Im Interview

John Doe & X: Der große Unbekannte

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(Bild: Kristy Benjamin)

In Amerika ist John Doe eine Institution: Sei es als Bassist der kalifornischen Punk-Legende X, als Gitarrist von The Knitters, als erfolgreicher Solist oder gerngesehener Gast auf unzähligen Folk-, Blues-, Rock- und Americana-Alben. Der 67-jährige gilt als Koryphäe, als Meister der vier wie sechs Saiten. Und als gefragter Schauspieler, der es inzwischen auf über 60 Filme von ,Boogie Nights‘ bis ,Great Balls Of Fire‘ bringt. Aktuell konzentriert er sich jedoch auf X. Ein Quartett, mit dem er das erste Album seit 27 Jahren vorlegt: ,Alphabetland‘.

Dafür gibt der Mann, der mittlerweile in Austin, Texas, lebt, ein seltenes Deutschland-Interview – in Zeiten von Corona via Zoom. Doe sitzt in seinem Arbeitszimmer, das voll ist mit Souvenirs einer 43-jährigen Musikerkarriere, und sinniert stolz über das Schaffen einer Band, die nie wirklich erfolgreich war. Die sich immer wieder lange Auszeiten gegönnt hat und der erst mit jahrzehntelanger Verzögerung die Reputation zuteil wird, die sie verdient: Sängerin Exene Cervenka, Drummer D.J. Bonebrake, Gitarrist Billy Zoom und John Doe sind Pioniere, Opfer der Musikindustrie und trotzige Oldies, die immer weitermachen und eine nach wie vor relevante Botschaft besitzen. Eben für seine Rechte und seine Freiheit auf die Straße zu gehen, sich nichts gefallen zu lassen und dem reaktionären, hässlichen Amerika den Spiegel vors Gesicht zu halten. Eine Aufgabe, die anno 2020 wichtiger denn je scheint.

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John, was hat euch veranlasst, nach 27 Jahren ein neues Album aufzunehmen – zumal ihr daran scheinbar lange kein Interesse gehabt haben sollt? Stimmt das?

Na ja, es war nicht so, als ob wir nicht gewollt hätten. Wir denken nur pragmatisch, was eine ganz normale Sache ist, wenn man älter wird. Ich bin zum Beispiel sehr projektbezogen und eigentlich immer sehr motiviert, wenn ich an etwas glaube. Aber es war ja lange so, dass wir keinen Produzenten und kein Label hatten. Deswegen haben Exene Cervenka und ich auch nicht viel in die Band investiert. Aber dann haben wir Rob Schnapf kennengelernt, der unseren Konzertmitschnitt ,Live In South America‘ gemischt hat. Wir hatten sofort das Gefühl, dass er mit uns auf einer Wellenlänge ist. Dann hat Fat Possum Records unsere ersten vier Alben neu aufgelegt und dabei einen wirklich guten Job geleistet. Somit hatten wir plötzlich ein Label und einen Produzenten. Und weil die erste Single im Herbst 2018 gut lief, haben Exene und ich angefangen, uns mit Songs und Texten zu befassen.

Aber es ist auch das erste X-Album, bei dem alle Bandmitglieder Songwriting-Credits haben.

Das stimmt! Billy und D.J. haben inzwischen mehr Erfahrung was Aufnahmen und Arrangements betrifft. Und es herrscht eine ganz andere Einheit in der Band bzw. sie steuern viel mehr bei als in der Vergangenheit. Sie sind präsenter und richtige, vollwertige Partner. Das ist eine positive Entwicklung.

Warum ist das Ergebnis dann mit 27 Minuten so kurz? Ist das ein Tribut an eure Punkrock-Wurzeln oder eher an die kurze Auffassungsgabe der heutigen Zeit?

Das spielt da sicher auch mit rein. (lacht) Aber die ehrliche Antwort ist: Das war die Anzahl an Songs, die wir am Start hatten. Wobei mir auch lange nicht klar war, welche Art von Album wir da eigentlich machen. Mir fiel auf, dass die meisten Songs schnell waren. Aber bis ich das Ganze von Anfang bis Ende hören konnte, war mir nicht bewusst, dass es einem ziemlich ins Gesicht springt, ohne sonderlich aggressiv zu sein. Also ein Ansatz, wie wir ihn noch nicht verfolgt haben. Nach dem Motto: Wir versuchen nicht, bewusst obskur zu klingen oder möglichst viel Krach zu machen. Vielleicht sollten wir das irgendwann wieder tun, aber momentan bemühen wir uns eher, musikalisch zu sein.

Das Album hat Produktion und Songwriting betreffend den klassischen X-Sound. Eine bewusste Entscheidung?

Durchaus. Ich denke, das war einer der Gründe, warum wir froh waren, mit Rob Schnapf zu arbeiten. Denn er hat das verstanden. Wobei es aber nicht so ist, als ob wir in der Zeit oder in dem Stil gefangen wären, sondern wir haben einfach versucht, das zu machen, was wir am besten können. Zum Beispiel jedes Mal, wenn Billy ein bisschen Rockabilly beisteuern konnte, haben wir ihn dazu ermutigt.

Woher kommt Billys Faszination für Rockabilly, die euch einen markanten Sound beschert hat?

Das ist einfach eine Sache, die er liebt. Und für mich war er der erste, der das in den Punkrock eingebracht hat. Zu der Zeit, Ende der 70er, gab es keinen anderen Gitarristen, der diesen Stil so gut beherrscht und keine Band, die dieses Element für ihren Sound aufgegriffen hat. Klar, da war Brian Setzer, aber er hat eher eine moderne Form von Rockabilly gespielt. Wir hingegen waren ein Hybrid. Und Billy ist ja sogar noch mit Gene Vincent getourt – ganz am Ende seiner Karriere – und auch mit Etta James. Er war mit einigen großen Namen unterwegs, was zeigt, dass er eine echte Koryphäe ist.

Du selbst giltst als renommierter Gitarrist, spielst bei X aber den Bass. Wie kommt‘s – und welches Instrument bevorzugst du?

Ich muss sagen, ich bin wahnsinnig dankbar und froh, dass ich beides spielen darf – Gitarre und Bass. Also, dass ich mich nie für eines von beiden entscheiden musste. Aber die Songs für die Band schreibe ich vorwiegend auf dem Bass, und so war es auch bei ,Alphabetland‘. Das scheint für X am besten zu funktionieren. Meine Solo-Sachen schreibe ich dagegen auf der Gitarre.

Was spielst du auf dem neuen Album, wie setzt sich dein aktuelles Gear zusammen?

Ich verwende einen P-Bass, einen Fender Precision von 1963. Außerdem einen Kay-Bass aus den späten 50ern. Die jage ich durch einen Ampeg B-15, dieses alte Fliptop. Und dann war da noch ein Ampeg-Scroll-Bass. Das ist gerade mein absolutes Lieblingsteil. Rick Danko von The Band, einer meiner großen Bass-Helden, hat genau so ein Instrument verwendet. Durch Rick habe ich wahnsinnig viel über Melodie gelernt. Ich kann wirklich nur jedem raten, sich sein Spiel genauer anzuhören. Der Mann ist umwerfend. Was für ein Feeling und was für ein Groove!

Wie hat sich dein Spiel über die Jahre verändert? Kannst du da eine Entwicklung feststellen?

Ich spiele heute viel simplere Sachen bzw. versuche alles viel einfacher anzugehen. Und ich schätze, so geht es jedem, der das schon eine Weile macht – dass man danach strebt, mit weniger mehr zu erreichen. Seitdem ich in Texas lebe, spiele ich sehr oft mit Leuten aus der Gegend und habe schon ein paar Mal Willie Nelson live erlebt, dessen Gitarrenspiel mich jedes Mal aufs Neue umhaut. Er ist unglaublich.

Gibt es jemanden, mit dem du schon immer einmal spielen wolltest, aber bislang keine Gelegenheit dazu hattest?

Ich wollte immer etwas mit Iggy Pop machen. Das war mein Traum. Ich habe tatsächlich mal bei ihm vorgespielt, als er einen Tour-Bassisten suchte. Leider hat er sich für Mike Watt entschieden, was ich nachvollziehen kann, denn das ist ein super Typ. Er hätte sich kaum besser entscheiden können.

Ihr feiert dieses Jahr nicht nur euer erstes Album seit 1993, sondern auch das 40. Dienstjubiläum eures Debüts. Wie wäre es da – zur Abwechslung – mit ein paar Europa-Gastspielen?

