Line 6 James Tyler Variax JTV-59 und JTV-69 im Test

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Zwei Modeling-E-Gitarren in verschiedenen Designs von Line 6, stehend
(Bild: Dieter Stork)

 

E-Gitarristen gelten im Allgemeinen als konservativ, ihnen Instrumente mit aktiver Elektronik und Batterie anzubieten ist gewagt. Line 6 geht dieses Wagnis ein. In enger Zusammenarbeit mit Gitarrenguru James Tyler entstand eine neue Serie von Variax Modeling-Gitarren, erstmals auch mit „richtigen“ Tonabnehmern.

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Sichtbare Pickups gab es nämlich bei den bisherigen Line-6-Variax-E-Gitarren nicht, was nicht nur optisch vielen E-Gitarristen ein „Hier fehlt doch was!“ suggerierte. Bei den James-Tyler-Variax-Modellen können magnetische Tonabnehmer und Piezo-Elemente für die Modeling-Ansteuerung alternativ genutzt werden, auch hat Line 6 die Stromversorgung durch den Einsatz eines Akkus verbessert.

 

Konstruktion von Line 6 James Tyler Variax JTV-59 und JTV-69

Aus drei Modellen besteht momentan die Line 6 JTV-Serie: Die JTV-59 zeigt mit Mahagonikorpus, eingeleimtem Mahagonihals, kurzer Mensur und gewölbter Ahorndecke unverkennbar Les-Paul-Einflüsse, während die JTV-69 mit HSS-Pickup-Bestückung, Erlekorpus, aufgeschraubtem Ahornhals, 648-mm-Mensur und Vibrato-Einheit, Ähnlichkeit zu einer Fender Stratocaster nicht leugnen kann. Dritte im Bunde ist die JTV-89, die sich in erster Linie an Hard- & Heavy-Player wendet, und nicht Bestandteil dieses Tests ist.

Die Gitarren werden in Korea produziert. Entwickelt hat sie, wie bereits kurz erwähnt James Tyler, der auch für den Aufbau der Tonabnehmer und Brückenkonstruktionen verantwortlich ist. Das Erscheinungsbild beider GItarren ist makellos, Material-, Bauteil- und Verarbeitungsqualitäten liegen auf ansprechend hohem Niveau. Die Bünde wurden vorbildlich abgerichtet und poliert, auch stören keine Grate an den Griffbrettkanten die Handhabung. Die Oberflächen der JTV-59 sowie der Korpus der JTV-69 erstrahlen in einem tadellos ausgeführten Hochglanzlack, während Halsrückseite und Kopfplatte der JTV-69 seidenmatt dünn versiegelt, und anschließend poliert wurden.

Von vorn betrachtet sieht man den Instrumenten ihre Modeling-Eigenschaften erst auf den zweiten Blick an: Zwei der jeweils vier Regler entpuppen sich als beleuchtete Rasterpotis, für Modell- und Stimmungsanwahl. Auch die neu konstruierten Piezo-Elemente in den Brücken (Stoptail Bridge bei der JTV-59, Zweipunkt-gelagertes Vibrato-System bei der JTV-69) wirken optisch unauffällig. Auf der Rückseite machen sich die Unterschiede zu normalen E-Gitarren schon eher bemerkbar. Hier finden wir ein Akkufach mit Schnappdeckel und neben der gewohnten Elektrikfachabdeckung eine zweite, unter der sich die Modeling-Elektronik, nebst hexaphonischer Verbindung zu den Piezo-Elementen befindet. Jede Saite wird also separat abgenommen und prozessiert.

 

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(Bild: Dieter Stork)

 

Die Lage dieses Modeling-Fachs verhindert bei der JTV-59 eine ergonomische Konturierung der Rückseite; einen Rippenspoiler finden wir bei diesem Modell im Gegensatz zur JTV-69 also nicht. Unten im Zargen befindet sich auf einer schwarzen Kunststoffabdeckung neben der etwas hakeligen Klinkenausgangsbuchse ein digitaler VDI-Ausgang, zum direkten Anschluss der Variax an den Line 6 POD HD500, die hauseigenen Verstärker der DT-Serie, oder das Variax Workbench-Interface. Dieses liegt inklusive der benötigten beiden Verbindungskabel bei, außerdem ein angenehm kompakt und leicht geratener Lithium-Ionen-Akku, ein international nutzbares Ladegerät, und eine durchdacht aufgebaute mehrsprachige Anleitung.

Im Praxistest steht zu Vergleichszwecken meine Line 6 Variax 600, mit Vibrato-System bereit. Den Markennamen Line 6 findet man bei den Neulingen übrigens ausschließlich auf der Rückseite; James Tyler steht bei diesen Variax-Gitarren eindeutig im Vordergrund.

 

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Variax Workbench, eine virtuelle Gitarrenbauwerkstatt

 

Line 6 James Tyler Variax JTV-59 und JTV-69 in der Praxis

Der Akku wird noch aufgeladen, der ungeduldige Tester stöpselt trotzdem schon mal eine JT-Variax ein. Und: Ohne irgendeinen Knopf zu drücken funktioniert der Betrieb über die zusätzlichen Magnet-Tonabnehmer und ihre passive Elektronik einwandfrei auch ohne (oder bei leerem) Akku. Sehr konservativ, sehr schön!

Mit einem Gewicht von jeweils knapp über 3 kg hängen beide Instrumente perfekt am Gurt, bzw. liegen auf dem Oberschenkel, eine Kopflastigkeit ist nicht zu vermelden. Die Halsprofile beider Gitarren geben sich angenehm klassisch. Hier gibt es statt dünner Rennhälse ordentlich was in die Hand, ohne zu dick aufzutragen. Bereits unverstärkt offenbaren beide Modelle, dass sie aus gutem Tonholz gefertigt wurden. Sehr schwingungsintensiv, brillant und gleichsam voll, auch in höheren Lagen. Die gekapselten Stimmmechaniken laufen sahnig und halten die Stimmung einwandfrei.

Mittlerweile signalisiert das Ladegerät, dass der ihm anvertraute Saftspender aufgeladen ist. Schiebt man diesen Akku in sein Fach, zeigen vier grüne LEDs automatisch den Ladezustand an. Über einen außen am Rahmen angebrachten kleinen Taster lässt sich jederzeit überprüfen, ob noch genügend Power vorhanden ist; voll aufgeladen reicht der Akku beruhigende 10 bis 12 Betriebsstunden lang.

Auch bei eingesetztem Akku starten die JTV-Modelle beim Einstöpseln generell im Magnet-PU-Modus. Die Tonwandler sind bei beiden Instrumenten mit Alnico-Magneten bestückt, und können ohne Probleme noch näher an die Saiten justiert werden, zum Angleichen an den Pegel der virtuellen Modelle. Über ihre magnetischen Tonwandler liefern beide JTV-Instrumente frische, kräftige und dynamische Sounds, im Stile von modernen S-Style bzw. Paula-Modellen. Die 3- bzw. 5-Wegeschalter arbeiten stramm und präzise. Sie sind auch für die Umschaltung der Tonabnehmer-Positionen etc. der Modeling-Elektronik zuständig. Das gilt auch für die sahnig laufenden Master-Volume- und -Tone-Potis. Der in seiner Gängigkeit verstellbare Vibratohebel beim JTV-69-Modell steckt ohne Spiel in seiner Aufnahme. Das Vibrato-System arbeitet angenehm flüssig, in beiden Richtungen und so gut wie verstimmungsfrei.

Drückt man den Modellwahlschalter einmal herunter, befindet man sich unvermittelt und fast ohne Umschaltknackser im Modeling-Bereich. Und das Erfreuliche: Man bemerkt es bei passend angewähltem Gitarren-Modell zunächst nicht, denn der Grundklang ist sehr natürlich, und dem akustischen Erscheinungsbild der „Magnet-Abteilung“ angeglichen. Welches Modell mit welchem Tuning gerade aktiv ist wird durch per LEDs beleuchtete Bezeichnungen in den Drehschaltern gut erkennbar angezeigt.

Jede Bank enthält fünf Modelle, welche mit dem 5-Wege-Schalter der JTV-69 auch in logischer Abfolge anwählbar sind; beispielsweise alle fünf Positionen einer Stratocaster. Für die mit einem 3-Way-Toggle-Switch ausgestattete JTV-59 muss für die Positionen 2 und 4 der Tuning-Drehschalter gedrückt werden. Kein Problem, gut gelöst, zumal die LEDs dann mit blauem statt weißem Licht dieses auch optisch kundtun.

Die eigentliche Gitarrenmodellauswahl ist mit denen früherer Variax-E-Gitarren identisch, die meisten Modelle wurden jedoch erheblich verbessert bzw. verfeinert, was im direkten Vergleich zur Variax 600 besonders deutlich hervorsticht. Detailreicher, spritziger und knackiger zeigen sich die JTV-Modeling-Sounds. Gegenüber älteren Variax-Modellen stellen Saitenrutschgeräusche nun kein Problem mehr dar, auch klingen abgedämpfte Noten natürlicher, und nicht mehr übertrieben pappig und hohl. Zart gezupfte Töne werden von den Piezo-Elementen nun unterbrechungsfrei übertragen, auch das Zusammenwirken mit der Vibrato-Einheit geht ohne Tonaussetzer über die Bühne.

Die akustischen Instrumente wurden meinem Empfinden nach für die JTV-Gitarren neu modelliert, so drastisch im positiven Sinne sind die Unterschiede zur Variax 600. Lebendig, detailreich, und teils fast dreidimensional kommt hier die Akustik-Abteilung inklusive zweier Resonator-Gitarren rüber, Klasse! Das Coral-Sitar-Modell fehlt natürlich auch nicht, es sirrt hier noch etwas stärker als früher.

Virtuell umstimmen konnte man die Modelle der Variax-Gitarren schon immer. Doch nun erhielten die alternativen Stimmungen einen eigenen Stufendrehschalter, und stehen allen Modellen zur Verfügung. Unabhängig davon lassen sich Open Tunings weiterhin auch im Modell selbst verankern, sodass beispielsweise die Dobro beim Aktivieren gleich automatisch in Open G erklingt. Da der Stufendrehschalter auch eine „Standard“-Rasterung bietet, lassen sich auf diese Weise virtuell umgestimmt gespeicherte Instrumente auch in Standardstimmung spielen, sehr praktisch! Auch können offene Stimmungen bzw. ein virtueller Kapodaster direkt am Instrument selbst programmiert werden.

Ein etwas heikles Thema stellen weiterhin die virtuellen Oktavsaiten der 12-String-Modelle dar. Man hört halt sofort, dass sie per Pitch-Shifting entstanden sind, und dadurch nicht besonders echt, sondern unnatürlich hohl klingen. Diese Einschränkung gilt allerdings in erster Linie fürs Legato-Spiel, und fällt besonders bei der leicht verstimmt wirkenden virtuellen Rickenbacker 360-12 auf, und das nicht nur im direkten Vergleich mit einem Original-Instrument. Beim Strumming gehen diese Einschränkungen im Band-Gefüge bzw. bei Recordings im Mix fast unter. Eine Bearbeitung dieser Modelle mit der Variax-Workbench-Software ist also anzuraten und hilft durch Fein-Tuning der Oktav-Saiten auch etwas über dieses Manko hinweg. Die beiden akustischen 12-Saiter-Modelle sind auch ohne Nachbehandlung bei Strummings nahe dran am Original.

 

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(Bild: Dieter Stork)

 

Bei einigen wenigen Gitarren-Modellen können kritische Ohren bei cleanen Verstärkereinstellungen hin und wieder eine Art „akustische Beule“ im Frequenzgang, eine unnatürliche Dröhnfrequenz hören, die besonders bei Dropped Tunings auffällt. Dieses recht subtile Phänomen findet sich auch bei allen Variax-Vorgängermodellen. Bei verzerrt eingestelltem Amp verschwindet dieser Eindruck übrigens.

Die akustischen Modelle klingen selbstverständlich ausschließlich über ein Fullrange-System wie ein Akustik-Gitarren-Amp oder eine P.A. ansprechend, und nicht über einen E-Gitarren-Amp. Live braucht man zum Umschalten also eine A/B-Box. Früher lag allen Variax-E-Gitarren eine Line 6 XPS-D.I.-Box bei, die auch die Stromversorgung über ein dreiadriges Klinkenkabel übernehmen kann. Solch eine Box soll in Kürze als JTV-Zubehörteil, mit Klinken- und XLR-Ausgängen ebenfalls in den Handel kommen.

Dafür gehört bei den JTV-Modellen das Variax Workbench-Set zum Lieferumfang, welches es früher separat zu kaufen galt. Dieses Set erweitert als „Virtuelle Gitarrenbau-Werkstatt“ die Möglichkeiten der JTV-Modelle immens. Mit der Software lassen sich virtuell z. B. Tonabnehmer austauschen bzw. drehen, die Oktavsaiten der 12-String-Modelle leiser drehen, und alle Presets im Instrument frei mit selbst geschaffenen Kreationen belegen. Einen ausführlichen Testbericht findet ihr in Ausgabe 10/2005.

