(Bild: Ekaterina Gorbacheva)
Kurz vor ihrem 20. Jubiläum 2024 veröffentlichen Periphery vermutlich ihr Konsens-Album schlechthin. ‚Periphery V: Djent Is Not A Genre‘, die fünfte Studio-LP der US-amerikanischen Progressive-Metal-Band, vereint alle ihre Stärken – mathematisch verschachtelte Riffs, poppige Refrain-Hooks, augenzwinkernden Humor und ausladende Songstrukturen – zu einem abendfüllenden Opus Magnum, das Maßstäbe für zeitgenössische Extrem-Sounds mit Köpfchen setzt. Mindestens ein Fünftel davon macht Mark Holcomb aus, der eine der drei Gitarren in der Band spielt.
An der Seite des 2011 hinzugestoßenen 41-Jährigen stehen die beiden Gründungsmitglieder Misha Mansoor und Jake Bowen, einen Bassisten braucht das vornehmlich sieben- und achtsaitige Gitarren spielende Trio seit 2017 nicht mehr. Mit Sänger Spencer Sotelo, der zwischen Metalcore-typischem Schreien und klarem Gesang hin- und herpendelt, sowie Schlagzeuger Matt Halpern, der das komplexe rhythmische Treiben zusammenhält, vervollständigen zwei Musiker das Quintett, die einen großen Anteil an dessen stilistischer Einordnung haben: Auch wenn der ironische Plattentitel etwas anderes suggeriert, haben Periphery – die immerhin schon für einen Grammy in der Kategorie „Best Metal Performance“ nominiert waren – die Genre-Nische Djent mitbegründet, deren Bezeichnung angeblich auf eine lautmalerische Umschreibung von Meshuggah-Gitarrist Fredrik Thordendals charakteristischem Ton zurückgeht.
Wo jedoch viele Acts, die auf den Zug aufgesprungen sind, in erster Linie atonale Grooves herumschieben und jemanden dazu brüllen lassen, ohne ein Gespür für Dynamik zu haben oder überhaupt zusammenhängende Stücke komponieren zu können, halten Holcomb und Co. bei aller Modernität traditionelle Tugenden hoch, die sie auf eine Linie mit den großen, alten Art-Rockern wie King Crimson, Yes oder Genesis stellen.
Zum Gespräch trägt Mark wiederum ein Shirt der Death-Metal-Pioniere Morbid Angel. Seine vielfältigen Interessen spiegeln sich auch in der Tatsache wider, dass er sich nebenbei als Synchronsprecher für Videospiele verdingt. Periphery selbst verbeugen sich dann passenderweise mit dem neuen Song ‚Thanks Nobuo‘ vor Komponist Nobuo Uematsu, der unter anderem Soundtracks für die ‚Final Fantasy‘-Reihe schrieb.
Mark, erinnerst du dich an deinen ersten Kontakt mit Musik?
Ich bin 1982 geboren und weiß noch, dass meine Mutter Prince, Michael Jackson, Genesis, Phil Collins solo und solche Sachen gehört hat. Diese Acts haben deshalb einen besonderen Platz in meinem Herzen, doch ansonsten war ich wohl ein ganz normales Kind, also nicht sonderlich begabt, was Musik anging. Mit 13 sah ich dann aber Dave Grohl während einer Foo-Fighters-Show auf MTV, als der Sender tatsächlich noch Musik gespielt hat, und wurde von ‚Foo Fighters‘ angefixt, dem Debütalbum der Band. Dave sah bei diesem Konzert so überlebensgroß aus, wie ich mir in dem Alter typische Rockstars vorstellte, und wurde für mich schlagartig zum coolsten Typen der Welt. Ich dachte nur, dass ich auch Gitarre spielen wollte und es unbedingt lernen musste, denn es war Liebe auf den ersten Blick, bloß dass ich mich bis dahin nie mit einem Instrument beschäftigt hatte.
Wie ging es dann weiter?
