Ist guter Sound wirklich wichtig?

Till & Tone: Er hört das Gras wachsen!

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(Bild: BBPPHOTO/Shutterstock)

Ich werde oft mitleidig angeschaut, wenn es ums Gitarrespielen geht. Zum einen, weil ich wirklich kein großartiger Solist bin. Ich soliere des Öfteren laut und leidenschaftlich, aber es ist jedes Mal ein Ritt auf der Rasierklinge …

Und ich schneide mich eigentlich immer: die Bendings haarscharf überzogen, über die eigenen Finger gestolpert oder mal herzhaft danebengegriffen! Vor über zehn Jahren habe ich mal Ralf Reichen (der selbst ein vorzüglicher Gitarrist ist!) nach einem gemeinsamen Charity-Gig gefragt, „wie er mich denn so als Gitarrist findet?“ Er lachte und meinte: „Till, ich schaue dir unheimlich gerne zu, wenn du Gitarre spielst, du siehst dabei wirklich gut aus!“ Ich war leicht beleidigt, soviel ist klar.

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Jahre später, ich hatte in der Zwischenzeit geübt, fragte ich meinen Soulbrother Andreas Kloppmann (auch ein tierischer Gitarrist!). Seine Antwort war zunächst mal noch mystischer: „Till, das ist eine falsche Frage. Ein Gitarrist muss gut spielen können. Du bist kein Gitarrist. Du spielst Gitarre, aber das ist nur eine von vielen Farben auf deiner Palette, die du benutzt. Die Leute schauen sowieso auf dich, denn du bist ein hervorragender Entertainer, du bist das Zentrum der Bühne, du machst die Show!“ Das habe ich irgendwann verstanden, es ist also nicht wichtig, ob Mick Jagger oder ich gut Gitarre spielen. Es ist nicht unser Kerngeschäft.

Natürlich will ich mich hier nicht mit Sir Mick vergleichen, ich bin größer und habe definitiv keine Haare mehr auf dem Kopf. Abgesehen davon machen mich die Aussagen von Ralf und Andreas heute ziemlich happy. Ich mache die Show, spiele Gitarre und sehe dabei gut aus! Sehr gut! Das ist verdammt wichtig – wenn man wie ich – vor allem die Ladies im Publikum begeistern will und nicht die Musikerpolizei. In meinem Alter kaufen die Frauen die Konzertkarten, da muss ich einfach Prioritäten setzen! Und wer kennt außerdem nicht den Spruch „there ain’t no money above the fifth fret anyway!“ So, nämlich!

Aber – nicht, dass wir uns falsch verstehen – mein Sound war mir immer wichtig. Dafür habe ich in den letzten 20 Jahren einen enormen Aufriss betrieben. Und damit sind wir wieder am Anfang der Kolumne, beim mitleidigen Blick vieler Gitarristen, mit denen ich in den letzten Jahren gespielt und über Gear gesprochen habe. Dieser Blick, der sagt: „Hoheneder, komm mal runter! Was du da immer hörst, wen interessiert das, wenn alle laut losdengeln? Du hörst doch das Gras wachsen, diese klitzekleinen Unterschiede sind unwichtig!“ Neeee, sind sie nicht. Für mich nicht.

KABEL

In den letzten Jahren bin ich immer wieder bei Auftritten oder Jams im Proberaum auf Gitarristen gestoßen, die ihr Equipment – vorsichtig formuliert – nicht optimal benutzen oder mit kleinem Aufwand entscheidend verbessern könnten. Fangen wir mit dem einfachsten an: ein gutes Kabel. Nicht lachen! Bei einer Session war der zweite Gitarrist im Raum ziemlich leise, obwohl er über einen Vox AC30 spielte. Zwischen zwei Stücken erhaschte ich einen Blick auf sein Amp-Panel: Der Volume-Regler war halb auf, eigentlich hätten wir schon taub sein müssen! Der gute Mann war kein Rookie, also wollte ich nicht als Oberlehrer rüberkommen und nach seinem Kabel fragen. Stattdessen zog ich mein Kabel aus meinem Amp und bat ihn, mal meine Tele samt Kabel in seinen Amp zu stecken.

Gesagt, getan – sein folgender Akkord war so laut, dass er die Cerumen in unseren Gehörgängen pulverisierte. Vorsichtig deutete ich meinem Mitspieler an, dass sein Kabel wohl nicht so gut wäre und er sich mal ein gutes kaufen sollte. Seine Reaktion: Ja, wie – sag bloß, dass man auch noch für so’n Scheißkabel viel Geld ausgeben muss! Er hätte seins jetzt schon so viele Jahre, ganz billig erstanden … und wenn es mal ‘nen Aussetzer hätte, dann würde er es selbst mit dem Lötkolben reparieren. Holy moly! Ich war fassungslos. Immerhin, danach hat er sich ein gutes, solides Kabel gekauft. Dass es auch bei guten Kabeln ziemliche Unterschiede im Klang geben kann – das hat er natürlich als Hokuspokus abgetan.

