(Bild: Dieter Stork)
Zurück in die Zukunft… und zwar mit Vollgas! Diese Philosophie, längst von amerikanischen Traditionsfirmen als überaus gut funktionierendes Business-Modell etabliert, haben auch Hersteller übernommen, die in der Geschichte der E-Gitarre keine dominante Rolle gespielt haben.
Wie eben z. B. Aria, dieser große japanische Hersteller, der seit Mitte der 1950er-Jahre Instrumente baut und in dessen aktuellem Programm die Retro Series zu finden ist, die neben mehreren Mosrite-Kopien auch das eigene Modell 1532T wiederaufleben lässt. Das ist 1968 erstmals erschienen und hielt sich einige wenige Jahre im damaligen Aria-Programm. Damit auch wirklich jeder weiß, dass es sich bei diesem Design um ein richtig altes handelt, wurde der Modellbezeichnung der Neuauflage noch der Zusatz „Retro“ hinzugefügt.
… was soviel bedeutet, wie „symphatischer Cheapo“. 😉 Ich liebe es, wenn sympathische Cheapo-Neuauflagen von 1950er- und 1960er-Modellen sich nicht nur diesen speziellen Retro-Charme erhalten haben, sondern auch gleichzeitig, wie damals, günstig zu haben sind. Denn Retro kann auch Cheapo und eben nicht nur Vintage. Liegt denn nicht ein Teil der Sympathie, die wir für diese Gitarren empfinden, auch darin begründet, dass sie im Vergleich zu den Platzhirschen billig gewesen sind? Und auch ein bisschen unperfekt? Dafür aber einzigartig, kantig und charakterstark? Aria hat das verstanden und bleibt erfreulicherweise nicht nur im Design dem Cheapo-Image der 1532T treu, sondern auch in der Preisgestaltung. Denn dank der Fertigung in Fernost können wir dieses gute Stück Retro für knapp € 300 bekommen.
Was fällt als erstes auf, wenn ich die Retro-1532 in die Hand nehme? Da ist z. B. die im Vergleich zur 628-mm-Mensur riesenhafte Kopfplatte, die im Bereich zweiter/dritter Bund angeschäftet und ab dem Sattel leicht nach hinten gewinkelt ist. Der Ahornhals hat ein für alte japanische Gitarren ungewöhnlich sattes C-Profil und das immerhin 5 mm starke Palisander-Griffbrett ist in einem flachen 12″-Radius gewölbt, sodass es sich recht zeitgemäß spielen lässt.
Der Basswood-Body glänzt mit einer eigenwilligen Formgebung, die es so nur in den 1960er-Jahren geben konnte. Seine etwas grob geschliffenen Konturen auf Rücken und rechter Vorderseite ermöglichen eine anschmiegsame Annäherung von Retro und Spieler. Ungewöhnlich erscheint das zweigeteilte Pickguard, bei dem im großen, schwarzen Teil die beiden Tonabnehmer sitzen – P90- Typen in Humbucker-Größe mit einem gewinkelt montierten Hals-Pickup –, während das kleinere, weiße Teil als Control Plate dient und Master-Volume- und -Tone-Potis beherbergt, die japanisch eng nebeneinander sitzen.
Das Vibratosystem heißt bei Aria GBD und stammt aus dem Jazzmaster/Jaguar-Baukasten. Völlig ok, dass hier Mutter Fender Pate stand, denn ein eigenes Vibratosystem im Stil des 1968er-Originals hätte den Preis unnötigerweise in die Höhe geschraubt.
Was uns zu der Frage führt: Wie identisch ist die Retro-Neuauflage überhaupt im Vergleich zum Original? Der genauere Blick auf die Features zeigt
dann doch einige Unterschiede auf. Im Unterschied zur neuen Retro-1532 hat die Aria 1532-T von 1968:
● eine nicht gewinkelte Kopfplatte,
● eine kürzere Mensur von ca. 610 mm à la Fender Mustang oder Jaguar,
● eine „floating“ Bridge, die sich beim Tremolieren mitbewegt,
● Korpus und Hals aus Mahagoni,
● Pickups in einem eigenen Design,
● ein eigenes Tremolo-System in der Art des Jazzmaster/Jaguar-Systems.
Also … bis auf die Silhouetten von Korpus und Kopfplatte, die beiden Pickguards und die Regelelemente ist die neue Aria Retro1532 mit der alten nicht wirklich identisch. Aber die Richtung stimmt!
… was jetzt soviel bedeutet, wie „Retro-Spiel“. Vorab: Bis auf das Tremolo funktioniert alles, wie es soll – keine weiteren Klagen! Das war bei den Cheapos der guten, alten Zeit meistens noch anders. Hier jedoch kann man sofort loslegen und wird mit einem Sound überrascht, der schon akustisch wirklich erstaunlich ist: Dank der kurzen 628-mm-Mensur ungewöhnlich fett, dank der großen Saitenlänge (JM-Tremolo plus große Kopfplatte) mit einem sanft schimmernden, nach oben weit offenen Klangbild mit ebenmäßig verlaufendem, langem Sustain. Solch eine Kombination unterschiedlicher Qualitäten ist bei einer Schraubhalsgitarre selten auszumachen.
