Im Interview

Yngwie Malmsteen: Idealist mit (eigenem) Stil

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Yngwie Malmsteen

Yngwie Malmsteen ist einer der wenigen Gitarrenhelden aus den glorreichen Achtzigern, die ihren grundsätzlichen Stil niemals verändert haben. Während seine Kollegen im Laufe der Jahre und mit zunehmendem Alter variantenreicher, gelassener und spieltechnisch ruhiger wurden, gleicht Malmsteens Stil noch immer einem der Pyrotechnik ähnlichen Spektakel aus Pull-Offs, Hammer-Ons, Picking-Passagen, Skalen, Quintolen oder Arpeggien in Überschallgeschwindigkeit.

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Auch auf seinem neuen Album ‚Parabellum‘ spielt Yngwie Malmsteen eine mit klassischen Zitaten und halsbrecherischen Gimmicks getränkte Metal-Gitarre, die seinen Anhängern wie Gegnern gleichermaßen Tränen in die Augen treibt, aus ganz unterschiedlichen Motiven. Umso mehr, seit der in Miami residierende Schwede vor zwei Jahren auf seinem Cover-Album ‚Blue Lightning‘ plötzlich mit Blues-Nummern und durch den Fleischwolf gedrehten Beatles- und Stones-Songs experimentiert und dafür beileibe nicht nur Lob bekommen hat.

Privat gilt der Mann als freundlich, charmant und zuvorkommend. Beruflich dagegen werden ihm Größenwahn, Eigensinn, Egomanie, eine große Klappe und eine recht eigentümliche Umgangsweise mit seinen Mitmusikern nachgesagt. Vor allem die Sänger seiner Band wurden in Konzerten mit geradezu erschreckender Regelmäßigkeit zur Bedeutungslosigkeit degradiert. Nicht selten dienten sie ihrem Herrn und Meister als reine Stichwortgeber, damit „Ying Yang Malmsteens Dingens Force“ (Spitzname seiner früheren Band Rising Force) ein weiteres Solo in Lichtgeschwindigkeit abfeuern konnte.

Darüber hinaus interessierte auch das Publikum zumeist nur das spektakuläre Spiel des Gitarrenhexers, für den jeweiligen Sänger blieb häufig nur die Rolle eines unbeachteten Statisten. Möglicherweise hat sich der 58-Jährige auch deshalb entschieden, auf ‚Parabellum‘ lediglich vier Songs mit Gesang auszustatten und den Rest der Scheibe mit Instrumentalnummern zu bestücken. Wir haben uns mit dem in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Musiker über die Entstehung der Scheibe unterhalten.

Yngwie, kannst du bitte mal kurz deine ersten Schritte für das neue Album skizzieren?

Gerne! Bis vor etwa 15 Jahren sind meine Alben noch überwiegend aus Songfragmenten und spontanen Ideen entstanden. Ich fertigte einfach rudimentäre Demos an, änderte hier und da ein paar Kleinigkeiten, und ging dann mit dem Zwischenstand in den Proberaum, damit mein jeweiliger Schlagzeuger die richtigen Grooves testen konnte. Direkt anschließend begannen dann im Studio die ersten Aufnahmen, und von dort ging es weiter in ein zweites Studio für die Overdubs.

Als Produzent und Songschreiber bin ich Idealist und war deshalb oft frustriert, wenn ich einige Zeit später feststellen musste, dass man die eine oder andere Sache hätte besser machen können. Damals nahm ich noch auf einer ziemlich alten Studer-Bandmaschine auf. Das änderte sich, als mir vor etwa zehn Jahren mein Toningenieur Pro Tools installierte, mit dem ich seither komponiere. Die Ideen, die ich in Pro Tools aufnehme, werden von mir unzählige Male überprüft, meistens während des Autofahrens. Und nur die stärksten von ihnen werden dann final aufgenommen.

Aufgrund des Corona-Lockdowns war ich ein Jahr zuhause. Ein komplettes Jahr! Ich war die gesamte Zeit über in meinem Studio, habe pausenlos gearbeitet und die Ergebnisse immer und immer wieder überprüft. Dermaßen intensiv an Songs habe ich zuletzt 1985 für mein Album ‚Trilogy‘ gearbeitet, als wir für die Aufnahmen der Scheibe das Studio einen kompletten Monat lang gemietet hatten. So gesehen hatte der Lockdown im vergangenen Jahr auch einen positiven Aspekt, denn so konnte ich diesmal ohne Zeitdruck nach Herzenslust experimentieren, konnte unterschiedliche Tempi testen, die Arrangements prüfen, jeden Stein x-Mal umdrehen. Es war während dieser Zeit wie bei einem Maler, der ein komplettes Jahr an einem neuen Bild arbeitet.

