Studio-Talk & sechs Fragen an den Bassisten

Dream Theater: John Myung & das neue Studio

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Bassist Extraordinaire: John Myung (Bild: Rayon Richards / James Meslin)

Kurz vor den Aufnahmen zu ihrem aktuellen Album haben sich die amerikanischen Progressive-Großmeister Dream Theater im vergangenen Jahr ein eigenes Studio eingerichtet. Das ‚DTHQ‘ steht in einem Gewerbegebiet in Long Island, New York und wurde von John Petruccis Gitarrentechniker Matthew „Maddi“ Schieferstein und Dream Theaters langjährigem Toningenieur Jimmy T. Meslin eingerichtet.

Die ersten Aufnahmen haben dort bereits stattgefunden: zunächst Petruccis Soloalbum ‚Terminal Velocity‘ (2020), dann die dritte Scheibe des Allstar-Projekts Liquid Tension Experiment (mit Petrucci, Tony Levin, Dream-Theater-Keyboarder Jordan Rudess und Ex-Dream-Theater-Drummer Mike Portnoy), und nun also ‚A View From The Top Of The World‘. Wir haben uns alle wichtigen Details zur Entstehung des Klangtempels von den Initiatoren Schieferstein (MS) und Meslin (JM) erklären lassen.

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INTERVIEW

Jimmy, kannst du bitte kurz die Vorgeschichte des Dream Theater Headquarters zusammenfassen?

JM: Gerne. Es fing damit an, dass John Petrucci das Dream-Theater-Album ‚Distance Over Time‘ (Veröffentlichung im Februar 2019, Anm. d. Verf.) unbedingt in einem großen Raum komponieren wollte, und zwar alle Mann gemeinsam, so wie in den frühen Tagen der Band. Wir fanden in den Catskill Mountains in der Nähe New Yorks die Yonderbarn, eine riesige Scheune, die ursprünglich tatsächlich mal ein richtiges Studio gewesen war, dann aber verkauft wurde, und der neue Besitzer das gesamte Studioequipment weggegeben hatte. Wir mussten also unser eigenes Equipment mitbringen. Deshalb schleppten wir eine 16-Spur-Konsole, ein Computer-System mit Logic, einige Kopfhörer, Preamps und Mikrophone dorthin, damit die Band arbeiten konnte. Irgendwann, nach ein paar Wochen, fragte mich John: „Meinst du, wir könnten das Album in der Yonderbarn nicht nur komponieren, sondern auch aufnehmen?“

Ohne groß nachzudenken sagte ich: „Ja, das ist vorstellbar“, und fing sofort an, mich um das entsprechende Equipment zu kümmern. Dream Theater und ich schmissen unser jeweiliges Gear zusammen, sodass wir am Ende ein System mit 42 Kanälen, entsprechenden Mikros usw. hatten. Zu der Zeit hatte ich einen Endorsement-Deal mit SE Electronics, die eng mit den Ingenieuren von Rupert Neve Design zusammenarbeiten. Wir unterhielten uns mit den Leuten von Rupert Neve und bekamen eine Menge Equipment günstiger, zum Testen und um ihnen unsere Erfahrungen mitzuteilen. Am Ende hatten wir genügend Gerätschaften, um ‚Distance Over Time‘ aufzunehmen. Erst anschließend fiel die Entscheidung, das nun bereits vorhandene Equipment für den Aufbau eines eigenen Dream-Theater-Studios zu verwenden.

Die Erstausstattung des Studios basiert auf dem Equipment, das vor wenigen Jahren für die Aufnahme von ‚Distance Over Time‘ angeschafft wurde. (Bild: James Meslin)

Maddi, kannst du mal kurz beschreiben, nach welchen Kriterien du die in Frage kommenden Gebäude ausgesucht hast?

MS: Einerseits sollte es möglichst zentral in Long Island liegen, als perfekter Anlaufpunkt für alle Beteiligten. Außerdem sollten in der Nachbarschaft keine fest bewohnten Häuser, sondern lieber gewerbliche Betriebe sein, weil ein solches Studio natürlich auch mit Geräuschentwicklung verbunden ist und wir Ärger vermeiden wollten. Darüber hinaus war vor allem die Größe und die Aufteilung der Räume von Wichtigkeit. Natürlich achteten wir auch auf eine Klimaanlage, die es in Industriehallen eher selten gibt. Unser Gebäude erfüllte nahezu all diese Kriterien. Ein Glücksfall, in vielerlei Hinsicht.

