Talk über Gitarren-Kultur, Design & Gear

Marke Eigenbau: Tosin Abasi von Animals as Leaders im Interview

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(Bild: Prosthetic Records)

Es gibt wohl wenige Gitarrist:innen, die dem Instrument im vergangenen Jahrzehnt mehr Innovationen und neue Impulse versetzt haben als Tosin Abasi. Der 39-jährige US-Amerikaner hat mit seiner Band Animals As Leaders nicht nur dem Djent geholfen, zu einer der populärsten Spielarten des progressiven Metals zu werden, sondern mit Slapping oder Selective Picking gleich mehrere bahnbrechende neue Techniken etabliert. Und auch der Siegeszug der Achtsaiter geht zu einem großen Teil auf seine Kappe.

Seit 2018 gestaltet er gar selbst sehr erfolgreich seine High-End-Gitarrenmarke Abasi Concepts, zu deren Fans bereits John Mayer oder Aaron Marshall zählen. Und auch sein Signature-Plug-in von Neural DSP unterstreicht seinen großen Einfluss auf die Welt der instrumentalen Gitarrenmusik. Auf ihrem fünften Album ‚Parrhesia‘ zeigen Animals As Leaders nun erneut nicht nur ihre bahnbrechenden technischen Fähigkeiten, sondern auch viel Geschmack für Komposition und Melodien. Wir sprachen mit Abasi über die neue Gitarren-Kultur, seine Vision von Design und sein für das neue Album verwendete Equipment.

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(Bild: Abasi)

INTERVIEW

Noch vor wenigen Jahren waren progressiver, instrumentaler Metal und achtsaitige Gitarren eine Ausnahmeerscheinung. Heute ist diese Szene größer denn je und du einer der prägenden Köpfe der Metal-Welt. Gibt es Momente, an denen dir die von dir beeinflussten Entwicklungen des letzten Jahrzehnts bewusst werden?

Gute Frage … Hin und wieder schon. Es sind kleine Dinge, etwa dass es inzwischen Achtsaiter-Gitarren von den meisten großen Herstellern gibt. Auch bei Pickups hat man mittlerweile eine große Auswahl für acht Saiten. Das war früher anders.

‚Parrhesia‘ ist euer erstes Album nach sechs Jahren. Gibt es neue Techniken, die du darauf öfter benutzt hast?

Ja, vor allem das Selective Picking. Ein Song wie ‚Microaggressions‘ besteht fast vollständig aus dieser Technik.


SELECTIVE PICKING

Beim Selective Picking (eine Bezeichnung, die Tosin Abasi selbst geprägt hat), handelt es sich um eine meist sehr schnell gespielte Anschlagstechnik, bei der ein Teil der Töne mit dem Pick (rechte Hand) angeschlagen werden, während die anderen Noten per Hammer-On (linke Hand) erzeugt werden. Der Unterschied zum üblichen Wechsel aus angeschlagenen und legato gespielten Noten besteht darin, dass die Töne beim Selective Picking mit sogenannten „Hammer-Ons out of nowhere“ erzeugt werden, die Saite also nicht schon schwingt, wenn der Finger auf das Griffbrett hämmert. Darüber hinaus wird das Selective Picking meist in Verbindung mit Palm Mute und Pedaltönen verwendet, wodurch sehr gleichmäßig klingende, schnelle Pattern entstehen können. Abasi vergleicht seinen Approach mit dem Sound von Synth-Arpeggiators. Für ein gutes Ergebnis sind bei dieser Technik eine flache Saitenlage, ein wenig Kompression und nicht zu viel Verzerrung hilfreich.


Damit es niemand mehr nachspielen kann?

Doch, das werden sie! Glaub mir. (lacht) Ich habe die Technik zwar schon vorher verwendet, aber aus irgendeinem Grunde habe ich mich im Lockdown eingehender damit beschäftigt. Ich wollte eine ganze Komposition daraus schreiben. Es ist zwar keine Etüde, aber schon fast eine kleine musikalische Technikübung. Die anderen Neuerungen beziehen sich größtenteils auf Aspekte des Recordings.

Wie schafft man es, so technisch zu spielen, aber dabei trotzdem Melodien, Groove und eine organische Note zu behalten?

Manchmal stecken hinter sehr technischer Musik wenig melodische Überlegungen. Die komplexesten und härtesten Bands haben oft einen sehr niedrigen Anteil an Harmonie und Melodie. Und Musik, die sehr melodisch ist, ist oft nicht besonders komplex und auch nicht heavy. (lacht) Ich mag Komplexität und Heaviness, und ich mag auch Melodien. Daher versuche ich, ein Gleichgewicht dieser Pole zu erlangen. Wir versuchen eine Ausgewogenheit aus Komplexität und Groove zu erreichen. Und ich will Bands wie Meshuggah zuschreiben, damit angefangen zu haben. Du kannst dazu headbangen, aber wenn du anfängst zu zählen, übertrifft die rhythmische Komplexität dein Headbanging. (lacht)

Was die Harmonien betrifft, geht es mir darum, Emotionen zu kreieren, deren Gefühl man nicht zu 100 Prozent zuordnen kann. Irgendwie fröhlich, irgendwie traurig, irgendwie düster – aber nie eindimensional. Ich erinnere mich, dass früher, als ich mit Shredding angefangen habe, alle Shredder die natürliche Moll-Skala verwendet haben. Die Jazz-Leute spielten dagegen diese ganzen fortgeschrittenen Harmoniken, aber die haben nicht geshreddet. Und ich dachte mir: Warum benutze ich nicht harmonische Ideen außerhalb vom Metal, aber immer noch die Metal-Techniken? Das war immer mein Ansatz.

