Welcome to Lead-Guitar-Land, verehrte Blues-Fans! Nachdem wir uns in den letzten Folgen mit einigen unterschiedlichen Konzepten zum Thema Rhythmusgitarre im Blues beschäftigt haben, wird es ab dieser Folge um das schöne Thema Sologitarre gehen. Yeah!
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Sologitarre und Improvisation sind ja sehr umfangreiche Themen. Um besser dechiffrieren zu können, wie unterschiedliche Künstler so ticken, habe ich mir beim Schreiben meiner Bücher eine Art Checkliste erarbeitet, die mir dabei hilft, Musik anderer Künstler besser und schneller zu verstehen. Die groben Kategorien sind:
Tonauswahl: Welche tonalen Konzepte werden in Komposition und Improvisation verwendet?
Rhythmik: Welche rhythmischen Werte/Konzepte werden eingesetzt und wie werden sie interpretiert?
Dynamik/Artikulation: Das hat beim Gitarrespielen stark mit den verwendeten Spieltechniken zu tun.
Form: Welchen formalen Aufbau in Komposition und Improvisation kann man entdecken?
Stilistische Authentizität: Klingt es „echt“, was man hört? Werden die für den jeweiligen Stil charakteristischen Stilmittel eingesetzt?
Musikalische Überzeugungskraft: Spricht mich das an, was ich höre? Wenn ja – was genau und wodurch fühle ich mich berührt?
Was bei der Analyse anderer Musiker klappt, funktioniert natürlich auch bei einem selbst, wodurch sich eine fast endlose Menge an Verbesserungsmöglichkeiten für das eigene Spiel ergibt. Im Blues spielen einige Komponenten eine große Rolle: die Akkordwechsel tonal darzustellen, in und mit der Bluesform zu spielen, Klischee-Licks und natürlich die Gestaltung der Töne.
Interessanterweise sind viele sehr auf den Aspekt Tonmaterial fokussiert. Das ist natürlich nachvollziehbar, denn wer spielt schon gerne schiefe, falsche Töne? Aber mal ganz ehrlich, ich persönlich finde, dass dieser Aspekt oft viel zu viel Zeit in Anspruch nimmt – dabei ist dieser Teil doch mit Abstand am leichtesten zu bewältigen.
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PATTERNS
In Beispiel 1 findest du drei Pattern der guten alten Mollpentatonik in A: Das omnipräsente Pattern 3 aus der G-Form (ich glaube, eines Tages muss ich vielleicht noch mal was über das CAGED-System schreiben, oder?), sowie zwei Pattern, die ich immer Hauptverkehrsstraßen nenne, und die große Teile des gesamten Griffbretts abdecken. EINFACH LERNEN! Das darf aber echt nicht länger als 30 Minuten dauern, sich diese Griffbrettwege nachhaltig einzuprägen. Ich rede nicht davon, sie in Lichtgeschwindigkeit spielen zu können, sondern davon, sie sich so zu merken, dass man keine Fehler mehr macht. Als klangliche Farbtupfer habe ich die allgemein als Blue Note bezeichnete verminderte Quinte eingetragen.
BLUESFORM
Damit es nicht beim gnadenlosen Malträtieren der wehrlosen Blues-Skala bleibt, müssen wir uns jetzt aber dringend noch um einige andere Aspekte kümmern. Der wichtigste Aspekt ist meiner Meinung nach die Bluesform. Der Blues ist ja ursprünglich ein Gesangsstil, der in der Regel einer A–A–B–Form folgt. Dies lässt sich an den Texten zahlloser Bluessongs nachvollziehen, die so aufgebaut sind, dass in den ersten zwei Takten der Form eine Aussage getroffen wird, die in Takt 3 und 4 oft von einem Soloinstrument beantwortet wird. Die Musiktheorie hat diesem Vorgang die Begriffe „Call“ (Ausruf) und „Response“ (Antwort) gegeben. In den Takten 5 bis 8 wiederholt sich dieser Vorgang, gegebenenfalls mit leichten Variationen. Takt 9 und 10 sind der Raum für einen (textlichen) Kommentar, während in Takt 11 und 12 dann schon der Turnaround auf uns wartet.