Initiator des DTHQ: Petruccis Gitarren-Tech Matthew „Maddi“ Schieferstein (Bild: Matthias Mineur)

Habe ich es richtig verstanden: Die Erstausstattung des Studios basiert auf dem Equipment, mit dem ihr in der Yonderbarn die Songs für ‚Distance Over Time‘ aufgenommen habt?

JM: Exakt. Wir hatten bereits einiges an Rupert-Neve-Gear, drei oder vier RMP-D8-Mikrofonverstärker, zusätzlich kaufte die Band ein paar Dinge, die wir in unserem eigenen Studio unbedingt installieren wollten. Außerdem brachte ich ein paar Preamps mit, die ich bereits besaß oder neu kaufte. Wir richteten das Studio ein, Maddi baute ein paar Racks, um das Equipment zu verstauen. Dream Theater und ich hatten im Grunde genommen bereits alles, was wir fürs Studio brauchten, aber natürlich ist man immer auch heiß auf neues Gear. Jetzt ist das DTHQ so etwas wie unser großes Clubhaus.

Wart ihr eigentlich aufgeregt oder sogar nervös, ob das Studio tatsächlich die klangliche Qualität liefert, die ihr für Alben von Dream Theater, John Petrucci Solo oder Liquid Tension Experiment braucht?

JM: Letztlich ist man vor Beginn einer neuen Produktion immer ein wenig nervös, ob alles funktioniert. Wenn die Band im Studio ihr Setup aufbaut, gibt es stets eine Menge Variablen, die man zunächst nicht richtig einschätzen kann: wie man die Drums am besten mikrofoniert, wie man Jordans Keyboards am besten verkabelt, etc. Wir wussten, dass wir bei den Drums alles per Mikro abnehmen wollen, während John Petrucci per D.I. ins Mischpult ging, wenn auch über seinen Lieblings-Amp und seine Mesa-Boogie-Isolation-Box.

Natürlich dürfen Petruccis Mesa/Boogie-Amps im neuen Hauptquartier nicht fehlen. Außerdem im Rack: Das Fractal Axe-FX III (Bild: James Meslin)

Jordan ging ebenfalls per D.I., der Bass auch, aber ganz ähnlich haben wir schon früher gearbeitet. Der Fokus lag also zunächst auf dem bestmöglichen Drumsound. Am Ende – und ich weiß, dass dieser Satz schon eine Million mal gefallen ist – ist es immer die Band selbst, die einen bestimmten Sound liefert, den man einfach nur möglichst gut einfangen muss. Dream Theater könnten auf dem Kamm blasen, und es würde immer noch gut klingen. (lacht)

MS: Ich muss allerdings zugeben, dass ich eine Menge schlafloser Nächte hatte, weil das Studio letztlich auf meine Initiative zurückgeht. Wenn dies also schiefgegangen wäre, hätte ich den Schwarzen Peter gehabt. Aber Jimmy T. und ich haben uns über jedes kleine Detail unterhalten, sodass wir am Ende sagen mussten: „Okay, wir haben alles Menschenmögliche getan, mehr konnten wir nicht tun.“ Ich weiß noch, als die Band zum ersten Mal im DTHQ für die ‚Distance Over Time‘-Tour geprobt hat.

Drinnen spielte die Band, und ich rannte draußen ums gesamte Gebäude, um zu hören, ob wir die Nachbarschaft belästigen. Aber draußen konnte man keinen Ton hören. Ich setzte mich hin und dachte: „Okay, es ist tatsächlich vollbracht!“ Natürlich macht man sich ständig Gedanken, wenn man alles zusammenfügt, die Kabel verlegt, alles miteinander verbindet, ob es am Ende wirklich funktionieren wird. Da hilft es auch nicht, dass man sich vorher einen genauen Plan gemacht, alles haargenau abgesprochen hat. Es gibt immer diesen kleinen Restzweifel, dass etwas nicht funktionieren könnte. Doch mit jedem kleinen Erfolg, mit jedem gelösten Problem, steigt mein Vertrauen, dass wir allem gewachsen sind.

JM: Zu Beginn war es ein wenig „trial and error“, aber mit jeder weiteren Produktion werden wir uns unserer Sache sicherer.

Auch wenn Petrucci meist Mesa Boogie JP-2C verwendet, hat er doch Alternativen zur Auswahl. (Bild: James Meslin)

John Petrucci hat mir erzählt, dass das DTHQ keine große SSL Mixing Console hat. Wäre dies eine Investition, die ihr euch für die Zukunft aufgehoben habt?

