Vox auf neuen Pfaden. Der AC30 hat jetzt einen Kumpel, der, wie verlautet, amerikanische Mundarten spricht. Das weiß die Gemeinde spätestens seit der letztjährigen Musikmesse in Frankfurt. Der Bursche hat aber noch ganz schön auf sich warten lassen, bis er endlich bei uns anlandete. Dass hinter dem Design ein Godfather der amerikanischen Boutique-Szene steht, dürfte inzwischen allgemein bekannt sein.
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Tony Bruno darf man getrost als einen der Pioniere der US-Boutique-Szene betrachten. Ein Mann der ersten Stunde sozusagen, der einen exzellenten Ruf genießt. Ein Italo-Amerikaner in New York, seine Firma prosperierend mitten in Manhattan, für Tony wurde vermutlich ein Traum wahr. Dass andere Hersteller auf ihn zukommen, um ihn als Berater für sich zu gewinnen, ist nur allzu verständlich. Und Vox hat es wie wir sehen sogar geschafft, ihn, der eigentlich mit Großserienfertigung nie viel im Sinn hatte, für ein „Joint-Venture“ unter seinem Namen zu engagieren.
Ich hatte das Vergnügen – und es war mir in der Tat ein sehr großes – ihn voriges Jahr auf der Frankfurter Musikmesse zu treffen, eben um ihn zu der Zusammenarbeit mit Vox zu befragen. Kennengelernt habe ich einen überaus freundlichen Kettenraucher mittleren Alters, der freimütig von seiner Person erzählte und sich nicht scheute, tiefe Einblicke in das schwierige Procedere der Fertigung eines hochklassigen Amps in Asien bzw. Koreas zu geben. So missmutig sich sein Gesichtausdruck bisweilen dabei verzog, hatte er manche peinsamen Momente wohl noch immer nicht ganz verdaut. Jedenfalls gab es in mehreren Phasen der Entwicklung massive Probleme, die u. a z. B. mit Sicherheitsbestimmungen im technischen Aufbau zu tun hatten, die umzusetzen zunächst die Sound-Qualität minderten. Lösungen dafür zu finden war im Endeffekt möglich, aber eben mit einigen Malessen verbunden.
Das Resultat seiner Arbeit thront nun vor uns. Wir stellen den Combo in der 2×12″- Version vor. Als Alternative steht ein 1×12″-Modell zu Wahl.
Konstruktion des Vox TB35C2
Tony Bruno selbst baut seit jeher Puristen-Verstärker ohne Schnickschnack. Waren dies zu Anfang in erster Linie Designs, die in der Fender-Tradition stehen, umfasste sein Programm heute alle gängigen Bauarten des Genre (Röhrentypen: EL84, EL34, 6L6, 6V6). Er hatte also allemal genügend Vorlagen zur Hand, als er sich für Vox an die Arbeit machte. Da die Vorgabe für den TB35 war, er solle amerikanischen Tugenden folgen, hat sich Maestro Bruno für ein Quartett 6V6 entschieden, die im Gegentaktbetrieb mit Kathodenbias nominal 35 Watt freimachen.
Getreu seinem offenbar favorisierten Motto „weniger ist mehr“ ist die übrige Ausstattung auf das Wesentliche reduziert. Lediglich ein Kanal steht zur Verfügung, mit (Gain-) Volume, Master-Volume, und klassisch interaktiver Dreibandklangregelung. Um dieses schlichte Konzept effizienter zu machen, wurden drei Schaltfunktionen hinzugefügt. Hinter dem ominösen Macho-Switch verbirgt sich eine Mitten-/Gain-Boost-Stufe, Bass-Boost erklärt sich von selbst. Außerdem besteht die Möglichkeit, das Master-Volume mit einem Hard-Bypass aus dem Signalweg zu nehmen.
