Treffen sich ein springendes Wildschwein, vier KT88 mit Multi-Color-Beleuchtung und ein Metronom in einer Bar – sagt das Wildschwein zur KT88 … So oder zumindest so ähnlich beginnen viele Witze, aber ist der RX-100-Combo von Rennsau Amplification mit dem saumarkanten Look einfach nur ein witziges Spielzeug oder ein hochgradig professionelles Arbeitsgerät?
Betrachtet man nämlich sachlich, was man hier für einen durchaus sehr günstigen Preis angeboten bekommt, bleibt einem das Lachen über das Markenlogo auf dem Frontgrill gehörig im Halse stecken.
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KONZEPT
Der RX-100-2x12er-Combo ist ein völlig neuartiges und eigenständiges Design von Benjamin John – seines Zeichens Inhaber der Firma Rennsau Amplification – das viele der Ideen, die es so ähnlich bereits bei Amps oder Multieffekten gibt, aufgreift: Ein dreikanaliger 100-Watt-Vollröhrenverstärker mit schaltbarem Einschleifweg, Noisegates und Boost wird mit zusätzlichem Metronom und Stimmgerät sowie einem Multifunktions-Floorboard kombiniert. Der Verstärker selber bietet vom speziellen Rennschwein-Look auf dem Frontbespannstoff und der Multi-Color-Beleuchtung, die je nach Kanal grün, blau oder rot leuchtet oder mehrfarbig im Takt des Metronoms blinkt, einige Konstruktionsmerkmale, die ihn stark von typischen Gitarrenverstärkern großer Hersteller unterscheiden.
Gut gemeint, aber wirklich ungewöhnlich, sind vier kleine Metallgriffe an den beiden oberen und auch unteren Gehäusekannten. Leider sind aber eben diese Griffe sehr kompakt und schneiden beim Anheben des 36 Kilogramm schweren Combos ganz ordentlich in die Handflächen und ich bin froh darüber, dass dem RX-100 hochwertige und leichtgängige Rollen zum Transport spendiert wurden. Zudem frage ich mich, wann und wie die beiden an der Unterseite angebrachten Griffe genutzt werden sollen. Zugegeben, beim Treppensteigen oder Abladen von erhöhten Bühnen auf den Club-Boden könnte diese Konstruktion tatsächlich echte Vorteile bieten.
(Bild: Dieter Stork)
Die Frontseite des RX-100 sieht ausgesprochen übersichtlich aus, denn hier gibt es neben den drei typischen Kanalzügen mit Vorstufen-Gain, Volume-Regler und dreibandigem Equalizer nur noch Master-Volume und Presence sowie den Instrumenteneingang. Auffällig und vielleicht erstmal etwas unglücklich gewählt, sind die merkwürdigen Beschriftungen der Potentiometer des Verstärkers. Hier liest man zum Beispiel „Prä“ für den Gainsteller und „Härte“ für den Presence-Regler.
Die Rückseite des Amps bietet neben den Lautsprechausgängen mit wahlweise 4, 8 oder 16 Ohm Impedanz auch Optionen für die Kanalumschaltung des Amps. Sowohl einen Midi-Eingang, als auch einen analogen Stereoklinken-Eingang und eine in ihrer hier genutzen Funktion von Rennsau patentierte Tour.Loc-Multi-Pin-Buchse auf der Basis eines zehnpoligen Neutrik-Steckers stehen hier zur Wahl.
(Bild: Dieter Stork)
Das mitgelieferte Tour.Loc-Kabel ist drei Meter lang. Es wurde bis zu einer Länge von 10 Metern auf Funktion getestet und der Kunde kann bei Bestellung seine Wunschlänge angeben. Vielleicht wäre es gut, immer ein Ersatzkabel dabeizuhaben, weil, wenn das hier beim Gig mal nicht funktioniert, ist es schwer bis unmöglich, auf die Schnelle an Ersatz zu kommen. Die durchaus gute Idee, mit diesem Multi-Pin-Kabel einen Mehrzweck-Fußschalter zu verbinden, ist das relevante und clevere Alleinstellungsmerkmal des RX100-Combos, denn die wohl interessantesten Ausstattungsmerkmale liefert der mitgelieferte SX-1 Footswitch mit seinem Touch-Display und den drei Fußtastern zur Kanalwahl. Im SX-1 befinden sich auch die Send/Return-Buchsen des Verstärkers, und zudem liefert der Fußschalter noch 12-Volt-Gleichstrom an Effektgeräte, die an diese Buchsen angeschlossen werden.