Neben der gewinkelten Kopfplatte sorgt auch ein leicht angestellter Halswinkel dafür, dass die Saiten bei hartem Anschlag nicht aus den Reitern springen (das bekannte Jazzmaster-Syndrom), sondern unterstützt durch den erhöhten Druck auf die Saitenreiter den Anschlag und das Sustain. Zwei P90-Typen in Humbucker-Größe übernehmen die Tonwandlung – und auch das ist eine gute Wahl, denn sind sie doch die beste Wahl für satte Bässe und samtige, vollmundige Höhen.
Die Montage des Hals-Pickups hätte ein wenig mehr Sorgfalt benötigt, bzw. eine Unterlage, die verhindert, dass er nach unten abkippt. Das macht zwar keinen Unterschied für seine Performance, aber stört die Optik. Nicht schräbbelig, nicht schwabbelig, sondern recht konkret, schön satt und mit einem deutlich hörbaren Snap im Anschlag produziert die Retro-1532 ihre Sounds. Man stelle sich eine Fender Mustang mit fett klingenden Singlecoil-Pickups vor – dann bekommt man eine ungefähre Vorstellung davon, welche Sprache die Aria Retro spricht. Dies ist ein durchaus eigener, weil ungewöhnlicher Sound, der einhergeht mit der butterweichen Spielbarkeit der Gitarre.
Das dem Fender-Jazzmaster-System identische GBD-Vibratosystem hat systembedingt seine Haken und Ösen, nicht jeder wird Freund mit diesem Ding werden. Bei Fender meistens noch in Kombination mit einer Floating-Bridge, sitzt die hier verwendete Tune-o-matic-Brücke jedoch unverrückbar fest auf ihren 8-mm-Bolzen und bewegt sich während des Tremolierens keinen Cent. So ist die Stimmstabilität in großer Gefahr. Beim Spielen erweist sich denn auch schnell, dass heftiges Gewobble sofort mit nachlassender Stimmung bestraft wird. Eine Roller-Bridge wäre hier eine nervenschonende und einfach zu installierende Alternative, wenn man größere Modifikationen scheut.
ALTERNATIVEN
Retro-Designs sind ja angesagt – aber in den Preisklassen, in denen unsere geliebten Cheapos unterwegs sind, selten zu finden. Trotz intensiver Suche im Netz sind mir keine weiteren Cheapo-Alternativen im Retro-Design über den Weg gelaufen, die derzeit in DE erhältlich wären. Habe ich was übersehen? Wenn ja, bitte melden! Aber wie wäre es denn mit einem 60s-Original als Alternative? Ab und an taucht eine 1532-T tatsächlich mal auf dem Gebraucht markt auf und wird dort zu einem Preis zwischen 300 und 400 Euro angeboten. Wer den Hauch des alten Japans spüren und riechen will, der kann sich hier bedienen.
RESÜMEE
Nicht alles, was Retro verheißt, ist mit dem preistreibenden Vintage-Bonus behaftet – siehe die Aria Retro-1532! In der heutigen Zeit, in der alte Trash- und Kaufhaus-Gitarren mit ihrem speziellen Sixties-Charme punkten, ist die nagelneue Retro-1532 bestens angesiedelt. Sie sieht passend aus und kommt mit dem Vorteil, dass sie aus der Pappschachtel heraus gut spielt und klingt!
Wer also eine Zweit-, Dritt- oder Viert-Gitarre mit sympathischem Cheapo-Charakter und einem „irgendwie anderen“ Sound sucht, der sollte sich diese Aria Retro-1532 unbedingt näher anschauen. Sie kostet nicht viel und ist eine glaubwürdige Zeitzeugin des japanischen E-Gitarrenbaus der 1960er-Jahre, die abseits des Mainstream eine richtig gute Figur macht. Einziges Manko ist die Performance des GBD-Vibratosystems in Verbindung mit der TOM-Brücke. Wer gerne die Möglichkeiten eines floating Vibratosystems à la Jazzmaster ausnützen will, muss etwas Geld in Zubehör investieren, um die Stimmstabilität zu erhöhen. Aber dann: Daumen hoch!
PLUS
● Preis-Leistungs-Verhältnis
● Sounds
● Spielbarkeit
● Charme
MINUS
● systembedingte Stimmprobleme des Vibratosystems
(erschienen in Gitarre & Bass 01/2022)
So, so, China liegt also östlich von Japan…. Tja, ich dachte auch, Aria sei eine gute Marke, bis ich die Jet 1 kaufte …
Da hat sich der Fehlerteufel eingeschlichen 😉 Ist korrigiert!