Allerdings kann zu viel Zeit auch kontraproduktiv sein, wenn man die Spontaneität verliert, oder?

Guter Einwand! Deshalb gilt mein Motto: Soli werden grundsätzlich improvisiert, um sie frisch und lebendig zu halten. Mein Privileg ist, dass ich auf den „spirit of the moment“ warten kann und erst dann ein Solo spiele, wenn ich mich wirklich inspiriert fühle. Gleichzeitig bin ich ein sehr selbstkritischer Mensch und weiß genau, dass man Dinge niemals übertreiben darf. Zeit kann zu deinem schlimmsten Feind werden, wenn du sie nicht sinnvoll nutzt.

Und wie vermeidest du dieses Risiko?

Indem ich nur das aufnehme, was sich wirklich gut anfühlt, mich immer voll konzentriert um die richtigen Arrangements und die richtige Reihenfolge der Parts kümmere, und dann alles im Auto mehrmals kontrolliere. Das ist der Luxus von ausreichend Zeit: Man erkennt, was für den betreffenden Song wirklich notwendig ist. Allerdings darf man dabei nicht in die Falle tappen, denn wenn man es übertreibt, tötet es die besten Ideen. Immerhin sprechen wir hier von Kunst und nicht von Sport.

Natürlich ist meine Musik anspruchsvoll, komplex und mitunter schwierig zu verdauen, aber die Emotionen bleiben bei meinen Songs dennoch das wichtigste Kriterium. Die Herausforderung besteht darin, den ehrlichsten und emotionalsten Moment zu erwischen. Das kann mitunter durchaus schwierig sein, ist aber eben nicht unmöglich. Bei meinem Blues-Album vor zwei Jahren war vieles völlig anders als diesmal, denn ich musste lernen, es ruhig und besonnen anzugehen.

Apropos Blues-Album: Was hast du aus deiner Arbeit mit Coversongs für dich als Gitarrist und Komponist lernen können?

Dazu muss ich weit ausholen: Ich bekam mit fünf Jahren meine erste Gitarre und habe mit Sieben angefangen zu spielen. In meiner Familie interessierten sich alle nur für klassische Musik, mein Vater, meine Mutter, meine Onkel und Tanten, meine Geschwister, sie alle hörten am liebsten Klassik. Na ja, und ein bisschen The Monkees, die kannte man aus dem Fernsehen. Meine Mutter besaß exakt ein einziges Blues-Album, nämlich eine Scheibe von John Mayall. Aber genau dieses Album faszinierte mich am allermeisten. Ich bekam Unterricht auf der Flöte und am Klavier, aber das alles interessierte mich nicht.

Was ich damit sagen will: Blues war das Erste, was ich gelernt habe. Dann kamen Deep Purple, also ‚Demon’s Eye‘ oder ‚Lazy‘, und auch Deep Purple sind letztlich eine Bluesband. Deshalb waren sie mir ab einem gewissen Punkt ja auch zu limitiert. Sie orientierten sich damals zu sehr am Blues. Ich dagegen wollte weiter in diese klassische Richtung vordringen, mehr in verminderte Harmonien und ungewöhnliche Tonarten. Irgendwann entdeckte ich ‚Selling England By The Pound‘ von Genesis. Das war natürlich ganz eindeutig kein Blues! Ich entdeckte mir bis dato völlig unbekannte Akkordbewegungen und Tonschritte.

Doch dann hörte ich Paganini und war wie paralysiert. Genau so etwas wollte ich spielen! Niemand auf der ganzen Welt hat mich mehr inspiriert als Vivaldi, Paganini oder Bach. Das vorausgeschickt, komme ich trotzdem zu folgender Schlussfolgerung: Meine frühesten Einflüsse stammen aus dem Blues, obwohl mein Stil, für den ich heute berühmt bin, mehr oder minder eine Reaktion auf die großen Blues-Gitarristen war. Dennoch liebe ich Angus Young, Eric Clapton und Billy Gibbons. Sie mögen mir nachsehen, dass ich mich als Reaktion auf ihre Musik bezeichne.

Als meine Plattenfirma mich fragte, ob ich nicht mal ein Blues-Album machen möchte, war ich sofort Feuer und Flamme. Ich meine: Songs der Rolling Stones oder der Beatles sind wunderbare Kunstwerke. Ich war immer schon fasziniert von der Beatles-Nummer ‚While My Guitar Gently Weeps‘, deshalb war es mir eine besondere Ehre, diesen Song für eine eigene Blues-Scheibe aufnehmen zu können.