 

Resümee

Line 6 und James Tyler haben sich mächtig ins Zeug gelegt, die JT-Variax-Gitarren klingen richtig gut, die Modellqualität wurde gegenüber den Vorgängern stark verbessert. Ob virtuelle Strat, Tele, Paula, ES-335, Gretsch 6120, Jazz-, Akustik- oder Resonatorgitarre, alles klingt und reagiert verblüffend echt und inspirierend, entsprechende Spielweise und Verstärker vorausgesetzt. Die 12-String-Modelle sollte Line 6 noch nachbessern, sie lassen sich allerdings auch selbst mit dem zum Lieferumfang gehörigen Variax Workbench-Set etwas anpassen. Es war ein guter Schachzug die JTV-Modelle konservativ aufzubauen. Mit ihren zusätzlichen magnetischen Tonwandler sehen sie nicht nur „normal“ aus, sondern lassen sich auch problemlos und mit beachtlichen klanglichen Ergebnissen auch ohne Strom spielen. Das neu entwickelte Akku-System für den Modeling-Betrieb ist durchdacht und praktisch. 10 bis 12 Stunden kann so am Stück gespielt werden, und eine LED-Batteriekontrolle fehlt auch nicht.

So unterschiedlich die beiden getesteten JTV-Modelle in Konstruktion, Holzauswahl, Mensur und Magnet-Pickup-Auswahl auch sein mögen, im reinen Modeling-Betrieb wirkt sich dies kaum aus. Komplett ersetzen kann eine James Tyler Variax die Originale natürlich nicht, aber wer beispielsweise als Top-40-Gitarrist oder für Recordings „im Handumdrehen“ alle gängigen Instrumente in ansprechender Qualität dabei haben möchte, sollte die Line 6 JTV-Gitarren unbedingt zu einem persönlichen Test vormerken.

 

Extra: Die Geschichte des Gitarren-Modelings

Im Januar des Jahres 1995 zeigte Roland auf der Winter NAMM Show dem erstaunten Publikum sein VG-8-System (Test in Ausgabe 6/1995), welches erstmals in der Geschichte digitale Modelle von Gitarren, Bässen und Verstärkern enthielt. Um dieses große Bodengerät ansteuern zu können, ist ein hexaphonischer GK-Pickup notwendig, der zusätzlich auf eine E-Gitarre bzw. einen Bass montiert sein muss. Dieser Umstand, sowie ein Verkaufspreis von ca. DM 4650 sorgten für einen überschaubaren Käuferkreis. Ein großer Erfolg war das Roland VG-8-System trotzdem, es folgten die Modelle VG-88 (2000) und das aktuelle VG-99 (2007).

Die Erfindung der Modeling-Gitarre – bei der die komplette Elektronik im Instrument selbst integriert ist – kann sich Line 6 auf die Fahne schreiben. 2002 erschien die Variax 500 (Test in Ausgabe 6/2003), es folgten bis 2006 die E-Gitarrenmodelle Variax 700, Variax 300 und Variax 600 sowie einige Variax-Akustik-Gitarren und -Bässe.

Auf Basis der hauseigenen Stratocaster brachte Fender im Jahre 2007 die VG Stratocaster (Test in Ausgabe 7/2007) heraus. Als Novum bei Modeling-Gitarren sind bei der Fender VG Stratocaster zusätzlich zum hexaphonen Pickup in der Saitenaufhängung drei ganz normale Strat-Singlecoil-Pickups an den gewohnten Positionen montiert, und können alternativ zum Modeling benutzt werden.

Auf der Frankfurter Musikmesse 2010 stellte Line 6 an einem eigenen Stand die aktuellen James Tyler Variax-Modelle JTV-59, JTV-69 und JTV-89 vor. Bis zur Serienreife sollte es jedoch fast bis zum Herbst 2011 dauern.

 

Übersicht

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Plus

  • Modellqualität, Tonansprache
  • Bedienung, Handling
  • Tuning-Drehschalter
  • deutliche Verbesserungen gegenüber Vorgängermodellen
  • Variax Workbench im Lieferumfang enthalten
  • Akku-Laufzeit
  • passiver Magnet-Pickup-Betrieb ohne Akku möglich

 

Minus

  • virtuelle Oktavsaiten (12-String-Modelle)

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