(Bild: Robby Staebler)
Auf Triogröße geschrumpft, an musikalischer Bedeutung zugelegt: Könnte man das aktuelle Album ‚Nothing As The Ideal‘ der amerikanischen Rockband All Them Witches unter dieser simplen Formel zusammenfassen? Fakt ist: Wer seine neue Scheibe in den sagenumwobenen Londoner Abbey Road Studios aufnimmt, in denen niemand Geringeres als die Beatles immerhin 14 Nummer-Eins-Hits produziert haben, kann kein musikalisches Leichtgewicht mehr sein.
Nach fünf Studioalben und weltumspannenden Tourneen hat die Gruppe um Gitarrist Ben McLeod, Bassist und Multiinstrumentalist Michael Parks sowie Drummer Robby Staebler im achten Jahr ihrer Existenz mit den neuen Songs offenbar ein zukunftsweisendes Kapitel ihrer Geschichte aufgeschlagen. Dass mit diesem Schritt die grundlegende Philosophie der Gruppe dennoch nicht auf den Kopf gestellt wurde, sondern ihre Arbeitsgrundlage weiterhin auf ausladenden Jam-Sessions, freien Improvisationen und bewusstem Live-Charakter basiert, hat uns Michael Parks in einem ausführlichen Interview erläutert. Zudem gewährt er einen Blick auf sein Studio-Equipment und erklärt, wie für ihn zeitgemäßer Southern Rock klingen müsste.
Michael, wie kommt man als amerikanische Rockband auf die Idee, in den Londoner Abbey Road Studios aufzunehmen?
Eher zufällig und in gewisser Weise aus der Not heraus. (grinst) Ehrlich gesagt hatten wir anfangs keine praktikable Idee, wo wir unser neues Album einspielen können. Zunächst dachten wir darüber nach, ein eigenes Studio einzurichten, aber mit diesem Vorschlag waren nicht alle Bandmitglieder einverstanden. Dann eröffnete sich plötzlich die Chance, unsere neue Scheibe im Abbey Road einzuspielen. Damit startete augenblicklich eine Vision, die eine ungeheure Eigendynamik entwickelte.
Wir komponierten lediglich 50% des Materials zuhause und entschieden, die zweite Hälfte während der Aufnahmen in London zu entwickeln und dabei die besondere Aura des Studiogebäudes in unsere Kreativität einfließen zu lassen. Weitergehende Planungen gab es nicht, wir wollten uns einfach auf unsere Ohren und auf unsere Intuition verlassen. Wir wissen, dass sowieso jedes unserer Alben immer nur ein Schnappschuss der gegenwärtigen Situation sein kann und später auf der Bühne teilweise komplett anders klingen wird, als das auf Platte der Fall ist.
Wie sind die vorbereiteten Songs des Albums konkret entstanden?
Auf ganz unterschiedliche Weise. Manchmal nutzten wir einen Soundcheck, um an irgendwelchen Ideen herumzubasteln, manchmal machten wir gezielt Jam-Sessions, und manchmal entstanden Stücke auf ganz traditionelle Weise in unserem Proberaum. Für mich selbst gibt es da kein spezielles Muster, sondern eher eine grundlegende Philosophie, wie All Them Witches kreativ arbeiten sollten. Wir wissen, dass es den perfekten Song eh nicht gibt und dass unsere Songs auf der Bühne sowieso jeden Abend ein wenig anders klingen. Auf Tournee spielen wir ohne Clicktrack, ändern Abend für Abend die Setlist, so entstehen von ganz allein unterschiedliche Versionen unserer Songs.
Wie war dein Eindruck, als du die Abbey Road Studios zum allerersten Mal betreten hast?
Ich ahnte, dass Abbey Road zu mir und zu All Them Witches perfekt passen würde. Als wir das Studio 2 erstmals betraten, war es fast wie unser eigenes Zuhause. Normalerweise hasse ich Studios, da sie komplett gegen meine künstlerischen Weltanschauungen sind. Aber in Abbey Road ist alles aufs Wesentliche reduziert, die Räume sind sehr spartanisch eingerichtet, und genau das mag ich. Mir gefiel auch die unglaublich herzliche Begrüßung, die wir dort erfahren haben. Ich dachte: Wenn sich auch die Beatles damals so herzlich willkommen gefühlt haben, ist es kein Wunder, dass Paul McCartney und John Lennon dort solche großartigen Ideen entwickeln konnten. Es ist ein wenig wie Disneyland, sehr magisch, etwas ganz Besonderes.