JM: Wir betrachten das DTHQ als Hybrid-Studio, in dem man aufnehmen und bis zu einem gewissen Grad auch mischen kann. Es lassen sich alle Spuren auf Pro Tools übertragen, dort mischen und am Computer nachträglich bearbeiten. Ich denke, selbst in einem Hybrid-Studio gibt es keine Grenzen, was für mich ein echter Vorteil ist. Ich habe viele Jahre lang an großen Konsolen gearbeitet, und rückblickend betrachtet bekommt man über diese Konsolen einen wunderbar natürlichen Sound, die analogen Fader machen etwas Natürliches mit dem Mix. Aber große Konsolen haben halt auch ein paar Nachteile, weil sie langsamer arbeiten, wenn man beispielsweise zwischen unterschiedlichen Sessions wechseln möchte. Es ist eine bestimmte Kunstform, an großen Konsolen zu mischen, aber ich empfinde es nicht als Mangel, dass wir im DTHQ keine große Konsole haben. Zumal das Ergebnis sicherlich anders, aber nicht zwangsläufig besser werden würde.

MS: Ich kann da Jimmy nur beipflichten. Wir haben in der Yonderbarn gelernt, dass man auch dann ein sehr gutes Album produzieren kann, wenn man nicht in einem traditionellen Studio arbeitet. Zumal die meisten heutigen Produktionen sowieso nicht in traditionellen Studios entstehen. Heutzutage kann man auf einem Laptop aufnehmen, auf dem Rücksitz eines PKW. Für Dream Theater, die bislang immer in regulären Tonstudios gearbeitet hatten, war Yonderbarn eine tolle Erfahrung, mit der Erkenntnis, dass es auch anders funktioniert. Die Yonderbarn hat zwar einen großen Raum, wie in einem traditionellen Studio, besaß aber kein Equipment.

Und mit dem Umzug in unser eigenes Studio wurde dieses Prinzip einfach weiterentwickelt. Und wenn die Jungs jetzt ins DTHQ kommen, dann mit dem Gefühl: „dies ist unser Zuhause!“ Sie lieben diese Räume und sie mögen auch den Sound, den wir hier produzieren.

Danke Jimmy und Maddi, wirklich sehr spannend die Geschichte des DTHQ, viel Erfolg und viel Spaß auch weiterhin mit eurem neuen Studio!


6 FRAGEN AN JOHN MYUNG

Anschließend stand auch noch Bassist John Myung für ein Interview zur Verfügung, um uns seine Erfahrungen bei den Aufnahmen zum neuen Album mitzuteilen. Hier das Gespräch!

1

John, kannst du bitte etwas über die Bass-Aufnahmen eures neuen Albums erzählen?

Gerne. Für uns ist ‚A View From The Top Of The World‘ auf eine spannende Art etwas ganz Neues. Wir haben sehr konzentriert gearbeitet und freuen uns jetzt über ein Album, auf dem es unserer Meinung nach keinen einzigen schwachen Moment gibt. Eingespielt habe ich die Scheibe mit der neuen Anniversary-Version des ersten Modells meines Bongo-Signature-Basses. Damals kam der Bass zunächst in schwarz auf den Markt, jetzt, in der Jubiläumsversion gibt es weitere tolle Farben.

Johns Music Man Bongo Signature (Bild: Matthias Mineur)

Es hat riesigen Spaß gemacht, mit diesem Instrument die neuen Songs zu schreiben und aufzunehmen. ‚A View From The Top Of The World‘ hat generell eine sehr komplexe Struktur, sodass man den einen oder anderen Songs sicherlich mehrmals hören muss, bis er sich dem Hörer wirklich erschließt. So jedenfalls empfinde ich es.

2

Konntest du etwas Spezielles von ‚A View From The Top Of The World‘ lernen?

Ich habe erneut festgestellt, wie großartig es ist, wenn man in einer funktionierenden Band spielt. Man kann auf die Fähigkeiten der Kollegen zurückgreifen, man kann die Köpfe zusammenstecken und tolle Dinge erarbeiten. Und am Ende kommt dann ein Mix aus all diesen Einflüssen heraus und erzeugt etwas Neues, Großartiges. Und was ich angesichts der neuen Situation mit Lockdown, unserem neuen Studio und so weiter auch noch lernen konnte: Man sollte nie etwas für selbstverständlich nehmen. Es hat einen Riesenspaß gemacht, mit den anderen an ‚A View From The Top Of The World‘ zu arbeiten, und erneut zu erfahren, dass Dinge aus Sicht eines Schlagzeugers ganz anderes wahrgenommen werden als aus Sicht eines Gitarristen oder Sängers. Jede Idee hat immer auch einen rhythmischen Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt. Steve Harris hat mal vor vielen Jahren gesagt, dass auf eine gewisse Weise jeder Musiker auch gleichzeitig Schlagzeuger sein sollte. Das bedeutet nicht, dass man permanent nur auf Snare oder Hi-Hat achten muss, aber dass man beim Grund-Feeling eines Songs immer die Drums berücksichtigen sollte.

