Seit zehn Jahren existiert die Berliner Band Kadavar. Zehn Jahre, in denen die drei Musiker Christoph „Lupus“ Lindemann (Gitarre), Christoph „Tiger“ Bartelt (Schlagzeug) und seit 2013 Simon „Dragon“ Bouteloup ihren knochentrockenen Stoner-Rock, der mit Doom-, Psychedelic- und Krautrock-Elementen durchsetzt ist, zu einem weltweit gefeierten Produkt gemacht haben.
Bereits mit ihrem zweiten Werk ‚Abra Kadavar‘ (2013) schaffte es das Trio unter die Top-50 der deutschen Album-Charts, mit der 2019er-Veröffentlichung ‚For The Dead Travel Fast‘ gelang sogar der Sprung auf Rang 8.
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Fest zum Konzept der Band gehört die ständige Live-Präsenz, mit umfangreichen Tourneen in Deutschland, Europa und sogar den USA. Aufgrund des Corona-bedingten Lockdowns im Frühjahr 2020 waren allerdings auch Kadavar von einem Tag auf den anderen weitestgehend von der Öffentlichkeit abgeschnitten. Über diese Erfahrung haben Lindemann, Bartelt und Bouteloup ein neues Album mit dem programmatischen Titel ‚The Isolation Tapes‘ geschrieben, das über ihr eigenes, neu gegründetes Label Robotor Records erscheint und mit einigen durchaus erwähnenswerten Überraschungen aufwartet.
Wir haben dies zum Anlass genommen, um uns das aktuelle Equipment der Gruppe mal etwas genauer anzuschauen und Lupus und Tiger zur aktuellen Situation zu befragen.
Wie ist Kadavar eigentlich entstanden? Und was waren eure Visionen?
Lupus: Am Anfang war uns nur der Spaß an der Sache wichtig. Wir wollten ein paar gute Jam-Sessions im Studio hinlegen und gelegentlich ein paar Konzerte geben. Zehn Jahre später sieht das Ergebnis jetzt natürlich anders aus, als wir es erwartet hatten. Wir haben sechs Alben veröffentlicht, hunderte von Shows gespielt und besitzen mittlerweile ein eigenes Studio. Dennoch ist der Spaß erhalten geblieben, auch weil wir uns gegenseitig genügend Freiräume lassen.
Tiger: Zu Beginn unserer Karriere sagte Lupus zu mir: „Das, was wir hier machen, wird vermutlich keine Sau interessieren.“ Aber irgendwie war dies auch das Faszinierende und der besondere Reiz für uns, denn unser wichtigster Antrieb war, dass wir alles anders machen wollten, weniger, dreckiger, und vor allem: Alle sollten es scheiße finden! (lacht) Im Grunde genommen war es eine Art kollektiver Rundumschlag gegen sämtliche bestehenden Zustände, mit dem Fokus auf unsere Liebe für die Sounds vor dem Jahr 1971. Diese spezielle und ungewöhnliche Leidenschaft haben wir allerdings sehr ernst genommen und von Beginn an mächtig viel Spaß gehabt.
Dieser Anspruch drückt sich in gewisser Weise auch in eurem Equipment aus, oder?
Lupus: Ja, könnte man so sagen. Ich bin beispielsweise vor kurzem wieder zu Vox-Amps zurückgekehrt, zu diesen Handwired-Combos mit viel Sustain, so wie ganz am Anfang von Kadavar. Zwischenzeitlich habe ich Marshall und Hiwatt gespielt, wollte jetzt aber wieder den Schritt zurückgehen. Bei den Gitarren sieht die Sache ein wenig anders aus: Ich habe immer schon SGs gespielt, natürlich sind im Laufe der Jahre einige von ihnen dazu gekommen und auch wieder gegangen.
Tiger: Unser erster Bassist Philipp hatte damals einen Halbakustik-Bass und ein Ampeg-V4B-Topteil, bei dem es quasi überhaupt keine Obertöne gab, sondern alles sehr „klonkig“ klang.