Ich musste beim hymnischen Anfang von ‚Conflict Cartography‘ an Plini denken, während mich das Hybrid Picking von ‚Gestaltzerfall‘ an Polyphias Tim Henson erinnert hat. Chronologisch hast du diese Gitarristen wohl zuerst beeinflusst, aber waren diese Gitarristen auch Inspirationen beim Schreiben des Albums?

Das sind tolle Beobachtungen! Und ja, Plini und Tim haben mich auf jeden Fall beeinflusst. Es ist jetzt echt ein „Full Circle Thing“. Plini ist so expressiv auf seinem Instrument. Er muss nicht sehr schnell spielen, um etwas zu erschaffen, das du fühlst. Viele Gitarrenlinien basieren aber auch auf modularen Synth-Arpeggiatorn. Ich versuchte also, nachzuahmen, wie sich ein Step Sequenzer anhört. Arpeggios auf der Gitarre sind super – es gibt Yngwie Malmsteem, John Petrucci und all diese Leute, aber manche Synthesizer arpeggieren die ganze Zeit. Ich mag elektronische Musik sehr gerne, dieser Einfluss war also da. Ich bin außerdem auch an einem Punkt, wo ich denke, dass ich niemandem mehr beweisen muss, dass ich superschnell Gitarre spielen kann. Das war auf manchen der vorherigen Alben noch nicht so.

Die Frage scheint vielleicht überflüssig, aber: Welche Gitarren hast du auf ‚Parrhesia‘ gespielt?

Die Abasi Larada. Ich habe bestimmt 99 Prozent des Albums mit dieser Gitarre gespielt.

Was war das restliche Prozent?

Immer noch eine Abasi, unsere Telecaster-Style-Gitarre: Die Space T. Damit habe ich die erste Melodie und das Solo von ‚The Problem Of Other Minds‘ gespielt. Ich wollte da nämlich eher einen organischen Singlecoil-Sound à la John Mayer.

Deine Abasi-Gitarren sehen radikal anders aus als alle anderen Gitarren auf dem Markt. Was waren die Ideen beim Design der Instrumente, die dir am wichtigsten waren?

Vieles davon kommt daher, dass ich viel sieben- und achtsaitige Gitarren spiele. Man betritt dadurch ein neues Territorium, weil der Hals so viel größer sein kann und auch die Mensur länger wird. Ich wollte eine Achtsaiter von Grund auf neu kreieren, anstatt eine normale Gitarre zu nehmen und mehr Saiten hinzuzufügen. Es gibt ein paar Designelemente bei den Abasi-Gitarren, die dafür sorgen, dass es die spielbarste Achtsaiter-Gitarre wurde. Das habe ich schon so oft gehört und so geht es mir auch. Etwa sitzt der Hals sehr tief im Korpus. Die volle Länge der Gitarre fühlt sich also sogar fast so an, als wäre sie kürzer als normal, weil so viel vom Hals im Korpus ist.

Abasi Concepts Larada 8-String (Bild: Abasi)

Wir haben ja ein Singlecut-Shape, fast wie eine Alien-Les-Paul. Die Multi-Scale-Technik erlaubt uns, eine hohe Mensur im Bass zu haben, es sich aber in den hohen Saiten wie eine normale Gitarre anfühlt. Viele Achtsaiter haben parallele Bünde, was den ganzen Hals länger macht. Das ist auch gut für das Rhythmus-Spiel in den tieferen Lagen, bei Bends gibt es aber mehr Spannung als normal. Und wenn man legato spielen will, sind die Bünde weiter voneinander entfernt. Die Fächerbünde sind außerdem sehr ergonomisch: Wenn du den Oberarm deiner Greifhand hoch und runter bewegst, macht sie natürlicherweise auch einen kleinen Kreis. Bei geraden Bünden musst du deine Hand dagegen parallel bewegen.

Es gibt ja die achtsaitige Larada und die Space T, eure Tele-Interpretation. Worauf können wir uns in Zukunft freuen?

