(Bild: Udo Pipper)
Seit circa 20 Jahren erobert eine neue Technik den Lautsprecher-Markt. Die Rede ist von Neodym-Magneten, die aufgrund ihrer enormen Stärke bei gleichzeitig geringem Gewicht hohe Leistungen bei kleinsten Abmessungen bieten.
Ich kann mich noch gut an einen Workshop zu diesem Thema bei einem großen Lautsprecher-Hersteller erinnern. Dort gab man mir am Konferenztisch einen kleinen Metallbarren, während mir gegenüber etwa zwei Meter entfernt der grinsende Firmenchef saß und einen kleinen Neodym-Magneten mit dem Finger festhielt. Nach einer eindringlichen Vorwarnung ließ er den Magneten los, worauf dieser wie eine Pistolenkugel zu mir herübersauste und mit einem heftigen Schlag auf meinen Metallbarren stieß. Der Auffordung, den Magneten wieder vom Metall zu trennen, konnte ich nicht nachkommen, denn der klebte so fest daran, dass das völlig unmöglich schien.
Mit dieser eindrucksvollen Demonstration sollte ein neues Lautsprecher-Zeitalter eingeläutet werden. Von nun an konnte man auch den kleinsten Lautsprechern in Kopfhörern, Autotüren, schmalsten Klangsäulen und natürlich sämtlichen Smart-Geräten enorme Leistungsreserven bescheren. Auch Gitarrenlautsprecher waren bald an der Reihe, denn hier war es vor allem das Gewicht, das zu verführerisch leichten Combo-Amps führte. Neodym-Lautsprecher wiegen im Schnitt nur ein Drittel eines herkömmlichen Lautsprechers mit Ferrit-Magnet.
Lange Zeit begegneten viele Musiker dieser neuen Technik jedoch mit Skepsis. Vor allem, weil kaum jemand die Gelegenheit fand, einen Neodym-Lautsprecher zu hören. Die Industrie baute auch weiter auf Alnico- und Ferrit-Systeme, die in erster Linie ihren historischen Vorbildern und damit ganz bestimmten Klangvorstellungen nacheifern sollten.
Diese Zeit scheint nun vorüber. Immer mehr Verstärkerhersteller öffnen sich dieser Technik, auch weil die Musiker begleitend mit Modeling- und Digitaltechnik offenbar keine Berührungsängste mehr zeigen. So baut etwa Fender in die neue Tone-Master-Amp-Serie ausschließlich Neodym-Lautsprecher ein. Der Deluxe Reverb aus dieser Serie wiegt damit gerade mal 11 kg.
Gegenüber der Herstellung solcher Seltenen-Erde-Metalle äußerte ein Kollege von mir schon vor einigen Jahren Bedenken, denn dabei werden allerlei umweltbelastende Giftstoffe frei, die nur noch schwer abbaubar sind. Lieferant solcher Rohstoffe ist vor allem China (über 90 Prozent des Weltmarktes von circa 20.000 Tonnen), wo das Umweltbewusstsein bekanntlich vergleichsweise bescheiden ausgeprägt ist. So gesehen müssten wir dann eigentlich alle Rohstoffe aus dieser Region verteufeln oder gar nicht erst importieren. Auch in sämtlichen Computern, Tablets und Smartphones stecken solche Problemrohstoffe, die so gar nicht zu unseren Klima- und Umweltzielen passen wollen. Und dennoch nutzen wir alle solche Materialien. Wie so oft haben neue Technologien auch ihre Kehrseiten.
Für unseren Test haben wir vier Modelle ausgesucht (fünf weitere Typen hat Ebo Wagner in G&B 09/2017 getestet), jeweils zwei von Jensen und Celestion. Darunter den CELESTION NEO V-TYPE, den enorm leistungsfähigen CELESTION NEO 250 COPPERBACK, einen JENSEN NEO TORNADO STEALTH 80 aus der Jet-Serie sowie den JENSEN N12K, der von Fender serienmäßig in dem bereits erwähnten Deluxe Reverb Tonemaster verbaut wird.
Diese kleine Auswahl erwies sich im Nachhinein als äußerst repräsentativ, denn sie zeigt sämtliche Eigenschaften dieser Speaker-Klasse quasi im Überblick. Allen gemein ist tatsächlich das überraschend geringe Gewicht dieser Lautsprecher, obwohl sie mit üppigen Leistungen von 70 bis sogar 250 Watt aufwarten.
Darüber hinaus konnte ich eine weitere Gemeinsamkeit beim Test ausmachen: Es scheint einen stets wiedererkennbaren Neodym-Charakter zu geben, der diesen Speakern zu eigen ist. Sie klingen allesamt etwas klarer, dynamischer und ein wenig ziselierter, sprich frischer und heller als Lautsprecher mit Keramik- oder Alnico-Magneten. Man könnte sagen, ihnen haftet etwas „HiFireskes“ an. Und daran muss man sich wirklich erst einmal gewönnen.
Genau wie bei allen anderen Speakern trifft das vor allem dann zu, wenn man sie driekt aus dem Karton zum Hörtest fordert. Hier kann es schon mal recht „schneidend“ oder „harsch“ zugehen. Jedoch schon nach wenigen Minuten unter Last geben sie diesen prominenten Hochton wieder ab und entwickeln sich blitzschnell auch in allen anderen Frequenzbereichen im Test deutlich schneller als man das von anderen Lautsprechern kennt. Man sollte daher nicht zu schnell urteilen, sondern diesen Speakern ein klein wenig Einspielzeit gönnen.
Gestest habe ich mit meiner uralten, geschlossenen GEM-Referenz-Box sowie in einer rückseitig offenen Marshall 1974 1×12-Box.
CELESTION NEO V-TYPE
(Bild: Udo Pipper)
Dieser 70-Watt-Lautsprecher ist wie die meisten Neodym-Modelle auch mit Keramik-Magnet erhältlich. Er ist mit nur 1,7 kg der mit Abstand leichteste Kandidat. Seinen Sound ordnet man sofort im typisch britischen Rock-Lager an. Zunächst präsentiert er sich wie alle Neo-Modelle etwas sperrig und nasal. Nach kurzer Einspielzeit entwickeln sich jedoch auch die Bässe und tiefen Mitten, ganz so, als würde man am Amp die Regler für diese Frequenzen aufdrehen. Im Vergleich zu Celestions G12 70 oder G12 75 klingt er aber etwas komprimierter und geschmeidiger als die Keramik-Kollegen. Der Ton ist nie aufdringlich oder zu stringent, sondern eher breitbandig und fett.
Natürlich entfaltet er seine Stärken vor allem im Overdrive-Betrieb, den man ohne Klangverluste bis zu heftigem Metal-Sound steigern kann, ohne dass der Lautsprecher unangenehm schreit. Wie alle Celestions hat er diesen typischen Höcker in den hohen Mitten, ohne den er aber auch keineswegs „britisch“ klingen würde. Aufgrund der Geschmeidigkeit ist er recht geduldig, was die Ansteuerung mit Pedalen angeht. Mittenbetonte Tube-Screamer-Sounds steckt er genauso gut weg wie einen Treblebooster. Er hat einfach genug Saft in den tiefen Registern, um auch hier zu überzeugen.
Was ihm Neodym-typisch ein wenig abgeht, ist dieses „Organische“ in der Bauchnote oder nennen wir es mal diesen AC/DC-mäßigen Holzton. Das fällt jedoch erst auf, wenn man auf den G12 70 oder einen alten Vintage 30 umschaltet, wo die Mitten noch fetter und prägnanter sind. Insgesamt ein überzeugender Speaker mit britischer Note, der sogar im Verbund eine 4×12-Box zum Leichtgewicht machen könnte. Die Anschaffung empfiehlt sich so auch hier vor allem für den Musiker, der seinen Rücken schonen möchte.
CELESTION N250 COPPERBACK
(Bild: Udo Pipper)
Dieser Lautsprecher wurde von Celestion als Pendant zum berühmten Electro-Voice 12L entwickelt. Diese sind so schwer, dass sich kaum noch jemand diese Rückenbrecher antun möchte. Man stelle sich nur einmal vor, dass Gary Moore lange Zeit seine 4×12-Boxen mit EV 12L bestückt haben soll. Der Ton dieser Lautsprcher ist deshalb so legendär, weil sie ähnlich wie die alten JBLs einen recht linearen Frequenzgang aufweisen und daher auch in der Front-Of-House-Beschallung zum Einsatz kamen.
Scheinbar grenzenlose Stabilität und Headroom zählen zu den beliebtesten Eigenschaften dieser Speaker. Und genau hier setzt der Copperback an. Im ersten Eindruck klingt er deutlich schlanker und heller als der Neo V, aber dafür unbeirrbar linear und stabil. Im fehlt dieser Celestion-typische Mittenhöcker, dafür hat er extrem knackige und schlanke Bässe und einen ausgeprägt klaren Hochton. Da mulmt im Tiefton rein gar nichts mehr, auch bei problematischen Gitarren. Er wirkt mit seinen 250 Watt nicht lauter als die Mitbewerber, sondern einfach nur klarer und neutraler.
Eingebettet in ein saftigrockiges Playback hat er genug Durchsetzungskraft, die das Rock-Riff nicht im allgemeinen Getöse verschleiert, sondern stets prägnant und fest im Vordergrund hält. Mit 2,2 kg ist auch dieses Kraftpaket überraschend leicht, und ich kann es immer noch kaum glauben, dass man da so viel Leistung zur Verfügung hat. Das ist schon erstaunlich.
JENSEN N12K
(Bild: Udo Pipper)
Dieser Lautsprecher ist schlicht und einfach das 100-Watt-Pendant zum bereits sehr bekannten C12K, den Fender seit Jahren in vielen Combos einsetzt. Da ich noch einen C12K zum Vergleich hier hatte, konnte ich mich davon überzeugen, dass der N12K beinahe eine exakte Kopie dieses Lautsprechers ist, nur wiederum mit viel geringerem Gewicht. Einzig in der eingangs beschriebenen Hochtonauflösung ist dieser Lautsprecher ganz leicht vom Keramik-Modell zu unterscheiden.
Ansonsten gleichen sich diese Lautsprecher wie ein Ei dem anderen. Ein ganz leichtes Zurücknehmen des Treble-Reglers genügt, um sie praktisch identisch klingen zu lassen. Das ist natürlich für Fans dieses Sounds eine gute Nachricht, denn es gibt eigentlich keinen Grund mehr, ein Keramik-Modell zu kaufen. Der Kombo wird deutlich leichter bei nahezu gleichem Sound. In meinen Augen ein echter Fortschritt.
JENSEN NEO 12/80 TORNADO STEALTH
(Bild: Udo Pipper)
Dieser aus der Jet-Serie stammende Lautsprecher entspricht von der Abstimmung her in etwa dem AlNiCoBlackbird-100, jedoch hier nur mit 80 Watt. Sein Sound ist offen, mild und etwas scooped in den Mitten. Er liefert perfekt typische Fender-Sounds in sehr ausgeglichener Abbildung und sogar mit etwas milderen Höhen als das AlNiCo-Pendant. In den Bässen ist er rund und extrem stabil und in den Mitten genau richtig für alle Pedale aus der Tube-Screamer-Familie.
Mal ehrlich, der Sound dieses Speakers hat mich wirklich umgehauen. Man kann am Amp damit kaum noch eine Einstellung finden, die unangenehm klingt. Und diese angesprochenen „HiFiresken“ Hochton-Eigenschaften verhelfen hier sogar zu einer Art feinem Glanz, der bei den AlNiCo-Modellen zwar etwas tiefer angelegt ist, dadurch aber oft auch etwas unangehmer und „nagelnder“ klingen kann.
Er tönt so gutmütig, dass auch preiswertere Gitarren mit etwas „einfacheren“ Pickups richtig gut klingen können. Der Ton ist immer irgendwie federnd und dreidimensional. Daher ist dieser Lautsprecher nicht nur ein leichtgewichtiges Pendant zu einem schon länger erhältlichen AlNiCo-Lautsprecher, sondern tatsächlich ein ganz eigenes Produkt mit einem extrem vielfältigen Einsatzgebiet. Jazz, Blues, Rock – alles will damit gelingen, und zwar auf Anhieb! Daher gebührt vor allem diesem Lautsprecher meine dringende Empfehlung. Er eignet sich hervorragend dafür, sich mit dem Thema Neodym anzufreunden, denn hier kann man einfach nicht falsch liegen.
(erschienen in Gitarre & Bass 08/2021)