(Bild: Gloria Endres de Oliveira)
Tocotronic sind ein Phänomen. Mitte der 90er-Jahre als eine der Aushängeschilder der Hamburger Schule berühmt geworden, fordern sich die Indierocker mit Punk-Background immer wieder neu und lehnen sowohl musikalisch als auch thematisch Stillstand ab. Ihr dreizehntes Album ‚Nie wieder Krieg‘ zeigt nicht nur durch seinen Titel den hoffnungslosen Idealismus des hochsympathischen Quartetts: Es hat die klangliche Dichte und Experimentierfreude des Vorgängers ‚Die Unendlichkeit‘, nähert sich aber spielerisch wieder ihrer rockig-organischen Tiefe aus den 2000ern an. Wir sprachen mit Gitarrist Rick McPhail und Bassist Jan Müller über Recording-Techniken, Gitarren-Synthesizer und darüber, warum die Optik bei Instrumenten entscheidend ist.
INTERVIEW
Ich hatte beim Hören des Albums das Gefühl, dass ihr auf vielen Songs musikalisch wieder sehr geschmackvolle, klassische Gitarrenmusik gemacht habt. Was waren eure Visionen und Ideen beim Schreiben und bei der Produktion des Albums?
Jan: Wir arbeiten ja schon sehr lange mit dem gleichen Produzenten zusammen: Moses Schneider. 2005 erschien mit ‚Pure Vernunft darf niemals siegen‘ das erste Album, das er produziert hat. Sein Markenzeichen ist ja die Live-Aufnahme. Die ersten vier Alben haben wir auch so aufgenommen. Mit dem sogenannten „Roten Album“ (Originaltitel: ‚Tocotronic‘, Anm. d. Aut.) haben wir dann aber einen Bruch gemacht: Das ist genau wie ‚Die Unendlichkeit‘ im Overdub-Verfahren auf einem Click-Track entstanden. Und jetzt dachten wir, sind wir so weit, dass wir diese beiden Welten kombinieren können. Wenn man Live-Aufnahmen macht, bringt es ja fast zwangsläufig mit sich, dass das ein bisschen „bandmäßiger“ klingt.
Rick, wie gehst du dabei vor, wenn du einen Synth-Part auf der Gitarre übernehmen willst?
Rick: Bei Songs wie ‚Jugend ohne Gott gegen Faschismus‘ ist der Synthesizer sehr versteckt im Mix, das Wichtige ist dann der Whammy-Sound, den ich über mein Line 6 M9 spiele. Ich mag es sehr gern, die Aufgabe zu haben, Synthies zu simulieren – bin aber auch echt noch auf der Suche nach einem guten Synth-Pedal. Ich habe alle ausprobiert! Und weil ich auch sehr gerne alte analoge Synthesizer spiele, war jedes Pedal, das ich ausprobiert habe, nicht gut genug für mich. Dann eher eine Kombination aus dem Source Audio Nemesis Delay und dem Alexander Pedals Marshmallow Pitch Shifter. Damit komme ich zu besseren Ergebnissen als mit einem SY-1 oder SY-300 von Boss. Mit dem Meris Enzo kann man total abgefahrene Sounds machen, die man nicht unbedingt mit einem analogen Synthesizer hinbekommt. Aber wenn du einfach einen coolen 80s-Synth-Sound von der Stange haben willst, haben mir einfach Parameter gefehlt. Pitch-LFO und Filter-LFO existieren nicht in diesem Pedal und das ist das Allerwichtigste bei analogen Synthesizern. Und dann seh ich nicht ein, 300 € für ein Pedal auszugeben, mit dem das nicht geht. (lacht)
Du benutzt das M9-Multieffektgerät von Line 6 von 2009. Wieso bist du nicht auf neuere Technik umgestiegen?
Rick: Ich habe das HX Stomp ausprobiert und dachte, es wird einiges erleichtern. Ich hätte aber alles neu programmieren müssen und hatte Latenzprobleme mit der Snapshot-Funktion. Ich hätte außerdem mehrere Bänke pro Song bauen müssen. Beim M9 hat man nur 28 Presets, aber die Kombinationen kann ich alle ohne Latenz mit Midi ansteuern.
