Interview: Stu Mackenzie von King Gizzard & The Lizzard Wizzard
von Julius Krämer, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Jamie Wdziekonski)
Während viele Bands zum Teil Jahre an einem Album sitzen, veröffentlichten die Genre-Chamäleons aus Australien allein 2017 ganze fünf Platten. Neben Thrash Metal oder Jazz gehört seit ‚Flying Microtonal Banana‘ aus eben jenem Jahr auch der Einsatz mikrotonaler Skalen zum festen Repertoire des Sextetts: Nach ‚K.G.‘ von Ende 2020 fordert das Schwesteralbum ‚L.W.‘ nun westliche Hörgewohnheiten erneut heraus und schreckt auch vor psychedelischen Kopfnicker-Grooves nicht zurück.
Stu Mackenzie, Sänger und Kopf der Band, über die Besonderheiten mikrotonalen Songwritings, einzigartige Gitarren und das Überwinden von Klangerwartungen auf Album Nummer 17.
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interview
Stu, ‚L.W.‘ ist bereits euer drittes Album, das durchgängig von Mikrotonalität geprägt ist. Bleibt es bei dieser Trilogie, oder werden wir in Zukunft noch mehr davon hören?
Ich vermute, dass wir das zumindest teilweise noch eine Weile beibehalten werden. Es macht einfach Spaß, sich in dieser mikrotonalen Welt zu bewegen. Und es macht wirklich süchtig, sich darin zu vertiefen. Wahrscheinlich werden wir es zu einem gewissen Grad so lange tun, wie es King Gizzard gibt.
Wie unterscheidet sich dein Ansatz, einen Song mikrotonal oder innerhalb der diatonischen Skala zu schreiben?
Das kommt ganz darauf an. Wenn ich schreibe, finde ich mich selbst in verschiedenen Zuständen wieder. Oft hilft es mir, mich von Akkorden oder Akkordfolgen zu entfernen, um eine Melodie zu finden. In der Diskografie von King Gizzard gibt es so viele Songs, die sich durch wenig Akkord-Bewegungen auszeichnen. Natürlich gibt es auch andere, aber bei mikrotonaler Musik hilft es, sich auf die Melodie zu konzentrieren, anstatt auf die harmonische Abfolge. So habe ich einen Rahmen, um mit Mikrotonalität zu arbeiten. Besonders, wenn es um die Noten geht, die für das westliche Gehör herausstechen, fühlt es sich gut an, auf einem Akkord zu bleiben. Dadurch kannst du dich mehr auf die Melodie fokussieren, statt auf die Akkord-Bewegungen zu achten.
Worin unterscheiden sich ‚K.G.‘ und ‚L.W.‘?
Wir haben überall dieselben Instrumente gespielt. So einfach wie ein aufgeteiltes Doppelalbum ist es aber nicht. Man könnte dennoch so darüber denken und beide Alben nacheinander hören, das sollte funktionieren. Wir haben einfach mehr Songs geschrieben, als gedacht, denn eigentlich wollten wir nur ein Album machen. Die meisten Songs auf ‚K.G.‘ sind auch die ersten, die wir geschrieben haben. Das Album war zwar schon fertig, aber es gab diese Songs, die noch ein wenig Ausarbeitung, Zeit und Liebe benötigten. Viele der Tracks von ‚L.W.‘ gehören zu meinen Lieblingen – sie brauchten einfach länger zum Ausbrüten. Oft passiert mit diesen Songs dann gar nichts mehr, nun haben wir aber ein ganzes Album draus gemacht. Und darüber bin ich froh.
Songs wie ‚Static Electricity‘ haben groovende Drums, die zum Kopfnicken einladen. Brecht ihr eure tonalen Experimente absichtlich mit eingängigen Elementen, um die Musik für mehr Leute zugänglich zu machen?