GAIN

Dann gibt es die Fraktion, die sich zu Hause im Wohnzimmer mit viel Akribie einen singenden, warmen Leadsound mit ordentlich Gain bastelt. Das ist löblich, stellt sich aber meistens auf dem Gig oder im Proberaum als Griff ins tonale Darm-Endrohr heraus. Denn leider sind der Bassmann sowie der ohrenbetäubend laute Drummer von Notre-Dame mit der 26er-Bassdrum und den 60er-Oberarmen nicht mit im Wohnzimmer, wenn Mr. Flutschfinger seinen Sound abschmeckt. Vom zweiten Gitarristen ganz zu schweigen. Die Folge beim Soundcheck auf dem Gig: Der mühsam erkämpfte Leadsound säuft im Bandkontext völlig ab und verendet kläglich fiepsend im Frequenznirvana.

Wer sein Signal durch zu viel Gain komprimiert, der darf sich nicht wundern, wenn sich sein Sound nicht durchsetzt. Das Mischungsverhältnis von Gain und Lautstärke schmeckt man am besten im Proberaum mit der Band ab. Oder beim Soundcheck. Ich bekomme beim finalen Soundcheck oft zu hören, dass ich „ganz schön laut“ bin. Einerseits stimmt das und andererseits ist das auch gut so: Denn ich bin der Sänger und Rhythmusgitarrist der Band, ich bin die Pace, alle müssen meinem Tempo folgen, also sollte ich auch sehr prominent zu hören sein. Isso! Bei den Stones steht nicht – wie allgemein üblich – der Bassist neben der HiHat-Position, sondern Keith Richards, der lauteste! Warum? Dazu ein Statement von Charlie Watts aus dem Buch ‚Rolling Stones Gear‘ von A. Babiuk & G. Prevost: „Wenn ich Keith nicht höre, kann ich nicht in dieser Band spielen!“ Na bidde, da habt ihr es amtlich!

Aber mal im Ernst: bin ich wirklich der Lauteste? Ich würde es nicht so nennen. Mein Amp ist gar nicht so laut, er ist einfach sehr präsent. Ich stelle ihn so ein, dass ich ihn im Bandmix sehr gut orten kann. Wenig oder kaum Bässe, denn ich habe ja einen Bassmann. In der Mitte lebt der Rockgitarren-Sound. Viele Gitarristen haben auch Angst vor Höhen, vor zu viel Treble. Ich nicht. Wenn jemand von der Theken-Crew mal beim Soundcheck in der leeren Location anmerkt, dass mein Leadsound etwas „spitz“ klingt, dann weiß ich genau: So muss es sein! Ich drehe dann das Tonepoti auf 7 oder 8 und warte, bis die Bude voll wird. Während des Gigs das Poti wieder auf 10 und siehe da – der Sound schmilzt nur so durch den Mix wie ‘ne Golden Shower durch Eisschnee!

SPEAKER

Was ich auch im Laufe der Jahre immer wieder verwundert bemerkt habe: Viele Gitarristen haben richtig gute Gitarren, ordentliche Kabel, feinste Effekte – aber der Amp ist das am wenigsten beachteste Glied in der Kette. Das finde ich suboptimal, meiner Ansicht nach sollten Amp und Gitarre die gleiche Aufmerksamkeit bekommen. Nicht dass wir uns falsch verstehen – es muss kein handgedengelter, mundgeblasener und spitzengeklöppelter Superpremium-Verstärker sein. Ein Blues Junior, ein normaler AC15 oder ein DSL20, das sind erschwingliche, solide Amps. Aber die kann man prima noch besser machen. Mit der einfachsten und wirkungsvollsten Mod: ein effizienter Speaker macht aus einem guten Amp schlicht und ergreifend einen viel besseren Amp.

Solide und erschwingliche Amps: Fender Blues Junior, Vox AC15 und Marshall DSL20CR
Solide und erschwingliche Amps: Fender Blues Junior, Vox AC15 und Marshall DSL20CR
Solide und erschwingliche Amps: Fender Blues Junior, Vox AC15 und Marshall DSL20CR

Es macht einen Höllenunterschied, ob ein Speaker 96dB raushaut oder 100dB. Von unterschiedlichen Frequenzspektren der Speaker mal ganz zu schweigen! Lauter, durchsetzungsfähiger Sound hat eine Menge mit guten Speakern zu tun, also probiert das in Ruhe mit der Band im Proberaum aus. Ich schwöre nach all den Jahren und verschiedenen Lautsprechern auf den Celestion AlNiCo Cream – 100dB und der richtige Mix aus Bässen/Mitten/ Höhen, den ich hören will. Der Markt ist so groß, ob neu oder gebraucht, wer suchet, der findet. Da ist für jeden Geldbeutel was dabei.

Effizient und musikalisch: der Celestion G12 Alnico Cream (Bild: Celestion)

Zum guten Schluss – wenn man „das Gras wachsen hört“, dann ist das meiner Meinung nach gut und wichtig. Ob das im Publikum jemand zu würdigen weiß, ist doch erst mal egal. Mein ehemaliger Manager sagt dazu immer: Der Fisch hört mono und links! Wenn ich meine bezaubernde Herzdame nach dem Gig frage, wie es ihr gefallen hat, dann sagt sie meistens: Schöne Lieder habt ihr gespielt! Ob mein Sound gut war, ist ihr furzegal.

