Spätestens bei der ersten Aufnahme wird man mit der Frage konfrontiert werden, welches Kabel überhaupt in das Interface gesteckt werden muss. Direkt aus der Gitarre oder vielleicht doch mit dem Pedalboard davor? Aber wie nimmt man denn den Amp mit auf? Der hat doch auch einen Klinkenausgang.
Anzeige
An dieser Stelle ein wichtiger Hinweis:
Niemals den Lautsprecherausgang des Amps direkt mit dem Interface verbinden!
Gerade bei Röhrenverstärkern bedeutet das den sicheren Tod von wahrscheinlich beiden beteiligten Geräten. Nachdem das geklärt wäre, können wir uns mit der eigentlichen Thematik befassen.
Grundsätzlich gibt es hier kein richtig oder falsch, das Ergebnis muss stimmen und wie man zu diesem kommt, interessiert am Ende niemanden mehr. Allerdings gibt es Herangehensweisen, die schneller oder unkomplizierter zu einem ordentlichen Ergebnis führen als andere.
DIREKT IN DEN RECHNER
Allen voran steht die Aufnahme des nackten DI-Signals, bei der das Instrument einfach mit einem Hi-Z Eingang des Interfaces verbunden wird. Wer möchte, der schaltet noch eine hochwertige DI-Box, einen Preamp oder hochwertigen Kompressor zur Färbung und Aufwertung des Klanges dazwischen. Gerade bei Bässen ist die DI-Aufnahme sehr beliebt, da in vielen Fällen eine leichte Nachbearbeitung in Form von EQ und Kompression schon ausreicht, um das Signal an einen Mix anzupassen. Mit dem nackten Klang einer Gitarre können jedoch die wenigsten etwas anfangen, daher ist hier deutlich extremere Nachbearbeitung notwendig, die aber natürlich auch bei Bässen angewandt werden kann.
Um dem DI-Signal mehr Leben einzuhauchen, soll irgendwie der Klang eines Verstärkers darauf übertragen werden, und dazu gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten, wobei die Anwendung von Amp-Simulationen die populärste und unkomplizierteste darstellt. Wer nun an rote, bohnenförmige Geräte oder mehr oder weniger gut klingende Übungs-Combos denkt, ist zwar nicht ganz auf der falschen Spur, braucht sich aber keine Sorgen zu machen.
Dank immer stärker werdender Prozessoren und Computer, ist es den Entwicklern möglich, um ein Vielfaches komplexere und hörbar verbesserte Algorithmen verwenden zu können. Tatsächlich haben moderne Modeling-Plattformen, wie z. B. Axe FX, Kemper oder Helix bereits Einzug in viele professionelle Produktionen und Studios gehalten.
Die zuletzt genannte, Helix, wird vom Hersteller Line 6 unter der Bezeichnung Helix Native auch als reine Softwarelösung angeboten. Sie stellt eine professionelle All-in-one-Lösung zur Bearbeitung von Gitarren- und Bass-Sounds dar und ist meine erste Empfehlung für diese Art Software. Dank der gut strukturierten Oberfläche ist es kinderleicht, schnell zu guten Ergebnissen zu kommen. Auch aufwendigere Signalketten können durch einfaches Ziehen der Elemente auf dem Raster realisiert werden. Durch eine stetig wachsende Auswahl an Effekten und Verstärkern kann wirklich jede Stilrichtung abgedeckt werden.
Das Plug-in ist zwar nicht ganz günstig, wird für Besitzer einer Helix Hardware jedoch stark vergünstigt und teilweise auch mit bestimmten Interfaces als Bundle angeboten. Einen ganz ähnlich Ansatz verfolgen z. B. auch Bias-FX und Bias-Amp des Herstellers Positive Grid. Anders als bei Helix Native sind die vollständige Auswahl an Effekten und Verstärkern nicht Inhalt eines Plug-ins, sondern auf zwei aufgeteilt, die sich ergänzen. Zusätzlich gibt es noch weitere Plug-ins aus der Bias-Serie, die sich z. B. mit dem Entwurf einzelner Pedale befassen. Ähnlich wie bei einigen DAW gibt es jeweils unterschiedlich teure Versionen, die sich in ihren Inhalten unterscheiden.
Mit TH-U bietet auch Overloud eine Komplettlösung an, die sich aufgrund des Mangels an Bass-Amps jedoch mehr an Gitarristen richtet. Es gibt jedoch ein Bass-Pack, in dem einige Profiles, ähnlich wie beim Kemper enthalten sind. Genau wie Bias wird TH-U auch als App für iOS und iPad angeboten, was sicherlich für einige interessant sein dürfte. Wer nicht das Komplettpaket kaufen möchte, wird vielleicht beim Hersteller Nembrini fündig, der hochwertige Modelle verschiedenster Verstärker und Effekte anbietet, die meisten davon als eigenes Plug-in.