Ich will nicht zu viel vorwegnehmen, aber Abasi Concepts besteht ja aus mehr als nur aus Gitarren. Wir haben auch ein Distortion Pedal, das „Pathos“. Lass uns einfach sagen, wir arbeiten momentan an einem anderen Pedal, auf das ich sehr gespannt bin und das dieses Jahr erscheinen wird. Außerdem wollen wir unser Gitarren-Angebot erweitern – also vielleicht um eine andere Form, oder eventuell auch einen Bass. Aber du wirst schon sehen. Das ist gerade alles in der Pipeline.

Tele trifft auf modernes Design: Abasi Concepts Space T (Bild: Abasi)

Mit all den Modellern, Plug-ins und digitaler Technologie: Hast du das Gefühl, dass die Gitarre in eine neue Ära vorgestoßen ist?

Das ist witzig, denn ich glaube, dass wir kulturell in einer neuen Ära sind: Es gibt mehr Frauen, die Gitarre spielen. Es gibt mehr People of Color, die Gitarre spielen. In gewisser Weise geht es da gar nicht immer darum, die neuen Technologien zu benutzen – vieles davon klingt nämlich auch wie R’n’B von vor ein paar Jahrzehnten. Das finde ich ziemlich cool und denke, dass die wahre Entwicklung in der Gitarren-Kultur stattfindet. Und auch wenn wir sehr fortgeschrittene Technologien wie den Quad Cortex haben, benutzen wir es trotzdem immer noch, um etwas wie etwa einen Dumble- oder Tweed-Amp klingen zu lassen. Ich bin einfach froh, so viele Leute zu sehen, die Gitarre spielen. Wenn ich auf Tiktok oder Instagram gehe, habe ich das Gefühl, dass sich die Gitarrenkultur im Vergleich zu vor 20 Jahren erweitert hat.

Was für Amps und Effekte hast du auf ‚Parrhesia‘ gespielt?

Ich habe meinen Morgan SW50R benutzt. Das ist fast ein Dumble-Klon. Er hat einen Kanal und ist völlig clean. Ich benutze ihn als eine Pedal-Plattform. Die ganze Verzerrung kommt also von Effektpedalen, größtenteils vom Friedman BE-OD. Dann haben wir noch einen modifizierten Soldano-Amp durch eine Mesa-Boogie-Rectifier-Box für viele Rhythmus-Sounds verwendet.

Für die Aufnahme des neuen Albums kam der Morgan SW50R zum Einsatz (Bild: Abasi)

Ich hatte nicht erwartet, dass ihr das Album fast vollständig analog aufgenommen habt.

Wir haben die Neural-DSP-Plug-ins bei der kompletten Vorproduktion und allen Demos eingesetzt. Fast hätten wir das auch für das Album genommen. Aber dann gefiel uns das Resultat aus den echten Amps und Boxen besser. Es war das erste Mal in unserer Bandgeschichte, dass wir gesagt haben: Lass es uns oldschool machen. Viele Effekte kommen aber von Modellern. Ein Octaver zum Beispiel kommt vom Fractal Audio Axe FX oder vom Quad Cortex. Eigentlich ist es aber relativ einfach: Wir haben einen Sound für Rhythmus, einen für Slap, für Clean und für Lead. Unsere vorherigen Alben haben wir vollständig mit dem Axe FX aufgenommen.

Hast du damit auch live gespielt?

Tatsächlich nicht. Seit ein paar Jahren verwende ich den Morgan mit meinem Pedalboard. Wenn wir aber internationale Shows spielen, nehme ich in der Regel den Fractal. Manchmal habe ich auch das Line 6 Helix gespielt. Diese Modeller sind so gut geworden – und ganz ehrlich, viele Leute denken darüber gar nicht nach, aber das Impulse Response oder die Boxen-Simulation, die man nimmt, macht einen großen Teil vom Realismus aus. Wenn ich also meine eigenen IRs nehme, kriege ich fantastische Resultate vom Helix, dem Kemper, dem Fractal und dem Quad Cortex. Alle klingen gut.

Welche Amp-Modelle hast du auf dem Axe-FX gespielt?

Auf dem Fractal liebe ich den Marshall JTM45 für cleane und Mid-Gain-Sounds. Er wirkt einfach so rein und klar auf mich. Nicht in dem Sinne, dass er keinen Charakter hätte, denn der Sound hat schon Ecken und Kanten. Mit einer Singlecoil-Gitarre hat es etwas sandiges und schmeichelndes, was sehr abhängig machen kann. Davon bin ich wirklich besessen. Ich mag aber auch die Friedman-Modelle: Der HBE ist fantastisch auf dem Fractal. Ich liebe natürlich mein Neural-Plugin, aber das basiert ja auch auf meinem echten Rig.


EQUIPMENT

    • Gitarren: Abasi Concepts Larada 8-String, Abasi Concepts Space T
    • Amps: Morgan SW50R, Modded Soldano SLO, Mesa Boogie Rectifier Box
    • Pedale & Effekte: Friedman BE-OD, Fractal Audio Axe-FX III, Line 6 Helix, Neural DSP Quad Cortex, Neural DSP Archetype: Abasi

(erschienen in Gitarre & Bass 05/2022)

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