Im Interview

Newton Faulkner: Doppelleben

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(Bild: Stevie Kyle)

Man muss gleich mehrmals genau hinhören, um glauben zu können, dass das, was sich auf dem neuen Album ‚Interference Of Light‘ abspielt, tatsächlich aus der Feder (und den Fingern) des britischen Fingerstyle-Gitarristen Newton Faulkner stammt.

Denn seine neue Scheibe hat nur wenig von einem reinen Singer/Songwriter-Werk, sondern erweist sich als clever produzierte Rock/Pop-Scheibe mit modernen Sounds und aufwändiger Instrumentierung. Gründe genug, den 36-Jährigen Fingerakrobaten zu kontaktieren und ihn zu seiner eigentlichen Kernkompetenz, aber auch zu den aktuellen Ambitionen zu befragen.

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Newton, unter Musikern bist du vor allem durch deinen ungewöhnlichen Fingerpicking-Style bekannt geworden. Den vermisst man auf deinem neuesten Album ‚Interference Of Light‘ ein wenig. Hat dieser Stil für dich an Bedeutung verloren?

Nein, überhaupt nicht. Der Acoustic-Fingerstyle ist das, womit bei mir alles begann. Ich spielte Gitarre, sang dazu und komponierte meine ersten eigenen Songs. Aber ich hatte das Gefühl, dass die drei für mich wichtigsten Komponenten nicht auf dem gleichen Niveau sind, also Gitarre spielen, singen und komponieren. Ich hatte immer Joni Mitchell vor Augen oder auch John Mayer, bei denen diese drei Komponenten in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Aber Mitchell und Mayer sind die Ausnahme, bei anderen Künstlern findet man eine dermaßen perfekte Balance nur äußerst selten.

Auf meinem vierten Album (‚Studio Zoo‘, Anm. d. Verf.) klang mir einiges noch zu unausgewogen, deshalb war mein großes Ziel, mich nach Album Nummer 5 (‚Human Love‘) stärker auch mit der Produktionsseite zu beschäftigen, also mit dem Engineering, mit mehr Instrumenten, anderen Tunings, mit innovativen Techniken, und wie man all dieses in ein homogenes Gleichgewicht bringt.

Das Erstaunliche war: Mit jedem weiteren neuen Instrument, das ich der Produktion hinzufügte, jedem für mich bislang ungewöhnlichen Tuning, schienen alle meine bisherigen Ideen aus dem Fenster zu fliegen. Ich lernte neue Skalen kennen, was mir ausgesprochen gut gefiel, und mit allem, was ich neu ausprobierte, wurde ich immer ein Stückchen besser. Ich merkte, dass sich durch meinen sukzessiven Erfahrungsgewinn das Resultat in allen Bereichen verbesserte. Und natürlich sind auch die Gitarrenparts für mich immer wieder eine besondere Herausforderung, aber sie stehen derzeit nicht mehr allein im Vordergrund. Denn für meine aktuelle Studioproduktion spielt der Fingerpicking-Style keine so dominante Rolle wie bei meinen Konzerten.

Dies gilt für dein neuestes Album ‚Interference Of Light‘ also ganz generell?

Exakt. Plus der Vorteil, dass ich in diesem Fall sehr viel mehr Zeit zur Verfügung hatte. Plötzlich schienen sich endlos viele Möglichkeiten zu eröffnen, mit denen ich zuvor niemals gerechnet hätte. Ich schaute mir auf YouTube an, wie man mit Pro Tools arbeitet, wie man Synthesizer einsetzt, ich wollte alles so genau wie möglich wissen und lernen. Ich schaute mir an, wie man wirklich professionell Schlagzeug spielt, und nicht nur so rudimentär wie ich bis dato. Und ich übte tagelang Bass zu einem Metronom, um ein besseres Timing zu bekommen. Das alles hat sehr lange gedauert, bis ich mit den Resultaten zufrieden war. Zumal: Je stärker ich mich verbesserte, umso mehr wollte ich dazulernen.

Das bedeutet: Auf ‚Interference Of Light‘ hast du nicht nur alles komplett alleine eingespielt, sondern das Album auch engineered und produziert?