Ein Amp in amerikanischer Tradition? Da darf der Federhall nicht fehlen. Das große Accutronics-System liegt, säuberlich in einer Tasche verpackt, auf dem Boden des Combos. Selbstverständlich bereiten in der Hallsektion Röhren das Signal auf. Der TB35C2 verfügt insgesamt in der Vorstufe über vier Stück 12AX7 und eine 12AT7 (alle Ruby-Tubes), die frei stehend installiert sind. Die 6V6 werden von Sockelklammern fixiert und stammen von Electro-Harmonix. Das Format des 2×12-Combos ähnelt auffällig den aktuellen AC30 der CC-Serie. Beim Blick auf die Rückseite intensiviert sich der Eindruck noch, angesichts dessen, wie die beiden zusätzlichen Speaker-Outs (External, Extension) auf der einen, die Netzbuchse und der Fußschalteranschluss auf der anderen Seite angeordnet sind. Wenn man sich die Innereien ansieht, möchte man fast meinen, dass AC30CC-Teile als Basis dienen.
Das zweiteilige Chassis ist sehr ähnlich konstruiert, es steht auf einer Holzplatte die links und rechts so in einer Nut im Gehäuse sitzt, dass man die gesamte Einheit herausziehen kann; der Einschub ist normalerweise seitlich mit je zwei großen Schrauben fixiert. Die Rückwand braucht daher keine tragende Funktion auszuüben. Neugierig fixieren die Augen die Elektrik: Obwohl … nein, der Amp ist nicht frei verdrahtet. Doch ist dem Platinenaufbau anzusehen, dass besondere Sorgfalt bei der Konstruktion aufgebracht wurde, z. B. in Hinblick auf die mechanische Stabilität.
Wie z. B. sicher von Vorteil ist, dass die Endröhren separat im Chassis stehen, sie frei verdrahtet sind, ihre Fassungen nicht direkt auf den Platinen kontaktiert werden. Ansonsten sehen wir hochwertige Hochspannungsschalter, kleine Alpha-Potis, monströse Cinch-Buchsen mit vergoldeten Kontakten im Hallweg … durchweg solide Komponenten, aber wenig spektakulär. Wie auch das Chassis mit der schlichten Siebdruckbeschriftung wenig nach Boutique anmutet.
Substanz und Konstruktion des hinten offenen Gehäuses folgen den geltenden Maximalstandards, indem z. B. Birkenschichtholz Verwendung findet. Seine Verarbeitung macht im Großen und Ganzen einen guten bis sehr guten Eindruck. Erfreulich ist z. B., dass die (dünne) untere Rückwand hinten mit einer dicken Leiste verstärkt ist und so besonders stabil ist. Ob es geschickt ist, zugunsten der Optik auf Schutzkappen zu verzichten, sei mal dahingestellt. Sicher nicht günstig ist, dass zwischen dem Gehäuse und dem Amp-Chassis oben am Rand des Bedien-Panels ein Spalt von ca. drei Millimeter klafft; oder soll das zusätzliche Belüftung bringen?
Eingedenk dessen, dass der TB35C2 angeblich auf amerikanische Sound-Tugenden hin gedrillt sein soll, darf man sich über die Speaker-Bestückung durchaus wundern. Celestions G12-65, der in Marshalls JCM800-Serie der 1980er-Jahre besondere Meriten einheimste, kommt in der aktuellen Heritage-Version zum Einsatz. Die beiden Chassis sind mit Maschinenschrauben und Einschlaggewinden befestigt; sauber, so wollen wir das haben.
Der Vox TB35C2 in der Praxis
Eins gleich vorweg: Wer einen realistischen Eindruck von dem TB35C2 bekommen möchte, muss ihn weit aufdrehen, sprich laut spielen. Verschämt leise in der Ecke im Laden an ihm rumdaddeln geht gar nicht. Da wirkt er leblos und seelenleer.
Das zweite vorweg: Der Amp ist recht heiß ausgelegt, weswegen richtig cleane Sounds lautstärkemäßig begrenzt sind. So etwas scheint bei der Entwicklung auch gar nicht im Lastenheft gestanden zu haben, denn der TB35C2 verfügt über einen weiten „quasi-clean“-Bereich, in dem nur subtilere Obertonverfärbungen entstehen; damit outet er sich als Vintage-orientierter Testkandidat – war ja auch fast nicht anders zu erwarten – und erfreulicherweise als einer, der dem Spieler mit intensiver dynamischer Reaktion zur Seite steht.
