„Er war der coole Johnny Winter mit all dem Ruhm und den vielen hübschen Mädchen. Ich dagegen war nur an Instrumenten interessiert …”
Bruderliebe: Edgar Winter über das Tribute-Album ‚Brother Johnny‘
von Matthias Mineur,
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(Bild: Quarto Valley Records)
Als der amerikanische Bluesrock-Gitarrist/Sänger Johnny Winter im Juli 2014 starb, verlor die Welt einen ihrer charismatischsten und aufsehenerregendsten Musiker. Winters Stern war 1968 in New York beim Fillmore East Festival aufgegangen, bis zu seinem Tod im Alter von 70 Jahren durchlebte er viele Höhen und Erfolge, aber auch schwere Abstürze mit Drogen und Alkohol. Eine Ikone war Johnny Winter Zeit seines Lebens, und mit seinen schneeweißen Haaren auch optisch einer der ungewöhnlichsten Musiker, die diesen Planeten jemals bereichert haben.
Jetzt hat sein jüngerer Bruder Edgar Winter, ebenfalls ein fabelhafter Blues-, Rock- und Jazzmusiker, die Tribute-Scheibe ‚Brother Johnny‘ aufgenommen, mit zahlreichen berühmten Gästen wie Joe Bonamassa, Warren Haynes, Billy Gibbons, Joe Walsh, Phil X, Kenny Wayne Shepherd, Keb Mo, Derek Trucks, Ringo Starr, Steve Lukather, Waddy Wachtel, Taylor Hawkins oder Robben Ford. Und natürlich mit Edgar Winter himself, der auf ‚Brother Johnny‘ singt, Keyboards und Saxophon spielt, und nun in einem spannenden Interview die Entstehung des Albums und das außergewöhnliche Lebenswerk seines unvergessenen Bruders und dessen posthumen Albumgästen erklärt.
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(Bild: Joe Bielawa)
INTERVIEW
Edgar, kannst du bitte erzählen, wann und wie die Entscheidung für dieses tolle Album gefallen ist?
Ja, gerne. Johnnys Tod kam für mich völlig überraschend, wir hatten für ihn gerade die ‚The Rockin Blues Fest‘-Tour in Europa gebucht. Als ich die schlimme Nachricht erhielt, war ich geschockt und dachte natürlich, ich müsste die Tour canceln. Doch die Veranstalter wollten, dass ich die Tour unter meinem Namen durchziehe. Bereits am Ende der ersten Show, bei der ich unter anderem meinen größten Hit ‚Frankenstein‘, aber eben auch Songs von Johnny wie ‚Johnny B. Goode‘‚Rock’n’Roll Hoochie Koo‘ oder ‚Highway 61 Revisited‘ gespielt hatte und ihm das Finale der Show widmete, zeigte sich, dass alles perfekt zusammenpasste. Die gesamte Tour war großartig, wir bekamen überall große Unterstützung, und so fing ich an, über ein Tribute-Album nachzudenken.
Etwa einen Monat später erhielt ich Anfragen und Angebote von diversen Plattenfirmen, aber deren Interesse schien rein finanzieller Natur zu sein, wofür ich weder mich noch Johnnys Erbe hergeben wollte. Dennoch dachte ich im Laufe der folgenden Monate immer häufiger darüber nach und kam schließlich zu der Erkenntnis, dass ich dieses Projekt realisieren muss. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass irgendjemand anderes ein solches Album veröffentlichen würde, aber als dies nicht geschah, war klar, dass ich es übernehmen muss.
Denn Johnny war mein gesamtes Leben lang mein ultimativer Held, ohne ihn wäre aus mir nicht das geworden, was ich heute bin. Ich sprach mit meiner Frau Monique darüber, sie ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass ich das Album nun tatsächlich aufgenommen habe. Sie sagte von Beginn an: „Du musst das Album machen, du bist es dir und deinem Bruder schuldig.“ Wenig später traf ich mich mit Bruce Quarto, dem Präsidenten von Quarto Valley Records. Er wollte das Album aus ehrenhaften Gründen: Er liebt Johnnys Musik und wollte sie der Welt noch einmal angemessen präsentieren. Außerdem gewährte er mir alle Freiheiten und gab mir ausreichend Zeit, um es so zu machen, wie ich es für richtig erachte. Deshalb entschied ich, das Album über sein Label zu veröffentlichen.