So habe ich das noch nie gesehen. King Gizzard kommt aus dieser Garage-Rock- und DIY-Mentalität, also keine absichtlich komplizierte Musik. Wenn man in die Mitte unserer Diskografie guckt, dann ist es wirklich recht proggy – aber ein großer Teil ist es auch nicht. Vieles ist sehr, sehr einfach und baut darauf auf, laut, dumm und eklig zu sein. Diese Grooviness kommt aber definitiv von unserem Drummer Cavs. Er hört viel Afrobeat, Tony Allen und dieses ganze funky Zeug, das dadurch dann auch den Weg auf unsere Alben findet.
Wenige Bands vereinen so viele unterschiedliche Einflüsse wie ihr, bei einem so hohen Output.
Ich bin von Natur aus sehr ruhelos, will immer das nächste, außergewöhnliche Ding machen. Es gefällt mir, mit Ankündigung etwas völlig anderes zu machen. Ich bin definitiv kein ausgebildeter Musiker und in nichts so richtig gut, mag es aber, zu erkunden, welche Möglichkeiten es gibt. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich etwas Neuartiges erschaffe, hilft es mir dabei, kreativ zu sein. Denn wenn ich jedes Mal aufs Neue versuchen würde, meinen besten Song zu schreiben, dann würde ich wahrscheinlich überhaupt nichts schaffen. Deshalb schreibe ich einfach Songs, die anders sind: Solange das gegeben ist, ist es mir auch wirklich egal, ob etwas gut oder schlecht ist.
In ‚Ataraxia‘ spielt ihr westliche Blues-Riffs, direkt nach dem eher arabisch anmutenden ‚East West Link‘. Seht ihr eure Musik, wie der Songtitel suggeriert, als eine Brücke zwischen Orient und Okzident?
Nicht mit Absicht. Es wäre toll und auch schmeichelhaft, wenn jemand so darüber denkt, aber ich mag einfach haufenweise unterschiedliche Musik. Und ich glaube, es gibt viel mehr in mikrotonaler Musik, Tönen und Klängen zu entdecken, das viele Leute im Westen noch nie gehört haben. Vieles, was wir mikrotonal machen, ist eigentlich ziemlich einfach. Es ist relativ leicht, das selber zu machen und seine Gitarre mit neuen Bünde auszustatten: Beidseitiges Klebeband auf das Griffbrett kleben und ein paar Bundstege drauf.
Ich glaube, dass es so noch viel mehr zu hören gibt – sogar Musik, die zugänglich ist und gar nicht nach Fernost klingt. Es gibt da noch so viele Klänge zu kreieren. Die Leute sagen immer, jeder Song sei bereits geschrieben worden. Ich glaube, das ist Bullshit. Es gibt sehr viel Musik, die noch nicht gemacht wurde.
Glaubst du denn, dass das Arbeiten mit Mikrotonalität auch bei weniger experimentellen Bands als King Gizzard möglich ist?
Definitiv. Ich habe King Gizzard nie als eine experimentelle Band gesehen. Ich versuche nicht, irgendwelche verrückten universellen Barrikaden zu brechen, sondern einfach, das zu tun, was für mich selbst am interessantesten ist. In diesem Sinne ist es also ein recht egoistisches Unternehmen (lacht). Es gibt aber so viel mehr zu hören, und da draußen sind so viele Leute, die mikrotonale Musik machen, jedoch recht wenige in einer zugänglichen Weise.
Lass uns über Instrumente reden. Hast du auf ‚L.W.‘ erneut deine gelbe Microtonal-Banana-Gitarre gespielt?
Ja, der Großteil der E-Gitarren-Spuren auf dem Album kommt von ihr. Die Gitarre wurde 2015 von Zack, einem Freund von mir, gebaut. Zu dieser Zeit war das wirklich ein absolutes Experiment. Ich habe bestimmt 18 Monate gebraucht, um herauszufinden, wie ich Musik darauf schreibe. Das Album ‚Flying Microtonal Banana‘ entstand größtenteils auf Grundlage dieses Instruments und der Kreativität, die aus diesem Ding explodierte. Einfach, weil man etwas komplett Neues und Frisches spielen konnte. Es war ein sehr befreiendes Erlebnis: Wie eine neue Sprache zu lernen, ohne dafür arbeiten zu müssen.
