Nachdem wir uns die Vorstufenröhren angeschaut haben, müssen wir uns natürlich auch en détail dem Thema Endstufenröhren widmen. Da wird’s gleich nochmal aufregender, denn die Legenden, die sich um Mullard Siemens, General Electric und Co ranken, schreien geradezu danach, einmal genauer beäugt zu werden.
Schließlich haben wir es hier auch mit „Preistoleranzen“ von mehreren Hundert Prozent zu tun. Insbesondere in der Bucht werden hier im Verhältnis zu aktuellen Produktionen astronomische Kurse aufgerufen.
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Kapitel 1 –DIE 6L6-PROBANDEN
Ich habe mir einmal die bekannte und klassische 6L6 vorgenommen. Diese von RCA bereits 1936 vorgestellte Beam Power Tetrode, oder zu Deutsch und weniger gängig Strahlbündelröhre, hat im Gegensatz zu einer gängigen Pentode wie beispielsweise EL34 oder EL84 kein Bremsgitter, sondern sogenannte Strahlbündelbleche, daher rührt natürlich auch der Name.
Da diese Röhre immer noch in vielen aktuellen Gitarrenamps ihren Dienst verrichtet, gibt es auch heute noch einige Modelle der letzten Protagonisten der Röhrentechnologie. Sovtek/Electro Harmonix/Svetlana alias New Sensor, SED, Shuguang oder JJ bieten unter verschiedenen Namen Versionen an, die letzten Endes alle kompatibel sind. Die Namensgebung reicht von 6L6GC über 6L6WGC und 6L6GA bis hin zu 5881 und KT66.
Diese letztgenannte 5881 war ursprünglich die Militärversion der 6L6, was bedeutet, sie hatte geringere Toleranzen und eine längere Lebensdauer. Heute wird sich teils auch bei „normalen“ 6L6 dieses Namens bedient, was aber der Qualität keinen Abbruch tun soll.
Für meine Messungen habe ich einmal folgende Röhren ausgewählt:
Sovtek 5881WXT
Tung Sol 5881
JJ 6L6GC
Shuguang 6L6GCM-STR (gebraucht)
General Electric 6L6GC
Sylvania 6L6GA
Bei der Sovtek handelt es sich sozusagen um den heutigen Industriestandard, der von sehr vielen Markenherstellern wie Fender, Mesa/Boogie und vielen anderen verwendet wird. Kein Wunder, handelt es sich hier um eine seit vielen Jahren angebotene günstige und gleichzeitig zuverlässige Röhre.
Die Tung Sol ist ein vor allem optisch gut gelungenes Remake der alten Tung Sol 5881. Die JJ ist eine ebensolche gute neuere Alternative; bei der Shuguang habe ich mich exemplarisch für eine bereits gut gebrauchte Röhre entschieden, um einmal zu zeigen, wie sich die begrenzte Lebensdauer einer Endstufenröhre bemerkbar macht. Die beiden Legenden in dieser Reihe sind Sylvania 6L6GA und vor allem General Electric 6L6GC, für die des Öfteren auch mal $ 150 für ein Duett (!) aufgerufen werden. Mal sehen, ob sie das wert sind.
VERSUCHSAUFBAU
Als Testobjekt muss wieder der Fender Deluxe Reverb von 1966 herhalten, der auf seine alten Tage immer noch viel arbeiten muss.
Moment mal, werden jetzt einige sagen, da gehören doch 6V6 rein. Stimmt schon, aber bis auf die unterschiedlichen Leistungen sind beide Röhren sehr ähnlich und im A/B-Betrieb der Endstufe muss – einmal abgesehen vom Ruhestrom – nichts geändert werden. Auch die ca. 800 mA mehr Heizstrom liefert der Trafo ohne große Anstrengung, sodass der direkte Signalweg und die erstklassige Wiedergabe des Signals mal wieder für sich sprechen. Außerdem handelt es sich hier nicht um absolute Messungen und Vergleiche, sondern um Relative, sprich wir wollen sehen, inwieweit sich diese Röhrentypen unterscheiden.