Bild: Matthias Mineur
Winters legendäre Gibson Firebird
Bild: Matthias Mineur
Erlewine Lazer
Bild: Matthias Mineur
Oftmals Winters einziges Effektgerät: ein Boss CE-2 Chorus
Was war aus deiner Sicht so einzigartig und außergewöhnlich an Johnnys Stil, seiner Art den Blues zu spielen?
Es gibt gleich mehrere Dinge, die man erwähnen sollte. Es waren nicht nur musikalische Gründe, auch wenn sie natürlich überwiegen. Johnny besaß in seinem Spiel eine unerbittliche Intensität, die sonst niemand hatte. Für mich war er der John Coltrane des Blues. Wie Coltrane war auch Johnny in der Lage, jede Blues-Nummer in epischer Breite auszudehnen. Während andere Musiker oft schon nach sieben oder acht Takten den roten Faden verlieren, endete er bei Johnny nicht einmal nach 20 Takten. Bei ihm waren Songs ein unendlich intensiver Bewusstseinsstrom, wie man ihn bei niemand anderem finden konnte. Ich denke, dass Joe Bonamassa in ‚Self Destructive Blues‘ diesem Phänomen am nächsten kommt, was mich wirklich überrascht und begeistert hat.
Johnnys spielerische Geschwindigkeit, die man in ähnlicher Form auch bei Coltrane bewundern konnte, war ebenso außergewöhnlich wie seine Slow-Blues-Gelassenheit. Darüber hinaus habe ich Johnnys menschliche Qualitäten geliebt. Bekanntlich wurden wir beide als Albinos geboren. Johnny fing schon mit sieben Jahren an, Musik zu machen, ich war damals gerade erst vier. Johnny entschied sich für die Gitarre, er war fortan der Blues-Gitarrist der Familie. Meine Eltern fragten mich: „Und was möchtest du spielen, Edgar?“ Ich antwortete: „Alles andere!“
Begonnen hast du mit dem E-Bass, nicht wahr?
Ja, das stimmt. Anschließend spielte ich Schlagzeug, wechselte dann zum E-Piano. Ich entdeckte Ray Charles und wollte die gleiche Musik wie er machen. Johnny liebte den akustischen Delta Blues von Muddy Waters, Howlin’ Wolf, Elmore James und John Lee Hooker, ich dagegen bevorzugte den urbanen Blues von Ray Charles, Bobby „Blue“ Bland oder B.B. King. Das unterschied Johnny und mich. Ich mochte auch den Texas Blues mit T. Bone Walker, Gatemouth Brown oder Johnny Guitar Watson, auf die Johnny ebenfalls stand. Der größte Unterschied zwischen uns aber war: Johnny wollte immer schon ein großer Star werden.
Ständig blätterte er in Musikmagazinen, schaute ‚The American Bandstand‘, er war der coole Johnny Winter mit all dem Ruhm und den vielen hübschen Mädchen. Ich dagegen war nur an Instrumenten interessiert, wollte einfach Musik machen, die Schönheit von Tönen, Akkorden und Rhythmen genießen. Für Johnny war Musik dazu da, um populär zu werden. Er war extrovertiert, gab seine Musik der Öffentlichkeit, während ich oft in meiner eigenen Welt lebte. Hinzu kam, dass Johnny seinen Albinismus nicht als Nachteil oder Einschränkung betrachtete, sondern als das genaue Gegenteil, nämlich als ungewöhnliches Aussehen, das ihm größere Beachtung bescherte und somit für ihn arbeitete. Als ich das bemerkte, dachte ich: Wow, was für eine coole Betrachtungsweise. Ich habe immer zu ihm aufgeschaut, als Musiker wie auch als Mensch.
(Bild: Matthias Mineur)
Es gab bei euch zuhause also nie Konkurrenzkampf oder Eifersüchteleien?
Nein, wir haben nie miteinander konkurriert. Natürlich fragt mich das jeder, aber ich kann es nur strikt verneinen. Normalerweise herrscht zwischen Brüdern immer ein gewisses Konkurrenzdenken. Aber Johnny liebte das helle Scheinwerferlicht, er war stets der Bandleader, eine Rolle, die ich unbedingt vermeiden wollte. Johnny entschied, welche Songs gespielt wurden und was die Aufgabe der Gitarre war, während ich versuchte herauszufinden, was die anderen Instrumente spielen. Dies zeigte ich dann Freunden aus der Nachbarschaft, mit denen wir verschiedene Bands zusammenstellten.
