Rückkehr der heiligen drei Könige: Doug Pinnick von King‘s X im Interview
von Matthias Mineur,
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(Bild: Derek Soto)
Für Fans des amerikanischen Prog-/ Alternative-Rock-Trios King‘s X geht eine lange Leidenszeit zu Ende. 15 Jahre lang war die Band nicht mehr im Studio und – jedenfalls in Europa – auch nur sehr spärlich auf der Bühne zu bewundern. Ihre Mitglieder schienen mehr oder minder die Lust an dieser ungewöhnlich talentierten Truppe verloren zu haben, widmeten sich stattdessen anderen Projekten und/oder veröffentlichten eigene Soloalben.
Doch jetzt wurde aus einem anfänglich nur als Gerücht kursierenden Silberstreif am Horizont wohlklingende Realität: King‘s X haben mit ‚Three Sides Of One‘ ein neues Studioalbum eingespielt, das zwar pandemiebedingt deutlich später als vermutet/gehofft erschien, dafür aber erneut mit exquisiten Songs und einer unfassbar großen Stil- und Soundvielfalt begeistert.
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Natürlich haben wir die Gelegenheit genutzt, uns mit ihrem Bassisten/ Sänger Doug Pinnick zu verabreden und die neue Scheibe haarklein analysieren zu lassen. Dabei kam die Sprache auch auf das verwendete Equipment, im Falle Pinnicks überwiegend seine Signature-Instrumente. Darüber und vieles mehr erfährt man in diesem aufschlussreichen Gespräch.
INTERVIEW
Doug, mit welchem konkreten Ziel habt ihr 2019 die Arbeiten an ‚Three Sides Of One‘ begonnen?
Man muss bedenken, dass die letzte Studioscheibe von King‘s X fast 15 Jahre zurückliegt. Der Grund dafür ist, dass wir unseren Fans nicht einfach nur ein weiteres neues Album präsentieren wollten, sondern etwas, auf das wir wirklich stolz sein können. Für dieses Ziel musste die Zeit erst reifen, denn dazu braucht man ein bestimmtes Selbstbewusstsein und das Gefühl, ein solches Werk wirklich in sich zu haben. Denn niemand möchte belangloses Zeugs aufnehmen und die Fans enttäuschen.
Um an einen solchen Punkt zu gelangen, dauert es mitunter eine halbe Ewigkeit. Ich denke, dass wir aber irgendwann den Punkt erreicht hatten, ab dem es uns egal war und wir einfach entschieden, ein neues Album einzuspielen – egal, wie es am Ende wird. Ich hatte in der Zwischenzeit eine Menge neuer Songs geschrieben, hatte an unterschiedlichen Projekten teilgenommen und einige Soloalben veröffentlicht. Bei Ty und Jerry sah es ganz ähnlich aus.
Allerdings ist es ein Unterschied, ob wir etwas in eigener Sache machen oder als King‘s X zusammenkommen. Für uns waren diese Nebenprojekte ein sicherer Hafen, denn niemand erwartete etwas Besonderes. Bei King‘s X sieht dies anders aus. Als wir entschieden hatten, ein neues Album aufzunehmen, dauerte es ein volles Jahr mit endlosen Diskussionen, bis wir uns endlich geeinigt hatten.
Dann trafen wir uns in Kalifornien, jeder brachte die Songs mit, die er für King‘s X geschrieben hatte. Speziell Jerry überraschte uns mit einigen tollen Ideen. Ich brachte 27 Songs mit, von denen es sieben aufs Album geschafft haben. Ty und Jerry hatten zwar nicht so viel in petto, aber ihre Ideen waren trotzdem sehr stark. Jerry brachte drei Songs mit, und die sind – wenn man der Meinung Außenstehender glaubt – die besten der Scheibe. Ich freue mich darüber, denn es zeigt, dass King‘s X die Leute immer noch interessiert.
Hat sich dein Spielstil im Laufe der Zeit signifikant verändert?
