Ein Nachruf

Tony Rice – The Bluegrass Ambassador

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(Bild: Forrest Smith / Shutterstock)

Am 25.12.2020 hat die Country- und Bluegrass-Community eine ihrer prägendsten Figuren verloren. Der Gitarrist und Sänger David Anthony „Tony“ Rice starb im Alter von 69 Jahren in Reidsville, North Carolina.

Warum sollte man sich mit einem Protagonisten eines so kleinen Genres denn überhaupt näher befassen? In Hit-Listen, Download-Rankings oder im Radio wird einem dieser Mann kaum begegnen … Ganz einfach: Tony Rice war Virtuose, Spurensucher, Modernisierer, Gallionsfigur, Frontmann, Songschreiber, Inspirationsquelle und die treibende Kraft der Bluegrass-Gemeinde.

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Tony Rice – Church Street Blues (1983) (Bild: Sugar Hill)

Dan Tyminski, den man durch seine Arbeit mit Alison Krauss und durch die Filmmusik aus ‚O Brother, Where Art Thou‘ kennt, bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „If Bluegrass was Star Wars then Tony Rice would be the Force.“ Dass der junge Kalifornier Tony zur Gitarre greift und Bluegrass spielt, ist nicht gerade typisch für die Westcoast der frühen 60er, aber vermutlich unumgänglich. Sein Vater Herb hat die Bluegrass-Band The Golden State Boys, bringt Tony und dessen Bruder Larry bei, wie man eine Steelstring spielt und nimmt sie in die Band auf.

Der erste wichtige Schritt hinaus aus seinen Heimatgefilden führt ihn nach Kentucky – an die Quelle der Musik, die er so liebt. Und er findet hier tatsächlich Anschluss an eine der führenden Bluegrass-Bands und in Dan Crary einen ersten Mentor und Lehrer außerhalb seiner Familie. Hier begegnet ihm auch schon der Mandolinist Sam Bush, mit dem zusammen er später noch in den Siebzigerjahren große Erfolge feiern sollte.

https://youtu.be/f_Q_fkvCLnY

Damals ist es noch sehr traditionelle Bluegrass-Musik, aber Tony lernt sein Handwerk von der Pike auf. Recht bald will er „mehr“, und steigt bei J.D. Crowe ein. Hier trifft er auf einen weiteren Weggenossen – Ricky Skaggs is the name – der später, wie auch Sam Bush, bei der Tony Rice Unit mitmischen wird. Das Album J.D. Crowe & the New South wird ein großer Erfolg und kalibriert das Genre Bluegrass neu. Die entsprechenden YouTube-Clips sind auf jeden Fall sehenswert, denn da gibt es beinharte Vokuhila-Frisen, viel zu große Hemdkragen und starke Musik.

Man sieht hier schon Tonys geschliffene, ungemein effiziente und effektive Spielweise. Seine Technik wirkt so aufgeräumt und unangestrengt – man hat den Eindruck, selbst bei den schnellsten Läufen bewegen sich seine Hände kaum. Ich kenne niemanden mit einer so ausgefuchsten Griffbrett-Navigation und so präzisem Fingersatz. 1975 zieht es ihn zurück nach Kalifonien, in San Francisco arbeitet er mit David Grisman und John Carlini. Seine Zeit beim David Grisman Quartet lässt ihn weit über den Tellerrand des gängigen Bluegrass hinausschauen – Jazz, Folk, Blues … Rice lässt all diese Einflüsse zu und modernisiert sein Genre.

Seine Aktivitäten waren seit dieser Zeit vielfältig. Er macht eine Solo-Karriere, profiliert sich als ausgezeichneter Sänger, ist an unzähligen Album-Produktionen mit der Bluegrass Album Band und Tony Rice Unit beteiligt. Massive Stimmprobleme zwingen ihn später, sich ganz auf sein Instrument – eine Martin D-28, die seinem Mentor Clarence White gehört hatte – zu konzentrieren. 2013 wird er in die Bluegrass Music Hall of Fame aufgenommen. Der Clip auf YouTube ist sehr informativ, humorvoll und bewegend.

Am 1. Weihnachtsfeiertag des Jahres 2020 stirbt Tony Rice. Er hinterlässt einerseits eine riesige Lücke in der Szene, aber andererseits auch eine große Schar junger Akustikgitarrist*innen, die er maßgeblich inspiriert und beeinflusst hat.


ALBUM-TIPPS

    • 1979: Manzanita
    • 1981-1996: Bluegrass Album Vol.1-6
    • 1982: Backwaters (als Tony Rice Unit)
    • 1983: Church Street Blues
    • 1986: Me & My Guitar
    • 1987: Devlin (als Tony Rice Unit)
    • 1992: The Rice Brothers (als The Rice Brothers)
    • 1995: River Suite for Two Guitars (mit John Carlini)
    • 2000: The Pizza Tapes (mit David Grisman & Jerry Garcia)
    • 2007: Quartet (mit Peter Rowan)

Weitere Video-Tipps:

(erschienen in Gitarre & Bass 03/2021)

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