Seine Stimme ist wie ein Vulkan, sein Bass-Spiel wie ein Erdbeben und sein Songwriting von purer Leidenschaft gekennzeichnet: Ohne Frage gehört Glenn Hughes zu den größten Musikern der Rockgeschichte. Nach seiner Zeit bei Trapeze, Deep Purple und Black Sabbath, Studio-Performances unter anderem für Gary Moore oder John Norum, diversen Soloscheiben und -tourneen sowie der Gründung von Black Country Communion (mit Joe Bonamassa, Jason Bonham und Derek Sherinian) und California Breed ist der 69-Jährige nun bei der Allstar-Truppe The Dead Daisies mit Gitarrist David Lowy, Gitarrist Doug Aldrich (Ex-Whitesnake, Dio) und Schlagzeuger Deen Castronovo (Journey) gelandet.
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Wie diese exzellente Musikeransammlung klingt? Ihr neues, kraftstrotzendes Album ‚Holy Ground‘ gibt darauf eine unmissverständliche Antwort. Was es über die spektakuläre Konstellation sonst noch Spannendes zu berichten gibt? Glenn Hughes erzählt es in seiner typisch offenen und durchaus mitteilsamen Art.
(Bild: Oliver Halfin)
INTERVIEW
Glenn, kannst du bitte mal in wenigen Sätzen skizzieren, wie du zu The Dead Daisies gekommen bist?
Gerne. Ich war im Januar 2019 auf der NAMM Show in Los Angeles, um für meinen Endorser Orange Amps ein paar Repräsentationsaufgaben zu übernehmen. Dort steckte mir jemand das Gerücht, dass The Dead Daisies gerne mal mit mir sprechen würden. Ein paar Wochen später rief mich ihr Manager an und fragte, ob ich Lust hätte, mich mit David Lowy zu treffen. David lebt in New York, ich dagegen in Los Angeles. Im März 2019 besuchte mich David in L.A. und wir gingen in Hollywood gemeinsam essen. Er erzählte mir, dass es in seiner Band ein paar Veränderungen geben wird.
Dann fragte er mich, ob ich Interesse hätte, als Sänger, Bassist und Songschreiber bei The Dead Daisies einzusteigen. Black Country Communion lag zu diesem Zeitpunkt gerade auf Eis, ich hatte also nichts vor und bat David, mir ein paar Tage Bedenkzeit zu geben. Im Mai 2019 war ich noch auf Amerika-Tournee, danach traf ich mich mit David, Doug und Deen zur einer privaten Session im ‚SIR‘ in New York, wo wir ein paar Songs spielten. Einige alte Stücke von Deep Purple, ein paar Cover-Nummern, es fühlte sich großartig an. Ich verstehe mich eigentlich als Solokünstler, liebe es aber ebenso, Bestandteil einer festen Band zu sein. Es geht um Freundschaft, um Gemeinschaft, um gemeinsames Frühstücken, um Brüder und Schwestern.
War Doug Aldrich nicht bereits einer deiner sogenannten „Brüder“.
Ja, in der Tat, das kann man so sagen. Doug war 2015 Gitarrist meiner Solo-Band, er ist ein toller Musiker und enger Freund.
Hand aufs Herz: The Dead Daisies wollten dich als Songschreiber, Sänger und Bassisten. Hast du deshalb nicht gleich über ein dreifaches Honorar verhandelt?
(lacht laut los) Gute Idee, Matthias, schade, dass ich nicht selbst darauf gekommen bin. Beim nächsten Mal frage ich dich vorher um Rat, bevor ich etwas zusage. Aber im Ernst: Ich mache Dinge nicht des Geldes wegen, sondern aus Liebe zur Sache. Wie ich gerade schon erwähnte: Ich suche Freundschaft, Gemeinsamkeiten, möchte mich mit netten Menschen zum Essen treffen können. All das ist mir viel wichtiger als der schnöde Mammon. Reichtum macht nicht glücklich, eine alte Binsenweisheit, an der so unendlich viel Wahrheit ist. Matthias, du kennst mich, wir haben schon so häufig miteinander gesprochen. Du weißt, wie ich früher drauf war und dass ich seit 30 Jahren trocken bin. Als wir im August 2019 in New York ‚Righteous Days‘ und ‚Holy Ground‘ schrieben und aufnahmen, war ich der glücklichste Mensch unter der Sonne. Das ist es, wonach ich suche: großartige Musik mit einer tollen Band, die wirklich etwas zu sagen hat.