Yngwie Malmsteen
Yngwie in seinem Studio-Kontrollraum (Bild: Mark Weiss)

Zurück zu ‚Parabellum‘: Mit welchem Instrumentarium hast du die Scheibe aufgenommen?

Von mir stammen nicht nur alle Gitarren, sondern auch der Bass und – indirekt – auch die Keyboards. Aber fangen wir bei den Gitarren an: Natürlich habe ich überwiegend auf meiner Fender Malmsteen Signature Strat gespielt, die gescalloped ist. Für ein paar Overdubs kamen allerdings auch eine 56er-, eine 59er- und eine 61er-Strat zum Einsatz. Als Amp habe ich selbstverständlich einen Marshall-Head genommen, überwiegend meinen YJM100 Signature. Das alles lief über einen Neve-Preamp in einen 1176- Kompressor von Universal Audio und von dort in mein Fender-Signature-Overdrive-Pedal. Bei einem der Soli kam zusätzlich auch ein Wah-Pedal zum Einsatz, aber das war es dann auch schon.

Yngwie Malmsteen
Die Gitarren mussten im Laufe der Zeit schon Einiges mitmachen. (Bild: Austin Hargrave)

Für die Bassparts habe ich einen SansAmp mit einem MXR-Kompressor, einem Boss-Kompressor und ebenfalls einem Neve-Preamp verwendet. Bei den Bässen handelte es sich um einen Fender Precision und einen Fender Jazz Bass. Die vermeintlichen Keyboard-Sounds stammen übrigens ebenso aus einer Gitarre, in die ich Roland-Synthesizer-Pickups verbaut habe. Wusstest du übrigens, dass ich insgesamt 62 Marshall-Topteile in meinem Kontrollraum stehen habe?

Nein, das wusste ich nicht.

Das Studio wurde von einem berühmten amerikanischen Studio-Designer gebaut. Vom Kontrollraum aus eine Treppe abwärts ist der sogenannte „Room Of Doom“, da stehen 24 Boxen, allesamt 4x12er. Viele davon sind fest mikrofoniert, sodass ich jederzeit loslegen kann, auch dann, wenn gerade kein Toningenieur verfügbar ist. Ich nehme immer mit voller Stadionlautstärke auf, es ist wirklich das perfekte Setup.

In voller Stadionlautstärke? Gilt für dich also immer noch das Manowar-Motto „All men play on 10“?

Für mich gilt: “I play on 11”, hahaha. Die meisten Marshalls, die ich benutze besitzen kein Master-Volume. Deswegen muss man sie bis zur Oberkante aufreißen, damit sie gut klingen. Machst du sie zu leise, klingen sie schrecklich. Ja wirklich, ich spiele immer volle Pulle! Das geht natürlich nur, weil ich mich dabei nicht im „Room Of Doom“, sondern oben im Kontrollraum befinde. Für den Gesang gönne ich mir natürlich einen externen Toningenieur, aber Gitarren und Bässe kann ich auch alleine aufnehmen. Alles ist permanent vorbereitet, ich muss dann nur noch auf den Knopf drücken.

Yngwie Malmsteen
Yngwie bleibt seinem Sound treu: Strat & Marshall. (Bild: Austin Hargrave)

Wie hast du deine Hauptgitarren eingestellt: Bevorzugst du dünne Saiten und eine flache Saitenlage, oder dicke Saiten, um mit deinem Instrument richtig kämpfen zu müssen?

Ich mag es lieber, wenn man mit seiner Gitarre kämpfen muss. Eine Strat kann einfach am meisten aushalten, mit Les Pauls oder einer Semi-Akustik müsste ich wahrscheinlich viel sorgsamer umgehen. Auf der Bühne malträtiere ich meine Instrumente oft sogar dermaßen, dass ich fast bei jedem Song eine neue Gitarre brauche, weil die andere dann zumeist bereits ziemlich abgerockt ist.

Meine Lieblings-Strat ist extrem sperrig eingestellt. Ich benutze kein Locking-System, die Gitarre hat ein stramm eingestelltes Tremolo, extrem tiefe Scallops und sehr dicke Bünde. Die Saitenlage ist extrem hoch, so dass andere Musiker, die die Gitarre sehen, immer lachen und mich fragen: „Kann man darauf auch spielen?“ Doch für mich ist diese Strat das am leichtesten zu spielende Instrument. Natürlich brauchte auch ich Jahre, um sie in den Griff zu bekommen. Allein sie in Stimmung zu halten, ist ein Kunststück.

Danke, Yngwie, für das nette Gespräch, alles Gute und viel Erfolg für und mit ‚Parabellum‘!

(erschienen in Gitarre & Bass 08/2021)

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