Die meisten von ihnen konnten gar nicht spielen, was mich ziemlich überraschte, denn Johnny und ich kommen aus einer sehr musikalischen Familie, ich konnte mir deshalb nicht vorstellen, dass man kein Instrument spielen kann. Mein Vater spielte Gitarre, Banjo und Altsaxophon, meine Mutter konnte sagenhaft Klavier spielen, mein Großvater spielte Trompete, mein Urgroßvater Geige, jeder in meiner Verwandtschaft konnte irgendein Instrument spielen. Und als wir anfingen, Bands zusammenzustellen, fragte ich oft meine Mitmusiker: „Wie? Dein Vater hat dir keine Akkorde gezeigt?“ Ich musste also all diesen Kids zeigen, wie man spielt, was dann ja auch funktionierte.
Konkurrenz untereinander gab es nie. Auch als Johnny und ich älter wurden, war Ruhm für mich nie ein Ziel. Johnny lud mich nach New York ein, um auf seinen ersten Alben zu spielen, so wie wir es immer gemacht hatten. Er lud mich zu seinen Konzerten ein, um mit ihm und seiner Band zu spielen, was für mich eine völlig neue Erfahrung war, denn bis dato war ich nur in kleinen Clubs und nicht in großen Hallen aufgetreten. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste kaum jemand, dass Johnny überhaupt einen Bruder hat. Er spielte das erste Set seiner Show mit seinem Blues-Trio und kündigte dann lauthals an: „Und nun erlebt ihr meinen kleinen Bruder Edgar!“ Das Publikum tobte und man konnte in ihren Augen ablesen: „Oh, von denen gibt es sogar zwei!“ (lacht)
(Bild: Joe Bielawa)
Nach welchen Kriterien hast du die Songs für ‚Brother Johnny‘ ausgewählt?
Zu Beginn stellte ich mir die Frage, ob ich die besten und bekanntesten Songs aus seiner Karriere zusammenstellen oder lieber meine eigenen Johnny-Winter-Faves als Hommage an Johnny auswählen soll. Am Ende ist daraus eine, wie ich finde, ausgewogene Balance aus beidem geworden. Johnny war ein unnachahmlicher Gitarrist, vor allem sein Slide-Spiel war einzigartig, wie man es in Nummern wie ‚Highway 61 Revisited‘ oder ‚Mean Town Blues‘ besonders gut hören konnte. Ich kenne niemanden, der wie Johnny spielt. Zudem gibt es auf dem Album einige obskure Nummern wie etwa ‚Stranger‘. Eigentlich kein charakteristischer Johnny-Winter-Song, aber dennoch eine wundervolle Nummer mit geschmackvollen Akkorden. Sie repräsentiert Johnnys sensible, verletzliche Seite, die er normalerweise nicht öffentlich gezeigt hat.
Ein weiterer meiner Lieblingssongs ist ‚Drown In My Own Tears‘, ein Track komplett ohne Gitarre. Generell war es ein großer Genuss, ‚Brother Johnny‘ zu produzieren, da ich bei allen Mitwirkenden so viel Liebe und Respekt für Johnny gespürt habe. Einige von ihnen sind Johnnys langjährige Freunde, andere lieben und verehren ihn, ohne ihn persönlich kennengelernt zu haben. Ich habe mir im Vorfeld keine Gedanken gemacht, welcher Song zu welchen Musikern am besten passen könnte. Wichtiger war mir, dass jeder denjenigen Song spielt, für den er die größte Leidenschaft empfindet.
Bild: Matthias Mineur
Johnny Winters legendärer Music-Man-Combo; Volume, Treble & Master auf 10, der Rest auf 0.
Bild: Matthias Mineur
Johnny Winters legendärer Music-Man-Combo; Volume, Treble & Master auf 10, der Rest auf 0.
Bild: Matthias Mineur
Seit den 1970ern hatte Johnny die Celestion-Vintage-Speaker im Einsatz.
Wie etwa im Fall Joe Bonamassa!
Exakt! Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich Joe Bonamassa ansprach. Joe und ich kannten uns nur lose, wir haben ein paar Shows zusammen gespielt, mehr Kontakt gab es bis dahin nicht. Als ich mit ihm telefonierte, um mögliche Songs durchzugehen, und er ‚Self Destructive Blues‘ auf der Liste entdeckte, rief er sofort: „Oh ja, diese Nummer möchte ich unbedingt spielen. Es war der allererste Johnny-Winter-Song, den ich jemals gehört habe, und den ich später auch mit meiner eigenen Band gecovert habe!“ Ganz ähnlich lief es auch mit einer Reihe anderer Musiker, die an ‚Brother Johnny‘ beteiligt sind, wie etwa Warren Haynes.