Ich würde sagen, der nächste Meilenstein meines Lebens waren Metallica. Mich rückwärts durch ihre Diskografie zu arbeiten, hat mein Spiel stark geprägt, vor allem ihre ersten drei Alben ‚Kill ‘Em All‘, ‚Ride The Lightning‘ und ‚Master of Puppets‘. Über sie kam ich in den folgenden Jahren zu extremerem Stoff, also Black und Death Metal, der mich wiederum so um die Jahrtausendwende herum zu progressiver Musik verschiedener Art brachte.
Du hattest angeblich Klavierunterricht, und die Episode mit den Foo Fighters spielte sich nach einem Unfall beim Basketballspielen ab, dessentwegen du an dein Bett gefesselt warst. Korrekt?
Ja, aber ich hatte nur ein paar Klavierstunden mit acht oder neun Jahren. Das war während der Zeit, als meine Familie auf den Philippinen lebte und ich noch kein ernstes Interesse an Musik hatte. Das mit dem Basketballunfall stimmt auch; es war eine Knieverletzung, und ich musste irgendetwas tun, um mir die Zeit zu vertreiben, da kam die Gitarre wie ein Geschenk des Himmels. Dave Grohl zeigte mir, dass ich vielleicht auch ein Performer werden konnte.
(Bild: Ekaterina Gorbacheva)
Neben den Philippinen war auch Spanien vorübergehend deine Heimat. Wurdest du an diesen Orten in irgendeiner Weise musikalisch beeinflusst?
In Spanien wurde mir zumindest klar, dass Heavy-Metal-Gitarristen im Vergleich zu Flamenco-Spielern ein Witz sind. Was wir als Shredden bezeichnen, ist ein laues Lüftchen gegen das, was du hörst und siehst, wenn du nach Sevilla oder Madrid fährst und ein Flamenco-Konzert besuchst – Dinge, von denen du nicht glauben würdest, dass man sie auf einer Gitarre tun kann. Ich sah schon früh ein, dass ich das Niveau dieser Leute nie erreichen würde. Außerdem schärften diese Erfahrungen mein Bewusstsein dafür, dass es eine Menge fantastischer Musik gibt, die der breiten Masse weitgehend unbekannt bleibt, und dass man eine Nische finden kann, wenn man an seinem Stil festhält, egal wie eigensinnig er ist.
Hattest du Gitarrenunterricht, oder bist du Autodidakt?
Ich hatte vielleicht fünf Stunden. Meinem Lehrer – er hieß Rob – bin ich bis heute dankbar dafür, dass er mir Kirk Hammetts Solo in Metallicas ‚Fade to Black‘ beibrachte. Ich war so froh, weil mir das Stück unheimlich viel bedeutete, obwohl das Solo nüchtern betrachtet nichts Besonderes ist. Anschließend lernte ich aus eigenen Stücken weiter. Ich hatte ein Kassettendeck zu Hause und nahm Songs aus dem Radio auf – beispielsweise ‚Man in the Box‘ von Alice in Chains, wodurch ich Drop-D-Tuning kennenlernte. Bis ich kapierte, dass die Stimmung eine andere war, verging aber eine gewisse Zeit, Mitte der 1990er konntest du noch nicht alles im Internet nachschauen.
Findest du es eher vorteilhaft oder nachteilig, keine formelle Ausbildung genossen zu haben?
Es gibt zweifellos positive und negative Aspekte. Manchmal bereue ich tatsächlich, dass ich mir in meiner Jugend nicht mehr Wissen angeeignet habe. Aus diesem Grund lasse ich mir manchmal von Snarky-Puppy-Gitarrist Mark Lettieri Stunden via FaceTime geben. Er hat mir übrigens dabei geholfen, ein Solo für einen Song des neuen Periphery-Albums zu schreiben, und analysiert nebenbei auch mein Spiel.
Ihm ist aufgefallen, dass ich bei Melodien oft Noten einbaue, die eigentlich nicht in die jeweilige Tonart passen, was man ja mit dem entsprechenden theoretischen Background auch bewusst tun kann, aber bei mir geschieht das intuitiv. Ich spiele einfach das, was sich für meine Ohren gut anhört, doch er hat mir dann beispielsweise die Unterschiede zwischen den verschiedenen Molltonleitern erklärt, und jetzt kann ich Dinge benennen, die ich so aus dem Bauch heraus auf der Gitarre mache.
