(Bild: Axel Jusseit)
Napalm Death loten seit fast 40 Jahren die Grenzen extremer Musik aus. Fast drei Dekaden davon hat Bassist Shane Embury mit den britischen Grindcore-Pionieren bestritten, während er sich zusehends zu ihrem Haupt-Songwriter mauserte. Wir sprachen mit dem Urgestein über sein Selbstverständnis als Musiker und ,Throes Of Joy In The Jaws Of Defeatism‘, das eindrucksvolle 16. Studioalbum der Gruppe.
interview
Shane, du hast ja als Schlagzeuger mit dem Musikmachen begonnen. Würdest du sagen, dass deine Herangehensweise am Bass eine eher rhythmische als melodische ist?
Damals wollte jeder Gitarre spielen, und ich war ein bisschen zu spät dran, weshalb ich damit vorliebnehmen musste, was noch übrig war. Mich hinter das Schlagzeug zu setzen, lag allerdings durchaus nahe, weil ich schon als kleiner Junge gern auf allen möglichen Gegenständen getrommelt und Krach gemacht hatte – vor allem den Blecheimern im Haus meiner Großmutter. Die frühen Sachen von Napalm Death waren noch sehr primitiv, was mir entgegenkam, während ich den Bass besser spielen lernte.
Hast du deine Ideen später, nachdem erste eigene Songs am Bass entstanden waren, lieber auf anderen Instrumenten umgesetzt?
Das war eine natürliche Entwicklung. Als ich 1987 zur Band stieß, nahm ich Nik Bullens Posten ein – der seine Parts simpel gehalten hatte, weil er auch für die Vocals zuständig gewesen war – und führte diese Tradition zunächst fort. Während die Songs mit der Zeit anspruchsvoller wurden, fand ich es logisch, beim Komponieren auch auf die Gitarre und später sogar Keyboards zurückzugreifen.
Woher hattest du Gitarrenkenntnisse?
Ich habe mir das meiste selbst beigebracht, aber Bill Steer, der bis 1989 zur Band gehörte und schon damals fast so virtuos wie später bei Carcass spielte, war ein großes Vorbild für mich. Meine Fähigkeiten sind zwar relativ beschränkt, aber heute schreibe ich hauptsächlich auf der Gitarre.
Gab es andere Bassisten, zu denen du aufgeschaut hast?
Geddy Lee von Rush! Klar, die Band klang viel melodischer und progressiver als wir, doch sein Sound, wenn er den Bass verzerrte, war ein Maßstab für mich, und ganz allgemein bewunderte ich den Einfallsreichtum der Jungs. Mein zweites Idol war Venom-Frontmann Cronos, wenn auch eher wegen der Attitüde, die er auf der Bühne zeigte, als aufgrund seines Bassspiels.
(Bild: Gobinder Jhitta)
VORSPRUNG DURCH TECHNIK?
Du betrachtest Songwriting wie die Kanadier Rush von allen Seiten, statt dich nur auf dein Instrument zu konzentrieren.
Das kann man so sagen, ja. Im Studio wirst du mich bestimmt nicht jammern hören, weil der Bass zu leise ist. Im Gegenteil bin ich sogar oft derjenige, der dieses Gitarren-Lick und jenes Drum-Fill im Mix hervorheben möchte, weil es dem jeweiligen Song insgesamt zugutekommt.
Demzufolge dürfte Equipment bei dir nebensächlich sein, falls es dich zum Ziel führt, oder?
Na ja, wenn ich eines nicht missen will, dann Warwick-Bässe, die ich schon seit über 20 Jahren benutze. Ich bin zwar kein Experte, aber auf diese Instrumente kann man sich einfach verlassen, und sie zu spielen fällt angenehm leicht. Davon abgesehen gewinnt man mit dem Alter an Selbstvertrauen und macht sich weniger abhängig von Werkzeugen. Live bevorzuge ich Ampeg-Verstärker und -Boxen.
Röhre oder Transistor?
Röhre, die schweren Geschütze, da bin ich oldschool. Schließlich muss man die tiefen Töne auch im Bauch spüren. Das Signal läuft ansonsten nur noch durch eine DI-Box.
Findest du, dass der Bass im zeitgenössischen Metal einen höheren Stellenwert genießt als früher?