Jan, du und euer Sänger/Gitarrist Dirk von Lowtzow seid seit einigen Jahren nur noch mit Deimel-Instrumenten zu sehen. Wie kam es dazu?
Jan: Wir haben Frank Deimel über seinen Bruder Peter kennengelernt, in dessen Black Box Studio in Frankreich haben wir zwei Alben aufgenommen. Peter hatte eine Gitarre von seinem Bruder rumstehen. Und nach jedem Lied kam derselbe Spruch von Peter zu Dirk: „Also die Gitarre klingt irgendwie scheiße. Nimm doch mal lieber die hier.“ Und so wurde Dirk in Frank Deimels Arme getrieben. Der hatte seinen Laden damals noch in Berlin, und wir hatten mitbekommen, dass er schon Gitarren für Lee Ranaldo von Sonic Youth gebaut hat. Das klang alles sehr interessant und vor allem sind das auch super schöne Instrumente, die er macht. Ich habe damals noch mit Medium-Scale-Bässen gespielt und irgendwann gemerkt, dass mich das klanglich nicht mehr so richtig zufriedenstellt.
Dann habe ich mir von Frank Deimel einen ganz leichten Bass bauen lassen, weil ich damals Nackenprobleme hatte. Das ist jetzt mein Ersatz-Bass. Davor habe ich einen Music Man gespielt. Als wir angefangen haben, habe ich mich nur für die Optik von Instrumenten interessiert. Ganz früher hatten Dirk und ich Höfner-Instrumente aus den 70ern. Vor fünf oder sechs Jahren habe ich mir dann noch einen Deimel Firestar gekauft. Und damit bin ich sehr zufrieden. Außerdem habe jahrelang Transistor-Amps von Ashdown gespielt. Davor Röhre und das war immer so nervig mit den Reparaturen. Deshalb fand ich Transistoren super, denn damit passiert nichts. Aber wenn wir mit Miet-Equipment gespielt haben, hatte ich einen Ampeg SVT Classic auf der Bühne mit 8x10er-Ampeg-Box.
Was hast du früher gespielt, Rick?
Rick: Ich bin ursprünglich Schlagzeuger, aber als ich das erste Mal eine Jazzmaster sah, wollte ich Gitarre spielen. Mit dem ersten Geld von Tocotronic bin ich dann endlich losgezogen und habe mir eine Jazzmaster gekauft. Ich fand die Gitarre auch zu Grunge-Zeiten immer cool, bei Screaming Trees oder Thurston Moore. Und weil die Gitarre so groß ist, sieht sie nicht blöd aus. Strats oder Teles sehen wie Mini-Gitarren an mir aus. Und jetzt, wo der Bauch etwas größer wird, finde ich es auch nicht schlimm, wenn da ein bisschen was abgedeckt wird. (lacht) Irgendwann wurde die Jazzmaster dann sehr hip. Als ich meine ersten gekauft habe, 2004 oder 2005, habe ich zwei aus Japan geholt. Das waren die einzigen mit Matching Headstock und in Lake Placid Blue. Die waren auch nicht so teuer – vielleicht 800, 900 Euro.
Irgendwann gab es dann viel zu viele China-Versionen und alle haben sie gespielt. Ich habe dann ein Angebot bekommen, dass mir jemand eine Gitarre baut, und dachte mir: Ich mache jetzt etwas ganz anderes. Eine Gitarre mit größerem Korpus und einer komplett anderen Form. Die Danelectro Pro 1 fand ich cool, die gab es auch als Reissue. Ich habe mir dann eine Erwachsenen-Version dieser Gitarre bauen lassen, zusammen mit Thomas von Cyan Guitars: Die Stars-And-Stripes-Gitarre. Außerdem habe ich auch eine Gitarre aus Lego.
Wie klingt die denn?
Rick: Ich habe die ein paar Mal live gespielt, und die klingt okay! Sie hat nicht wahnsinnig viel Sustain. Drei Reihen Lego auf eine Pressband-Platte geklebt, aber ein richtiger Hals und alles. Und weil ich diese DiMarzio-Singlecoils nutze, klingen die meisten meiner Gitarren relativ ähnlich.
