All in One: Mooer GTRS Standard S800BL & Professional P800BL im Test
von Florian von der Ohe,
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(Bild: Dieter Stork)
Hier ist wirklich mal alles drin und dran: Gitarre, Amp-Simulationen, Effekte, Drumcomputer, Looper, Tuner … Und ja: Alles IN der Gitarre. Kein weiteres Equipment nötig. Na gut, ein Kopfhörer vielleicht noch.
Wir haben es schon gut heutzutage: Erst werden große Pedalboards durch Multieffekte wegrationalisiert, dann die Amps durch Simulationen und nun braucht man auch diesen ganzen Kram eigentlich nicht mehr einzeln. Hier hat GTRS – die Gitarrensparte von Mooer – eine Modeling-Gitarre gebaut, die nicht nur andere Gitarren simuliert, sondern auch gleich Verstärker, Boxen, Effekte und Weiteres. Zudem sind per App noch ein Drumcomputer, ein Tuner, Chord-Charts und ein Looper nutzbar.
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Die perfekte Gitarre also für all jene, die es bei Hardware möglichst minimalistisch mögen, aber dennoch nicht an Sounds sparen wollen? Wir werden sehen …
HARDWARE UND VERARBEITUNG
Sowohl die Standard-, als auch die Professional-Variante kommen gut verpackt und im schönen Gigbag daher. Es hört sich vielleicht ein wenig albern an, aber ein brauchbares Gigbag dazu zu bekommen, freut mich immer ungemein. Zumal ich vermute, dass dies auch für viele die erste Gitarre sein könnte.
Das Gigbag der Professional ist beige und ein kleines bisschen besser gepolstert, das der Standard grau. Die Gitarren sehen sich auf den ersten Blick sehr ähnlich. Klar, in erster Linie ist die Professional ja auch fast die gleiche Gitarre, nur eben mit hochwertigeren Komponenten. Sie hat den etwas helleren Blauton (Tiffany Blue, statt Sonic Blue bei der Standard) und einen offenen Steg-Pickup. Weitere Unterschiede ergeben sich erst bei näherer Betrachtung.
Also mal das grundlegende Konzept: Wir haben es hier mit Power-Strats zu tun. Zwei Singlecoils, ein Humbucker, alles aus eigener Fertigung, 25,5″-Mensur, Lindekorpus, geröstetes Ahorn für den Hals und Palisander für das Griffbrett. Die Saiten laufen von den GTRS-gebrandeten Mechaniken über den Knochensattel (!) und enden in einem 2-Point-Vibrato. Der Griffbrettradius ist mit 12 Zoll recht modern und sehr angenehm zu bespielen, das Halsprofil ist mit C angegeben und liegt satt in der Hand. Für eine moderne Gitarre ist es eher auf der vollen Seite, aber nicht hinderlich. Bei beiden Gitarren sind die Lackierung und die Arbeiten an den Bünden sehr akkurat ausgeführt. Hier gibt es nichts zu meckern. Erst recht nicht für den aufgerufenen Preis.
Was macht die Professional nun zur Professional und somit schon merklich teurer? Wenn man genauer hinschaut, ist sie in ganz vielen Punkten einfach höherwertig gebaut. Die Tuner sind hier zwar immer noch von GTRS, aber Klemmmechaniken. Als Sattel kommt TUSQ zum Einsatz, der Hals ist geflammt, das Griffbrett aus dunklerem, ebenmäßigerem Palisander mit – ich vermute – Mother-of-Pearl-Inlays. Die Bünde sind aus Edelstahl, fühlen sich somit besser poliert an und werden länger halten. Die Griffbrettkante ist angenehm verrundet und als Brücke kommt eine VS50 II von Wilkinson zum Einsatz. Als Korpusmaterial wird laut Angaben amerikanische Erle verwendet.
DIGITALES ALL-IN-ONE PAKET
Bisher haben wir recht typische Strats beschrieben. Ihre Besonderheit zeigt sich recht offensichtlich am untersten Poti, das sich hier „Super-Knob“ nennt, sich optisch generell schon abhebt und zusätzlich bei Aktivierung anfängt in verschiedenen Farben zu leuchten. Mit ihm wird das Modeling aktiviert und die Gitarre erwacht zum (neuen) Leben.
