jemandem den Allerwertesten auf, damit er sein Bestes gibt, und mache mich un beliebt, als seine Unzulänglichkeiten durch Trickserei am Computer zu kaschieren. Aus diesem Grund haben mir meine Kunden auch den Spitznamen „Drill-Sergeant“ verpasst – ich fordere aggressiv Höchstleistungen, aber die Mühe lohnt sich. Wenn du ‚Chaos Horrific‘ auflegst, erkennst du nach wenigen Sekunden, dass das Cannibal Corpse und niemand anders ist. Der Charakter der einzelnen Mitglieder und die Identität der gesamten Band wurden bewahrt.

Und wie lautet dein zweiter Leitsatz?

Den habe ich von meinem Freund Alan Douches von West West Side Music, wo meine Produktionen seit rund 20 Jahren gemastert werden: „Such keine Ursachen, schau aufs Ergebnis.“ Das sagte er einmal, weil ich meine früheren Arbeiten kritisierte, etwa indem ich mir wünschte, die Snare auf Album xy würde satter klingen. Und Alan hat Recht, denn wenn es darauf ankommt, will niemand irgendwelche Ausflüchte hören; vielmehr arbeitet man ergebnisorientiert und sorgt dafür, dass die Ziele erreicht werden, die man sich gesetzt hat. Wie das geschieht, spielt am Ende des Tages keine Rolle.

Das bedeutet auch, dass Bands ihre Schlagzeugspuren und Gitarrensolos Note für Note am Reißbrett entwerfen dürfen, wenn sie glauben, auf diese Weise zu ihrem Ziel zu gelangen. Ich selbst bin bloß jemand, der gern den Zauber des Augenblicks einfängt. Musikaufnahmen halten einen einzigartigen Augenblick und Zeitpunkt in der Geschichte einer Band fest. Da sie für die Ewigkeit bestimmt sind, sollte man sich als Beteiligter dauerhaft selbst darin wiederfinden. Wenn du weißt, dass du beim Einspielen alles gegeben hast, ist das ein tolles Gefühl im Gegensatz dazu, wenn man ein Tool benutzt hat, um Fehler auszubügeln.

Zum Schluss eine Frage außer der Reihe: 2001 erschien das bisher einzige Album deines Projekts Alas, ‚Absolute Purity‘. Das Besondere daran war die verhältnismäßig melodische Ausrichtung mit Sopranstimme, hast du nie mit dem Gedanken gespielt, diese Richtung weiterzuverfolgen?

Die Platte entstand unter Ausnahmebedingungen, denn ich stellte an einem Freitag meine letzten Spuren für Morbid Angels ‚Gateways To Annihilation‘ in Florida fertig und stand keine 24 Stunden später für die Aufnahmen von Alas im selben Studio in New Jersey, wo wir 1991 mit Ripping Corpse unsere einzige LP ‚Dreaming With The Dead‘ eingespielt hatten. Ich dachte, zwischen zwei so unterschiedlichen Stilen umzuschalten würde mir leichtfallen, doch so einfach war es nicht, dafür aber umso lehrreicher.

Ich glaube, dass in meinem Elternhaus viel klassische Musik lief, als ich klein war, und ich mich in meiner Kindheit generell oft auf Veränderungen einstellen musste, hat mir dabei geholfen, mich an gegebene Umstände anzupassen. Darum klingt auch keine meiner Produktionen gleich, sie spiegeln jeweils die Situation wider, in der sie entstanden. Und ja, ich würde sehr gerne weiter in diese Richtung gehen und tue das wahrscheinlich auch bald. Dabei ist eine zurückhaltendere Herangehensweise gefordert, die ich bei all dem brutalen Zeug, das ich sonst so mache, reizvoll finde.

equipment

GITARREN

● B. C. Rich US Signature 26.5 Scale 7 String Neck Through Ironbird (G#) / Rhythm & Solos
● B. C. Rich US Custom 24.75 Scale 6 String Neck Through Ironbird (A#) / Solos
● B. C. Rich US Bolt On 25.5 Scale 6 String Ironbird (C#) / Solos

PICKUPS

● Fishman Fluence Modern Active

SAITEN

● (C#) D’Addario NYXL 56-11
● (G#) D’Addario NYXL 68-11
● (A#) D’Addario NYXL 60-12

AMPS & PEDALS

RHYTHM:
● Mesa Dual Rectifier – Maxon ST9Pro+ Super Tube
● Marshall ‘79 JMP Hot Mod V2 – Ibanez 30 Year Anniversary TS-9 Tube Screamer

SOLO:
● Marshall JCM 800 – Ibanez 30 Year Anniversary TS-9 Tube Screamer
● Bogner Uberschall – Ibanez 30 Year Anniversary TS-9 Tube Screamer

CABINET

● Marshall 1960B 4×12 Celestion G12M Greenback

PICKS

● Dunlop Tortex Jazz 3XL 1.35 mm

(erschienen in Gitarre & Bass 10/2023)

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