Fazit: Das mit dem Gras hören mache ich, weil es mich inspiriert, weil ich Spaß daran habe und es wirklich wichtig finde. Am liebsten höre ich heute nach einem Auftritt von der solierenden Gniedelgarde: Bei dem einen Solo hat er sich etwas vergaloppiert – aber sein Sound ist geil! Wenn dann noch die wohlwollenden Blicke der anwesenden Damenwelt meine blauen Augen kreuzen … dann freue ich mich und bin restlos happy. Best of both worlds!


TILL HOHENEDER

(Bild: Boris Breuer)

Till Hoheneder, geb. 1965, begründete mit seiner Gruppe Till & Obel Anfang der Neunziger die Neue Deutsche Comedy. Heute ist der dreifache Deutsche Comedypreis-Träger ein gefragter Bestseller-Autor, Podcaster, Comedian und Musiker. Seine erfolgreichen Podcasts „Zärtliche Cousinen“ (mit Atze Schröder) und „Musik ist Trumpf“ wurden schon millionenfach gestreamt. Wenn seine knappe Freizeit es zulässt, spielt der leidenschaftliche Sänger & Gitarrist mit seinen Bands „The Slowhand All Stars“ und den „Rockafellers“ auf.

www.till-hoheneder.de


(erschienen in Gitarre & Bass 07/2023)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Endlich mal einer, der es auf den Punkt bringt.
    wir haben in unserer 3-Mann Band so quer durch die 60er/70er gecovert (also auch Stücke, die im Original mit mehr Instrumenten (+ Keyboards) gespielt wurden) und haben oft hinterher gehört: “Mann, Ihr klingt ja wie das Original”.
    Was Bier und gute Stimmung alles bewirken kann …..
    (Lieblingskommentar an der Theke: “Ich hab auch mal inner Band gespielt..”
    LG Ronny

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  2. Sehr schöne Darstellung einer Praxis-bezogenen Herangehensweise für einen Band-Musiker. Das ist alles nicht “neu”, aber zwischen Grundsatz-Diskussionen um nach Fluginsekten benannte passive Bauteile in der Gitarre, der Auswirkung von verschiedenen Tremolofeder-Jahrgängen in der vintagisierten 90er Jahre Strat und dem einzig richtigen Operationsverstärker-Chip im Overdrive vor dem High Gain Amp (das ganze natürlich vor und hinter dem 20 mal zerlöteten Kabel, bei dem bis heute nicht klar ist, warum unter dem Kupfergeflecht noch so ein komischer dünner Kunststoffmantel ist 😉 ) eine immer mal wichtige Rückbesinnung auf das wesentliche – zumindest wenn man zwischen dem ganzen Tuning hin und wieder auch Musik macht, und am besten / liebsten mit Anderen. Just my 1.5 Cents.

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  3. Sehr interessante und kurzweilige Geschichten. Um einen richtig „amtlichen Sound“ zu kreieren,experimentieren wir Gitarristen doch alle herum.

    Ich mache das immer so: habe ich den für mich „optimalen Sound“ herausgefunden,dann belasse ich die Einstellungen am Amp,markiere sie notfalls mit kleinen roten Klebepunkten,und freue mich darüber,mit relativ wenig Gain-Zerre meine beliebten Songs zu spielen.

    Habe auch schnell herausgefunden,daß dieses ganze „Theater“ mit den zusätzlichen Boden-Effektpedalen teils völlig unnötig ist. Mit diesen Bodentretern kann man sich gerne in Maßen beschäftigen,denn die Grundeinstellung am Amp ist viel wichtiger,als ewig an den Reglern der „Tretminen“ zu fummeln. Das kostet nur Zeit,und bringt am Ende meist sehr wenig.

    Gerne höre ich mir immer wieder die alten Live-Auftritte von Rory Gallagher (R.I.P.) an,und merkte,daß Rory,anstelle ständig an den Potis seines Amps zu drehen,viel häufiger die Tone-und Volume-Regler an seiner alten Fender Strat benutzte. Rory‘s Sound war unbestritten einzigartig rund und jedesmal sehr dynamisch.

    Vielleicht ist es bisher ja noch niemandem aufgefallen,daß die Singlecoil-Pickups in seiner 61er-Strat bei unzähligen Live Konzerten oft regelrecht pfiffen,ja sogar regelrecht quietschten,und doch klang es stets harmonisch und wirklich sehr gut.Eigentlich recht paradox das Ganze,aber eben doch wahr.Sein sehr spezieller Sound wurde nach seinem (viel zu frühen!) Tod von etlichen Gitarristen/innen bis heute immer wieder vergeblich kopiert,denn nur Rory klang wie Rory,und er war das Original,ein echtes Phänomen!

    Jeder sollte seinen ganz eigenen Sound kreieren,kopieren geht oft nicht immer gut,ist mitunter sehr peinlich und letztendlich total frustrierend. Dies sollte vermieden werden.

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