Auch IKMultimedia und Native Instruments bieten mit Amplitube bzw. Guitar Rig jeweils hochwertige Softwarelösungen mit beinahe schon (verdientem) Kultstatus. Recht neu dabei, aber sehr erfolgreich ist der finnische Hersteller NeuralDSP, welcher mittelgroße Suiten für Gitarre und Bass gleichermaßen anbietet. Darin sind jeweils ein paar Verstärkermodelle und eine Lautsprechersektion enthalten. Teilweise kommen obendrauf noch einige ausgewählte Effekte. Außerhalb härterer Genres begegnet man diesen Plug-ins noch mit Skepsis, in meinen Augen jedoch völlig unbegründet, denn inzwischen ist die Auswahl groß genug, um so ziemlich jede Stilrichtung authentisch darstellen zu können.
Je nachdem, mit welcher DAW gearbeitet wird, bieten sich zum Ausprobieren auch die teilweise integrierten Lösungen an. Programme wie Cubase, Studio One oder Logic Pro bieten von Haus aus ein Repertoire an Verstärker- und Effektsimulationen für Gitarre und Bass an. Generell gilt bei Simulationen das gleiche, wie bei echten Amps: Der Lautsprecher hat einen maßgeblichen Einfluss auf den Sound.
Dementsprechend ist beim Arbeiten mit digitalen Rigs die Qualität der Lautsprechersimulationen entscheidend. Sollten die Ergebnisse einmal nicht sofort überzeugen, kann eine hochwertige Impulsantwort (IR), also der „Fingerabdruck“ einer mikrofonierten (!) Box, oft Abhilfe schaffen. Empfehlenswert sind z. B. die IRs von 3Sigma Audio, Redwirez, Ownhammer oder Lancaster Audio. Teilweise gibt es auch kostenlose Zusammenstellungen einiger Boxen, die für den Anfang meist schon ausreichen.
REAMPING
Natürlich muss man nicht alles im Rechner machen. Per Reamping ist es möglich, das aufgenommene Gitarrensignal wieder an das analoge Verstärkersetup zu senden und dieses erneut aufzunehmen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Gemäß dem Falle, dass der perfekte Take aufgenommen wurde, kann dieser jetzt in Schleife abgespielt und währenddessen am Klang des echten Verstärkers geschraubt werden. Zum Aufnehmen wird dann einfach eine neue Spur eingerichtet, die aufgenommen wird, während das DI-Signal über den Verstärker läuft.
Für diese Technik ist eine Reamping-Box notwendig, die das niederohmige und recht pegelstarke Line Signal des Interfaces wieder in die Verhältnisse eines passiven Gitarrensignals bringt. Wer ein bisschen mit dem Lötkolben basteln möchte, kann diese Funktion durch das „Umdrehen“ einer passiven DI-Box und dem Hinzufügen eines Lautstärkereglers erreichen. Ist man weniger darauf aus, sich auf sein handwerkliches Geschick zu verlassen, gibt es zum Glück auch bereits fertige, professionelle Produkte, die diese Funktion erfüllen. Palmer oder Radial zum Beispiel bieten zu diesem Zweck kleine Kisten an, die sowohl die Aufgabe der Impedanz- als auch Pegelanpassung übernehmen. Ist diese technische Hürde überwunden, geht es auch schon direkt zum nächsten Thema, denn ob das Signal live eingespielt wird oder per Reamping aus der DAW kommt, spielt beim Aufnehmen des Verstärkers keine Rolle.
AMP AUFNEHMEN
Das klassische Studioszenario von Verstärker, Box und diversen Mikrofonen stellt wahrscheinlich sowohl die erste Assoziation als auch den Wunsch der meisten Musiker dar. Da Verstärker bzw. die Lautsprecher jedoch die unpraktische Angewohnheit haben, auch in der Nachbarswohnung noch gehört zu werden, bietet sich das leider nicht überall an. Zwar gibt es Möglichkeiten, diese Problematik einigermaßen gut zu lösen, zum Beispiel über in mehr oder weniger schalldichten Holzkisten montierte Lautsprecher, sogenannten Isocabs, allerdings sorgen auch diese nicht für die Stille, die man in Mehrfamilienhäusern eigentlich bräuchte. Wer aber die Möglichkeit hat, den Verstärker auf ohrenschmeichelnde Lautstärken aufzudrehen, sollte sich ruhig mal in der Mikrofonierung seiner Box versuchen.