Das Wichtigste bei solch einem Vergleich ist die immer gleiche Einstellung des Ruhestroms. Durch diesen wird der sogenannte Arbeitspunkt der Röhre definiert, sozusagen der Punkt, um den die Röhre auf ihrer Kennlinie „herum arbeitet“. Um das ein wenig zu veranschaulichen, stellt euch ein Pendel vor, das nicht exakt in der Mitte von den beiden es umgebenden Begrenzungen hängt. Auch wenn der Bereich, in dem es arbeitet insgesamt ausreicht, so wird es, sofern immer neue Energie zugeführt wird, doch auf einer Seite immer wieder anstoßen. Etwas ähnliches macht auch eine Röhre, was im Fall einer AB- oder auch Gegentaktendstufe zu (meist) ungewünschten Übernahmeverzerrungen führt.
Sollte also dieser Ruhestrom nicht immer gleich gewählt sein, bringt die beste Vergleichsmessung nichts. Der Effekt hierdurch ist deutlich größer einzuordnen als der Wechsel zwischen zwei verschiedenen Röhren, um mal eine Verhältnismäßigkeit aufzuzeigen.
Als Beispiel hierzu soll uns eine Messung mit der Sovtek 5881WXT dienen; sowohl eine mit 50 mA als auch eine weitere mit 19 mA Ruhestrom. Das Ergebnis sehen wir in Bild 8. Auffällig hierbei ist, dass Mitten und Bässe stark abfallen, was sich akustisch in einem „matteren“ Gesamtsound bemerkbar macht.
MESSEN, MESSEN …
Die Testsignale wurden in den Input des Amps eingespeist und die Messung am Speakerausgang des Amps, also ohne Berücksichtigung des Lautsprechers abgegriffen. Ich habe mich für diese Art der Messung entschieden, da sie die meiste Aussagekraft hat. Wir spielen ja schließlich den kompletten Amp.
Zur Sache: In Bild 1 sehen wir die Frequenzgänge der einzelnen Typen bei cleanem Signal und stellen fest, dass sich bis auf leichte Pegeldifferenzen nicht allzu viel unterscheidet. Bemerkenswert ist hier aber der eine Ausreißer nach unten; hier handelt es sich um die gebrauchte Shuguang 6L6GCM-STR. Wir können daraus entnehmen, dass sich das Alter einer Endstufenröhre im absoluten Pegel, aber auch im verhältnismäßig starken Verlust von Höhen bemerkbar macht.
Bild 2 zeigt das Ganze im Overdrive Modus. Um dem Begriff Overdrive hier etwas Fleisch zu verleihen: Hier ist das eine Tele mit starkem Anschlag über einen Deluxe Reverb mit Volume-Poti auf Stellung 10 gespielt. Auch das ist noch wenig aussagekräftig, da auch hier alle Probanden recht nah beieinander liegen.
Interessant wird es erst, wenn wir uns einmal die Oberschwingungen oder „Harmonischen“ genauer anschauen (Bild 3 – 7).
Bild 3: Sovtek 5881WXT
Bild 4: Tung Sol 5881
Bild 5: JJ 6L6GC
Bild 6: Shuguang 6L6GCM-STR
Bild 7: GE 6L6GC
Dafür habe ich eine Grundschwingung von 110 Hz gewählt, was einer leeren A-Saite entspricht und den in der Messung interessanten Bereich von 100 Hz bis 500 Hz vergrößert.
Hier können wir erkennen, dass während die Grundschwingung immer gleich ist, die Oberschwingungen differieren. Insbesondere die 2. Harmonische – sprich 220 Hz – wird sehr unterschiedlich wiedergegeben.
Da die Sylvania dieser Messung nach sowohl zweite und dritte Harmonische am stärksten betont, habe ich alle anderen dieser einmal gegenübergestellt.