In Beispiel 2 findest du das noch mal grafisch dargestellt. Es sind also nur sechs zweitaktige Phrasen, die man irgendwie bewältigen muss. Genau genommen sind es dann ja nur vier Situationen in der Bluesform, um die man sich kümmern muss: Auftaktphrase, Antwort darauf, Kommentar in Takt 9 und 10, Turnaround. Geht eigentlich, oder?
Apropos zweitaktige Phrasen: Teilt man ein Musikstück in zweitaktige Blöcke ein, muss man nicht überlegen, was man über die 12 Takte des Blues (oder jeder anderen Form) spielen soll, sondern man muss sich immer nur um die nächsten zwei Takte kümmern: Eine Idee spielen, nicht zurückblicken, sondern nach vorne, sich um die nächsten zwei Takte kümmern – repeat.
In einem Blues-Solo ersetzt man nun die textlichen Anteile einfach durch die Gitarre. Das funktioniert am besten durch kurze Auftaktphrasen (Pick-up-phrase, „P.u.p.“). Sie platziert man vor dem ersten Takt (bzw. im 12. Takt, wenn es in den nächsten Chorus geht), vor Takt 5 (dem Wechsel zur IV) und in Takt 8 (vor dem Wechsel zur V). In Beispiel 3 findest du einige populäre Phrasen dazu. Du löst sie auf einen Akkordton des darauffolgen Akkordes auf
ARPEGGIOS & AKKORDTÖNE
Damit du die Akkordtöne leichter findest, siehst du in Beispiel 4 je ein Arpeggio für A7, D7 und E7 in der für die meisten vertrauten fünften Lage. Theoretisch kann eine Auftaktphrase auf jedem Akkordton des folgenden Akkordes enden, wie du in Beispiel 5 sehen kannst. Dadurch ergeben sich einerseits sehr viele Möglichkeiten, wie ein Solo verlaufen kann, andererseits kann man dem Verlauf der Akkordfolge gut folgen. Diese Akkordtöne lassen sich natürlich genauso emotional mit Bendings, Slides, Vibrato etc. bearbeiten, wie du es vielleicht von pentatonischen Tonleitern gewohnt bist. Um Töne besser gestalten zu können, ist es übrigens auch nicht unüblich, die Töne eines Arpeggios auf andere Saiten zu verlegen, und zwar solche, die besser manipulierbar sind. Anregungen dazu findest du ebenfalls in Beispiel 5.
Bestenfalls kann man bei einem Solo mit vielen Akkordtönen die Akkordwechsel in den Sololinien nachvollziehen, selbst wenn die Begleitakkorde mal abwesend sind (z. B. in einem Trio, oder weil die Kerle gerade mal was trinken sind). In den letzten ca. 20 Jahren hat der Anteil von Tonleitern in meinem eigenen Spiel übrigens massiv abgenommen. #TeamAkkordtöne
Als Antwort auf die Einstiegsphrasen kannst du dann in den Takten 3 und 4, 7 und 8, 9 und 10 mit der Blues-Skala freestyle spielen, so wie es vielleicht legendäre Gitarristen wie Stevie Ray Vaughan oder Albert King getan hätten, also zumindest was das Tonmaterial betrifft.
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SOLO
In Beispiel 6 findest du ein einfach gehaltenes Solo, bei dem die Auftaktphrase jedes Mal auf den Grundton des Akkordes aufgelöst wird. Dieses Konzept mag sich am Anfang vielleicht etwas wie ein Korsett und limitierend anfühlen, aber es räumt die gesamte Struktur eines Solos doch ziemlich auf und hält es damit schön zusammen. Wenn man sicherer ist, kann man natürlich etwas lockerer mit diesem Ansatz verfahren und rhythmisch verdichten, generell mehr spielen oder Licks, Lines und Repeating Patterns einbauen.
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Beispiel 7 ist ein etwas anspruchsvolleres Solo, bei dem ich auf andere Akkordtöne auflöse als den Grundton. Die Auftaktphrase hat hier einen etwas durigeren Charakter, ein Sound, um den wir uns in der nächsten Episode genauer kümmern werden.
Übe das alles auch in unseren anderen wichtigen Tonarten E, G, F, Bb und C. Eine Playlist mit passenden Songs zum Blues Bootcamp versteckt sich übrigens wie immer hinter dem Spotify-Code in diesem Artikel: den könnt ihr einfach mit der Spotify-App scannen und reinhören!
Im Video geht’s um Blues-Bootcamp-Nachfragen und die Themen Slow Blues und Auftaktphrasen: