Im Interview

Wishbone Ash: Andy Powell & Mark Abrahams

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(Bild: Mineur)

Bis heute gehören die Stücke von ‚Argus‘ (1972) zum festen Bestandteil einer jeden Wishbone-Ash-Show, ergänzt um Höhepunkte weiterer Klassealben wie ‚There‘s The Rub‘ (1974) oder ‚Just Testing‘ (1980). Ganz neu im Programm sind dagegen Songs der aktuellen Scheibe ‚Coat Of Arms‘, die erstmals ihren neuen Gitarristen präsentiert, den 42-jährigen Engländer Mark Abrahams.

Wir haben die Gelegenheit genutzt, um mit dem 70-jährigen Andy Powell (AP) und seinem deutlich jüngeren Kollegen Mark Abrahams (MA) über die Zusammenarbeit zu sprechen.

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interview

Andy, nach 50 Jahren mit unterschiedlichen Besetzungen und dir als Konstante: Was sind und waren die Kriterien für eine Mitgliedschaft bei Wishbone Ash?

AP: Vor allem spielerische Finesse, aber auch die Fähigkeiten, diese Band und ihre Musik zu verstehen. Und natürlich absolute Teamfähigkeit. Ebenso wichtig sind: Sinn für Melodie, ein guter Ton und die Kunst, sein Instrument kontrollieren zu können. Es gibt viele gute Gitarristen auf der Welt, doch die meisten können nur Vollgas, und genau das wollen wir bei Wishbone Ash nicht. Unsere Songs haben eine große Dynamik, dementsprechend brauchen wir Musiker, die – wenn es notwendig ist – abrocken können, aber ihre Fingertechnik auch feinfühlig einsetzen, wenn der Song danach verlangt.

Mark, als du bei Wishbone Ash eingestiegen bist: Welche Songs waren für dich leicht zu lernen, und welche eher schwierig?

MA: Am einfachsten waren natürlich diejenigen, die ich als langjähriger Fan der Band sowieso schon spielen konnte, also ‚Blowin Free‘, ‚The King Will Come‘, die Songs von ‚Argus‘. Hier ging es eher darum, den Ton und das Feeling zu treffen, beispielsweise in der ruhigen Passage von ‚Warrior‘, bei der es darauf ankommt, wie man die Saiten berührt. Schwierig für mich war zum Beispiel der Song ‚F.U.B.B.‘, da er neun Minuten lang und randvoll mit zweistimmigen Passagen ist, ohne Unterbrechung.

Musstest du dein Equipment ändern, als du bei Wishbone Ash eingestiegen bist?

MA: Ja. Vorher hatte ich ENGL-Verstärker, die moderner klingen als die Orange-Amps, die ich jetzt spiele. Zunächst wechselte ich zu Fender-Combos, bevor Andy für mich den Kontakt zu Orange herstellte. Diese Verstärker haben wirklich den klassischen Vintage-Sound, und natürlich auch das entsprechende Design.

Retro-Style: Orange Rockerverb 100 MK III und Matamp als Fullstacks (Bild: Mineur)

Und beim Pedalboard?

MA: Früher hatte ich ein großes Racksystem auf Grundlage des TC Electronics G-System. Jetzt spiele ich Einzelpedale. Dadurch habe ich genau den Sound, den ich für Wishbone Ash brauche.

Abrahams Pedalboard mit Korg Pitchblack Tuner, Mooer Soul Shiver, Xotic RC Booster, Friedman Dirty Shirley, Nemphasis White Scream Overdrive, Fulltone Octafuzz, Ernie Ball Volume Pedal, MXR Audio MC-404 WahWah, Carl Martin Octa-Switch MK 3 und Boss DD-7
Pedalboard I mit Hughes&Kettner-Rotosphere und EP Booster
Pedalboard II mit MXR Phase 45, Fulltone Choralflange, Ibanez TS 9 DX, Boss DD-5, HBE Power Screamer, Boss GE-7 und Digitech Vocalist Live 2

 

Andy, haben sich über die Jahre dein Musikgeschmack und deine Vorlieben bei Gitarren und Sounds verändert?