Hat dir David Lowy erklärt, weshalb sie unbedingt dich in der Band haben wollen? Und auch, was sie von dir erwarten?
Ich weiß, dass sich The Dead Daisies von mir erhoffen, noch bessere Songs mit besseren Texten und Performances zu realisieren. Die Band hat bereits mehrere Personalwechsel vollzogen, und sie wollten mich in erster Linie als Songschreiber. Sie wünschten sich von mir gute Songs und jemanden, der diese Band quasi anführt. Für mich ist Songwriting das A und O in der Musik. Das, was wir hier auf ‚Holy Ground‘ machen, ist ein waschechtes Rock-Statement. Du weißt, ich bin total auf Grooves fixiert, und auf ‚Holy Ground‘ findet man massenhaft coole Grooves.
Da du deinen Fokus aufs Songwriting so explizit herausstellst: Die meisten deiner Fans nehmen dich eher als Sänger und Bassisten, nicht aber als Komponisten wahr. Ärgert dich das?
Nein, denn die Zuhörer spüren ja intuitiv, wer hier die Songs geschrieben hat und von wem die Texte stammen. Ich kann mich noch sehr gut an die Aufnahmen meines Soloalbums ‚Addiction‘ vor 24 Jahren erinnern. Diese Scheibe hat enorm viel bei mir verändert. Seither singe ich fast ausnahmslos über menschliche Belange, davon wie Zusammenleben funktioniert, worauf es ankommt, um ein glücklicher Mensch zu sein. Ich verrate dir mal etwas: Meine glücklichsten Momente habe ich immer dann, wenn ich einen Song schreibe. Ich mag Singen, ich mag Bass-Spielen, aber am glücklichsten bin ich, wenn ich komponiere.
Nochmal zurück zur Session in New York: Hast du dort zum allerersten Mal mit Deen Castronovo gespielt? Und habt ihr euch musikalisch auf Anhieb verstanden?
Und ob! Für mich sind die Drums der wichtigste Faktor in der Musik. Wenn die Drums gut sind, sind auch die Songs gut. Deen Castronovo ist ein fabelhafter Schlagzeuger, der unglaublich perkussiv trommelt. Und da auch ich einen sehr perkussiven Bass spiele, passte es von Beginn an wie die Faust aufs Auge.
Apropos: Kann es sein, dass du auf ‚Holy Ground‘ nicht durchgehend deinen berühmten Fender Precision gespielt hast?
Wie kommst du darauf?
Bild: Matthias Mineur
Bild: Matthias Mineur
Ganz ehrlich? Irgendjemand hat es mir verraten. Ich hätte es ansonsten wahrscheinlich nicht bemerkt.
Es stimmt, bei The Dead Daisies habe ich unter anderem auch meinen Jazz Bass gespielt.
Weißt du, weshalb mich das so erstaunt? Einfach weil die Musik von The Dead Daisies deutlich heavier ist als die von Black Country Communion. Eigentlich hätte man es doch umgekehrt erwartet, nämlich den Jazz Bass für die etwas bluesigere Ausrichtung, und den Precision für die volle Rock-Dröhnung. Oder siehst du das anders?
Du hast natürlich Recht. Eigentlich ist es ein Widerspruch. Aber auch der Jazz Bass kann einen sehr aggressiven Ton haben, sodass er ebenso zu The Dead Daisies passt. Außerdem spiele ich weiterhin meine Orange-Stacks, und allein dadurch ist ein kraftvoller Sound gewährleistet. Aber zu deiner Beruhigung: Ich hatte alle meine wichtigen Bässe dabei, als es mit The Dead Daisies ins Studio ging – und ich habe sie auch verwendet.
Orange Amps sind also immer noch deine ultimative Wahl, wenn es um die Verstärkung deines Bass-Signals geht?
Na ja, ich spiele sie schon seit zehn Jahren, irgendetwas muss ja an ihnen dran sein, was mich begeistert.
Gibt es eigentlich ein Geheimrezept, dass du nach so langer Zeit als Profimusiker immer noch deinen vollen Stimmumfang hast? Andere Musiker deines Alters müssen da ja erhebliche Abstriche machen.
Ja, ich weiß, es gibt viele Kollegen, die damals mit mir angefangen und heute einen Großteil ihrer Stimme verloren haben. Mein Rat an alle jüngeren Kollegen ist: Vergiss nicht zu atmen und entspanne dich beim Singen! Ich bin immer tiefenentspannt, wenn ich singe. Viele unerfahrene Musiker übertreiben es, sie singen zu viel, spielen zu viel, ich dagegen bin komplett ruhig, wenn ich performe. Ich denke, dass dies eines meiner Rezepte ist, weshalb ich immer noch so gut bei Stimme bin.
