(Bild: Hennies Bizer)
‚Healing Hands‘ heißt das brandneue Album des Hamburger Gitarristen Marcus Deml, das die vierte Phase seiner Karriere markiert. Zuerst war er international ein gefragter Session-Musiker, dann realisierte er zuerst mit Errorhead und danach mit The Blue Poets eigene Bandprojekte. Aber ‚Healing Hands‘ ist tatsächlich sein erstes lupenreines Soloalbum.
INTERVIEW
Marcus, erzähl uns doch zunächst mal, wie sehr Covid dein Leben verändert hat?
Am Freitag, den 13. März 2020 sollten wir in Bielefeld mit den Blue Poets spielen. Am Morgen kam dann die Absage wegen der Pandemie. Ich schob erst mal fünf Minuten Panik, denn mir war klar, dass sich die in den folgenden 15 Monaten anstehenden 40 bis 50 Gigs in Luft auflösen würden. Danach ging ich in mein Studio im Keller und dachte mir: Jetzt mache ich mal, was ich schon mit 15 vorhatte. Bis Weihnachten 2020 schrieb ich ein echtes Gitarren-Album, und 2021 fing ich dann mit dem Mischen an. Wie eigentlich immer in meinem musikalischen Leben, schlitterte ich ohne Absicht in dieses Abenteuer, ließ mich treiben. Ich habe immer ein gewisses Gottvertrauen, dass ich meine Rechnungen bezahlen kann, und in den letzten 30 Jahren ging das auch gut so.
Wie entstehen deine Melodien? Fliegen sie dir einfach zu, machst du das über das Singen oder an der Gitarre?
Sowohl als auch! Die zehn Songs sind die Top 10 der letzten zwei Jahre. Eine der einfachsten Melodien war das Delay-Lick am Anfang von ‚Time Traveler‘, wo ich einfach die Quinten durch die Gegend schiebe. Das spiele ich schon seit fünf Jahren jedes Mal, wenn ich mein Delay ausprobiere. Vor zwei Jahren hatte ich schon einen Song daraus gemacht, für den ich jetzt einen neuen Refrain geschrieben habe. Und da spielte ich zum ersten Mal Slide-Gitarre auf einer Platte. Der Song hat also wohl die längste Geschichte.
Die anderen Songs entstanden aus kleinen Schnipseln der letzten 24 Monate. Manche Songs pfeife ich bei meinem täglichen Spießer-Spaziergang im Wald. Wenn ich ganz viel Glück habe, höre ich etwas mit meinem inneren Ohr wie bei ‚Foggy‘. Da saß ich morgens um sechs auf der Couch, weil ich viel übe, bevor der Büro-Alltag in meiner Plattenfirma beginnt. Draußen sah es aus wie bei einem Fantasy-Film, und ich fing an, das Thema zu spielen. Zuerst ein „AC/DC“-A, dann kamen die Melodie und die Jazz-Chords dazu.
Bei den Blue Poets war ja deine Philosophie, keine 150 Takes aufzunehmen, sondern vielmehr den Augenblick einzufangen. Für die neue Platte aber hast du dir den Luxus erlaubt, auch mal eine Woche an fünf Sekunden zu arbeiten. Hat sich da bei dir was verändert?
Die Wahrheit liegt in der Mitte. Wenn mir was spontan einfällt, mache ich nie mehr als drei bis fünf Takes. Früher, als mich der Computer gefragt hat „Wollen Sie Take 147 wirklich löschen?“, hämmerte ich ein entschlossenes „JAAAA“ in die Tastatur. Das mache ich heute anders. Ich höre mir das Resultat nicht mehr am gleichen Tag an, denn der Autismus, den man im eigenen Studio entwickeln kann, ist natürlich gefährlich. In den letzten 20 Jahren habe ich die Strategie entwickelt, den Künstler vom Produzenten zu trennen. Also spielt der Künstler am Samstag was ein, und am Sonntag kommt der Produzent und sagt: „Das war alles Sch…e, Deml. Mach’s nochmal!“ (lacht)
Wie lief der Prozess dann ab, was kam zuerst?
Ich habe mich der alten Arbeitsweise bedient, die sich schon zu Errorhead-Zeiten etwa beim Album ‚Modern Hippie‘ bewährt hatte. Ich habe zunächst alle Parts selbst eingespielt. Das Ergebnis ist dann eigentlich eine fertige Platte mit einem mittelmäßigen Bassisten, einem grenzwertigen Keyboarder, der alles taktweise einprogrammiert, und einem allerdings sehr aufwendigen Drum-Programming. Die Musiker können dann entweder die vorgegebenen Parts einspielen, oder ihre eigenen Ideen beisteuern. Für diese bei so fantastischen Musikern nicht offen zu sein, wäre keine gute Idee gewesen.