AP: Natürlich bin ich für die Flying V berühmt. Im Laufe der Jahre habe ich viele von ihnen besessen und komme immer wieder zu ihnen zurück, da sie das Symbol der Band sind. Dennoch teste und kaufe ich permanent auch andere Arten von Gitarren. Im Studio spiele ich auch Modelle von Duesenberg oder Fender, immer abhängig davon, welche Sounds ich für eine neue Scheibe möchte. Für Rhythmus-Parts spiele ich sehr gerne Fender-Gitarren, da sie sehr klar klingen und einen scharfen Attack haben. Gleichzeitig sind im Studio aber immer auch Flying Vs im Einsatz.

Mark und ich experimentieren sehr viel mit unterschiedlichen Pickups. In den Achtzigern verlangten Gitarristen ständig nach mehr Power, nach noch heißeren Pickups. Heute ist das umgekehrt, zumindest bei mir. Heute suche ich nach einem Vintage-Sound, der möglichst transparent klingt und bei dem man die Finger heraushören kann, so wie es bei Stevie Ray Vaughan der Fall war. Für mich hat sich das DiMarzio-Konzept überholt, mein aktueller Gitarren-Guru heißt Andreas Kloppmann, den wir gerade heute Morgen besucht haben, da er hier in der Nähe lebt. Fast alle meine aktuellen Gitarren sind mit seinen Pickups bestückt. Für Marks Gitarren gilt das Gleiche. Interessanterweise haben wir Andreas Kloppmann unabhängig voneinander entdeckt. Vor ein paar Stunden hat er uns wieder eine Menge über seine neuesten Entdeckungen in puncto Alnico-Magnete erzählt. Er weiß viele spannende Dinge über Pickups und sorgt dafür, dass sie den Klang einer Gitarre deutlich verbessern.

Ich bin in der glücklichen Lage, einige wirklich tolle Vintage-Gitarren zu besitzen, deshalb weiß ich, wie alte Gibson- oder Fender-Modelle klingen können. Um noch einmal auf deine Frage zurückzukommen: Auf unserem neuen Album ‚Coat Of Arms‘ habe ich unter anderem eine 1952er Fender Tele gespielt, auch wenn viele denken, es sei eine Gibson gewesen. Es gibt einige Gitarren, die wir nie auf der Bühne spielen, weil wir unsere kostbarsten Schätze natürlich nicht dem Risiko auf Tournee aussetzen wollen.

Mark, du hast auf der Bühne eine Tokai Les Paul und eine Fender Stra. Mit welchem Gitarrentyp bist du aufgewachsen?

MA: Ich mag Strat und Les Paul nahezu gleichermaßen. Meine erste Gitarre war eine Stratocaster, die ich allerdings für meine erste Les Paul verkauft habe. Danach wurden Les Pauls meine Lieblingsgitarren, auch wenn ich bei Wishbone Ash ebenso eine Strat spiele. Beide Gitarren haben halt ganz unterschiedliche Sounds. Zuhause besitze ich eine Les Paul Junior mit P90.

Tokai LS 129 Love Rock Les Paul, Baujahr 2016 mit Kloppmann-PAFs
Die Fender Stratocaster Custom Shop ‘62, Baujahr 2012 in Sonic Blue
Powells Momose ‘58 Style Korina V, Baujahr 2019
Royale Warrior Flying V von Kevin Chilcott, Baujahr 2004 mit Kloppman-Pickups
Case Guitars APJV, Baujahr 2014, mit Fishman Piezo in der Brücke
Gibson Les Paul Historic R9, Baujahr 2008

 

Welche Geschichte steckt hinter deiner Tokai Les Paul, die in den frühen Achtzigern den Ruf hatten, besser als damalige Gibson Les Pauls zu sein.