Letztlich gab es keinen festen Verteilungsplan, alles wurde intuitiv und individuell entschieden. Mir ging es um Musiker, die Johnny kannten und mit ihm gespielt haben. Und nicht um die vorhersehbaren Stücke und um vorhersehbare Musiker. Ich liebe den Jazz und ich mag das Unvorhergesehene, wie etwa die Teilnahme von Taylor Hawkins oder Phil X, der mit Bon Jovi spielt; Künstler, mit denen man nicht unbedingt rechnen konnte. Denn genau darum ging es mir: um freie Interpretationen von Musikern, die ich für Johnnys Songs gewinnen wollte, als Hommage an meinen Bruder, an den Blues und an die Gitarre.
Die größte Überraschung für mich ist Ringo Starr.
Ja, eine tolle Überraschung, nicht wahr! Ich habe Ringo zum ersten Mal 2006 getroffen und hatte die große Ehre, in seiner All Starr Band zu spielen. Anschließend wurde ich 2008, 2010 und 2011 erneut eingeladen. Es waren Höhepunkte meines Lebens, mit dem unglaublichen Ringo Starr und vielen weiteren großartigen Musikern seiner Band auf der Bühne zu stehen. Ich liebe Ringo, als Musiker und auch als Mensch! Aber wer liebt ihn nicht? Wo immer man über ihn spricht, überall lächeln die Leute, wenn sein Name fällt.
Eine weitere besondere Verbindung zu ihm ist: Marjorie, die Schwester von Ringos Frau Barbara, ist mit Joe Walsh verheiratet, der zusammen mit Michael McDonald von den Doobie Brothers ebenfalls auf ‚Brother Johnny‘ spielt. So kamen wir fast zwangsläufig auf Ringo zu sprechen und hatten das Gefühl, dass es eine prima Idee sei, diese Freunde und zugleich Verwandte auf dem gleichen Album zu haben. Also fragte ich Ringo und er sagte sofort zu. Natürlich fühle ich mich sehr geehrt. Ein weiterer Kreis, der sich mit ‚Brother Johnny‘ geschlossen hat, denn ich habe auf mehreren Alben von Ringo gespielt.
Vielen Dank, Edgar, für das spannende Gespräch, alles Gute und viel Erfolg mit dem tollen Album!
Review
EDGAR WINTER: BROTHER JOHNNY
In den 60er- und 70er-Jahren avancierte der texanische Gitarrist und Sänger Johnny Winter (23.02.1944 – 16.07.2014) zu einem Star der Bluesrock-Szene. Auch sein jüngerer Bruder Edgar Winter machte bekanntlich Karriere im Musikgeschäft. Jetzt kommt von ihm ein Tribute-Album, das einige der größten Johnny-Winter-Songs plus zwei neue Stücke vereint.
Es macht Laune, sich durch Klassiker wie ‚Mean Town Blues‘, ‚Still Alive And Well‘, die schöne Ballade ‚Stranger‘ oder eben das Stones-Cover ‚Jumpin’ Jack Flash‘ zu hören (eine legendäre Version, die mehr rockt als das Original, ist auf ‚Live – Johnny Winter And‘ zu hören). Yepp, Winter verstand es, sich Fremdkompositionen durch seinen packenden Gesang und natürlich seine virtuose wie energetische Spielweise so zu eigen zu machen, dass sie quasi als eigene Klassiker durchgingen.
An diesem Album waren wirklich beeindruckend viele Bekannte dabei, darunter Gitarristen/Sänger wie Joe Bonamassa, Doyle Bramhall II, Robben Ford, Billy Gibbons, Warren Haynes, Steve Lukather, Keb Mo, Kenny Wayne Shepherd, Derek Trucks, Waddy Wachtel, Joe Walsh und Phil X. Einige der Beteiligten hauen auch mal diese schön fließenden Läufe raus, die so typisch für Johnny waren.
Ok, ok, ok, große Namen sind nicht unbedingt ein Garant für ein gelungenes Album, doch hier ist die Musik nicht nur für Gitarren-Fans ein Genuss. Ein packendes Tribute-Album, das inspiriert in die originalen Songs und Alben von Johnny Winter reinzuhören.