Im Interview

Will Lee: Ein Ami in Europa

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(Bild: Sandrine Lee)

Will Lee ist viel rumgekommen in seinem Leben, hat mit allem was Rang und Namen hat zusammengespielt. Als Bassist ist er weltweit gefragt, als Musiker über jeden Zweifel erhaben. Und so ist seine Diskografie als Sideman inzwischen auch länger als der Flug von Miami nach Bonn, wo er Mitte letzten Jahres ein Album mit Pianist Simon Oslender und Schlagzeuger Wolfgang Haffner einspielte.

Eine gute Gelegenheit, den sympathischen, 69-jährigen King of Groove-Bass zu einem Interview zu treffen.

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Will, die technischen Fragen zuerst: Du hast gerade einen neuen Sadowsky-Bass bekommen, richtig?

Ja. Ich bekomme ständig neue Instrumente von Sadwosky, mit denen ich schon seit bald 40 Jahren verbunden bin. Roger machte sich ja zunächst als Gitarrenbauer in New York einen Namen. Aber auch wir Bassisten brauchten Hilfe. Und wir wussten zunächst nicht, dass Roger mehr konnte als nur unsere Bünde abzurichten. Aber als wir uns dann kennenlernten, habe ich gemerkt, dass Roger jemand ist, der sehr genau auf deine Bedürfnisse eingehen kann. Wenn ich über technische Aspekte spreche, ist das meist recht blumig. Bei mir geht es weniger um Theorie und Zahlen, sondern vielmehr um das Spielgefühl. Und Roger versteht diese Gefühle sehr gut und kann sie in technische Details übersetzen, sodass er dir am Ende ein Produkt präsentieren kann, das genau auf dich und deine Bedürfnisse zugeschnitten ist. Das Resultat sind dann einfach fantastische Instrumente.

Warum denn dann nun wieder ein neuer Bass, wenn du – wie du mehrfach in früheren Interviews gesagt hast – doch schon einen perfekten Sadowsky hast?

Zum einen habe ich einen Großteil der letzten Monate in Frankreich verbracht, deswegen brauchte ich hier in Europa auch ein paar Bässe. Also bekam ich einen Vier- und einen Fünfsaiter sowie einen Fretless-Bass. Aber es ist ja ohnehin so: Jeder Bass ist unterschiedlich, wirklich jeder. Und wenn du sie spielst, lernst du, wo das jeweilige Instrument seine Stärken und Schwächen hat. Und du lernst, damit zu arbeiten und zum Beispiel um die jeweiligen Schwächen auf dem Griffbrett herumzuspielen. Das Verhältnis der Hölzer von Korpus und Hals zu den Pickups kann sich von Instrument zu Instrument sehr unterscheiden. Deswegen hatte ich über die Jahre sehr, sehr viele Sadowsky-Bässe – schließlich gab es ja lange auch kein Will-Lee-Modell. Jetzt habe ich eins, und der Preamp darin hat mehr Möglichkeiten in den Mitten als der in den übrigen Sadowsky-Modellen.

Wie man in einem alten Rig-Rundown sieht, benutzt du jedoch nicht ausschließlich Sadowskys.

Nein. Manchmal brauchst du einfach einen ganz speziellen Charakter. Deswegen spiele ich auch Instrumente von Höfner, Rickenbacker und natürlich Fender.

Themenwechsel: Was hat dich nach Bonn verschlagen?

Ich habe gerade ein unfassbar tolles Projekt abgeschlossen: Aufnahmen für die neue Trio-Platte des 23-jährigen Pianisten Simon Oslender. Es ist ein Projekt, mit dem wir seine Kompositionen spielen. Produziert wurde die Platte von ihm und Wolfgang Haffner. Wolfgang ist ein hervorragender Schlagzeuger, deswegen hatte ich wirklich Glück, dass er mich ausgewählt hat. Es gibt doch so viele andere Bassisten!

Kanntet ihr euch vorher?

Ja, schon lange. Wir haben zusammen mit Chuck Loeb gearbeitet und sind schon ewig eng befreundet. Vielleicht hatte es aber auch damit zu tun, dass ich eben in Frankreich war, und somit die Anreise überschaubar war. Wir haben ja im Hansahaus Studio hier in Bonn aufgenommen, einem fantastischen Studio, das auf der ganzen Welt bekannt ist, vor allem aufgrund der beiden Betreiber und Engineers Klaus Genuit und Manfred Zmarsly. Sie sind wahnsinnig gut. So konnten wir in zwei Tagen zwölf Stücke aufnehmen.