Nein, ich habe nichts dazugelernt. (lacht) Ich spiele mein Leben lang den gleichen Stil und habe das Gefühl, weder besser noch schlechter geworden zu sein. Mir geht es darum, Musik, bestimmte Farben, eine bestimmte Atmosphäre zu kreieren, und nicht darum, wie spektakulär ich spielen kann. Das war vielleicht in meinen 20er Jahren so, als ich es allen zeigen wollte und mir eine fundierte Technik aneignete. Heute dagegen geht es nur noch um die bestmöglichen Songs und darum, meine Technik songdienlich einzusetzen. Ich versuche, aus meiner musikalischen Vergangenheit zu lernen, über sie zu urteilen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das macht doch jeder Musiker so, oder? Jeder möchte sich verbessern, denn wenn das nicht mehr das Ziel ist, bewegt man sich rückwärts. Und wenn man sich nur noch rückwärts bewegt, dann kann man es auch gleich sein lassen, in vielerlei Hinsicht.
Wenn ich es richtig verstanden habe, ist das Album noch vor dem Lockdown entstanden. Das bedeutet: Ihr drei habt euch tatsächlich im Studio getroffen und die Scheibe gemeinschaftlich eingespielt?
Ja, wir drei, zusammen im Studio, alles mit analogem Equipment, mit Ausnahme von Pro Tools. Ich habe beispielsweise über ein geliehenes Mikro gesungen, über das auch schon Barbara Streisand gesungen hat. Das Album ist in Kalifornien entstanden, und dort gibt es die Möglichkeit, Equipment auszuleihen, mit dem schon berühmte Menschen aufgenommen haben. Das Barbara-Streisand-Mikro hat mal 35.000 Dollar gekostet. Unfassbar! Aber dadurch klingt mein Gesang viel besser als jemals zuvor. Deshalb haben die Aufnahmen so viel Spaß gemacht, denn anstatt – so wie es heute üblich ist – alles digital aufzunehmen, haben wir nahezu alles analog produziert. Durch die digitale Technik geht zu viel vom Gefühl verloren. Unser Ziel war, mit ‚Three Sides Of One‘ so dicht wie möglich an die Siebziger heranzukommen. Deshalb erscheint die Scheibe auch als Vinyl-Doppelalbum mit jeweils nur drei Songs auf jeder Plattenseite, um wirklich die volle Dynamik und die maximale Klarheit einer analogen Scheibe ausnutzen können.
Mit welchem Gear hast du die Songs eingespielt?
Da war zum einen mein zwölfsaitiger Schecter-Signature-Bass und mein gelber Schecter-Telecaster-Bass, vor allem bei den Songs, die Jerry komponiert hat, weil der Telecaster-Bass ein wenig wie ein Precision klingt.
Nur noch selten im Einsatz: 12-String-Bass von Yamaha
Schecter-Diamond-Series-Viersaiter
Meinen Yamaha-Zwölfsaiter kann man in ‚Let It Rain‘ und ‚Festival‘ hören, den Rest habe ich mit meinem Signature-Bass gespielt. Als Amp kam mein Tech-21-Signature-dUg-Head in Verbindung mit einem alten Ampeg-SVT-Stack aus den Sechzigern zum Einsatz.
Live-Setup: Fractal Audio AxeFX Ultra und Ampeg SVT-4 Pro
Drei Ampeg-SVT-810-Classic-Boxen
Die Speaker sind bereits total zerschossen und kratzen ohne Ende. Aber wenn man den Amp auf 10 dreht, bekommt man diesen unfassbar voluminösen Klang. Der SVT lief in Kombination mit meinem Tech-21-DP-3X-Signature-Pedal. Das war‘s im Großen und Ganzen bereits.
Sprechen wir über deine Bässe: Worauf kommt es dir besonders an? Was erwartest du von einem möglichst perfekten Instrument?
Mein Signature-dUg-Bass kommt meinem Ideal ziemlich nahe. Der Korpus ist aus Mahagoni, der Hals aus Ahorn und das Griffbrett aus Ebenholz. Ich liebe die ausgewogene Balance des Instruments. Mein Bass ist angenehm leicht, aber auch nicht zu leicht, sodass man immer noch richtig viel Holz in den Händen spürt. Ich stehe auf sehr dünne, breite Hälse, da ich ziemlich lange Finger habe. Außerdem brauche ich nur einen Poti: den Volume-Regler.
