Nach den Dur-, Moll- und Verminderten Dreiklängen beschäftigen wir uns heute mit dem Übermäßigen Dreiklang, der meistens durch ein „+“ symbolisiert wird. Gelegentlich sieht man auch die Bezeichnung „aug“ (= augmented, englisch für übermäßig). Im Gegensatz zum Verminderten wird der Übermäßige Dreiklang in der Pop- und Rock-Musik sehr häufig eingesetzt.
Die Beatles liebten dessen spannungsreichen Klang und integrierten ihn in die Akkordfolgen von über 20 Songs, darunter ‚Michelle‘, ‚I’m A Walrus‘, ‚Got To Get You Into My Life‘ und ‚I Want You (She’s So Heavy)‘. George Harrison bezeichnete den Übermäßigen Dreiklang als „The Naughty Chord“. Unzählige Musiker, darunter Pink Floyd (‚Us and Them‘, ‚The Gunner’s Dream‘), Supertramp (‚Goodbye Stranger‘), The Traveling Wilburys (‚Handle With Care‘) oder Whitney Houston (‚Greatest Love Of All‘) setzten auf diesen markanten Klang.
Ableiten kann man den Übermäßigen Dreiklang vom Dur-Dreiklang, der aus dem Grundton (1), der für das Tongeschlecht maßgeblichen Dur-Terz (3) und einer reinen Quint (5) besteht. Erhöhen wir die reine Quint um einen Halbton, wird der Dur-Dreiklang zum Übermäßigen Dreiklang mit der neuen Formel: 1, 3, #5. Ein Halbton macht hier den Unterschied.
Betrachten wir die Intervalle zwischen den Akkordtönen, stellen wir fest, dass zwischen Grundton (1) und Terz (3), aber auch zwischen Terz (3) und übermäßiger Quint (#5) jeweils eine große Terz (= vier Halbtöne/Bünde) liegt. Und zwischen der übermäßigen Quint (#5) und dem nächst höhergelegenen Grundton (8/1) liegt erneut eine große Terz.
Damit ist der Übermäßige Dreiklang vollkommen symmetrisch. Grundstellung, 1. Umkehrung und 2. Umkehrung haben eine identische Intervallstruktur. Und was nützt uns diese Erkenntnis? Als Gitarristen müssen wir nur einen Griff lernen und verschieben diesen für die Umkehrungen nur um immer vier Bünde. Beispiel 1 zeigt, wie das Ganze funktioniert.
Der Klang von zwei übereinander gestapelten großen Terzen ist auch deshalb so markant, weil er in unserem Dur/Moll-System gar nicht vorkommt. Aber in Tonleitern wie der Ganzton-Tonleiter, Harmonisch Moll und Melodisch Moll finden wir leitereigene Übermäßige Dreiklänge. Schauen wir uns mal an, wie C-Melodisch-Moll überhaupt entsteht.
C-Melodisch-Moll kann man ganz einfach von der C-Dur-Tonleiter ableiten, indem man aus der Dur-Terz E (3) eine Moll-Terz Eb (b3) macht. Dieser Halbton-Unterschied wirkt sich klanglich allerdings dramatisch aus. Wir sehen jetzt, dass zwischen Eb und G sowie zwischen G und B jeweils eine große Terz liegt.
Beispiel 2 zeigt alle aus C-Melodisch-Moll gebildeten Dreiklänge in Noten, Tabs und Griff-Diagrammen. Melodisch Moll ist eine unglaublich interessante Tonleiter, um sie mit ihren unzähligen Einsatzmöglichkeiten in den Griff zu bekommen, kann man allerdings Jahre verbringen.
Mit Beispiel 3 lernen wir nun eine beliebte Standard-Akkord-Verbindung kennen. Wir sind in F-Dur, spielen zunächst die Dominante C auf der V. Stufe, erhöhen dann die Quint des C-Dur-Dreiklangs G auf G#. So entsteht C+ (V+), die Auflösung hin zur Tonika F (I) klingt so absolut schlüssig. Brauchen wir hier noch eine theoretische Herleitung? Eigentlich nicht, der konkrete Klang dieser Akkordverbindung sagt im Prinzip alles. Die Philosophie, dass man wissen muss, wie etwas klingt, aber nicht unbedingt warum, kann einem das Leben schon sehr erleichtern.
Ein sehr weit verbreitetes Akkordfolgen-Klischee zeigt Beispiel 4, hier muss man nur wissen, dass ausgehend vom C-Dur-Dreiklang die Quint G drei Halbtonschritte nach oben wandert, und mit jedem einzelnen Halbtonschritt ein neuer Akkord entsteht. Beispiel 5 stellt ein weiteres Klischee vor, das Roy Orbison in zahlreichen Songs verwendeten hat, zum Beispiel auch im oben bereits erwähnten ‚Handle With Care‘.
(Die Noten können durch Anklicken vergrößert werden)
Eines der berühmtesten Beispiele für den Einsatz des Übermäßigen Dreiklangs stammt von David Bowie, der ja gerade in seinen frühen Songs oft hypnotisch suggestive Akkordverbindungen geschrieben hat und die Tonsprache der Beatles weiterentwickelte. Im Pre-Chorus von ‚Life On Mars‘ (Beispiel 6) hören wir das dramatische Potential des Übermäßigen Dreiklangs, das dahintersteckende Klischee haben wir ja schon in Beispiel 4 kennengelernt.
Oasis haben ja aus ihrer Verehrung für die Musik der Beatles nie einen Hehl gemacht, und so haben auch sie George Harrisons „Naughty Chord“ gerne eingesetzt. Beispiel 7 zeigt die Akkordverbindung aus dem Verse von ‚Let There Be Love‘ zunächst in Dreiklängen auf der Saitengruppe G/H/E und dann als lagerfeuertaugliche Strumming-Version über fünf und sogar sechs Saiten.
Auch Jeff Lynne, Mastermind von ELO, ist ein bekennender Fan der Musik der 60er-Jahre. In seinem Song ‚Starlight‘ (Beispiel 8), geschrieben in F-Dur, pendeln die Akkorde zwischen F und C+ hin und her. Einfach und eingängig und mitten rein ins Ohr des Hörers, und um den geht’s doch eigentlich immer!
(erschienen in Gitarre & Bass 05/2022)