Habt ihr vorher geprobt?

Nicht wirklich, aber Simon hat uns Demo-Aufnahmen und Sheets geschickt, sodass wir die Stücke üben konnten.

Du kannst aber auch ganz gut Blattlesen, oder?

Naja, ich tue so … Während die anderen Musiker bei der Probe schon Witze machen, bin ich meist noch damit beschäftigt, mir die Noten auf meine Weise aufzuschreiben. Aber ich finde Notenlesen faszinierend. Das fing ganz früh an, als ich ein Buch von Carol Kaye in die Finger bekam. Ich wusste ja, wie die Musik klingt, aber dann auch noch zu sehen, wie sie aussieht, hat mich beeindruckt. Auf aufgeschriebene Musik kannst du dich einfach verlassen. Du weißt, wenn du das spielst, was da steht, spielst du auch richtig.

(Bild: Sandrine Lee)

In den meisten Artikeln über dich, wirst du als Jazz-Bassist bezeichnet. Trifft das wirklich auf dich zu?

Absolut nicht! Aber ich liebe es, wenn Rock-Musiker denken, ich wäre Jazzer und Jazz-Musiker denken, ich wäre ein Rock-Bassist. Ich mag es, zwischen den Stühlen zu sein. Und die Bezeichnung für die Musik, die uns E-Bassisten verbindet, ist Groove-Musik. Egal ob Pop, Blues, Jazz oder was auch immer, es geht immer um den Groove. Und Groove kann so vieles sein. Wenn du mit Jazz vertraut bist, dann fühlst du dich auch generell im Zusammenspiel mit anderen Musikern wohl. Denn wenn du genug Jazz gehört hast, dann erkennst du die Interaktion zwischen den Musikern und wie sie sich aufeinander beziehen. Du musst das gar nicht analysieren, dein Körper versteht dieses interaktive Konzept auch so. Dein Körper weiß, was sich gut anfühlt – und das trifft auf jede Art von Musik zu.

Wenn man sich die Namen anschaut, die du selbst für dein Bassspiel als Einflüsse angibst, fällt auf, dass da niemals der Name Jaco Pastorius fällt.

Echt? Naja, vielleicht bin ich etwas zu alt. Heute würde ich sagen, dass er ein Einfluss für mich war und ist. Aber damals, als ich mit dem Bass anfing, war ich noch von Leuten wie Chuck Rainey, James Jamerson, Larry Graham oder Paul McCartney fasziniert. Und das war noch ein paar Jahre vor Jaco. Als er dann auftauchte, stach er natürlich heraus. Und das tut er immer noch. Ich würde so weit gehen zu sagen, dass er der beste Bassist aller Zeiten war, und das sagt viel aus, denn es gibt unzählige beeindruckende Bassisten. Jaco ist sogar besser als Victor Wooten, und der ist meiner Meinung nach der Jaco seiner Generation.

Du hast die Beatles, wie so viele einflussreiche Musiker deiner Generation, zum ersten Mal in der legendären Ed Sullivan Show erlebt. Wo wäre Musik heute, wenn es diesen Auftritt in dieser Show nicht gegeben hätte?

Keine Ahnung. Es ging gar nicht vordergründig um diese Show, denn das Album ‚Meet the Beatles!‘ war ja schon veröffentlicht. Und wenn man das zum ersten Mal gehört hat, dann wirkte das wie Musik von einem anderen Planeten. Und dann konntest du nicht mehr aufhören, dir das anzuhören. Als dann die Show kam und du sie sehen konntest – und all die kreischenden Mädchen – dann dachtest du: „Aha, wenn ich das mache, ist das das Ergebnis. Okay, also mach ich das!“ (lacht) Ich war damals elf Jahre alt, hatte ein Schlagzeug, das ich nicht viel spielte, aber als ich das Close-Up von Ringo Starr sah, wie er die HiHat spielte, war es um mich geschehen. Ich wollte direkt in mein Zimmer und Schlagzeug spielen, aber es war natürlich schon zu spät. Also habe ich am nächsten Morgen zum ersten Mal in meinem Leben einen Groove auf dem Schlagzeug gespielt.

