Die Manhattan X-175 von Guild ist ein echter Klassiker unter den elektrischen Archtops aus der goldenen Ära des Gitarrenbaus der 50er-Jahre – und ein stark unterschätzter dazu.
I n der April-Ausgabe des Jahres 1953 wurde im Musical Merchandise Magazine dem amerikanischen Music Business die Gründung einer neuen Firma bekanntgegeben. Die Guild Guitars Inc. mit Standort New York kündigte die Herstellung hochwertiger Gitarren und allem was dazu gehört an. Alfred Donge, Inhaber eines Musikladens in Lower Manhattan nutzte die Gunst der Stunde, um gemeinsam mit George Mann, ehemals Vizepräsident von Epiphone, ein Unternehmen für den ambitionierten Gitarrenbau auf die Beine zu stellen. Einerseits hatte der Traditionshersteller Epiphone nach viermonatigem Streik 1951 die Stadt entnervt verlassen, aber viele der erfahrenen Instrumentenbauer wollten den Umzug nach Philadelphia nicht mitmachen.
Andererseits begann sich die bereits in den 1920er-Jahren auf den Weg gebrachte E-Gitarre erst in den frühen 1950er-Jahren als beliebtes Instrument so richtig durchzusetzen und absehbar zu einem Verkaufsschlager zu werden. Auf die von George Mann ins Spiel gebrachten ehemaligen Epiphone-Arbeiter gestützt, konnte schnell eine Produktion aufgebaut werden, und bereits im April 1953 kamen die ersten Gitarren aus der kleinen Guild-Fabrik in Lower Manhattan auf den Markt. Im Frühjahr 1954 druckte Guild dann auch schon seinen ersten, im Tonfall nicht gerade bescheidenen Katalog „The Stradivari of Guitars“, der neben den bereits erhältlichen akustischen Flattops und elektrischen Archtops auch eine neue Linie akustischer Archtops enthielt.
Schnell machte Guild sich einen guten Namen und das Cover des zweiten Katalogs zierte 1955 bereits der prominente Jazzmusiker Jimmy Smith. Dieser Katalog enthielt schon ein breites Sortiment professioneller Gitarren, darunter die neue Aristocrat M-75, ein in Kleinserie gebautes Instrument mit Mahagoniboden und -zargen, einer Fichtendecke und P-90-Pickups, das der Les Paul Konkurrenz machen wollte. Von diesem Modell abgesehen hatten alle frühen Guild-Electrics einen 17“-Body aus laminiertem Ahorn mit Fichtendecke.
1954 stellte Guild dem Modell X-150 mit nur einem Pickup auch schon die X-175 mit zwei Singlecoils an die Seite, eine logische Erweiterung. Die höherwertigen Archtops von Guild hatten drei Tonabnehmer mit Druckknopfschaltern, wie sie auch in den frühen Epiphone Electric Archtops verwendet wurden.
Die Manhattan X-175 könnte man mit ihrem tiefen 17“-Korpus und dem venezianischen Cutaway für Guilds Antwort auf Gibsons legendäre ES-350 halten. Allerdings machte der Hals aus leichtem Honduras-Mahagoni einen deutlichen Unterschied zu Archtops mit Ahornhals. Bei der Manhattan wurde der Hals aus zwei Teilen Mahagoni über einen Ahornstreifen in der Mitte gefügt. Das Griffbrett aus Rio-Palisander bekam 20 Bünde und großzügige Block Inlays aus Perlmutt eingesetzt.
Weitere Ausstattungsmerkmale sind das Harp Tailpiece, Original Kluson Deluxe Tuners, Knochensattel, eine Rosewood Bridge mit kompensierter Saitenauflage, Black Bakelite ‚Stove‘-style Master Tone und Volume Knobs, ein 3-Wege-Pickup-Selector-Switch und in der Regel ein symmetrisches Guild-Logo-Inlay auf der Kopfplatte. Das hier dargestellte Modell weicht mit quer gestelltem Logo allerdings davon ab – eine Rarität. Die Mensur entspricht mit 62,8 cm derjenigen des Konkurrenten Gibson.
Die X-175 wurde mit Singlecoil-Pickups für die Hals- und die Stegposition von einer Firma namens Franz ausgestattet. Franz-Tonabnehmer wurden im New Yorker Stadtteil Astoria/Queens herge – stellt. Guild hatte aber keine Exklusivrechte. Franz verkaufte Tonabnehmer auch an andere Gitarrenhersteller. Wie der P-90 hat auch der Franz-Tonabnehmer zwei nebeneinander liegende Stabmagnete, die unterhalb der Spule angeordnet sind. Die Magnete sitzen auf einem Metallsockel, der an den Seiten leicht hochgeklappt ist. Im Gegensatz zu den meisten Herstellern dieser Zeit hatte Franz aber bereits in den frühen 1950er-Jahren die Weitsicht, verschiedene Versionen für die Hals- und Stegposition zu entwickeln.
Typische Werte sind 4,6 kOhm für einen Hals- und 4,9 kOhm für den Steg-Pickup, einige Tonabnehmer haben aber auch einen Widerstand von um die 8 kOhm. Ein Grund dafür mag sein, dass viele Franz-Tonabnehmer für die großen Archtops von Guild bestimmt waren, während andere für Solid – body-Modelle gewickelt wurden. Franz-Spulen unterscheiden sich geringfügig von denen der P-90er. Laut Seymour Duncan sind Franz-Magnete in aller Regel schwächer und nicht so laut. Ab 1959 ersetzten dann DeArmond-Tonabnehmer die Franz-Pickups in vielen Guild-Gitarren.
KLASSIKER DER GOLDENEN ARCHTOP-ÄRA
Der große Erfolg der in New York gefertigten Guild-Gitarren erzwang schon bald die Suche nach größeren Produktionsräumen. Fündig wurde Alfred Donge im benachbarten New Jersey. Das vorliegende Modell stammt schon aus dieser nun deutlich professioneller ausgestatten Fabriketage, aus der ab 1956 viele der heute hochgeschätzen Guild-Gitarren hervorgingen.
Die X-175 aus dem Jahre 1957 spielt sich mit bequem rundlichem Hals bei 42 mm Sattelbreite und flach eingerichteter Saitenlage klaglos komfortabel, was von der professionell gemachten Neubundierung effektiv unterstützt wird. Akustisch präsentiert sich die opulente Archtop mit stark perkussiv geprägtem, holzgetränkt rauchigem Timbre, einem ungemein originären Ton also, der heute kaum mehr nachzubilden und schlicht diesen guten alten Gitarren vorbehalten ist. Die Tonabnehmer sind, gemessen an den vorgenannten typischen Wider – ständen von Franz-Pickups, mit 6,9 kOhm am Hals und 7,2 kOhm am Steg auf etwas höhere Werte gewickelt, vermitteln aber immer noch ein eher schlankes und trockenes Klangbild von eigenständiger Klasse mit viel Hollowbody-Jazz-Flair.
Die Guild Manhattan X-175 ist ein echter Jazz-Klassiker der 50erJahre, ein Standard der Goldenen Archtop-Ära, dem die ihm gebührende Wertschätzung, gemessen etwa an den am Vintage-Markt für Gibson-Pendents aufgerufenen Preisen, bisher nicht zuteilwurde. Ein solches Instrument ist bei Händlern trotz seiner relativen Seltenheit gelegentlich schon ab ca. € 3.500 zu finden, was für die gebotene Qualität und historische Bedeutung fast schon ein Hohn ist.
(erschienen in Gitarre & Bass 01/2023)