Historisch? Ja. Standard? Nein.

Martin OM-28E Modern Deluxe im Test

Anzeige
(Bild: Dieter Stork)

1929 bestellte der Orchestermusiker Perry Bechtel bei Martin eine Gitarre, die laut genug für eine Bigband sein sollte – der Beginn einer Erfolgsgeschichte.

Die Gitarre sollte eine lange Mensur haben, Stahlsaiten, Halsansatz am 14. Bund, das Format einer Triple-0 und ein Bracing, das sie laut und resonant macht – kurzum, ganz viele Attribute, die alsbald moderner Standard wurden … und es bis heute sind. Die Gitarre sollte Orchestra Model heißen und war dann – 1929 noch ein Einzel-Auftrag – ab 1930 fester Bestandteil des Martin-Katalogs.

Anzeige

Die Namensgebung hat aber auch immer für einige Konfusion gesorgt: Was ist der Unterschied zwischen einem 000-Modell und einem Orchestra Model? Gibt es überhaupt einen?

Anfänglich hießen selbst Dreadnoughts „Orchestra Model D“. Sogar bei unserem Testmodell steht in den Specs: Body Size 000 14-fret. In vollem Umfang lässt sich das hier nicht abhandeln, und Martin verfolgte nie feste Regeln bei der Namensvergabe. Eine 1933er OM ist z. B. absolut identisch mit einer 1934er „000“. Manchmal wurde ein feineres Scalloped Bracing oder eine andere Mensur oder Griffbrettbreite über „OM“ definiert. Tatsache ist: Das Korpusformat ist identisch.

MUT ZUR VARIATION

Ein fast hundert Jahre altes Erfolgsmodell zu modernisieren – das ist ein Spagat zwischen Tradition und Innovation, den man erstmal hinbekommen muss. Öffnet man den stabilen Martin-Koffer, sind die Sinne auf jeden Fall spontan erfreut. Die Gitarre sieht einfach gut aus und ein äußerst angenehmer Duft macht sich breit.

Die Basis dieser OM-28E Modern Deluxe birgt dann auch erst mal keine Überraschungen: Die Decke aus massiver Sitka-Fichte mit Fischgräten-Einfassung und Tortoise-Schlagbrett, Zargen und Boden aus massivem ostindischem Palisander, die Beleistung innen ist ein Scalloped-X-Bracing aus Adirondack-Fichte. Der Mahagonihals ist am 14. Bund angesetzt, das Ebenholzgriffbrett zeigt die typischen Diamonds-&-Squares-Inlays. Alles vom Feinsten, historisch korrekt und auf höchstem Niveau verarbeitet.

Schaut man dann ins Detail, trifft man überall auf moderne Komponenten, die diese Martin zu einer State-of-the-art-Steelstring der 2020er-Jahre machen. Fangen wir mal mit dem Steg an: Er ist aus Ebenholz und besitzt eine Stegeinlage aus Knochen.

Ebenholz-Steg mit Stegeinlage aus Knochen und “Liquidmetal”-Pins (Bild: Dieter Stork)

Die Saiten-Pins sind aus Metall gegossen (Liquidmetal), haben ein gewisses Gewicht und rote Dot-Inlays. Sie machen sich also sowohl optisch als auch klanglich bemerkbar. Der Steg ist innen an der Decke mit einer Platte (Bridgeplate) aus Carbon gekontert, was die Schwingungsübertragung auf die Decke optimieren soll. Diese ist auch nicht einfach aus schnöder Fichte, das Deckenholz wurde einer Prozedur unterzogen (VTS = Vintage Tone System), die Feuchtigkeitsgehalt und Beschaffenheit alter Deckenhölzer reproduziert.

Genauer gesagt: die Spezialisten von Martin haben sich mit dem VTS das Ziel gesetzt, die neuen Decken so zu torrefizieren (von lat. „torrere“ = rösten, dörren), dass sie in ihrer Struktur den Decken verschiedener Epochen (hier die 1930er) angeglichen werden können. Und das, ohne dass das Holz übertrieben eindunkelt, wie das sonst bei derlei Verfahren der Fall ist.

Die Korpuskanten sind nicht mit dem üblichen Kunststoff-Binding in Elfenbein-Look verstärkt, hier kommt Flamed Maple zum Einsatz. Dieses Holz begegnet uns auch noch als Abdeckung des Halsfußes.

Aber der Hals wird ja wohl Standard sein, oder? Mitnichten! Der Halsstellstab ist aus Titanium, was ihn extrem stabil und gleichzeitig super-leicht macht, und die tadellos eingesetzten und polierten Vintage-Bundstäbchen sind goldfarben, was dann wiederum sehr gut zu den ebenfalls güldenen, offenen Waverly-Mechaniken passt, die die Kopfplatte zieren. Das Firmen-Logo, als Pearl-Inlay im Stil der 1930er, komplettiert das Bild.