Wobei euer aktuelles Album ‚The Isolation Tapes‘ in klanglicher und kompositorischer Hinsicht ganz andere Überraschungen bereithält.
Lupus: Du meinst, weil wir jetzt Klavier und Synthesizer verwendet haben? Das ist eine Entwicklung, die bei uns schon vor etwa zwei Jahren einsetzte. Früher haben wir unseren Sound bewusst limitiert, um ihn komplett live reproduzieren zu können. Doch dann haben wir entschieden, dass wir eigentlich auch mal mit Layern arbeiten könnten, damit unsere Songs mehr Tiefgang und mehr Atmosphäre bekommen. Das macht unheimlich viel Spaß und eröffnet einem ganz neue Möglichkeiten.
Allerdings Möglichkeiten, die sich auf der Bühne nur sehr schwierig oder nur mit Clicktrack reproduzieren lassen, oder etwa nicht?
Lupus: Clicktracks kommen für uns nicht in Frage. Wir haben schon auf der letzten Tour damit angefangen, auch mit Synthesizern zu spielen. Übrigens wir alle drei, also nicht nur ich, sondern auch Tiger und Simon, unser Bassist. Er bedient seinen Synth per Footcontroller, Tiger über Pads und ich halt ganz regulär mit Tasten und meinen Fingern.
Lass uns bitte noch einmal auf deine Vorliebe für SGs zurückkommen. War die von Beginn deiner Musikerlaufbahn an da, oder hat sie sich erst im Laufe der Jahre entwickelt?
Lupus: Meine allererste Gitarre war ein Stratocaster-Modell, das meine Eltern mir zu Weihnachten von einem Mann aus unserem Dorf gekauft hatten. Aber die Strat war nie wirklich gut eingestellt und das Spielen mit ihr der reinste Krampf. Zudem bin ich Linkshänder, spiele aber Rechtshändergitarren. Ich muss sagen, dass es mir zu Beginn nicht wirklich Spaß gemacht hat. Dann bin ich zum Studium nach Berlin gezogen, hab eisern Geld gespart und mir von einem Freund aus Amerika eine Epiphone SG mitbringen lassen. Die war deutlich besser eingestellt als meine Stratocaster. Außerdem fand ich sie von Beginn an auch optisch cool, vor allem wegen Tony Iommi von Black Sabbath, den ich sehr verehre.
Und natürlich mag ich auch den Klang der SG. Unser erstes Album und auch unsere ersten Shows habe ich mit dieser Epiphone SG bestritten. Dann hatte ich genügend Geld gespart, um mir eine echte Gibson SG zu kaufen. Mittlerweile besitze ich acht oder neun von ihnen, manche davon haben wir allerdings rein als Geldanlage in den USA eingesammelt.
Welche von den acht oder neun SGs spielst du hauptsächlich? Die hochwertigste?
Lupus: Nein, es wäre sicherlich ein riesiger Fehler, wenn man mir die teuerste in die Hand geben würde, denn bei mir fliegen Gitarren auch schon mal im Überschwang der Gefühle ins Schlagzeug, sodass gelegentlich ein gebrochener Hals die Folge ist. Ich spiele vor allem eine SG Standard aus den 80ern in TV Yellow, von der ich zwei Exemplare besitze.
Wo findest du deine Gitarren?
Lupus: Es gibt ja einige sehr interessante Vintage-Shops im Internet, in denen ich ständig stöbere. Die letzte Gibson SG, die ich gekauft habe, stammt allerdings aus der Schweiz, von wo sie mir ein Freund mitgebracht hat. Früher bin ich regelmäßig zu Rückkopplung nach Hamburg gefahren, habe aber auch schon auf Tourneen in den USA einige Gitarren gekauft.
Wie sieht es bei dir hinsichtlich der Effektgeräte aus?
