Günstige Arbeitstiere, unterschätzte Underdogs, übersehene Youngtimer und vergessene Exoten: In den „Kleinanzeigen Heroes“ stellen wir euch die Geheimtipps des Gebrauchtmarkts vor, die einen maximalen „Bang for the buck“ liefern.
Da läuft einem zufällig eine nette Squier Stratocaster über den Weg und offenbart im Folgenden nicht nur unerwartete Qualitäten, sondern gleichzeitig auch noch eine interessante Geschichte …
In der Kleinanzeige wurde diese Gitarre als eine Stratocaster aus der Classic-Vibe-Serie angepriesen. OK, sicher ein Fehler des Besitzers, denn diese Serie bedient ja bekanntlich nur Fender-Vintage-Designs. Während hier schon die Abkürzungen in der Bezeichnung (FMT = Flamed Maple Top, HSH = zwei Humbucker, ein Singlecoil, CRT = Crimson Red Transparent) nicht gerade für Vintage stehen. Und führt man sich die restlichen Features dieses Modells vor Augen, versteht man die Kategorisierung in die Classic-Vibe-Serie noch weniger. Als da wären:
Locking-Mechaniken
22 (statt 21) Bünde im Medium-Format
9.5“ Griffbrettradius
seidenmatt lackierte Halsrückseite
Flamed-Maple-Decke (Furnier)
Tonerider-Pickups (Korea)
HSH-Pickup-Bestückung
2-Punkt-Tremolosystem
Doch ob Classic Vibe oder nicht – das war mir erstmal egal, denn die Gitarre war schlichtweg gut fürs Geld. Sie wechselte für 200 Euro den Besitzer und ich hatte nun eine vielseitige Strat, die sich für eine Squier ungewöhnlich hochwertig anfühlt. Der Hals mit seinem 60s-C-Profil und leicht verrundeten Griffbrettkanten, die einwandfrei verarbeiteten Sattel, Bünde und Body machten einen richtig guten Eindruck.
Die Elektrik besteht aus kleinen Alpha-Potis und einem soliden 5-Weg-Schalter, den man auch in Fender-USA-Gitarren wiederfindet. Und die Tonerider-Humbucker haben F-Spacing und entsprechen laut Nachfrage beim Hersteller den Tonerider Alnico IV Classics, während der Mittel-Pickup aus dem Fender-Sortiment zu stammen scheint, denn im E-Fach fliegt ein kleiner Aufkleber mit dem Aufdruck STA1N(fender)-WH herum, der auf dem Singlecoil geklebt hat.
Also – für die 200 Euro wird hier schon so viel geboten, dass das alleine sie schon als Kleinanzeigen-Heldin qualifiziert hätte – aber die Geschichte geht ja noch weiter …
DIE KUCKUCKS-STRAT?
Laut Seriennummer und Halsstempel wurde die Gitarre zweifelsfrei Ende 2012 gebaut. In Europa tauchte sie vor allem 2013 in den Angeboten diverser Online-Läden auf. Dennoch findet sich dieses Modell nicht in den ausführlichen Squier-Katalogen von 2012 und 2013, was merkwürdig ist. Beim weiteren Ritt durchs Netz stolpere ich über Einträge in diversen Foren, die Erstaunliches erzählen. Denn laut Aussagen eines Squier-Mitarbeiters sollte diese Gitarre ursprünglich eine mexikanische Modern-Player-Strat werden, aber versehentlich an Squier in China geschickt worden sein.
Dort habe man sie – warum auch immer – in die Classic-Vibe-Serie integriert und in Europa angeboten. Nachdem dieser Fehler entdeckt worden sei, hätte man sofort den Verkauf gestoppt und es gelte als gesichert, dass nur 405 Exemplare dieses Modells in Umlauf gekommen sind …
Zu dieser Geschichte passt, dass alle Features dieser Gitarre und auch Facts wie das 2-Punkt-Tremolo inkl. Bolzenabstand von 52 mm bei der ab 2011 angebotenen Modern-Player-Strat ebenfalls sichtbar sind, während z. B. die Squier-Strats ein anderes 2-Punkt-System mit einem Bolzenabstand von 56 mm aufweisen. Was allerdings nicht zu der Geschichte passt, ist der Hals, denn der unterscheidet sich von der Mexiko-Version z. B. durch die Größe des Trussrod-Zugangs, der verwendeten Trussrod-Schraube, andere Mechaniken sowie natürlich durch das andere Logo. Wurde vielleicht nur der bestückte Body versehentlich nach China geschickt? Zumindest gibt es, soviel ich weiß, von dort keine zweite Squier-Gitarre mit genau den Eigenschaften dieser HSH-Strat, bis auf eine Ausnahme: Das Signature-Modell für den indischen Bollywood-Superstar Ehsaan Noorani, das aber nur in Indien angeboten wurde und nicht in Crimson Red Transparent erhältlich war.
Auf den hundertprozentigen Wahrheitsgehalt dieser Internet-Geschichte würde ich natürlich keinen Eid schwören, aber in der Summe aller Faktoren scheinen zumindest Facetten davon der Realität zu entsprechen Es scheint, dass diese Gitarre tatsächlich eine Art Kuckuck gewesen ist, der in einem Nest ausgebrütet wurde, in das er eigentlich nicht hineingehörte.
PREISE
Eine übliche Classic-Vibe-Stratocaster kann auf dem Gebrauchtmarkt bis zu 300 Euro kosten, je nach Modell auch mal mehr. Allerdings taucht diese Deluxe-HSH-Strat kaum auf den Online-Spielplätzen dieser Welt auf, was bei einer Auflage von 405 Stück wenig verwundert. Begegnet dir dieses Modell jedoch tatsächlich einmal zu einem guten Preis, gilt natürlich absolute Kaufpflicht – wegen der gebotenen Qualität, aber auch wegen ihrer mysteriösen Biografie.
Das ist echt geil