Anfangs war es ja so, dass weder Bands noch Tontechniker wussten, wie sie diese extreme Musik „bändigen“ sollten. Einige unserer Produzenten, wie etwa Simon Efemey oder Russ Russell, haben Pionierarbeit geleistet, was das angeht. Beim Hören unserer letzten Platten erkennt man, dass auch wir davon profitieren. Der Bass war immer sozusagen das letzte Glied in der Kette, bis man begriffen hat, dass er den Sound einer Band maßgeblich mitprägen kann. Selbst in unserem Bereich und im Hardcore oder Punk, wo in erster Linie Bassverzerrung gefragt ist, will das Aufnehmen eines ordentlichen Signals gelernt sein, denn man muss ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen der cleanen und der übersteuerten Spur finden.
Vertraust du auch deshalb weiterhin auf deine SansAmp-Tretmine?
Ja, und auf das Rack-Modell für Produktionen. Russ hat zudem anhand meines Setups im Studio mehrere digitale Presets erstellt, die wir schnell mal eben zum Ausprobieren verschiedener Optionen verwenden können. Beim Einspielen meiner Parts möchte ich die Gitarren nur ganz leise hören, um den Bass rhythmisch hundertprozentig sauber hinzubekommen. Später verzieren wir das Ganze dann manchmal vielleicht noch mit ein paar verrückten Harmonien.
Wie hörst du dich auf der Bühne – über In-Ear-Monitoring?
Nein. Wir nehmen unseren eigenen Live-Mischer mit auf Tour, und ich orientiere mich an dem Sound, den er uns auf der Bühne einstellt. Während der ersten drei, vier Songs werden noch Feinabstimmungen vorgenommen, und dann läuft es eigentlich ganz gut. Mein Gehör hat mit der Zeit gelitten, weil ich früher keinen Gehörschutz verwendet habe, aber zum Glück habe ich keinen Tinnitus.
Du schlägst die Saiten ungewöhnlich weit oben am Hals an, ziehst du dementsprechend dicke auf?
Klar, sonst würden sie ja schlackern wie nichts Gutes. Bei dem mexikanischen Grindcore-Projekt Brujeria, wo ich auch mitmache, stimmen wir noch weiter runter als mit Napalm Death, und die Leute wundern sich bis heute über diese unorthodoxe Spielweise, obwohl Lemmy von Motörhead das schon lange vor mir so gemacht hat. Ich fing einfach irgendwann damit an, ohne darüber nachzudenken, was ich tat. Weshalb sollte ich etwas daran ändern, solange es funktioniert?
(Bild: Gobinder Jhitta)
ZWECK HEILIGT MITTEL
Auf eurem neuen Album experimentiert ihr nicht zum ersten Mal mit Industrial im klassischen Sinn, indem ihr Metallfässer als Percussion einsetzt. Wie kam es dazu?
Wir bemühen uns einfach, mit jeder neuen Platte etwas Frisches anzubieten, statt nur unseren Schuh herunterzuspielen. Viele unserer Demos, die wir vorab machen, klingen für unsere Verhältnisse relativ konventionell, also rufe ich im Studio dazu auf, unsere Komfortzone zu verlassen. Das ist vor allem wichtig, wenn man ein festes Team hat, das sich nach vielen gemeinsamen Jahren intuitiv versteht. Routine tötet die Kreativität.
Vermisst du diesen Mut zu einer Zeit, in der jeder sein Heimstudio hat und vieles ohne die persönliche Interaktion am Computer zusammengestückelt wird?
Oh ja, auch wenn wir selbst stets gründlich vorbereitet in eine neue Produktion gehen. Andererseits kann man von daheim aus wesentlich effizienter arbeiten, weshalb ich in letzter Zeit auf noch mehr Nebenbaustellen unterwegs bin als früher. (lacht) Ich langweile mich einfach ungern, und wie gesagt: Man sollte das Beste aus allem machen und nichts Funktionierendes anzweifeln, bloß weil es nicht der Regel entspricht.
Hältst du deine Einfälle eigentlich immer noch mit einem alten Vierspur-Rekorder fest?
Mittlerweile dienen dazu ein PC und unterwegs mein Smartphone. Auf unserer letzten Welttour saß ich aber oft auch schlicht hinten im Bus und ging meine Ideen wiederholt im Kopf durch; das hält nicht nur gedanklich fit, sondern ist auch eine gute Richtschnur, um Qualität zu bewerten, denn wenn ich etwas schnell vergesse, war es vermutlich ohnehin nicht sonderlich gut. Deswegen hatten wir zu Beginn der Studioarbeit an ,Throes Of Joy In The Jaws Of Defeatism‘ so gut wie keine Songstrukturen festgelegt und konnten umso offener vorgehen.