Man koppelt die GTRS ganz einfach per Bluetooth mit der Gratis-App. Diese ist zu größten Teilen auf Englisch übersetzt, es finden sich noch einige witzige Übersetzungsfehler (nein, ich möchte nicht mein Piano stimmen) und manchmal klappt die Lokalisierung gar nicht und man bekommt vereinfachtes Chinesisch gezeigt. Das passiert zum Glück selten genug, um eher lustig als nervig zu sein. Hat man sich in der App einmal zurechtgefunden, bietet sich die Möglichkeit, vorbelegte Presets zu nutzen oder seine eigenen zusammenzustellen. Hierzu stehen einem Overdrive, Amp, Cab, Dynamics, Modulation, Delay und Reverb zur Verfügung. Wer möchte, kann sich in der Online-Community registrieren und Presets tauschen.
Auch Gitarren können simuliert werden. So lässt sich jede Stellung des Fünf-Wege-Schalters mit einem virtuellen Modell belegen. Zur Auswahl stehen hier elf virtuelle Gitarren, von Strat über Tele, Jaguar, Les Paul bis hin zu Akustikgitarre und Piezo-Sound. Hat man einmal definiert, welcher Sound auf welcher Schalterposition liegen soll, kann man diese ganz normal durchschalten, oder mit einem Knopfdruck zum „normalen“ Sound der echten Pickups wechseln.
Die App kann des Weiteren noch einen Tuner sowie eine Akkorddatenbank anzeigen und bietet durch den Drumcomputer coole Begleit-Sounds zum Jammen und Üben.
Wer den optionalen Fußschalter GWF4 dazukauft, kann diesen gleich mit einbinden und so drahtlos zwischen vier Sounds pro Bank umschalten. Mega komfortabel und äußerst portabel.
Bisher klingt das alles eher wie die Beschreibung eines (Mooer-)Multieffekts. Ist es ja auch irgendwie, aber man unterschätzt schnell, wie cool es ist, das direkt in der Gitarre zu haben. Man kann sie ganz normal benutzen und seinen Marshall singen lassen, oder man stöpselt direkt Kopfhörer an und jammt. Und wenn man zufrieden ist, wird das Smartphone per USB On-The-Go verbunden und man nimmt die Idee auf. The Future is now!
DAS ECHTE LEBEN
Was sofort auffällt, ist, dass beide Gitarren recht schwer sind. Die Standard bringt 3,9kg auf die Waage und die Professional wartet mit 3,8kg auf. Beides keine Werte, die einen direkt zum Orthopäden schicken, aber für Strat-Typen schon ungewohnt hoch. Klar, hier muss ja auch viel untergebracht werden und alleine der Akku dürfte schon einiges wiegen. Abgesehen vom Gewicht spielen sich die GTRS wie man es erwartet: Sie liegen gut am Körper an, hängen auch am Gurt sehr angenehm ohne kopflastig zu sein und füllen, wie bereits erwähnt, die Greifhand mit ihren Hälsen gut und gefällig aus.
Insbesondere wenn man beide nebeneinander testen kann, fällt doch auf, wieso die Professional teurer ist: Die Optimierungen wirken sich schon unplugged sehr aufs Spielgefühl aus. Die Bünde sind einfach glatter, das abgerundete Griffbrett gibt einem ein sehr gutes Gefühl und auch die Wilkinson-Bridge ist sehr angenehm zu bespielen. Beide Vibratos sind werksseitig ein wenig schwebend eingestellt, sodass auch leichte Upbends möglich sind. Wer das nicht unbedingt braucht, sollte die Federn hier lieber noch etwas anziehen, denn beide Modelle sind etwas anfällig für Verstimmungen. Das Werks-Setup ist aber insgesamt als wirklich gut zu beschreiben. Hier muss man keine Angst haben, sofort Hand anlegen zu müssen.
Die Pickups sind mehr als nur zu gebrauchen: Sie klingen ziemlich genau so, wie man sich das bei einer modernen HSS-Strat-Interpretation vorstellt. Die Singlecoils sind ein wenig moderner angehaucht und klingen dementsprechend nicht ganz so offen und spanky wie Vintage-Typen. Dafür ergeben sie zusammen mit dem Humbucker ein homogenes Gesamtbild, was sonst wohl allein wegen der Output-Level eher schwierig wäre. Klar, hier geht auch Funk oder Hendrix auf den Singlecoils, aber wer das im Fokus hat, wechselt vielleicht lieber zu den virtuellen Pickups. Der Steg-Humbucker gehört zur eher voll und satt klingenden Sorte. Er kann gut drücken und Schub rüberbringen, passt aber auch gut zu den Singlecoils, ohne diese zu sehr zu dominieren. Schön abgestimmt also. Hier lohnt es sich durchaus, etwas mit der Höhe der Pickups zu experimentieren, um insbesondere den Sound der Singlecoils noch mehr den eigenen Vorlieben anzupassen.