Bild 3: Sovtek 5881WXT
Bild 4: Tung Sol 5881
Bild 5: JJ 6L6GC
Bild 6: Shuguang 6L6GCM-STR
Bild 7: GE 6L6GC
Wir erkennen, dass bei keiner der 6L6-Varianten gleiche Wiedergabeeigenschaften vorliegen, sondern alle die ersten drei Harmonischen unterschiedlich betonen.
Bild 8: Bias 19 mA vs. 50 mA
Overdrive 6L6 alle
SOUND
Schön, und wie klingt das Ganze? Da das wie immer Geschmackssache ist, möchte ich hier keine Bewertung abgeben, sondern euch dafür die Soundfiles ans Herz legen:
Es gibt für jede Röhre sowohl ein Clean- als auch ein Crunch-File, außerdem habe ich zusätzlich die Sovtek 5881WXT mit 19 mA Ruhestrom aufgenommen, um den weiter oben beschriebenen Effekt auch akustisch zu belegen. Bei allen anderen Files wurde, wie auch bei den Messungen, der Ruhestrom der Röhren auf 50 mA eingestellt.
Kapitel 2 –EL34 ENDSTUFENRÖHREN
Dürfte ich einen Gitarrenamp designen, wäre es überhaupt keine Frage, mit welcher Endstufenröhre dieser denn bestückt sein sollte. Denn schließlich muss die Abstimmung für den allroundfähigen, modernen Player ja über die Vor-, durch die Zwischen- in die End- und die Überhauptstufe gegeben sein, deswegen kommt natürlich überhaupt nix anderes in Frage als die einzig wahre Röhre, überdies die einzige echte Pentode im Kolosseum der Metaller: die EL34! Aber warum eigentlich? Hmm …? Mein Entschluss, diesem Mythos, begründet durch die sagenumwobene Mullard EL34, auf den Grund zu gehen, steht fest.
HENDRIX & Co. …
Ursprünglich „eingebrockt“ haben mir das Philips und Mullard. Philips hat’s erfunden und Mullard dann 1953 vorgestellt. Auch bei der EL34 leitet sich das „E“ im Namen – wie bei der ECC83 – von der verwendeten 6,3-V-Heizspannung ab. „L“ steht für die Leistungspentode, 3 für den verwendeten Oktalsockel, und auch hier steht am Schluss eine laufende Nummer, deren Bezeichnung wohl keiner so genau erklären kann.
Ob ihr Siegeszug durch die Verwendung in Marshall Amps begann, kann ich nicht sagen, unter uns Gitarristen hat die EL34 aber seit diesen magischen Klängen in den goldenen 60er-Jahren ihre Ausnahmestellung zementiert. Auch wenn uns heute von Ultraclean bis HiGain alles im wahrsten Sinne des Wortes zu Füßen liegt, lösen Aufnahmen von Jimi Hendrix, The Who oder Led Zeppelin bei uns immer noch Gänsehaut aus. Und ich wage die Prognose, dass das selbst dann noch so sein wird, wenn wir uns EL34 aus dem App Store laden können.
Nun, soweit sind wir noch nicht, auch wenn wir 2022 ihren 73. Geburtstag feiern. Aber neben den etablierten virtuellen, die uns jedes 20-Euro-Multieffekt mittlerweile anbietet, haben wir heute immer noch mehrere echte EL34 in Produktion. Einige davon habe ich neben zwei Klassikern in unserem aktuellen Test vorliegen:
Electro Harmonix EL34
Electro Harmonix 6CA7
JJ KT77
Shuguang EL34B
SED EL34
Mullard EL34 Reissue
Siemens EL34
General Electric 6CA7
Wir sehen, auch hier haben sich wieder ein paar vermeintlich Artfremde eingeschlichen. Die 6CA7 ist ursprünglich ein amerikanisches Pendant, das wohl entwickelt wurde, um keine Patentgebühren zahlen zu müssen. Die KT77 hingegen, ist eine Beam-Power-Tetrode ähnlich der 6L6, allerdings mit EL34-identischen Parametern. Die beiden Letztgenannten sind unsere Klassiker, gegen die sich deren Nachkommen behaupten sollen.