Womit primär homogenes Changieren der Zerrintensität gemeint ist, wenn die Spieltechnik das provoziert oder man das Guitar-Volume bemüht. Der TB35C2 unterstützt damit sehr schön den musikalischen Ausdruck. Dies andererseits mit einer ziemlich strammen Gegenwehr. Der Bursche gibt nicht nach. Erst an der Leistungsgrenze lässt er locker, schnauft tiefer durch und macht dann eigentlich auch am meisten Spaß. Fein, hört sich aber in den Fähigkeiten etwa eingleisig an, oder? So ist dem zum Glück nicht. Im Prinzip haben wir es mit einem Amp zu tun, der zwischen mehr oder weniger intensivem Overdrive und sattem Crunch hin- und herwechseln kann. Denn der Macho-Modus versetzt der Wiedergabe im rechten Verhältnis den Gain- Kick für eine zweite (Solo-)Sound-Ebene. Der Ton verzerrt mehr, wird vor allem in den unteren Mitten fetter und insgesamt eine Stufe lauter. Bleibt aber alles immer noch sehr erdig, weitab von satter Distortion geschweige den High-Gain-Lead. Und der Combo schnauzt einem immer rigoros die Wahrheit ins Gesicht. Sauber in die Saiten langen ist angesagt; wer grützt, den stellt der TB35C2 gnadenlos an den Pranger (und die Muckerpolizei zerreißt sich die Mäuler; die könnten wir ruhig mal abschaffen, überflüssig wie Hundedreck unterm Schuh).
Souveräne Handwerker belohnt der Combo also mit einer kultivierten Old-School-Attitüde. Die designierte Klientel ist demnach in den maßvollen Bereichen des (Retro-)Rock zu suchen, natürlich voll und ganz im Blues, aber der TB35C2 kann auch Country-Fans sehr gut bedienen. Die entscheidende Frage beim Kaufentscheid wird letztlich sein, ob denn der Toncharakter zusagt. Obacht, der Fingerzeig von Vox auf „amerikanisches Vintage-Röhren-Voicing“ kann fehlleiten. Jedenfalls hatte man bei der Aussage anscheinend nicht unbedingt nur Fender-Tugenden der Blackface-Ära im Sinn. Der Combo erzeugt keinen weichen Höhenglanz. Obwohl er harmonisch verzerrt, wirkt er vielmehr heiser und etwas rau in den oberen Frequenzen, als ob da Gene britischer Ahnen durchschlagen. Sein Tonfall ist von daher durchaus extrovertiert, doch letztlich nur gemäßigt aggressiv. Er kann vermeintlich auch eine leicht penetrante Art zur Schau tragen, was aber nur so wirkt als ob, weil er ein ehrliche Haut ist, und ohne Umschweife zeigt, wenn das Instrument Quälgeistiges von sich gibt. Man stöpsele ihm also bitte nicht irgendwelche Billig-Strats u. ä. ein.
Die offene Combo-Konstruktion plus die G12-65 provozieren eine besondere, kräftige Betonung im Mittenspektrum. Der TB35C2 zieht daraus einen eigenen markanten Charakter. Der Amp selbst geht linearer mit den Signalen um, wie der Gegencheck mit anderen Speakern/Cabinets verdeutlichte. Der Stresstest für fast jeden Kandidaten der hier antritt, ist, sich an den Weber-Alnicos in der Marble 4×12-Box zu beweisen. Die decken vor allem Unwägbarkeiten im Hochtonbereich auf. Hier zeigte sich, dass nicht (allein) die G12-65 das Klanggeschehen mit der zitierten britischen Note würzen, sondern der Verstärker selbst bereits so gelagert ist.
Die Klangregelung zeigt gute Effizienz, wenn der Amp praxisgerecht benutzt wird, also wie eingangs gesagt, er einigermaßen gefordert wird. Schlank tönende Gitarren können mit dem Bass-Boost aufgepäppelt werden. Die Funktion kann außerdem nützlich sein, wenn man schmutzige Klangfarben der 60s und 70s reproduzieren will. Extras sind bei dem Combo ansonsten rar gesät. Kein Einschleifweg, über den mitgelieferten schlichten Einfach-Fußschalter (ohne LED) lässt sich lediglich der Macho-Modus fernbedienen. Der Federhall guckt verlegen in die Röhre, kein Remote-On/Off – warum nicht, muss man sich angesichts des Preises fragen. Dafür klingt der Reverb äußerst kultiviert und setzt den Sounds so die Krone auf. Im Übrigen ist das Master-Volume bei diesem Amp nicht (primär) als Lautstärkebremse zu verstehen, damit man verzerrte Stillarbeit im Wohnzimmer leisten kann. Nein, es dient vielmehr dazu, im wechselseitigen Ausbalancieren der Aussteuerung mit dem Volume-Poti den Arbeitspunkt respektive den Sound feinfühlig bestimmen zu können.
Alternativen zum Vox TB35C2
Da ist zunächst die andere Modellvariante aus eigenem Hause zu nennen. Die 1×12″-Version ist glatt für ca. EUR 350 weniger zu haben – keine Ahnung, wie es zu der hohen Differenz kommt. Konstruktiv vergleichbare Produkte anderer Hersteller, bezogen auf die vier 6V6 in der Endstufe samt der edlen Heritage-Speaker, gibt es kaum. Eine tonal etwas anders gelagerte, mindestens ebenbürtige Alternative in der Preisklasse wäre aber z. B. Blackstars Artisan-30-Combo, der mit PTP-Verdrahtung glänzt, zwei spartanische Kanäle hat, und ohne Hall kommt.
Resümee
Tony Bruno entwirft einen Amp für Vox, lauert da nicht irgendwie im Hintergrund der Slogan „Boutique-Sound zum Economy-Tarif“?! Na klar, und die Rechnung geht sogar weitgehend auf. Den absoluten Spitzenprodukten der Boutique-Szene kann der TB35C2 nicht auf die Pelle rücken, dazu fehlen ihm die letzten Körner etwa in Sachen Plastizität der Sound-Formung. Grundsätzlich ist sein Leistungsvermögen jedoch sehr respektabel, sowohl was die Klangkultur angeht als vor allem auch die Dynamik und das Ansprechverhalten. Der Purist ist im Ton erfreulich variabel und bietet dank des Macho-Boost zwei Sound-Ebenen. Warum der kultivierte Federhall nicht fußschaltbar ausgeführt ist, bleibt unverständlich.
Die Verarbeitung und der sachlich gehaltene Aufbau offenbaren keine Highlights, sind aber einwandfrei.
Das Gleiche gilt für die Qualität der Bauteile, mit Ausnahme der Speaker, die eindeutig einen Luxus darstellen. Die Summe aus Substanz und Leistungsvermögen ergibt: Der TB35C2 ist empfehlenswert und unkritisch im Preis.
Übersicht
Fabrikat: Vox
Modell: TB35C2
Gerätetyp: E-Gitarren-Verstärker, Combo, ein Kanal
andere Modellversionen: TB35C1 mit 1×12″-Bestückung, ca. € 1368
Gewicht: Combos ca. 33,5 kg
Maße: ca. 695 × 524 × 260 BHT/mm
Vertrieb: Musik Meyer
35041 Marburg
www.voxamps.de
Zubehör: Netzkabel, Einfach-Fußschaltpedal (Status d. Macho-Modus, ohne LED) m. ca. 4,9 m langem Kabel, Schutzhülle, mehrsprachige Bedienungsanleitung (u. a. in Deutsch)
Es handelt sich mitnichten um die “edlen” Heritage-Speaker. Vielmehr sind es chinesische Celestion G12-65.
Diese Celestion Lautsprecher wurden von Celestion selber für diesen Verstärker speziell hergestellt.
Man kann sie einzeln nicht erwerben.