UND DIE SIMULATIONEN
Machen wir uns nichts vor: Wenn man diese Gitarren kauft, interessiert einen, wie sie digital performen. Und die Antwort ist: gut. Klar, hier ist kein Helix verbaut, aber die Modeling-Sounds von Mooer sind ja bekanntermaßen auch nicht von schlechten Eltern. Es finden sich die üblichen Amp-Typen von Fender über Marshall und Mesa bis hin zu Engl und Diezel. Wer schon mal einen Mooer-Test gelesen oder ein entsprechendes Multieffektpedal besessen hat, kennt das. Die Modelle, ebenso wie die Effekte, klingen ziemlich überzeugend, insbesondere wenn man den Drumcomputer oder einen Backing-Track dazu nimmt. Wenn man genau hinhört sind Line 6, Fractal Audio und Konsorten natürlich noch deutlich überlegen – kosten aber eben auch alleine schon so viel oder mehr als die Gitarre.
Wirklich viel Spaß haben mir die Simulationen anderer Gitarren(klassiker) gemacht. Und da man ziemlich schnell von der analogen zur virtuellen Welt umschalten kann, ergeben sich zehn Sounds, die man im direkten Zugriff hat – auch ohne Smartphone. So habe ich mir den Steg-HB einer Les Paul, einen schönen Akustik-Sound, eine Jaguar und eine alte Strat auf die Schalterpositionen gelegt. Diese Sounds kann man dann noch mittels EQ und Gain feinjustieren, sodass man beispielsweise auch eine Position als Onboard-Mid-Boost oder Ähnliches nutzen könnte.
Über die App lassen sich die Einstellungen der virtuellen Verstärker festlegen …
… und selbst die Simulationen der Gitarren können noch feinjustiert werden
Die Simulationen klingen hierbei überzeugend, und auch das schwierige Feld der Palm-Mutes wird gut gemeistert. Kann man jetzt auf seine echte Les Paul verzichten? Nee, eher nicht, aber man will sie ja vielleicht auch nicht immer überall hin mitnehmen. Oder man möchte mal für einen Song im Set auf die Akustik wechseln. Hiermit kein Problem mehr.
ALTERNATIVEN
Wenn man ehrlich ist: Keine. Ich unterstelle hier mal, dass man das volle Paket will. Natürlich gibt es auch andere Modeling-Gitarren (Line 6 Variax und die Fender Acoustasonic sind wohl die bekanntesten) und der Markt der Amp-Modeler ist groß. Doch diese Kombination gab es eben – meines Wissens nach – bisher noch nicht. Nur Gitarre und Kopfhörer ist schon geil (ja, es gab auch mal die Behringer iAXE). Wer das Gitarren-Modeling nicht braucht und vor allem was für unterwegs sucht, wird vielleicht mit einer Squier Strat und dem Boss Waza Air glücklich. Preislich liegt das, je nach gewählter Gitarre, etwa auf dem gleichen Niveau. Mit den Modeling-Gitarren kann man allerdings auch in seinen echten Amp spielen oder zur Not vielleicht auch mal beim Gig direkt mit der Gitarre ins Pult gehen.
RESÜMEE
Was Mooer hier vorstellt, ist schon irgendwie revolutionär. Ich kenne kein wirklich vergleichbares Produkt. Die Zielgruppe werden vermutlich Gitarrist:innen sein, die etwas Simples und dennoch Spaßiges für unterwegs suchen, oder auch Anfänger:innen, die sich somit nicht auch noch einen Amp etc. anschaffen müssen. Vielleicht sind es einfach Experimentierfreudige, die nicht zig verschiedene Modelle kaufen möchten und vielleicht auch noch keinen Modeler besitzen. Für all diese Menschen dürften die GTRS eine gute Wahl sein.
Auch, dass es zwei Modelle gibt, finde ich sehr smart: Die Standard ist das deutlich einfachere Modell, das aber generell nichts falsch macht. Für alle, die bereit sind, etwas mehr auszugeben, bietet sich die Professional an. Sie ist insgesamt das merkbar bessere Instrument und gibt auch ohne jegliches Modeling eine gute Figur als Strat ab.