MA: Ich bin glücklicherweise mit den Jungs von Tokai in England befreundet. Ich kenne sie seit langem, denn ich habe eine Weile in einem Gitarrenladen gearbeitet und viele Tokais verkauft. Als ich dann zu Wishbone Ash kam, kaufte ich mir eine wundervolle Les Paul Gold Top, die zurzeit meine Hauptgitarre ist. Um sie zu schonen, bat ich die Jungs bei Tokai, mir ein möglichst identisches Exemplar zu besorgen, woraufhin sie mir diese organisierten, die ich jetzt mit auf Tournee habe. Sie hat den gleichen Hals und die gleiche Elektrik wie meine Gold Top – sie ist ebenfalls eine wundervolle Gitarre.

Andy, an welche Ära von Wishbone Ash erinnert dich ‚Coat Of Arms‘?

AP: An unterschiedliche Phasen. Sie wurde sehr ehrlich aufgenommen, ähnlich wie damals ‚Argus‘: einfach nur vier Musiker, die zusammen spielen.

Nur wenige Spuren wurden gedoppelt, da Dopplungen kaum notwendig waren. Es gibt immerhin ein paar Querverweise an frühere Stücke. Zum Beispiel ‚It‘s Only You I See‘ hat das Feeling von ‚You Rescue Me‘ vom Album ‚New England‘. So etwas passiert jedoch unbewusst, man merkt es erst später, wenn alles fertiggestellt ist. Ich komme mit einer Idee und Mark sagt: „Oh, das klingt ja wie ein Stück von ‚New England‘ oder aus einer früheren Ära der Band. Lass uns an dieser Idee weiterarbeiten.“

Ich weiß, dass die Fans diese Sounds und diese Inhalte mögen. So etwas passiert auf ‚Coat Of Arms‘ auf ganz natürliche Weise. Noch einmal: Mark hat daran einen großen Anteil, denn er sieht die Geschichte von Wishbone Ash natürlich mit anderen Augen als ich. Ich bin und war schlichtweg zu nah dran am Geschehen, um objektiv zu sein. Insofern ist Mark für mich der Gradmesser, ob eine Idee etwas taugt oder nicht.

MA: Es gibt auf dem neuen Album einen Song namens ‚Too Cool For AC‘, bei dem das Riff von mir stammt. Ich hatte eine Art ‚Jail Bait‘ im Hinterkopf, also ein Riff, das in zwei Teile aufgeteilt ist.

Mark, hast du ein Lieblings-Wishbone-Ash-Album?

MA: Ja, ‚New England‘, mit Songs wie ‚Outward Bound‘ oder ‚Lorelie‘.

Bist du von Andy gefragt worden, welche Nummern du gerne auf Tour spielen möchtest?

MA: Auf der letzten nicht, aber auf der davor. Ich wollte unbedingt ‚Standing In The Rain‘ spielen, denn das Stück erinnert mich an meine Kindheit, elf Jahre alt, auf dem Rücksitz im Auto meiner Eltern, vorne im Kassettenrekorder läuft dieser Song. (lacht) Aber eigentlich liebe ich ausnahmslos alle Nummern, die wir spielen.

(Bild: Mineur)

Andy, gibt es bei dir ein Lieblingsalbum oder eine besonders bevorzugte Ära deiner Karriere?

AP: Die Geschichte dieser Band ist unglaublich facettenreich. Im Moment konzentriere ich mich mehr als jemals zuvor aufs Songwriting. Und unter diesen Gesichtspunkten beurteile ich auch die Karriere von Wishbone Ash. Deshalb ergänze ich mich so perfekt mit Mark, denn er achtet dagegen eher auf den Sound und die Attitüde bestimmter Phasen. Ich finde, dass wir in den letzten 20 Jahren unser Songwriting enorm weiterentwickelt haben.

Aber natürlich muss ich den Fans zustimmen, dass die 1970er für Wishbone Ash eine großartige Ära waren. Und natürlich muss ich ihnen auch zustimmen, wenn sie sagen, dass ‚Argus‘ ein Meisterwerk ist. ‚Argus‘ war unser drittes Album, wir hatten unseren Sound gefunden, und vor allem hatten wir mit ‚Argus‘ die musikalische Grundlage geschaffen, um in Amerika auch auf großen Bühnen bestehen zu können. Bis dahin hatten wir nur in kleinen Clubs in England gespielt, und in Clubs funktionieren andere Songs als auf riesigen Bühnen. Auf kleinen Bühnen braucht man schnellere Stücke, wie ‚Vas Dis‘, ‚Queen Of Torture‘ oder ‚Handy‘. Solche Nummern würden auf großen Bühnen jedoch verpuffen. Dort braucht man Hymnen wie ‚Warrior‘ oder ‚Lay Down The Sword‘, Stadionrock-Nummern halt, tolle Songs, die wir seither immer im Programm haben und die die Fans lieben.