Was haben David Lowy und The Dead Daisies eigentlich über die Erwartungen gesagt, die sie mit dir verknüpfen? Und welche Erwartungen an deine neue Kollegen hast du formuliert?
Ich habe keinerlei Erwartungen an diese Band, außer dass ich möglichst viel Spaß haben möchte. Ich sagte zu David: „Ich habe keine leibhaftigen Brüder oder Schwestern, ich möchte in einer Band glücklich sein und mich wie in einer Familie fühlen.“ Und diesen Eindruck hatte ich vom ersten Moment an. Alle bei The Dead Daisies sind total nett zu mir. Sie räumen mir den musikalischen Freiraum ein, den ich brauche, und sie vertrauen mir, dass ich die Band auf das nächste Level hieve. Man darf so etwas nie übertrieben ernst nehmen, es geht hier um Musik, nicht um das eigene Schicksal. Aber es muss natürlich zum eigenen Lebensgefühl passen.
Aus welchen Songs auf ‚Holy Ground‘ schimmert der pure Glenn Hughes durch?
Hahaha, coole Art, mich auszuhorchen! Also: Ich denke, dass ‚Unspoken‘, ‚Far Away‘, ‚Come Alive‘, ‚Like No Other‘ und ‚Holy Ground‘ den reinen Glenn Hughes zeigen. Dagegen war ‚Chosen And Justified‘ bereits fertig, als ich zu The Dead Daisies kam, es ist also ein reiner Daisies-Track. Ich erinnere mich noch genau an den Dezember 2019, als ich zum zweiten Mal mit der Band ins Studio ging. Vier Wochen zuvor hatte in in Frankreich die erste Studiosession stattgefunden. Ich wusste, dass wir noch einen weiteren Song, nämlich einen langsameren Track brauchen, um die Scheibe wirklich rund zu machen. Einen Tag vor der zweiten Session im ‚La Fabrique‘ komponierte ich ‚Far Away‘. Unmittelbar vor dem Studiotreff versammelte ich die Band in meinem Zimmer um mich herum und spielte ihnen den Song vor. Sie mochten ihn auf Anhieb, eine mehr als siebenminütiger Track mit einem orchestrierten Teil, wie er auf diesem Album meiner Meinung nach noch fehlte.
(Bild: Matthias Mineur)
Hättest du einen solch emotionalen Song auch schon 1970 bei Trapeze schreiben können, ohne deine große Lebenserfahrung?
Die Antwort lautet ja und nein. Bei Trapeze schrieb ich Songs wie ‚Coast To Coast‘ oder ‚Will Our Love End‘, Nummern, zu denen ich noch heute einen emotionalen Bezug habe, weil sie sich um das menschliche Miteinander drehen. Aber damals war ich noch ein völlig anderer Typ. Als ich 1992 zum Entzug in die Betty-Ford-Klinik musste, habe ich eine sehr persönliche Entscheidung getroffen: Von nun an singe ich nur noch über Dinge, die mir auf der Seele brennen und die meinen Wunsch nach Gemeinschaft, nach Familie und Liebe betreffen.
Signalisiert dein Einstieg bei The Dead Daisies, dass Black Country Communion, deine Band mit u.a. Joe Bonamassa, vorbei ist?
Nein, das bedeutet es natürlich icht. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit mit Joe gesprochen und ihm gesagt, dass wir ein weiteres Album machen sollten. Ganz konkret: Es wird ‚Black Country Communion V‘ irgendwann geben.
Du hast deine Liebe zum Blues also nicht verloren?
Nein, natürlich nicht. Black Country Communion sind allein wegen Joe in der Tat bluesiger ausgerichtet. Es gibt mehr Räume zwischen den einzelnen Noten, wie es in dieser Musik nun einmal üblich ist. Deswegen komponiere ich auch ein wenig anders für Black Country Communion als das bei The Dead Daisies der Fall ist. Aber beides sind extrem gute Bands mit außergewöhnlich guten Musikern. Ich habe dir ja schon früher meine ehrliche Meinung zu Black Country Communion mitgeteilt: In einer früheren Epoche wären wir eine absolute Nummer-Eins-Band gewesen. Und das Gleiche könnte ich auch über The Dead Daisies sagen.
Danke, Glenn, für das nette und offene Gespräch. Und viel Erfolg mit dem Album!