Nun, direkt vor dem Lockdown waren ein paar Gäste involviert, doch als dann all die Beschränkungen kamen, habe ich mich komplett alleine durchgeschlagen und sämtliche Instrumente eigenhändig gespielt. Alles in allem lebte ich zwei komplette Jahre zurückgezogen in meinem kleinen Studio, fast wie ein Eremit (lacht).

Was war dabei die größte Herausforderung? Das Songwriting oder die Produktion?

Die Produktion war sicherlich die größere Herausforderung, weil sie neu für mich war. Und da ich ständig etwas Neues dazulernen konnte, veränderte sich die Produktion im Laufe der Zeit ziemlich drastisch. Ich lernte von dem, was ich im Netz recherchieren konnte, beispielsweise wie man die perfekte EQ-Einstellung findet, wie man Kompressoren richtig einsetzt. Ich schaute anderen Toningenieuren bei ihrer Arbeit zu und lernte daraus, wie ich es bei meinen eigenen Songs machen musste. Ganz ehrlich: Ich verliebte mich geradezu ins Editieren, ins Recording, darin, möglichst viele verschiedene Spuren übereinander zu schichten. Ich fand heraus, welche Tonarten miteinander harmonieren, welche Frequenzen zueinander passen. Aber, um auf deine Frage zurückzukommen: Die allergrößte Herausforderung war der Gesang. Und weißt du weshalb?

Bitte erkläre es mir!

Weil man für den Gesang eine bestimmte Stimmung, eine bestimmte Tageszeit benötigt. Man kann morgens um sechs eine Gitarre in die Hand nehmen und etwas aufnehmen. Man kann morgens um sechs auch Schlagzeug oder Bass spielen. Aber man kann nicht sofort nach dem Aufstehen direkt singen. Wenn du noch müde bist – oder abends erschöpft – kannst du nicht singen. Ich habe sowieso eine etwas merkwürdige Beziehung zu meiner Stimme und bin mit meinem Gesang nur äußerst selten wirklich zufrieden. Aber auf ‚Interference Of Light‘ sind mir einige Vocals gelungen, mit denen ich sehr glücklich bin. Ich glaube, so abwechslungsreich und tiefgründig habe ich noch nie zuvor geklungen.

Hatten deine zunehmend größer werdenden Kenntnisse als Toningenieur und Produzent auch Einfluss auf dein Songwriting?

Ja, absolut! Normalerweise schreibe ich meine Songs für die Live-Situation, nicht für eine Albumproduktion. Für gewöhnlich entstehen 90 Prozent meiner Kompositionen im Rahmen von Soundchecks. Denn während der Soundchecks bin ich in der perfekten Situation, um Ideen auszuprobieren: Es ist laut, alles notwendige Equipment ist vorhanden, man hat Blickkontakt zu einigen Menschen, die bereits anwesend sind, und bekommt einen vagen Eindruck davon, was diese Menschen von der Idee halten. Doch bei ‚Interference Of Light‘ war die Situation eine andere, diesmal war es ein gezielt aufs Album ausgerichtetes Songwriting. Wann immer ich eine Idee für einen neuen Song hatte, war sofort auch der Gedanke da, wie man sie möglichst gut im Studio umsetzen könnte. So etwas war bei mir in dieser Form vorher noch nie dagewesen.

Da du so viel über Gesang und Produktion sprichst: Ist die Gitarre überhaupt noch dein Hauptinstrument? Immerhin spielst du auf ‚Interference Of Light‘ auch Klavier, Bass und Schlagzeug.

Ja, das stimmt, aber Bass, Schlagzeug und Keyboards beherrsche ich nur bis zu einem gewissen Grad. Mein Hauptinstrument ist und bleibt die Gitarre. Natürlich spiele ich schon seit Jahren auch Klavier auf der Bühne, und meine Beobachtung ist, dass ich von Jahr zu Jahr zunehmend besser werde. Trotzdem nötigt mir der Einsatz des Klaviers in meinen Konzerten jedes Mal aufs Neue einen gehörigen Respekt ab. Bei Schlagzeug und Percussions sind meine Fähigkeiten ebenfalls eher begrenzt, aber mit Hilfe eines Metronoms funktioniert es einigermaßen.