Dir dürfte es wahrscheinlich auch wichtiger sein, aktiv Musik zu schaffen und etwas dabei zu lernen, als dich bewusst hinzusetzen und beispielsweise an deiner Technik zu feilen.
Dazu fehlt mir sowieso die Zeit, weil die Band normalerweise ständig Konzerte auf der ganzen Welt gibt und ich dazwischen einfach ein Familienmensch sein möchte. Außerdem würde es mir wohl schwerfallen, mich dauerhaft für Musik zu begeistern, wenn ich mich zu trockenem Üben zwingen müsste. Ich probe allerdings mit unserem Drummer Danny Herrera zusammen, so oft es geht, denn er lebt ja in den Vereinigten Staaten. Wir beide sind diejenigen in der Band, die vor Studioaufnahmen immer noch nervös werden, allerdings empfinde ich das überhaupt nicht als negativ. Wahrscheinlich gehe ich meinem privaten Umfeld tierisch auf den Zeiger, weil mir praktisch jede Woche etwas für ein neues Projekt einfällt.
(Bild: Gobinder Jhitta)
AM PULS DER ZEIT
Bedeuten dir aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen genauso viel wie eurem Sänger Barney Greenway, oder lässt du lieber nur die Musik sprechen?
Letzteres. Ich bin nicht kompetent genug, um mich darüber zu äußern, aber keine Frage: die gegenwärtige Situation lässt hier niemanden kalt, und ich mache mir vor allem Sorgen um meinen Nachwuchs. Insofern ist Musik für mich auch eine Art von Eskapismus, um der Wirklichkeit zumindest vorübergehend entfliehen zu können.
Deine Generation ist nicht unbedingt bekannt dafür, sich auf Instagram oder Twitter zu tummeln. Tust du das so ausgiebig, um die Band zu promoten?
Nicht nur, denn wenn du in meinen Feed schaust, stellst du fest, dass da viele persönliche Sachen drin sind. Ich teile mich einfach gerne mit, und wenn das, wie während des Corona-Lockdowns, nicht von Angesicht zu Angesicht möglich ist, dann eben so.
Euer langjähriger Gitarrist Mitch Harris hat sich diesmal aus dem Schaffensprozess ausgeklinkt. Hat das die Dynamik innerhalb der Band verändert?
In den Grundzügen stammt die gesamte Musik auf der Platte von mir, doch wir haben diesmal unseren bisherigen Live-Gitarristen John Cooke ins Songwriting eingebunden. Auch er durfte Ideen beisteuern, was hervorragend geklappt hat, weil er stilistisch aus der gleichen Ecke kommt wie ich. Wir beide lieben Noise Rock und Post Punk, weshalb ich mich freue, in Zukunft noch enger mit ihm zusammenzuarbeiten. Er ist etwas jünger als der Rest von uns und bringt ganz neue Impulse ein. Mit ihm Schritt zu halten, ist echt schwierig, weil er einen mit Musikempfehlungen erschlägt.
Du selbst hast deine Ohren über die Jahre hin immer offengehalten, wie deine eher melodischen Projekte Menace und Tronos beweisen.
Meine Interessen sind vielfältig und ich tausche mich ungeheuer gern mit Leuten aus, die nicht aus der Heavy-Szene stammen … Mein neuestes Ding Dark Sky Burial dürfte diesbezüglich der vorläufige Höhepunkt sein. Ich habe das Material ewig mit mir herumgeschleppt und erst kürzlich digital veröffentlicht. Es tendiert in die Ambient- und Soundtrack-Richtung, überwiegend elektronisches Zeug.
Wahrscheinlich gehe ich meinem privaten Umfeld tierisch auf den Zeiger, weil mir praktisch jede Woche etwas für ein neues Projekt einfällt, aber egal: Man wird nicht jünger, und so bewahre ich mir wenigstens einen Teil meiner Jugend, zumal noch sehr, sehr viel Musik in mir steckt. Meine Ehefrau sagt immer, dass ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe, sei das Beste, was uns passieren konnte.
(erschienen in Gitarre & Bass 01/2021)