Die Gitarre basiert auf einer türkischen Bağlama, ein Saiteninstrument, das ebenfalls mikrotonal bundiert ist. Ich wollte sie aber vereinfachen und in die für mich vertraute E-Gitarren-Welt integrieren. Während die Bağlama bewegliche Bünde hat, wollte ich feste Gitarrenbünde aus Metall, die an ihrem Platz bleiben. Der Kompromiss war, dass wir es bei 24-TET, also 24 Tonschritten pro Oktave, beließen. Aber nicht einen Bund pro Ton, da das visuell viel zu verwirrend und viel zu schwierig zu spielen ist. Also habe ich eine Bund-Abfolge genommen, die auf der Bağlama basiert.
Andererseits sind 24-TET eher arabisch als türkisch, wir begaben uns also auf unbekanntes Terrain. Während das Album ‚Flying Microtonal Banana‘ noch größtenteils auf Skalen der türkischen Musik basierte, haben wir uns auf ‚K.G.‘ und ‚L.W.‘ in andere Skalen vertieft. Diese Alben sind für mich farbenfroher. Wir haben die Palette erweitert.
Wie sieht es mit Harmonien auf solch einer Gitarre aus?
Theoretisch kannst du alles damit spielen, was du sonst auch spielst. Man muss nur die Mikrotöne überspringen. Es gibt sogar einige Harmonien im 24-TET-Tuning, die sehr schön klingen, allerdings spiele ich die selten. Auf den Alben gibt es relativ wenig Harmonien, sondern eher unabhängige Linien.
Wie stimmst du die Gitarre?
Von unten nach oben: C#, F#, C#, F#, H, E. Es ist also so etwas wie ein abgewandeltes Open-F#-Tuning, nur mit dem H und E oben. Das ganze Album wurde in diesem Tuning geschrieben. Auf einigen Songs habe ich aber einen Kapodaster benutzt: Damit hat man dann nicht nur ein anderes Open Tuning, sondern auch ein völlig unterschiedliches Pattern, da ja die Viertelton-Bünde auf bestimmten Positionen am Griffbrett sitzen.
Hattet ihr von allen Instrumenten eine mikrotonale Version?
Wir haben tatsächlich überall ausgetüftelt, wie man mikrotonal spielen kann. Es ist ja relativ einfach, Noten zu pitchen. Wir haben also auf einem Nord Stage Piano die Töne anders gestimmt, oder ein Mellotron gesampelt und damit das gleiche gemacht. Allein das verschlingt einfach so viel Zeit! Du kannst wirklich Tage damit verbringen, nur Keyboard-Patches zu basteln. Alles, damit man innerhalb von drei Oktaven mikrotonal spielen kann. Es führte aber kein Weg daran vorbei, und ich glaube, das ist auch ein Grund, warum es da draußen nicht so viel mikrotonale Musik gibt.
Welches Equipment hast du auf ‚L.W.‘ gespielt?
Ich spiele immer einen alten Fender Hot Rod, der mich schon überall hin begleitet hat, seit ich 14 bin. Cookie (einer der Gitarristen der Band, Anm. d. Red.) benutzt auch einen Fender-Amp und einen Roland Jazz Chorus. An Pedalen: WahWahs, nichts Besonderes. Ich besitze einige davon, weil die dauernd kaputt gehen. Ansonsten spiele ich sehr normale, unspektakuläre Pedale – einfach, damit ich mir auf Tour schnell ein neues kaufen kann, falls es kaputt geht.
Wie studierst du ein Genre, bevor du ein Album in diesem Stil aufnimmst?
Viele Leute fragen uns nach diesem Genre-Ding. Ich denke, es ist eine Reflektion unserer Plattensammlung. Ich mache das alles nicht absichtlich – es geht einfach darum, was man an Musik hört. Bei mir laufen Anthrax und Nina Simone direkt hintereinander. Wobei, nein: Es kommt immer auf die Stimmung an. Das kann innerhalb eines Tages wechseln. Ich habe Genres nie als Genres gesehen. Mir ging es immer um den Vibe.