Goldfarbene Vintage-Bundstäbchen im Ebenholz-Griffbrett (Bild: Dieter Stork)

Eine Steelstring mit dem Wort „Modern“ im Namen hat natürlich auch einen Pickup an Bord. Verbaut wurde das Fishman-Aura-VT-Blend-System, das durch immerhin drei Regler im Schallloch auffällt. Als Klangquelle dient zum einen der Piezo-PU unter der Stegeinlage und zum anderen das Fishman-Aura-Image eines abgenommenen Orchestra-Models. Mit dem Blend-Regler am unteren Ende des Schalllochs lassen sich die beiden Sounds mischen. Bei der 50/50-Stellung in der Mitte des Regelwegs rastet das Rädchen leicht ein. Oben am Schalllochrand sind die üblichen Regler für Volume und Tone. Letzterer fährt von einem linearen Piezo-Klang zu einem Scooped-Sound mit erhöhten Bass- und Treble-Anteilen. Der Klinke-Output ist vom Gurtpin abgekoppelt. Dieser ist nach vorne Richtung Decke versetzt, was für eine gute Sicht auf’s Griffbrett sorgt.

PRAXIS

Dass eine OM bequem auf dem Schoß liegt, ist keine Neuigkeit. Dass sie optimal am Gurt hängt – dafür sorgen die günstig positionierten Gurtpins. Der mattierte Hals liegt bestens in der Hand. Sein V-Profil flacht zu den oberen Bünden hin leicht ab. Das fühlt sich sehr homogen an, wenn man in den Lagen hochgeht. Die durchaus erwachsene Griffbrettbreite von 45 mm am Sattel sorgt für entspanntes Greifen – die fast 58 mm Stringspacing am Steg für zielgenauen Fingerstyle. Die Saitenlage ab Werk ist nicht zu komfortabel, was ungewolltes Schnarren der Saiten, oder auch das Klacken eines Bottlenecks verhindert. Meinen Geschmack trifft das. Wer auf „low action“ steht, muss ein wenig nachjustieren.

Die ersten Akkorde lassen mich mit breitem Grinsen murmeln: „Yo, der Martin-Sound!“ Und das will man ja schließlich auch haben, wenn man deutlich über 5000 Euro investiert. Man kann die Wirkung der einzelnen Komponenten (VTS-Decke, Metall-Pins, Bracing, Bridgeplate, Titanium-Trussrod usw.) nur schwer einordnen, in ihrer Summe sorgen sie aber für einen exquisiten Sound, der in Sachen Fülle, Dynamik, Detailreichtum, Sustain, Lautstärke, Komplexität und Charakter keine Wünsche offenlässt und pure Freude verbreitet. Das klingt auch nicht wie frisch aus dem Karton, sondern eingespielt und abgehangen.

Wenn man sich das Verhältnis zwischen Korpusgröße und Klangausbeute anschaut, verwundert es letztendlich nicht, dass dieses Modell eine fast hundertjährige Erfolgsgeschichte geschrieben hat. Die Bässe sind durchaus kräftig und sonor, die Lautstärke ist „Orchester-tauglich“ – da fehlt wirklich gar nichts. Und der Tragekomfort auf der Bühne ist deutlich höher im Vergleich zu einer Dreadnought.

Zum kompletten Profi-Instrument wird die OM-28E durch das Fishman-Pickup-System. Das klingt hervorragend, und die Beimischung des Aura Image verleiht dem Klang eine luftige Natürlichkeit und Räumlichkeit. Und das ohne erhöhtes Feedback-Risiko, wie man es bei einem internen Mikro in Kauf nehmen müsste. Perfekt!

(Bild: DIETER_STORK)

RESÜMEE

C.F. Martin zeigt hier, dass man nicht gewillt ist, sich auf den eigenen Lorbeeren auszuruhen. In sehr gekonnter Weise werden hier Tradition und moderner Wandel unter einen Hut gebracht. Ja, diese Martin kostet eine ganze Stange Geld – da muss jede/jeder für sich prüfen, ob er/sie überhaupt einen solchen Betrag für eine Gitarre locker machen will und kann. Aber wenn man sich dafür entscheidet: der Gegenwert stimmt. Das hier könnte deine Acoustic für’s Leben sein.

PLUS

  • gelungenes Design mit neuen Akzenten
  • sehr gute Hölzer & Hardware
  • moderne Detaillösungen
  • Verarbeitung, Lackierung, Werkseinstellung
  • Haptik, Bespielbarkeit
  • charakterstarker Martin-OM-Sound, akustisch wie auch elektrisch


(erschienen in Gitarre & Bass 11/2021)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.