Der Schlagzeuger Ralf Gustke war als erster am Start und hat von jedem Song zwei Versionen geschickt, und eine habe ich dann genommen. Nur bei ‚La Gitana‘, das ich erst mit einem Dance-Beat unterlegt hatte, der dann aber zu „cheesy“ rüberkam, ersetzten wir das alte Arrangement durch einen eher traditionell swingenden Besen-Part. Ich importierte die fertigen Drums, dann war Arnd Geise an der Reihe. Der ist so ein Über-Bassist, er sagte dann: „Ja, ich kann das auch so spielen!“ Ich antwortete: „Das ist viel geiler, ja, bitte!“ Dann kamen die Keyboards und ganz zum Schluss die Klarinette dazu.
Mich interessiert ein spezielles Stück auf der CD: ‚Hammerhead‘ hast du dem Keyboarder und Pianisten Jan Hammer gewidmet. In den Liner-Notes erzählst du, dass dich der Jazzrock der 70er, wie er z.B. von Jeff Beck mit Jan Hammer gespielt wurde, immer noch begeistert.
Meine Lieblingsplatte mit Jan Hammer ist natürlich Billy Cobhams Debüt-Album ‚Spectrum‘ (1973) mit dem unfassbar genialen Gitarristen Tommy Bolin …
der heilige Gral …
… die Bibel! Wir haben damals nach einem Gläschen Wein mit Electric Outlet die Platte ‚On‘ gemacht (2006), weil wir inspiriert waren von ‚Spectrum‘, dieses Album wurde ja komplett live eingespielt.
In zwei Tagen!
Ja, und auf der Platte ist kein einziger Overdub. Ich war ja auch ein seltsames Kind mit Migrationshintergrund und hatte die falschen Freunde. So habe ich schon mit 13 Coltrane und das Mahavishnu Orchestra gehört, wo ja auch Jan Hammer mitspielte. Hier im Studio habe ich noch die ganzen Mahavishnu-Transkriptionen, und wenn ich meine, ich müsste mal was tun außerhalb meiner Komfortzone, dann übe ich John-McLaughlin-Soli. Zu Jan Hammer habe ich die Verbindung, dass er, soweit ich weiß, in Prag auf die Schule meines Vaters gegangen ist. Jan und Jaco Pastorius hätten mich fast von der Gitarre weggebracht. Jacos Spiel auf den Platten von Joni Mitchell hat mich tief berührt, und deshalb ist auch viel Fretless-Bass auf dem neuen Album. ‚Hammerhead‘ hat dieses mixolydische Haupt-Riff, das wirklich ganz stark vom Fusion-Jazz-Rock der 70er-Jahre geprägt ist. Beim Schreiben spielte ich in meiner Fantasie das Stück mit Jan Hammer, in der Realität hat dann Tom Aeschbacher aus der „Schwyz“ meine Lines gedoppelt.
Spannend finde ich, dass ja Jan Hammer mit seinem Moog und dem Pitchbender John McLaughlins pentatonische Bending-Licks und auch dessen Sound imitiert hat. Das hörte dann Jeff Beck und emulierte seinerseits auf der Gitarre Jan Hammers Moog-Sound, eindrucksvoll zu hören auf ‚The Final Peace‘ von seinem Album ‚There And Back‘ (1980).
Ja, das sehe ich ähnlich. Bei Leuten wie Jimmy Page, Jimi Hendrix oder Jeff Beck, die sozusagen das Gitarrenbuch geschrieben haben, wird oft übersehen, dass auch die ihre prägenden Vorbilder hatten. Bei Jeff z.B. höre ich Einflüsse von Jan Hammer, Tommy Bolin und Roy Buchanan. Deshalb hat er seine Version von ‚Cause We’ve Ended As Lovers‘ Roy Buchanan gewidmet. Die genannten Musiker haben die Sprache ihrer Vorbilder durch ihre eigene Persönlichkeit gedreht. Für mich waren die Jazz-Rock-Alben der 70er, Mahavishnu, Return To Forever, Jeff Beck oder Brand X mit dem Album ‚Moroccan Roll‘ (1977) befreite Musik und sind Teil von meiner Persönlichkeit geworden. Die hatten zwar einen gewissen Sportsgeist, waren aber trotzdem auch Kunst-Platten. Und sie hatten klare Kante. Bei den alten Mahavishnu-Scheiben ist so viel Punk drin (lacht), und so viel Dreck! Das Energie-Level ist unfassbar, wie bei einer Heavy-Metal-Band, oder vielmehr, wie viele Metal-Bands gerne sein würden!
(Bild: Hennies Bizer)
Du hast das GIT (Guitar institute of Technology) in Kalifornien besucht. Was hast du aus dieser zeit für dich mitgenommen?
Ich bin kurz vor meinem 20. Geburtstag nach Hollywood gereist. Damals waren alle angesagten Gitarristen am GIT. Das Wichtigste, was ich damals erfahren habe, und was mich heute noch begleitet, war moralische Unterstützung und brutales Lob von berühmten Musikern, was mich sehr motivierte. Der erste war Scott Henderson, dann kam Paul Gilbert, und ich hatte auch mal eine Stunde bei Larry Carlton. Alle gaben mir das Gefühl, dass meine Entscheidung, Profi zu werden, richtig war. Scott sagte zu mir: „You have the best fucking tone of any guy here at GIT, but you can‘t play fusion for shit. You need to play some melodic minor scales.“
Ich weiß nicht, ob sich meine Karriere so entwickelt hätte, wenn ich in Deutschland geblieben wäre. Mit das Wichtigste bei der Kunst ist die Begeisterung für das, was du machst, und die wurde mir in Amerika geschenkt. Am GIT gab es eine Klasse, die „Live Performance“ hieß, und da war Casey Scheuerell, damals der Drummer von Jean-Luc Ponty und Gino Vannelli. Mit ihm habe ich gespielt wie ein Dreijähriger, habe meinen eigenen Song total abgefuckt. Es war schrecklich, und ich kam total deprimiert von der Bühne, wie jeden Mittwoch saßen da 100 Gitarristen und übten, während du spieltest. Danach kam Casey, legte den Arm um mich, und ich dachte, jetzt haut er mir den Kopf weg. Er aber sagte: „Marcus, that guitar solo at the end was one of the best things I’ve ever heard. Thank you so much! But work on that riff part!“
Seither versuche ich, versöhnlicher mit mir selbst umzugehen. Ich beobachte bei vielen guten Musikern, dass die oft frustriert und von sich selbst genervt sind, aber so will ich nicht leben!
Du gibst ja deine Erfahrungen in zahlreichen Clinics weiter. Wo liegt da dein Fokus?
Drei „T“s! Das Deml-Programm besteht aus Tone, Technique und Timing. Du kannst so gut spielen, wie du willst, wenn es nicht gut klingt, hört dir keiner zu. Man muss auch nicht unbedingt einen schönen Ton haben, den man ja mir nachsagt. Aber dein Sound muss Charakter haben. Dabei kannst du auch wie ein Rasiermesser klingen. Bei vielen Mahavishnu-Aufnahmen zum Beispiel hört man jetzt nicht unbedingt einen schönen Ton.
Auf keinen Fall!
Das klingt eher, als hätte man Eric Clapton durch eine Zentrifuge und einen Bit-Crusher gedreht. Aber der Ton hat Charakter! Und Technik besteht nicht nur aus Schnellspielen. Sie macht Musik erst möglich, aber viele Gitarristen haben so eine seltsame Motorik, dass sie ihre Kreativität gar nicht umsetzen können. Unverzichtbar sind rhythmische Basics wie die Pyramide oder Konnakol. Takita, takita ta! Ein wenig Shakti für Anfänger. Wenn wir dann im Workshop mit zehn Teilnehmern und Teilnehmerinnen zusammen diese Tonsilben singen, klingt das manchmal fast wie bei einer Sekte.
Was ich auch vermittle, ist das Üben ohne Instrument. Der Europäer sollte sich manchmal selbst quantisieren. Wer nicht weiß, wo die 4e+e sitzt, wird sie, wenn überhaupt, nur versehentlich treffen. In den ersten zehn Jahren meines musikalischen Werdegangs habe ich auch ganz viele Basics übersehen und mich dann gewundert, warum ich bestimmte Sachen nicht spielen konnte.
Marcus spielt Strat-Style-Gitarren (hier Gregor Guitar “Gold Tone” und Fender) und Marshall, auf dem neuen Album kam aber auch ein Ampete-Two-Amp zum Einsatz. Auf dem Pedalboard: Yamaha UD Stomp Modulation Delay, Tube-Thomsen Kraftwerk, Triplecoil Sweet Elephant Signature Distortion, Custom A/B Switch, Boss DD-3 Delay, MXR Phase 90, TC Electronic PolyTune.
TRANSKRIPTION
Wer sich Marcus Demls Gitarrenspiel nähern will, findet in den Beispielen 1 und 2 Transkriptionen des zentralen mixolydischen Riffs aus ‚Hammerhead‘, eingebunden in verschiedene melodische Umgebungen. Die Arbeit der linken Greifhand und der rechten Anschlagshand sind bis ins kleinste Detail exakt dokumentiert.
(Zum Vergrößern klicken!)
Das Riff ist hörbar inspiriert von der Bassline zu Billy Cobhams ‚Stratus‘. Alle transkribierten Lines hat Marcus mit seiner weißen 1963er Stratocaster eingespielt. Deren Signal ging durch das Sweet Elephant Marcus Deml Signature Overdrive in den Ampete-Two-Amp. Das Buch „Healing Hands – The Guitars“ (erhältlich unter: www.triplecoilmusic.com) zeigt en detail in tollen Bildern alle Gitarren, die auf dem Album zu hören sind. Und begleitend zu den Transkriptionen gibt es hier das Original-Playback vom Album:
(erschienen in Gitarre & Bass 01/2022)