LP & DR103
Ich habe mich bei diesem Test für einen heutzutage in meinen Augen völlig unterrepräsentierten Amp entschieden, gleichzeitig einer meiner absoluten Lieblinge, ein Hiwatt DR103, vielen besser bekannt als Custom 100. Es gibt wohl kaum einen Amp, der raubeiniger daherkommt, der „unangenehmer“ in den Höhen zur Sache geht, und der dynamischer auf die Gitarre reagiert als dieser. Alles andere erscheint vor diesem Hintergrund wie Schönfärberei und Kindergeburtstag. Dabei habe ich der Einfachheit halber alle Potis in der 12-Uhr-Stellung belassen und den Amp im 50-W-Modus betrieben. Die Aufnahmen sind in Crunch und Lead aufgeteilt, auch wenn ein Hiwatt wunderbar clean kann, dachte ich, dass uns das hier in dem Rahmen tendenziell weniger interessiert.
Zum späteren Vergleich habe ich mit einer Gibson Les Paul ‘59 Reissue per DI Soundfiles aufgenommen und alles gereampt. Crunch ist „straight into the amp“, für die Leadsounds habe ich Brilliant-Volume voll aufgedreht und einen einfachen Booster hinzugenommen, der das Signal nochmals breitbandig um circa 10 dB anhob.
Man kann dieser Methodik natürlich ankreiden, dass hier nicht nur die Endstufenröhren zerren, sondern auch sowohl Vor- als auch Phasenumkehrstufe. Sie greifen damit natürlich wesentlich ins Klanggeschehen ein, aber auch hier war mein ursprüngliches Ziel nicht die isolierte EL34-Performance, sondern wie sie sich in einem von uns repräsentativ genutzten Rahmen verhält.
MESSEN
Im Gegensatz zum letzten Kapitel über die 6L6 haben sich bei den vorliegenden Messungen meine Erwartungen nicht erfüllt. Ich habe, ehrlich gesagt, auch hier mit deutlicheren Unterschieden im Obertonverhalten gerechnet, umso mehr war ich überrascht, dass dem keineswegs so ist.
Keine der vorliegenden EL34-Varianten (übrigens alle mit 32 mA eingemessen) gibt sich hier eine Blöße. Ebenso – man muss es ja kaum mehr erwähnen – war natürlich bis auf leichte Pegeldifferenzen der Frequenzgang nahezu identisch.
Da stellt sich natürlich die Frage, ob es sich hier um reinen Zufall bei den gewählten Röhren handelt (was ich mir bei einer Anzahl von 8×2 Testkandidaten kaum vorstellen kann), ob die EL34 bei der Produktion einer geringeren Toleranz unterliegt, oder ob wir an deren Grenzbereiche in den gegebenen Audioschaltungen überhaupt rankommen.
HÖREN
Tja, nach dieser kleinen Ernüchterung habe ich mir dann die Soundfiles vorgenommen; da kommt dann immer meine Frau ins Spiel, die mir einfach (ganz ihre Künstlernatur) kreuz und quer ohne jegliche Logik die verschiedenen Spuren vorspielt. Um dabei einen möglichst gleichen Eindruck zu erhalten, empfehle ich nach circa zwei Sekunden umzuschalten. Auf diese Art und Weise hört man immer denselben Abschnitt und hat die beste Relation. Erst die eine Spur durchhören hinterlässt beim Ohr schon einen gewissen Gewöhnungseffekt und führt einen schnell aufs Glatteis.
Und ich muss gestehen, dass mein Höreindruck die Messungen absolut bestätigt. Ich habe mich in der Hoffnung, zumindest einen feinen Unterschied rauszuhören, mehrfach diesem einfachen Blindtest unterzogen, sowohl morgens mit „nüchternen“ Ohren als auch über den Tag verteilt, aber ich habe keinerlei Differenzen feststellen können.
Aber ein Schmankerl habe ich noch zum Schluss: Für die letzten beiden Beispiele habe ich eine 6L6 mit ebenfalls 32 mA eingemessen und aufgenommen. Aber dazu sage ich jetzt hier gar nix mehr. Hört selbst: