Der breiten Öffentlichkeit ist Myles Kennedy vor allem als glänzender Sänger und charismatischer Frontmann von Bands wie Alter Bridge oder Slash And The Conspirators bekannt. Dabei ist der Amerikaner auch – und eigentlich sogar zuvorderst – ein überragender Gitarrist, dessen glänzende Fingertechnik und große Geschmackssicherheit über jeden Zweifel erhaben sind und möglicherweise nur deshalb nicht bereits für mehr Furore gesorgt haben, da ihm mit Mark Tremonti (Alter Bridge) und Slash zwei ikonische Gitarrenhelden zur Seite bzw. Saite stehen.
Um dieses vermeintliche Mauerblümchendasein zu verändern hat der 51-Jährige im März 2018 ein vielbeachtetes Unplugged-Werk namens ‚Year Of The Tiger‘ veröffentlicht und sich seinerzeit auch als hervorragender Songwriter geoutet. Nun folgt das elektrisch verstärkte Pendant mit dem Titel ‚The Ides Of March‘. Was es zu diesem Album zu sagen gibt und wie seine bisherige Entwicklung als Gitarrist verlaufen ist, schildert uns Kennedy in einem ausführlichen Gespräch.
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Myles, zeigt dich dein neues Album verglichen mit dem Unplugged-Vorgänger ‚Year Of The Tiger‘ nun von einer ganz anderen und nicht nur härteren Seite?
Für mich ist ‚The Ides Of March‘ wie die andere Seite der gleichen Medaille. Es ist eine Kombination aus am Blues orientierter Rockmusik mit Elementen von Country, Folk und akustischen Instrumenten. Die Liebe zu dieser Art Musik steckte schon immer in mir, und sie fand vor drei Jahren mit ‚Year Of The Tiger‘ ihren ersten Ausdruck. Im Unterschied zu meinem ersten Soloalben ist ‚The Ides Of March‘ noch ein wenig mutiger. Ich hatte diesmal keine Angst vor Gitarrensoli, und auch nicht vor härteren Riffs.
Betrachtest du dich selbst eigentlich vornehmlich als Sänger oder als Gitarrist? Oder denkst du sogar in übergreifenden Singer/Songwriter-Dimensionen?
Aufgewachsen bin ich als reiner Gitarrist, zum Sänger wurde ich erst später. Ich erinnere mich noch gut an einen Gitarrenwettbewerb in meiner Heimatstadt Spokane, als ich so circa 20 war. Zunächst wollte ich eigentlich nicht daran teilnehmen, doch alle meine Freunde ermutigten mich, sodass ich mich schließlich anmeldete. Und was soll ich sagen? Es lief für mich ausgesprochen gut, und bei der anschließenden Feier mit meinen Freunden und massenhaft Pizza erklärte ich zum Abschied des Abends: „Von nun an möchte ich nicht nur Gitarrist sein, sondern ein allumfassender Songwriter werden!“ Und genau dieses Ziel verfolge ich seither. Mit der Zeit entwickelte sich mein Songwriting kontinuierlich weiter, und mit ‚The Ides Of March‘ bekommt man nun eine Art aktuelle Zusammenfassung, was daraus geworden ist.
Wer waren eigentlich die Idole deiner Jugend?
Da muss ich nicht lange nachdenken: Zu Beginn waren es vor allem Jimmy Page und Eddie Van Halen. Dann lernte ich in Spokane einen Gitarrenlehrer namens Joe Brasch kennen, der mittlerweile einer meiner besten Freunde ist und von dem ich unfassbar viel gelernt habe. Anschließend hatte ich eine Phase, in der ich total auf Jazz und Fusion stand und vor allem Pat Metheny und Mike Stern verehrt habe. Dann entdeckte ich Danny Gatton. Sein 1991er Album ‚88 Elmira St.‘ hat mich umgehauen. All diese Musiker liebe ich auch heute noch, aber natürlich habe ich mich persönlich weiterentwickelt und meinen Musikgeschmack breiter aufgestellt.
Gab es Phasen in deinem Leben als Musiker, die dich besonders geprägt haben?
Jede Phase einer Karriere macht einen zu dem, was man ist, aber besonders prägend waren für mich die Jahre, als ich in Spokane als Session-Musiker gearbeitet habe. Ich war hungrig auf Musik und wollte mich unbedingt als Berufsmusiker etablieren. Also nahm ich jeden Job an, der mir angeboten wurde. Eigentlich wollte ich nach Berkeley oder nach Los Angeles ans GIT, um Gitarre zu studieren. Dann traf ich einen Kollegen, der in Berkeley eingeschrieben war und sagte: „Im Grunde genommen machst du es genau richtig: Du spielst so viel du kannst, du unterrichtest, machst Session-Arbeit, du musst nicht noch zusätzlich an einer Hochschule studieren.“ Er hatte Recht, zumal man heutzutage über YouTube usw. alles findet, was man braucht, um sich weiterzuentwickeln.
Apropos: Wie hat sich dein Songwriting entwickelt? Und wie viel hat es noch mit deinen allerersten Gehversuchen als Komponist zu tun?
Ich habe den Eindruck, dass ich mit ‚The Ides Of March‘ einen großen Kreis geschlossen habe und zu meinen Wurzeln zurückgekehrt bin. Zu Beginn meiner Laufbahn in den frühen 90ern grassierte in Seattle – und somit auch in Spokane – das Grunge-Fieber. Jeder wollte diese Musik machen, alle standen auf Grunge. Ich dagegen wollte immer schon mein eigenes Ding durchziehen. Ich liebe R&B, ich mag Tower Of Power, Stevie Wonder, Marvin Gaye, Sly And The Family Stone. Das alles findet man jetzt auch auf ‚The Ides Of March‘ wieder. Ich bin ein riesiger Fan von Nile Rodgers, seinen Einfluss hört man bisweilen sogar bei meinen Songs für Alter Bridge.
Unterscheidet sich dein Songwriting bei den Alben von Alter Bridge, denen von Slash And The Conspirators und deinen Soloscheiben signifikant?
Na ja, als signifikant würde ich es nicht bezeichnen, aber natürlich variiert mein Songwriting von Projekt zu Projekt ein wenig. Deshalb war es mir ja auch so wichtig, ein neues Soloalbum aufzunehmen, um nämlich genau das machen zu können, was in den anderen Projekten nicht möglich ist. Ich bin mit Led Zeppelin aufgewachsen, ich liebe ihre heavy Riffs, die keltischen Einflüsse, ihre akustische Seite, dieses eng verzahnte Zusammenspiel unterschiedlicher Einflüsse. Genau das war auch mein Ziel mit ‚The Ides Of March‘. Ich bezeichne das Album mit seinem Stamm, seinen Ästen und Zweigen als „sonic tree“. Man findet meine Liebe zum Blues, zum Country, aber auch zum Singer/ Songwriter-Genre.
Mein Lieblings-Zeppelin-Album ist übrigens ‚Led Zeppelin III‘.
Sehr interessant! ‚Led Zeppelin III‘ ist auch meine Lieblingsscheibe der Band. Hör dir nur einmal die Nummer ‚Friends‘ an, wie viel Tiefgang, Dunkelheit aber auch Kraft der Song hat.
Ich schwöre vor allem auf die Led-Zeppelin-Version des Traditionals ‚Gallows Pole‘.
Ja, das ist ein echter Klassiker! ‚Led Zeppelin III’ ist randvoll mit solch wunderbaren Momenten.
Kannst du dich noch an deine allererste Gitarre erinnern?
Und ob! Es war eine Ibanez Destroyer DT 250, die ein wenig so aussah wie die späteren Dean-Dimebag-Darrel-Signature-Modelle. Ich sparte jeden Dollar, den ich mir beim Säubern von Pferdeställen und -koppeln verdienen konnte, und als ich nach neun Monaten das Geld zusammen hatte, rannte ich sofort los, um mir die Gitarre zu kaufen. Es war leider nur eine kurze Romanze, denn die Ibanez wurde mir wenig später gestohlen. Danach besaß ich für einige Jahre eine Fender Stratocaster, um mir anschließend eine Telecaster zuzulegen. Die überwiegende Zeit meiner Karriere habe ich Telecaster gespielt, denn Teles sind simpel aufgebaut, vergleichsweise einfach zu bedienen, und man kann alles damit spielen, was man möchte.
Telecasters sind im Grunde genommen die Gitarren für jede Gelegenheit. Ich habe ab einem gewissen Punkt sogar damit begonnen, meinen Gesang auf den Sound einer Telecaster auszurichten, um diesen durchsetzungskräftigen Klang zu nutzen. Doch noch einmal kurz zurück zu der gestohlenen Ibanez DT 250: Mehr als zehn Jahre lang suchte ich im Internet und überall dort, wo es Sinn machte, nach einer neuen DT 250, die in punkto Optik und Klang an die meiner ersten Gitarre heranreicht. Und soll ich dir etwas verraten? Vor kurzem habe ich tatsächlich eine gefunden und sie gekauft. Sie war zwar ein wenig verbastelt, der Vorbesitzer hatte ein paar Metallplatten draufgeschraubt. Aber ich habe sie entfernt, die Löcher ausgebessert und besitze jetzt wieder eine DT, wie ich sie aus meiner Jugend kannte.
Welches war dein erster Verstärker?
Als ich 15 Jahre alt war kaufte ich mir einen Peavey Audition 20, einen kleinen Übungsverstärker. Er steht übrigens immer noch in meinem Keller, ich habe ihn nie weggegeben. Er hatte eine Menge Verzerrung, war also perfekt für einen jungen Metal-Head wie ich es war. Später legte ich mir einen 1983er Mesa/Boogie Mark II C+ zu, auch den besitze ich noch immer und spiele ihn häufig.
Worauf achtest du heute besonders, wenn du neue Gitarren testest oder dir welche kaufst?