Und dann ging es natürlich irgendwann daran, eine Band zu gründen, was nicht einfach war. Der E-Bass an sich ist ein Instrument, das Kinder nicht so gut verstehen können. Er war relativ neu, es war keine Gitarre, also was sollte man damit anfangen? Schlagzeuger und Gitarristen gab es viele, und ich wusste, dass ich eine Band wollte, die professionell klingt, also übernahm ich den Bass. Gesungen hatte ich schon immer, auch hinterm Schlagzeug, aber ich war überrascht, wie schwer es ist, Bass zu spielen und gleichzeitig zu singen.

War deine Erfahrung mit dem Schlagzeug wichtig für deine heutige Art Bass zu spielen?

Vielleicht. Ich möchte beim Bassspielen immer noch dasselbe Gefühl erzeugen, das ich damals beim Schlagzeugspielen hatte. Deswegen ist mein Stil eher perkussiv, denke ich. Aber auch für das Zusammenspiel mit Schlagzeugern ist es wichtig. Du musst ihren Stil und ihre Persönlichkeit in dein Spiel integrieren. Denn jeder spielt anders, auch wenn es sich um einen Standard-Groove handelt. Darauf musst du eingehen.

Du hast als Session-Bassist mit unzähligen Drummern zusammengearbeitet, und normalerweise sagt man ja, dass eine Rhythm-Section Zeit braucht, um zusammenzuwachsen …

Wenn man als Session-Musiker in New York arbeitet, muss man da schneller sein. (lacht) Aber klar, wenn man sich zum Beispiel eine Band wie The Police anhört, dann gibt es da schon noch einen weiteren Aspekt im Zusammenspiel. Denn Stewart Copeland hat genauso wie Sting eine starke musikalische Persönlichkeit. Da treffen also Element A und Element B aufeinander und müssen lernen miteinander zurechtzukommen und sich anzupassen. Erst dadurch entsteht dann Element C.

Du verwendest mit dem BOSS GT-10B ein Multieffektgerät. Das ist recht ungewöhnlich für einen Bassisten.

Ja, vielleicht, aber die Gigs, die ich zum Beispiel bei der Late Show mit David Letterman spielte, haben das nötig gemacht, weil wir so viele unterschiedliche Genres abdecken mussten. Jeder Song hatte da ein eigenes Patch, was es einfacher macht, die Sounds zu wechseln, als bei einem konventionellen Pedalboard. Und auch bei meiner Beatles-Coverband The Fab Faux brauche ich viele unterschiedliche Basssounds. Da ist es auch psychologisch wichtig, den richtigen Bass mit dem richtigen Sound-Setting zu verwenden.

(Bild: Sandrine Lee)

Du sagst, du hast schon recht früh eigenartige Spieltechniken entwickelt, um das spielen zu können, was du hörst. Was genau meinst du?

Meine Eltern waren Jazz-Fans und auch Jazz-Musiker. Deswegen war der Sound, den ich zunächst am liebsten mochte, der eines Kontrabasses. Aber ich wollte keinen Upright spielen, sondern lieber herausfinden, ob ich diesen Sound auch auf dem E-Bass hinbekomme. Deswegen habe ich dieselbe Technik für mich entwickelt, wie auch Rocco Prestia, bei der du die Saiten nur mit einem Finger greifst und den Rest zum Abdämpfen der anderen Saiten verwendest. Heute verwenden viele Bassisten stattdessen Palm Mute, aber ich wollte immer die größtmögliche Freiheit in meiner rechten Hand haben. Das ist bis heute mein Lieblings-Sound auf dem Bass.

Letzte Frage: Wie ist deine Meinung zum aktuellen Stand des Musik-Business?

Naja, das Songwriting hat sich verändert. Heute geht es häufig darum, wer wie viel Prozent rausbekommt, wenn er mit jemand anderem zusammen schreibt. Und das ist eine sehr unkünstlerische Perspektive, denn dabei geht es nur ums Geld und die eigenen Unsicherheiten. Ich denke aber, ein Großteil des Songwritings findet – abgesehen von diesen schwedischen Fabriken – unter Ausschluss des Geldes statt, weil für die meisten einfach keines da ist. Und das hat auch sein Gutes, denn so kann Kreativität unverfälscht einfach passieren – und das aus ehrlichem, persönlichem Antrieb.

(erschienen in Gitarre & Bass 01/2022)

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