Periphery spielen aber alles andere als simple Musik, wie kommuniziert ihr denn beim Schreiben miteinander?
Ich folge meinem Gehör, weil ich überhaupt keinen musiktheoretischen Background habe, was im Übrigen auch auf die anderen Mitglieder zutrifft. Wir wissen eigentlich gar nicht so richtig, was wir da tun, sondern entscheiden intuitiv vom Gefühl her. Würde bei unseren Proben jemand Mäuschen spielen, kämen wir mit der Art, wie wir uns über Riffs unterhalten, rüber wie Höhlenmenschen: „Siebter Bund vierte Saite, fünfter Bund dritte Seite“ und so weiter. Eine solche Gedankenverbindung zu haben, ist in gewisser Weise schon cool; es zeigt, wie lange wir bereits zusammen Musik machen.
Wenn wir aber zum Beispiel mit einem Orchester oder so arbeiten wollten, bekämen wir Schwierigkeiten. Ein gutes Gegenbeispiel sind die Gitarristen von Animals As Leaders, Tosin Abasi und Javier Reyes, die ein unheimlich breites musikalisches Wissen haben, sich aber trotzdem ihren Instinkt bewahrt haben. Diese Kombination macht sie zu einer echten Supergroup.
Erinnerst du dich noch an deine erste Gitarre?
Ich bekam sie von meiner Mutter geschenkt, eine alte Akustikgitarre. Meine erste elektrische war nicht sonderlich gut; mein Vater kaufte sie mir, als ich mit ihm in Südkorea lebte, sie kostete umgerechnet ungefähr 90 Dollar – eine Stratocaster-Kopie mit einem einzelnen Steg-Pickup und eingebautem Lautsprecher – und ließ sich überhaupt nicht gut spielen. Trotzdem war ich happy damit, weil ich mich damit zufriedengab, Riffs von Alice In Chains und Metallica darauf zu schrubben.
Jeden Tag förmlich mit dem Ding zu kämpfen, hat mir letzten Endes sogar geholfen, denn als ich ein, zwei Jahre später eine Epiphone Les Paul von meinem Stiefvater bekam, konnte ich nicht fassen, wie leicht es mir fiel, ihr Töne zu entlocken. Ich fühlte mich wie ein Rockstar und versuchte, Slash von Guns N‘ Roses nachzueifern. Meine erste richtig schöne Gitarre war eine 2000er Jackson Randy Rhoads RR1 mit roten Flammen, ich liebe dieses Modell und war auch besessen von Randy Rhoads selbst, er ist mein Gitarrenheld schlechthin aus den 1980ern.
Welche Verstärker setzt du ein?
Die ganze Band verwendet seit knapp anderthalb Jahrzehnten die jeweils aktuellen Versionen des Fractal Audio Axe-FX als Vorverstärker und Amp-Modeler. Mein persönlicher Lieblingsverstärker für zu Hause ist der PRS Archon – ein klasse High-Gain-Teil, bei dessen Entwicklung wir sogar helfen durften, indem wir Feedback zu den Prototypen gaben.
Ein anderer Favorit von mir ist logischerweise der Peavey Invective, der in Zusammenarbeit mit Misha entstand, ansonsten kann man mit Peaveys 5150 keinen Fehler machen. Es ist einfach ein klassischer Verstärker; ich besitze zwar selbst keinen, doch wir nehmen immer welche mit, wenn wir international touren und ich eine eigene Backline haben muss. Auf der neuen Periphery-Platte verwendeten wir hingegen den Omega Granophyre, ein absolutes Monsterteil. Wir nehmen DI-Boxen und den Axe-FX als Interface, der Omega kommt beim Reamping zum Einsatz.
Ihr wollt also bei aller Liebe zur Digitaltechnik nicht auf die Power eines laut aufgedrehten Verstärkers verzichten.