12 Volt werden von vielen Multi-Netzteilen als Eingangsspannung verlangt, wenn man aber nur ein Pedal befeuern möchte, kann der Kunde auch eine 9-Volt-Option eingebaut bekommen. Die Idee, ein Inferface mit Touchdisplay so in einen Fußschalter einzubauen, ist nicht ganz neu, wurde aber selten so konsequent und gut umgesetzt, wie bei unserem Testkandidaten. Im Display des Fußschalters lassen sich diverse Untermenüs aufrufen, zum Beispiel zum Aktivieren des Stimmgerätes, des 15-Dezibel-Boosts, der pro Kanal regelbaren Noisegates, sowie des Einschleifwegs oder Metronoms. Auch eine Feinabstimmung der Kanäle mit virtuellen „sharp“/„smooth“-Schaltern oder eine Bias-Messung der vier Endstufenröhren lassen sich hier vornehmen.
Die Menüführung ist ausgesprochen übersichtlich, sodass ein Blick in die Bedienungsanleitung nicht wirklich notwendig ist.
PRAXIS
Nach dem Aktivieren des Rennsau RX-100 durch den rückseitigen Power-Schalter am Amp muss man sich zunächst 36 Sekunden gedulden, denn der Standby-Betrieb der Endstufe wird, wie viele andere Funktionen des Verstärkers, vom Footswitch des SX-1 aktiviert. Während dieses Countdowns kann man am Fußschalter durchaus das eingebaute und gut funktionierende Stimmgerät aktivieren und die Wartezeit sinnvoll nutzen. Und falls man es eilig hat, kann man den Standby sogar manuell am Touchdisplay umlegen um den Countdown abzubrechen.
Sollte jedoch in einer Live-Situation ein kurzer Stromausfall den Amp deaktivieren, bedeutet diese gut gemeinte Funktion allerdings auch, dass man einen Kniefall vor Publikum hinlegen müsste, um schnellstmöglich weiterspielen zu können. Die drei Kanäle des RX-100 klingen tatsächlich sehr ähnlich, und das ist grundsätzlich eher positiv als negativ zu sehen, denn somit ergibt sich beim Kanalwechsel kein allzu drastischer Kontrast und das Signal behält den gleichen Raum im Band-Gefüge. Sowohl im Clean-, als auch im Crunch-Kanal lassen sich mit Humbuckern ebenso wie mit Singlecoils unverzerrte, aber auch auch voll verzerrte Einstellungen finden und mit der „sharp“- oder „smooth“-Klangvariation jeweils passend für das eigene Hörempfinden einstellen.
Der zuschaltbare 15-dB-Boost und die generellen Gain-Reserven des Lead-Kanals sorgen nicht nur für aberwitziges Gain, sondern leider auch für eine recht laute Geräuschkulisse. Hier hilft das Noisegate, das ausgesprochen schnell zupacken und in den Spielpausen für beinahe absolute Ruhe sorgen kann. Der regelbare, parallele Einschleifweg verrichtet seinen Dienst unauffällig neutral und kann im SX-1-Menü den Kanälen auch einzeln zugeordnet werden.
Generell kann man dem Rennsau-RX-100-Combo mit seinen beiden Warehouse-Retro-30-Lautsprechern ein äußerst trockenes, mittiges Klangbild mit stark ausgeprägter Grundtoninformation attestieren. Die vier, dank der Software optimal im Ruhestrom eingestellten, KT88 (von JJ) liefern mehr Schub und Druck in den Bässen, als die beiden Warehouse Speaker abbilden können. Ob dieser Sound gefällt, ist tatsächlich Geschmackssache, aber mit diesen Attributen ist es sicher, dass man sich im Band-Gefüge sehr gut hörbar machen kann, ohne dass man es mit der Lautstärke übertreiben müsste. Da sich jedoch die Equalizer der drei Kanäle und auch das „Härte“- Poti für die negative Gegenkopplung nuanciert einstellen lassen und auch einen sehr guten Wirkungsgrad haben, lässt sich dieser leicht belegte, pragmatisch enge Basis-Sound des RX-100 mit eine paar Handgriffen öffnen und an die eigenen Hörgewohnheiten anpassen.
ALTERNATIVEN
Der Hughes & Kettner Switchblade und Peter Diezels VHX sind die klanglich vergleichbarsten Produkte zum RX-100, die ich kenne. Beide Verstärker besitzen grundsätzlich sehr unterschiedliche Ausstattungsmerkmale, dennoch liefern sie tonal ein ähnlich trockenes und tightes Timbre.
RESÜMEE
Bei bestem Preis-Leistungs-Verhältnis trumpft der RX-100-Combo mit einer Vielzahl an nützlichen Features auf, die sicherlich nicht jeder Gitarrist braucht, die man aber auch nicht teuer bezahlt. Selbst ohne Midi-Eingang, Tour.Loc-Breakout-Kabel und die vielen Funktionen des SX-1-Fußschalters, wäre der Verstärker noch immer preiswert im klassischen Sinne der Wortbedeutung und somit eine klare Kaufempfehlung für Individualisten, die sich nicht von Look und Marken-Image beindrucken lassen, sondern einzig und alleine nach einer gewissen Klangqualität für ihr Instrument suchen und echte Wertarbeit schätzen.