Ich kenne Menschen, die haben auf ihrer Strat den Middle-Pickup noch nie benutzt, höchstens für die Zwischenpositionen. Rick, du hast auf all deinen Gitarren vier Singlecoils und Jan, dein Firestar-Bass hat drei Pickups. Wofür benutzt ihr die?
Jan: Ich habe mir das gar nicht ausgesucht und benutze auch nur zwei davon. Ich fand das einfach immer total super, wenn da möglichst viele Knöpfe und Schalter dran sind. Das können meinetwegen auch Attrappen sein. Genauso, wie ich es toll finde, wenn hunderte Marshall-Boxen beim Kiss-Konzert auf der Bühne stehen und das alles Dummys sind. Auch diese Höfner-Instrumente hatten ja wahnsinnig viele Knöpfe und Schieberegler. Und das hat bei mir, und das kann ich ja jetzt mal so zum Fachpublikum sagen, rein optische Gründe. (lacht)
Ich hatte Tocotronic nie als oberflächliche Poser-Band wahrgenommen.
Jan: Doch! So sind wir angetreten. (lacht)
Rick: Ich nutze eigentlich alle Pickups. Aber nie die Zwischenpositionen, das kann ich nicht ab. Auch nicht bei Strats und Teles. Als Lead-Gitarrist geht es bei mir dann auch oft darum, dass ich, wenn ich vielleicht mal die dickeren Saiten spielen will, den Bass etwas rausnehmen kann. Wenn ich zum Beispiel eine Linie von Jan dopple, aber es nicht zu mächtig werden soll, geht es um die Bass-Absenkung. Der Bridge-Pickup macht dann diesen klassischen, fast Humbucker-mäßigen Sound. Aber mit den beiden mittleren Pickups kann ich eher entscheiden, wie viel Bass-Anteil ich in meinem Sound haben will, ohne an Pedalen oder Amp zu drehen. Ich finde, wenn man solche Sachen schon von vornherein macht, muss man nicht viel im Mix machen.
Du guckst vorher, dass deine Gitarre im Arrangement nicht zu viel Platz einnimmt. Vielleicht will ich ein cooles, twangy Riff spielen, es soll aber nicht in Konflikt mit dem Gesang kommen. Die Gitarre befindet sich häufig halt im gleichen Frequenzbereich wie die Stimme, und man muss schauen, dass man sich da nicht gegenseitig im Weg steht. Deswegen nutze ich wirklich alle vier Pickups.
EQUIPMENT
RICK MCPHAIL
GITARREN:
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- Custom Welson Clone
- Cyan Custom Stars And Stripes
- Eastwood Norma EG 521-4
- Cyan Lego-Gitarre
AMPS & SPEAKER:
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- Selbst modifizierter Fender Silverface Champ
- Selbst modifizierter 1963 Watkins Clubman
- Fryette Power Load Cab/ Mic Sim
- Traynor YBA-1 Mod1 Reissue Head
- Traynor 2×12 Open Back Cab
- Sovtek MIG 50 30W
- Ameson A50 Head
- Modifizierter Sound City 50 Plus
- BluGuitar Amp1
PEDALE:
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- Line 6 M9
- Mooer Blues Mood
- Orion FX Lemming Fuzz und modifiziertes De Luxe Motor Fuzz
- EHX Attack Decay
- Chase Bliss & Z.Vex The Bliss Factory
- TC Hypergravity Mini Compressor
- Alexander Pedals Marshmallow
- Alexander Pedals Space Race
- Sonic Research Turbo Tuner Mini
- Source Audio Reflex Expression Pedal
- Kingmaker Fuzz
- Source Audio Nemesis Delay
- G-Lab GSC-4 Looper Switcher
- Cioks DC10 Power Supply
JAN MÜLLER
BÄSSE:
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- Deimel Firestar
- Deimel Custom Made
AMPS & SPEAKER:
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- Ampeg-SVT-Topteil
- Ampeg-8x10er-Box
PEDALE:
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- Electro-Harmonix Bass Big Muff
- Digitech Bass Driver Overdrive
- Digitech Bass Synth Wah
- Diamond Switcher
- McPhail A/B Switcher
- Sonic Research Turbo Tuner
- Fuel Tank Power Supply
(erschienen in Gitarre & Bass 03/2022)