Nichts lieber als das. Das letzte Mal, dass wir in Deutschland waren, war 2012 im Vorprogramm von Pearl Jam, was jedoch nicht für mehr Nachfrage gesorgt hat. Insofern ist es für uns nach wie vor schwierig bis unmöglich, einfach mal eine Tour zu stemmen. Das geht rein finanziell nicht. Und deswegen konzentrieren wir uns notgedrungen auf die USA, weil das rentabler, sprich lukrativer ist.

(Bild: Kevin Estrada)

Das bekannteste Stück von X ist eine ironische, sarkastische Hommage an ,Los Angeles‘ – mit einem Text über Rassismus, Homophobie und Anti-Semitismus in der Stadt der Engel. Wie denkst du heute darüber?

Es ist ganz klar unser Signature-Stück. Und wir spielen es immer noch bei jedem Konzert. Dabei haben wir den Text inzwischen leicht verändert. Nicht, um uns selbst zu zensieren. Aber einige Leute haben sich halt daran gestört, dass wir darin das N-Word benutzt haben.

Verfolgt ihr diesen Ansatz noch immer: Die Öffentlichkeit mit euren Songs wachzurütteln?

Das hoffe ich! Alles, was ich mit einem Song erreichen will, ist den Leuten genug visuelle Bilder und genug narrativen Stoff zu geben, um Teil einer Diskussion zu werden – und anschließend über das Gehörte zu reden. Und Musikalisch geht es bei X vor allem darum, die Sache interessant zu halten.

Angesichts einer gut laufenden Karriere als Solist und als Schauspieler – warum kehrst du immer wieder zu X zurück? Was macht diese Band so wichtig für dich?

Sie ist die Plattform, an der all meine anderen Aktivitäten aufgehängt sind. Ich hätte nie eine Solokarriere gehabt oder mich als Schauspieler versuchen können, wenn es X nicht gegeben hätte. Dessen bin ich mir bewusst, und deshalb genießt X meine uneingeschränkte Priorität. Das wird auch immer so bleiben.

Auch, wenn die Gruppe, rein kommerziell gesehen, nie sonderlich erfolgreich war?

Ich schätze, wir waren ein bisschen zu verrückt. Wobei wir natürlich auch eine Phase hatten, als wir durchaus mit dem Mainstream geliebäugelt haben – als wir anfingen, große Egos zu entwickeln und an unseren eigenen Hype zu glauben. Das war der Moment, als wir ein Album mit Michael Wagner gemacht haben, der zwar bemüht, aber auch sehr deutsch war. Bei ihm musste alles 100-prozentig stimmen. Mit ihm zu arbeiten, hatte was von einem wissenschaftlichen Experiment. Das Ergebnis war ,Ain‘t Love Grand‘, mit dem wir viel Kredibilität verloren haben, auch wenn es sich eigentlich gut verkauft hat. Wer weiß, vielleicht waren wir halt nicht solche Hipster wie Sonic Youth. Jedenfalls haben wir versucht, ein bisschen bei den großen Jungs mitzuspielen – und sind prompt in die Falle getappt.

Inzwischen habt ihr ähnlichen Kultstatus wie Velvet Underground oder die New York Dolls – also nie erfolgreich, aber umso einflussreicher und stilprägender für ganze Generationen nachfolgender Bands.

Stimmt. Und ich muss sagen, dass ich aktuell sehr zufrieden mit unserem Stellenwert in der Musikwelt bin. Denn wenn wir live spielen, warten die Leute vielleicht auf ,Los Angeles‘, ,Soul Kitchen‘ oder ,White Girl‘, aber es ist nicht so, als hätten wir zwei Songs in den Top5 der Single-Charts gehabt und als wäre das alles, was die Leute interessiert. Wir haben ein umfangreiches Repertoire, das kaum Schwachstellen aufweist und auf das ich sehr stolz bin.

Um zum Ende zu kommen: Du bist jetzt 67. Wie lange willst du noch Musik machen?

Ich denke, ich habe noch gut 20 Jahre vor mir. Also bis 90 sollte ich durchhalten. Das ist ein prima Alter für einen Musiker, um abzudanken. Und ich halte es da mit meinem großen Helden Willie Nelson. (lacht) Der spielt immer noch wie ein junger Hüpfer.

(erschienen in Gitarre & Bass 01/2021)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Ist das derselbe John Doe der im Film Bodyguard den Song ” I Will Always Love You” gesungen hat?

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  2. Wer von den drei Männern ist denn John Doe?

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