Auf keinen Fall. Eine Zeitlang haben wir aus reiner Bequemlichkeit gar keine Amps und Boxen benutzt, sondern alles mit Plug-ins gemacht. Wir sind aber experimentierfreudig und haben gerade bei der Produktion unserer letzten paar Alben immer versucht, nach dem Einspielen der Gitarren noch ein Quäntchen mehr aus dem Sound herauszuholen.
Die Aufnahmen an sich klingen schon mehr als ordentlich, weil wir im Vorfeld lange daran herumschrauben, sodass wir die ersten Takes theoretisch auch als endgültige Fassungen nehmen könnten. Üblicherweise dauert das fünf bis sieben Tage, wobei wir die einzelnen Songs über einen 5150, den Archon, den Granophyre, Mesa Boogies und so weiter reampen. Falls uns das nur ein kleines bisschen besser gefällt, arbeiten wir damit weiter. Das kostet zwar Zeit, hat sich aber bei uns so bewährt.
Du hast deine eigenen Signature-Modelle von PRS. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Ich war schon mit Paul Reed Smith befreundet, bevor wir über Periphery miteinander zu tun hatten. Er wohnte etwa eine Stunde von mir entfernt, und ich fuhr zum PRS-Werk, als sie den Archon entwickelten. Paul freute sich über unsere Hilfe, und dann trafen wir uns auf einer NAMM Winter Convention in Anaheim wieder, wo wir gemeinsam in der Hotelbar saßen und über Gitarren fachsimpelten, bis er meinte: „Was hältst du davon, wenn ich dir eine Gitarre baue? Ich wette, dass ich das perfekte Instrument für dich entwickeln kann.“ Ich erwiderte: „Okay, aber ich sage dir gleich, die bei PRS übliche Mensur ist etwas zu kurz für mich, und es gibt auch einige andere Spezifikationen, die ich ändern möchte, zum Beispiel den Griffbrettradius.“
Zudem schwebten mir leistungsstarke Tonabnehmer vor, wie PRS sie seinerzeit Zeit noch nicht hatten. Er versicherte, das sei kein Problem, woraufhin sie innerhalb eines halben Jahres wirklich mein Trauminstrument bauten. Die allererste dieser Gitarren hängt bei mir daheim an der Wand; ich nehme sie nirgendwohin mit, weil sie so besonders für mich ist. Sie brachte mich dazu, einen Endorsement-Vertrag mit PRS zu unterzeichnen – einer Marke, die ich schon als Teenager verehrte. Nie hätte ich gedacht, dass ich mir mal so etwas leisten könnte, und jetzt werben sie sogar mit mir.
Als Jugendlicher glaubte ich, PRS-Gitarren würden für Leute gebaut, die entweder verdammt gut oder stinkreich sind. Später haben wir auch ein erschwinglicheres SE-Modell auf den Markt gebracht, dessen Ausstattung im Wesentlichen, bis auf ein paar optische Aspekte und teure Features, identisch ist.
(Bild: Ekaterina Gorbacheva)
Was ist das Besondere an deinen Alpha-&-Omega-Pickups von Seymour Duncan?
Das war ein echt brutal klingendes Tonabnehmerset, das wir weiterentwickelt haben. Jetzt gibt es Scarlet & Scourge, die über einen niedrigeren Output verfügen und ein bisschen dynamischer, also auch flexibler einsetzbar sind. Alpha & Omega klangen sehr kraftvoll und passten zum Großteil der Musik von Periphery, aber die beiden neuen Pickups eignen sich besser, um feinere Details in unserem Sound herauszuarbeiten.
Die Entwicklung wurde von den leistungsstarken Modeling-Amps angeregt, die wir benutzen, da braucht man nicht zwangsläufig auch Tonabnehmer, die volle Power bieten, das wirkt sich sogar eher gegenteilig auf den Klang aus. Ich konnte das Paar testen, während wir ‚Djent Is Not A Genre‘ komponierten und aufnahmen, idealere Bedingungen zum Überprüfen seiner Einsatztauglichkeit hätte es nicht geben können.
(erschienen in Gitarre & Bass 05/2023)