Lupus: Sehr übersichtlich. Ich fahre drei Sounds mit zwei Amps und gesplitteten Signalen, was für unseren Soundmann leicht zu handhaben ist. Mehr muss wirklich nicht sein, da ich nicht permanent am Board kleben möchte. Eigentlich brauche ich nur einen guten Grundsound plus ein klein wenig Effekt und ein Wah-Pedal, that‘s it. Es ist ja eh so, dass die Fehlerquellen rapide zunehmen, je mehr Effekte man dazwischenschaltet. Das versuche ich weitestgehend zu vermeiden. Es gibt sowieso schon außerordentlich viele Fehlerquellen, wenn man so viel unterwegs ist wie wir mit Kadavar.
Wie stehst du zum Thema Plug-Ins? Bist du ein beinharter Verfechter von analoger Technik?
Lupus: Nein, beinhart auf keinen Fall. Natürlich kann man mit analogen Geräten intuitiver spielen, außerdem geht es mit ihnen oftmals einfacher und schneller. Im Studio arbeiten wir ja quasi im Hybridmodus, also sowohl mit PC als auch mit einer richtigen Bandmaschine. Bei uns gibt es eine unbedingte Konzentration auf die pure Musik, und das Gebot, nicht zu viel zu machen, wozu man mit digitalem Equipment ja schnell neigt.
Bedeutet das, dass ihr euer neues Album am PC komponiert und mit der Bandmaschine aufgenommen habt?
Lupus: Ja, so ähnlich könnte man das formulieren. Tiger hat beispielsweise sein Piano bei sich Zuhause stehen. Insofern werden die Demos fast immer zuhause aufgenommen und dann im Studio live eingespielt, und zwar mit einer Tascam MS-16 und einer Telefunken M5C von 1965.
Woher habt ihr die Telefunken?
Lupus: Wir konnten sie einem Kumpel abkaufen. Die Preise für solche Geräte sind in den letzten Jahren exorbitant gestiegen. Kein Wunder, die Dinger werden ja immer seltener, anstatt mehr. Außerdem gibt es viele Sammler, die sich die Maschinen einfach Zuhause hinstellen, zur Deko und aus Nostalgiegründen. Unser Mischpult haben wir beispielsweise in Südkorea gefunden. Dort hat ein Typ alte Rundfunkbestände aufgekauft, unter anderem eben auch dieses Studer. Der Typ hat uns erzählt, dass er von dem Teil schon mehr als 100 Stück verkauft hat. Wir haben das Pult von einer Spedition aus Südkorea anliefern lassen.
Wenn ihr ‚The Isolation Tapes‘ mit euren ersten Alben vergleicht, was ist der gemeinsame Nenner, was hat sich verändert?
Lupus: Uns war immer schon ein solides Fundament aus Bass und Schlagzeug wichtig, das ist bei allen Kadavar-Songs die Grundlage. Für mich ist ein guter Beat die Voraussetzung für einen guten Song. Aufbauend auf dieser Basis fangen wir dann mit den Details an, erst wenn der Groove stimmt, lege ich meine Gitarrenparts drüber, was im Vergleich dazu ziemlich einfach ist. Cream mit Ginger Baker waren immer schon große Vorbilder für mich, bei Cream haben Bass und Schlagzeug auch perfekt miteinander harmoniert. Wenn ich komponiere, habe ich dies immer im Hinterkopf.
Tiger: Ich kann das nur unterschreiben, denn auch für mich ist der rhythmische Aspekt die Grundlage für alles. Natürlich kann man für unsere Songs stets irgendwelche Vergleiche heranziehen, unsere Ideen bekommen ja auch immer berühmte Arbeitstitel. Ich glaube, wir haben mindestens schon acht Led-Zeppelin-Songs geschrieben. (lacht) Ansonsten gilt für unsere Ideen, wenn wir sie den jeweils anderen vorstellen, eine Beschreibung wie beispielsweise: „Stell dir mal etwas aus der Richtung Hawkwind vor, plus die Energie von Grandfunk Railroad und die Power von den MC5, dann hast du eine ungefähre Ahnung, in welche Richtung der Song gehen soll!“
Vielen Dank, Lupus und Tiger, für das nette und aufschlussreiche Gespräch!