3

Hatte es einen Einfluss auf dein Spiel, dass John Petrucci zum ersten Mal mit einer achtsaitigen Gitarre aufgenommen hat?

Ja, mein Bass ließ sich nicht so stimmen, dass er mit der Dynamik der achtsaitigen Gitarre mithalten konnte, deshalb setzte ich einen Kapodaster ein. Ich klemmte den Kapo auf den zweiten Bund, so dass aus dem tiefen E ein tiefes Fis wurde.

4

Hat sich dadurch dann nicht auch dein Spielgefühl geändert?

Doch, absolut, mit einem Kapodaster fühlt es sich immer ganz anders an als ohne. Ich habe dies zum ersten Mal gemacht, es war also auch für mich etwas ganz Neues. Außerdem: In Fis hat ein Bass einfach völlig andere Dynamiken als in E, aber da ich sehr dicke Saiten spiele, hat es dennoch funktioniert. Ich finde das Resultat großartig.

5

Hast du deine Parts via D.I. eingespielt, oder ganz traditionell über Amp, Box und Mikrofon?

Überwiegend direkt ins Pult. Wie du weißt, spiele ich ja schon einige Zeit über Ashdown-Amps, aktuell über meinen Signature-Combo, aber aufgrund der Situation in unserem neuen Studio war es praktikabler, mit einer Mischung aus Direkt-Sounds zu arbeiten. Wir haben im DTHQ wirklich gutes Zeugs am Start, beginnend mit einem tollen Preamp von Rupert Neve über einen sehr guten Neve-Equalizer und einen Neve-Shelford-Channel, wahlweise auch ein Suncoast-Preamp für einen etwas raueren Sound, und von dort in Pro Tools. Ich mag es, wenn ich meinen Sound etwas variieren kann, das hilft mir bei meiner Kreativität und es macht deutlich mehr Spaß, als wenn man nur einen einzigen Sound fährt.

6

Ist das auf der Bühne nicht ein ziemlich großes Problem?

Oh ja! Auf der Bühne kommen so viele unterschiedliche Faktoren zusammen: der Sound aus der PA, die Unruhe, die auf der Bühne herrscht, und so weiter. Da ist es nicht ganz einfach, auf seinem In-Ear-Monitoring einen Sound zu bekommen, der wirklich angenehm ist. Deshalb habe ich mit Ashdown ein Signature-Pedal entwickelt, das sich The Doubledrive nennt und zwei verschiedene Drive-Optionen umfasst. Ich hoffe, dass das Pedal in diesem Jahr ebenso verfügbar sein wird wie der Signature-Combo-Amp, an dem ich zurzeit mit Ashdown arbeite.

Klingt wirklich spannend.

Ja, das Coole daran ist: Ich wollte schon immer einen Amp designen, bei dem man den EQ auf die spezielle Spielweise eines jeden Bassisten einstellen kann, egal ob er mit Fingern oder mit Plektrum und egal in welcher Saitenstärke spielt. Ich spiele beispielsweise mit Fingern, mag aber dennoch einen relativ perkussiven Sound, wie beispielsweise den von Steve Harris, weil es dadurch rhythmischer klingt. Ich habe herausgefunden, dass ein 15“-Speaker für meinen Sound und mein Spiel perfekt ist. Und dass in einem Combo ein zweiter Speaker den Sound verfälscht, weil es zu Phasing-Effekten und anderen Merkwürdigkeiten kommen kann, die sich kaum erklären lassen. Für mich ist es von Vorteil, wenn man eine Sache möglichst simpel hält. Denn dann kann man per EQ genau den Sound fahren, den man möchte, ohne sich Sorgen über PhasingEffekte und Ähnliches machen zu müssen.

Vielen Dank, John, für das nette Gespräch, wir sehen uns hoffentlich auf Tournee!


(erschienen in Gitarre & Bass 03/2022)

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