Americana Standards: Aura Lee im Jazz- & Country-Style
von Martin Schmidt,
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(Bild: Copyright (c) 2017 Atomazul/Shutterstock)
Nach der Basic-Variante im letzten Heft steigen wir diesmal tiefer in den Americana-Standard ‚Aura Lee‘ ein – und reichern ihn mit ein paar nicht alltäglichen Zutaten an.
MELODIE
Für mein Arrangement des Klassikers habe ich die Singlenote-Melodie der letzten Folge erstmal in eine andere Tonart transponiert … statt dem D-Dur der Elvis-Fassung geht es in das eher jazzige F-Dur. Die Melodie selbst wird dann im Chord-Melody-Style gespielt. Takt 1-8 verwendet simple Dreiklänge für den F-, C- und ein gängiges Voicing für den G7-Akkord. Noch mehr Leben haucht der ganzen Sache ein Trick von Altmeister Chet Atkins ein: Statt alle Töne gegriffen zu spielen, habe ich das E auf die Leersaite gelegt, sodass der Akkord mit dem vorigen Melodieton in der Oberstimme und der neue Melodieton ineinander klingen. Das schafft einen schwebenden Klang und ist ein Trick, der auch bei Skalen funktioniert.
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Den letzten Ton der viertaktigen Melodie, das lang klingende F in den Takten 4 und 8 umspiele ich mit einem Hendrix-artigen Double Stop Fill. Dieses Konzept verwende ich gerne, um eher einfachen Themen etwas gitarristisches Leben einzuhauchen. Wichtig ist dabei, dass man es nicht übertreibt und am Ende jeden Ton umspielt, sondern die Melodie auch für Nicht-Gitarristen noch erkennbar erscheinen lässt. In Takt 9/10 harmonisiere ich die Melodietöne mit Dreiklängen auf den oberen Saiten, bei denen sich nur der tiefste Ton verändert. In Kombination mit dem Basston sind die Akkorde trotzdem gut erkennbar. Takt 11 und 12 haben durch den Bbmaj7 und die Mollsubdominante leicht jazzigen Charakter. Abgerundet wird das Thema durch ein Sexten-Lick, bei dem auch wieder die hohe E-saite durchklingt.
INTERLUDE
Das Interlude erinnert etwas an eine Steel-Gitarre und basiert auf umspielten Dreiklängen. Ich ersetze aber den Grundton durch die None, was gar nicht so kompliziert ist, aber raffiniert und ungewöhnlich klingt. Für den F-Dur lauten die Töne also C G A statt C F A. Das enge Sekundintervall zwischen Terz und None schafft den Steelguitar-Sound.
SOLO
Im Solo habe ich versucht, unterschiedliche Konzepte unterzubringen. Takt 1-4 spielen sich in der F-Dur-Tonleiter und der dazugehörigen Dur-Pentatonik ab. Die Takte 5-8 verwenden Terz-Double-Stops. Der Großteil der Töne ist in den Akkorden enthalten, wird aber chromatisch oder durch die nebendran liegenden Tonleitertöne angesteuert. Die Linie in den Takten 9-12 startet mit einem Chuck-Berry-artigen Lick und geht dann mit jazzigen Arpeggio-Figuren weiter. Den C7 denke ich als II V zum F, also Gm7/C7 und nutze ein Gm7-Arpeggio sowie die b9 über den C, um dem simplen Septakkord der Begleitung etwas Würze zu verleihen. Abgerundet wird das Solo mit ein paar Steel-Bendings in Takt 13-16. Mit solchen Bausteinen aus unterschiedlichen Stilen kann man einem relativ schlichten Song wie ‚Aura Lee‘ viele Facetten abgewinnen. Nebenbei unternimmt man so einen Streifzug durch diverse Americana-Genres, die am Ende – trotz aller Unterschiede – alle gut zusammenpassen. Lass dich von den Konzepten inspirieren und bastle dir deine eigene Version. Viel Spaß beim Experimentieren!