An welcher Stelle der Produktionskette wurde dein Bass aufgenommen? Gleich zu Beginn in Zusammenspiel mit dem Schlagzeug? Oder erst ganz am Ende, wenn auch bereits die Gitarren eingespielt waren?
Was wir bei King‘s X immer schon gemacht haben und wie ich es auch in jeder anderen Band, in der ich bislang gespielt habe, handhabe, ist: Alle beteiligten Musiker gehen zeitgleich in den Aufnahmeraum und spielen die Basics quasi live ein. Jeder Song wird also zunächst gemeinsam gespielt. Wenn der perfekte Drums-Part aufgenommen ist, gehe ich noch einmal allein in den Aufnahmeraum und spiele die finalen Bass-Parts ein, über die dann Ty seine Gitarren platziert. Der Gesang kommt natürlich erst ganz am Ende.
Ich würde am Ende gerne noch über einige deiner anderen Projekte sprechen.
Unbedingt!
Zum Beispiel über KXM mit einem meiner Lieblingsgitarristen George Lynch.
Ich habe gerade vor ein paar Tagen mit George und Ray (Luzier, Korn-Drummer, Anm. d. Verf.) über ein neues KXM-Album gesprochen. Ich habe den Vorschlag gemacht, dass es diesmal je zur Hälfte aus Instrumental- und Gesangsnummern bestehen könnte. Denn George spielt immer wieder so tolle Melodien. Oder der Song beginnt als Instrumentaltrack und in der Mitte des Songs singe ich dann plötzlich über die Bridge, um mal etwas Überraschendes zu wagen und sich von den drei bisherigen KXM-Scheiben zu unterscheiden.
Apropos: Worin unterscheidet sich die Arbeit mit KXM und King‘s X?
Bei King‘s X war es immer schon Kameradschaft, die über das reine Songwriting hinausgeht. So ein wenig wie damals bei den Beatles. Dazu gehören dann auch schon mal unterschiedliche Meinungen wie die zwischen Ty und mir, weil alles immer sehr persönlich ist. Bei KXM schreibt keiner dem anderen etwas vor. Wir wissen, was wir wollen und was machbar ist. Keiner beschwert sich, wenn mal etwas nicht funktioniert. Ray fängt an, zu trommeln, ich starte dazu irgendeine Bass-Linie, bis jemand ruft: „Das ist cool, weiter so!“ Dann steigt George ein, dudelt etwas und Ray und ich schreien begeistert: „Hey man, that‘s it, that‘s real bad ass!“ So entsteht bei uns jeder Song. Niemand mischt sich in den jeweiligen Part des anderen ein. Wir nehmen ihn auf, hören es uns an und sagen dann: „Ja, das ist cool, lasst uns dazu einen weiteren passenden Teil suchen.“
Und so haben wir dann irgendwann fünf oder sechs Einzelteile, die Ray zusammenbaut, während George und ich Essen gehen. Wenn wir dann zurückkommen, sagt Ray: „Hey, hört mal, ich glaube, ich habe die Parts zu einem Song zusammengefügt. Könntest du mal dazu singen, Doug?“ Ich dann: „Klar, ich versuche es.“ Anschließend geht Ray in den Aufnahmeraum und spielt die gesamte Nummer in einem Take. Dann machen George und ich unsere Overdubs, denn ich möchte den Bass-Part wirklich perfekt ausgearbeitet haben, ihn mit meinem dafür besten Instrument und mit frischen Saiten spielen und auch die kleinen Fehler der Demoaufnahme ausmerzen, damit es anschließend beim Mix wirklich rund klingt. Bei King‘s X mische ich mich dagegen auch schon mal in die Parts von Ty und Jerry ein, schlage Änderungen oder Verfeinerungen vor. Das mache ich bei KXM nicht.
Und noch eines zu King‘s X: In dieser Konstellation, mit Ty, Jerry und mir ist es etwas ganz Besonderes. Wenn wir drei zusammenspielen, entsteht etwas Magisches, etwas, das man nicht erklären kann, egal wie gut oder nicht so gut wir uns gerade privat verstehen. Wenn Jerry einen Song anzählt, wissen wir: Jetzt wird es magisch! Deshalb werden wir King‘s X bis zu unserem Lebensende machen. (lacht)