Wir haben natürlich noch viele Anhänger, die in den 1970ern großgeworden sind, und ich verstehe, weshalb sie diese Songs mögen. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Bands, die ihre große Bedeutung nur in einer bestimmten Phase hatten, sind wir seit 50 Jahren im Geschäft, haben deshalb volle künstlerische Freiheit und können in unseren neuen Songs Zitate aus unterschiedlichsten Dekaden einbauen. Das Großartige an der gegenwärtigen Phase ist: In der Rockmusik hat sich ein Kreis geschlossen, Vintage-Rock oder Classic-Rock, wie auch immer man diese Musik nennen möchte, ist wieder total angesagt. Und das kommt einer Band, die immer schon organisch gearbeitet hat, natürlich zugute.

Aber hast du in deiner Jugend nicht auch von einer gewissen künstlerischen Naivität profitiert? Etwas, das man intuitiv macht und deshalb einen ganz besonderen Charme bekommt, weil es eben nicht von Erfahrung, sondern von einer gewissen Unschuld geprägt ist.

AP: Eine super Beobachtung! Als junger Musiker hat man totale Freiheit und man ist in direktem Kontakt mit seinen Gefühlen. Man nutzt weniger das Hirn als vielmehr das Herz, und man setzt seine Ideen eher wie ein Puzzle zusammen. In unserem Fall war das Ergebnis in der Tat zeitlos. Ich finde, dass einer der besten Songs, die ich je geschrieben habe, ‚Errors Of My Way‘ ist. Damals war ich gerade mal 20 Jahre alt, wie also konnte ich schon solche Analysen über meine noch kurze Vergangenheit anstellen? (lacht) Eigentlich müsste ein solcher Song von einem 50- oder 60-Jährigen komponiert werden.

Andy Powell (Bild: Mineur)

Es gibt also Stücke, über die du dich heute wunderst, dass du sie in so jungen Jahren schreiben konntest?

AP: Ja, die gibt es, aber ehrlich gesagt denke ich darüber nicht so viel nach. Fakt ist: Wir haben damals überlebt, weil wir aus unserer Armut eine Menge Motivation ziehen konnten. Wir haben damals wirklich gehungert. 1969 lebten wir in einer schäbigen Wohnung in London und arbeiteten jeden Tag zwölf Stunden an unserer Musik. Damals zog man schon mit 17 oder 18 bei seinen Eltern aus und schlug sich alleine durch. Wir waren einfach junge Erwachsene, die keine andere Möglichkeit hatten, als permanent kreativ zu sein und Alben zu produzieren.

Als wir unseren ersten Plattenvertrag unterschrieben hatten, gab es sofort harte Forderungen des Produktmanagers: „Wir wollen von euch pro Jahr zwei Alben und vier Tourneen, und darunter mindestens eine in Amerika!“ Und natürlich machte man das, was die Plattenfirma einem sagte, ohne zu ahnen, dass man auf diese Weise schnell verheizt werden würde. Auf eine gewisse Weise war das ein wenig wie Sklavenarbeit. Man produzierte pausenlos, denn man wollte das Momentum nicht verpassen und erkannte die Dringlichkeit. Für mich war das im Unterschied zu meinen damaligen Bandkollegen kein Problem, ich bin ein echtes Arbeitstier. Ich könnte noch heute mühelos zwölf Stunden Auto fahren und Woche um Woche auf Tournee ziehen. Ich weiß nicht, ob das eine gute Eigenschaft ist, aber ich habe sie nun einmal.

Vielen Dank euch beiden für das nette Gespräch!

(erschienen in Gitarre & Bass 01/2021)

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