Außerdem habe ich in den zurückliegenden Monaten unendlich viele Stunden damit verbracht, mich am Schlagzeug zu verbessern, was mir auch gelungen ist. In meinen Konzerten arbeite ich mit einem Programm, um Keyboards, Loop-Stations, Schlagzeug und so weiter in das Set zu integrieren. Eine enorme Hilfe ist neben meinem Pedalboard mit einem Headrush-Looper auch das Boss SY-1000, mit dem ich in meinen Konzerten mehrere Gitarrenschichten übereinander legen kann. Das SY-1000 hat drei Synth-Einheiten an Bord, die parallel genutzt werden können. Dies hat mir das Live-Spielen deutlich erleichtert.

Inwiefern?

Nun, früher musste ich auf der Bühne immer Multitasking machen, weil es in meinen Songs ja durchaus auch komplizierte Polyrhythmen gibt. Im Publikum verstand natürlich niemand, wo für mich die Schwierigkeiten lagen, weil ich das meiste Zeugs mit den Füßen bedient habe, was wiederum im Publikum kaum jemand sehen konnte. Das Hauptproblem dabei: Der Gesang litt darunter, weil ich mich zu sehr auf die Bodenarbeit konzentrieren musste. Aber der Gesang ist nun einmal das Allerwichtigste. Und mit Hilfe des SY-1000 kann ich mich nun sehr viel besser auf meine Stimme konzentrieren.

Ich habe auf Facebook gesehen, dass eine deiner Hauptgitarren von Nick Benjamin stammt.

Das ist richtig. Hör dir einmal den Song ‚It‘s Getting Late‘ an, da spiele ich die Gitarre von Nick. Es gibt auf Facebook auch ein langes, sehr interessantes Gespräch zwischen mir und ihm. Sollte man sich unbedingt einmal anschauen!

Stimmt es, dass du immer noch über einen VOX AC15 spielst?

Ja, auch das ist richtig. Der Vox ist einfach perfekt für mich, vor allem in Verbindung mit meiner Nick-Benjamin-Gitarre. In dieser Kombination entsteht unheimlich viel Druck, obwohl ich die Saiten eigentlich vergleichsweise sanft anschlage. Dies hängt allerdings auch damit zusammen, dass ich das Tuning mittlerweile von D auf C geändert habe und auf der tiefsten Saite mit sehr dicken 0.70er-Saiten spiele. Das ist zwar ausgesprochen mühsam, da sich die Saiten kaum noch dehnen lassen, aber es passt zu den Pickups und klingt wunderbar kraftvoll.

(Bild: Stevie Kyle)

Welche Saiten spielst du am liebsten?

Ich spiele bereits seit über 15 Jahren mit Elixir-Saiten und bin rundum zufrieden. Am liebsten benutze ich die Phosphor-Bronzesaiten mit Nanoweb-Beschichtung.

Lassen sich trotz der aufwändigen Produktion von ‚Interference Of Light‘ sämtliche neuen Stücke auch auf der Bühne umsetzen?

Eine gute und berechtigte Frage, und meine Antwort lautet: vermutlich nicht. Jedenfalls nicht in der knapp bemessenen Zeit bis zu meinen ersten Shows fürs neue Album. Bei ‚Killing Time‘ beispielsweise erscheint es mir ziemlich unwahrscheinlich, bis zu den ersten Shows ein passendes Setup zu programmieren. Möglicherweise ist dies mit dem neuen Equipment, also dem SY-1000 und dem Headrush-Looper in meinem Pedalboard möglich. Aber da meine ersten Shows bereits sehr bald stattfinden, ist die Chance nicht allzu groß. Was aber nicht allzu schlimm ist, denn mein Publikum möchte sowieso auch die älteren Songs hören, es wird also eine ausgewogene Mischung aus bekannten und einigen brandneuen Stücken geben.

Letzte Frage: Zeigt ‚Interference Of Light‘  den musikalischen Weg, den du zukünftig weitergehen willst, also weniger Fingerstyle, dafür mehr richtige Studioproduktionen mit vielen Instrumenten?

Einen wirklich langfristigen Plan gibt es da nicht, aber klar ist: Das nächste Album wird vermutlich einem ähnlichen Konzept folgen wie ‚Interference Of Light‘. Anschließend plane ich allerdings auch wieder mal ein Album nur mit Akustikgitarre und Mikrofon. Der Spaß liegt in der Abwechslung, so habe ich es in der Vergangenheit gehalten, und so wird es wohl auch zukünftig sein.

Danke, Newton, für das nette Gespräch, und alles Gute für die Zukunft!

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