Die Basics sind einfach: Mikro vor die Box, Kabel vom Mikro ins Interface, ggfs. mit Mikropreamp davor, fertig. Spannend wird es jetzt allerdings bei der genauen Positionierung des Mikros. Sowohl Distanz, Winkel als auch die X/Y Position des Mikros haben dramatische Auswirkungen auf den Klang. Bei den Einflüssen des Raums fange ich gar nicht erst an. Bei der Verwendung von mehreren Mikrofonen muss zusätzlich noch darauf geachtet werden, dass sich die Signale durch die Phasenlage nicht auslöschen, gerade am Bass kann dies zu starken Verlusten im Bassbereich führen. Für den Anfang sollte man es also vielleicht bei einem Mikro belassen.
Bild: Shure
Der Klassiker für Gitarre: das SM57 von Shure
Bild: Sennheiser
Klingt an Bass und Gitarre gleichermaßen gut: das Sennheiser MD421
Mit so etwas wie einem Shure SM57 oder Sennheiser E 906 macht man absolut nichts verkehrt und hat einen guten Einstieg in ein weites Feld, das schon so einige Bücher wie auch Gesprächsrunden gefüllt hat. Für den Bass bietet sich als potenter Allrounder z.B. ein AKG D112 an.
Etwas unkomplizierter, und vor allem lautlos ist die Verwendung einer Loadbox. Das ist ein Gerät, das die Amp-Leistung aufnimmt und entweder zusätzlich zum Lautsprecher oder anstelle dessen an den Amp angeschlossen wird. Etwas aufwendigere Geräte bestehen nicht nur aus einer Hand voll Hochlastwiderstände, sondern besitzen, genau wie echte Lautsprecher, eine komplexe Last, die Wechselwirkungen mit dem Ausgang eines Verstärkers eingeht und sich genauso verhält wie ein Lautsprecher. Nur eben mit dem Unterschied, dass die ganze Verstärkerleistung in Wärme umgewandelt und buchstäblich verbraten wird.
So lassen sich Röhrenverstärker auch stark ausfahren, ohne große Lautstärken erzeugen zu müssen, ganz analog. Damit dies auch genutzt werden kann, besitzen diese Geräte einen Line-Out, der einfach ans Interface angeschlossen werden kann. Je nach Gerät erhält man so den Sound direkt aus dem Amp oder aus einer Boxensimulation, die Teil der Loadbox ist. Je nach Gerät kann diese Simulation sehr simpel oder sehr aufwendig ausgeführt sein.
Das Captor-X aus dem Hause TwoNotes beispielsweise stellt dem Nutzer eine beeindruckende Software zur virtuellen Mikrofonierung virtueller Boxen sowie Reverb und EQ zur Verfügung. Somit lässt sich aus der Kombination Amp+Loadbox ein absolut professioneller Sound realisieren. Auch um 1 Uhr nachts in einem WG-Zimmer, wenn notwendig. Sind die integrierten Boxensimulationen nicht zufriedenstellend oder gar nicht erst vorhanden, kommen wir wieder zum Thema Plug-ins. Über IR-Loader oder spezielle Cabsim-Plug-ins lässt sich das „nackte“ Signal aus der Loadbox dann in der DAW abrunden. Interessant sind an dieser Stelle auch Verstärker, wie beispielweise der Revv G20 bzw. D20, die eine solche Loadbox mitsamt digitaler Boxensimulation bereits integriert haben. Sowohl für live wie auch im Studio ist das enorm praktisch, denn es kann einfach ein XLR-Kabel an den Line Out angeschlossen werden und fertig ist die Laube.
TIPPS
Sollte die Entscheidung für eine Methode nun noch schwerfallen, kann ich zwei wertvolle Tipps mitgeben:
Durch Interfaces mit mehr als einem Kanal lassen sich die Methoden auch kombinieren. Ich empfehle, wann immer möglich, auch eine „nackte“ DI-Spur mit aufzunehmen. Viele DI-Boxen haben einen Thru-Out zum Splitten des Signals. Dadurch kann gleichzeitig ein trockenes Signal an den Rechner geschickt werden sowie eins an den Amp. Selbst, wenn die DI-Spur hinterher keine Verwendung findet, erleichtert sie durch eindeutigere Wellenformen das Editieren (also Schneiden) in der DAW deutlich. Am Bass kann eine zum Mikrofon zusätzliche DI-Spur sowohl mehr Bassdruck als auch Lebendigkeit in den Klang zurückbringen.
Nicht zu viele Gedanken machen. Der Artikel ist zwar lang und die Möglichkeiten mannigfaltig, aber am Ende muss man einfach irgendwo anfangen und ausprobieren. Klingt komisch, ist aber so.
Schaut erst einmal nach, was alles an Gerätschaften vorhanden ist. Es müssen ja nicht sofort Geräte für höhere drei- oder vierstellige Beträge eingekauft werden. Beim Aufnehmen gibt es zwar viele sinnvolle Richtlinien, aber kaum ein „falsch“, und genau wie beim Musizieren macht Übung auch hier den Meister.