Vor allem auf den Hals. Der entscheidet, ob man sich mit einer Gitarre wohlfühlt. Ich liebe 1952er Telecaster, zusammen mit den 59er Gibson Les Pauls sind sie für mich der Heilige Gral der Gitarren. Die meisten Tele-Spieler bevorzugen ja die 53er, weil sie einen etwas dünneren Hals haben. Ich aber mag es, wenn man mit einer Gitarre kämpfen muss. Ich habe meine Tele natürlich auch auf meinem neuen Soloalbum gespielt. Bei der Wahl einer Gitarre ist der Hals zwar ganz entscheidend, aber natürlich ist der Sound das wichtigste Kriterium einer guten Gitarre.
Kannst du kurz die Signalkette erklären, mit der du ‚The Ides Of March‘ eingespielt hast?
Die Signalkette war denkbar simpel: einfach nur Gitarre, Kabel, Verstärker, nichts weiter. Plug-Ins kamen nicht zum Einsatz, ich stehe auf traditionelle Röhren-Amps.
Welche Amps waren es konkret auf dem Album?
Bei den meisten Songs habe ich einen 1958er Fender Deluxe gespielt. Eigentlich bin ich ja ein Diezel-Typ und spiele bei Alter Bridge fast ausnahmslos einen Diezel Schmidt. Der Schmidt ist auch auf ‚The Ides Of March‘ vereinzelt zum Einsatz gekommen, der Großteil der Stücke wurde allerdings – wie gesagt – mit einem Fender Deluxe aufgenommen. Darüber hinaus habe ich auch einen 1974er Marshall-Combo eingesetzt. Meistens haben wir die Sounds vom Fender und vom Marshall jeweils links und rechts im Sound-Spektrum platziert, sodass man sie beim Hören auseinanderhalten kann. Für die Lap-Steel-Gitarre habe ich eine Art Dumble-Amp eingesetzt. Die Lap Steel ist eine 1954er Fender mit Singlecoils, weshalb der Sound etwas dünn ist und man einen kräftigen Amp braucht, der ordentlich was reißt.
Wie lange hast du im Studio mit deinem Produzenten Michael „Elvis“ Baskette für die jeweiligen Soundchecks der Gitarren benötigt?
Nicht allzu lange. Elvis ist unfassbar schnell und weiß immer ganz genau, wonach er sucht. Bei ihm muss man sich keine Sorgen machen, dass der Sound am Ende nicht stimmt. Man kann ihn bei der Suche nach der besten Mikrofonposition auch durchaus mal für ein paar Stunden alleine lassen. Er beißt sich an dieser Aufgabe geradezu fest, und wenn man dann nach einiger Zeit wieder ins Studio zurückkommt, hat er den perfekten Sound meistens bereits gefunden.
Und wie lange haben dann die Aufnahmen der Gitarrenparts gedauert?
Alles in allem dürften es knapp zwei Wochen gewesen sein. Das Einspielen der Gitarren ist immer mein größter Spaß, auf den ich mich total freue. Natürlich mag ich auch den Moment, wenn es mit den Gesängen losgeht, aber Gitarrenaufnahmen sind für mich noch mal ein ganz besonderes Highlight.
Könntest du eigentlich benennen, was du als Gitarrist aus deiner Zusammenarbeit mit Mark Tremonti bei Alter Bridge und mit Slash bei den Conspirators gelernt hast? Inwieweit haben die beiden dein Spiel und deine Einstellung zur Gitarre beeinflusst?
Das Tolle an Mark Tremonti ist, dass er sich selbst auch heute noch als Student der Gitarre betrachtet und ständig auf der Suche nach guten Licks und Riffs ist. Er ist total hungrig und wissbegierig, was für mich wiederum ungemein inspirierend ist. Mich beeindruckt immer wieder, wie groß Marks Neugier nach neuen Aspekten und Möglichkeiten des Gitarrespielens ist. Bei Slash ist es vor allem seine unglaubliche Leidenschaft für die Gitarre als Instrument, die mich begeistert, denn ich bin hinsichtlich meiner Gitarren ebenfalls sehr leidenschaftlich. Du kannst jeden großen Musiker fragen, was ihn am Musikmachen am meisten begeistert und kaum einer wird dir antworten, dass es die Reisen, die Konzerte, der Ruhm sind, sondern dass es die Gitarre als Instrument an sich ist. Ich liebe seit meinem 15. Lebensjahr Gitarren, und an dieser Zuneigung hat sich bis heute nichts geändert. Gitarren sind für mich wie die Luft zum Atmen.
Letzte Frage: Was hast du von ‚The Ides Of March‘ lernen können, was dir in Zukunft möglicherweise helfen wird?
Ich habe tatsächlich eine sehr wichtige Lektion gelernt: Traue deinem Instinkt und verlasse dich darauf, dass dich deine erste Reaktion oder dein erster Eindruck niemals trügt. Dadurch, dass ich die Scheibe komplett alleine geschrieben habe und die Songs niemandem vorspielen konnte, musste ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen. Und ich finde es großartig, wie gut das funktioniert hat. Zukünftig weiß ich deswegen, dass ich nicht ängstlich sein muss, wenn es um meine Songideen geht. Das ist eine tolle Erfahrung, von der ich zukünftig sicherlich noch oft profitieren werde.