(Bild: Joe Charlton)
Inwieweit hatte der Studioaufenthalt in Abbey Road dann tatsächlich ganz konkret Einfluss auf euer neues Album ‚Nothing As The Ideal‘?
Es fing schon mit dem Equipment an. In Abbey Road gibt es ein riesiges Lager mit den außergewöhnlichsten Mikrofonen. Viele von ihnen wurden exklusiv von der EMI in Auftrag gegeben und kamen bereits bei den Beatles, bei Jimi Hendrix oder Eric Clapton zum Einsatz. Außerdem spielt man plötzlich auf Instrumenten, die auch schon Pink Floyd für ‚Dark Side Of The Moon‘ und ‚Wish You Were Here‘ benutzt haben, oder auf einem Klavier, das bei einer Madonna-Produktion zum Einsatz kam. Und soll ich dir noch etwas verraten?
Ja, bitte!
Ich wette, dass man auf ‚Nothing As The Ideal‘ in einigen Passagen tatsächlich hören kann, welches Equipment bereits von Pink Floyd verwendet wurde.
Hat ‚Nothing As The Ideal‘ trotz eurer amerikanischen Herkunft in London ein britisches Flair bekommen?
Schwer zu sagen. Von den acht Songs, die auf dem Album zu finden sind, waren fünf bei Produktionsbeginn bereits fertig komponiert. Ob die drei Stücke, die in London entstanden sind, ein europäisches oder gar britisches Feeling haben? Ich habe, ehrlich gesagt, noch nicht darüber nachgedacht, aber da eine Menge englisches Equipment zum Einsatz kam, könnte es durchaus sein.
Welches Equipment konkret meinst du?
Na ja, zum Beispiel wurden meine Bass-Parts über einen Hiwatt-Amp aufgenommen. Der Hiwatt Custom Shop besteht letztlich nur aus drei Leuten, aber die waren total nett zu mir und haben mir jeden Wunsch erfüllt. Ich bekam einen Hiwatt DR201 mit 200 Watt und 8x10er-Box, das coolste Equipment, das ich jemals zur Verfügung hatte. Ansonsten habe ich meine eigenen Bässe und auch meine eigenen Pedale aus Amerika mitgebracht. Ich hatte übrigens auch einen Marshall-Head dabei, doch bei dem sind mir schon zu Beginn der Aufnahmen die Röhren implodiert.
(Bild: Joe Charlton)
Mit welchen Bässen hast du ‚Nothing As The Ideal‘ eingespielt?
Mit meinem Ness Custom, den mir Derek Ness aus Nashville gebaut hat. Es ist die Kopie meines 72er-Rickenbacker, nur mit Drop-Tuner und zudem viel besser und robuster als der Original-Rickenbacker. Der kommt eigentlich nur noch zu Promotion-Zwecken zum Einsatz und wird, außer gelegentlich im Studio, kaum noch gespielt.
Und Effektpedale?
Neben einem Tuner habe ich immer zwei Greer Little Samson dabei, die wie Marshalls in einer kleinen Box funktionieren, dazu einen Pigtronix Infinity Looper und einen Red Panda Raster als Pitchshifter und Delay sowie ein Gamechanger Audio Plus Pedal und ein MXR Sub Machine Octave Fuzz.
An welcher Position der Aufnahmekette beginnst du mit dem Einspielen deiner Bass-Parts?
Ich nehme von Beginn an mit auf, bereits vom ersten Tag an. Vieles von dem, was man auf ‚Nothing As The Ideal‘ hört, sind First Takes. Es gibt nur einige wenige Passagen, die ich wiederholt habe. Wir nehmen alles live auf, sind immer allesamt im Aufnahmeraum und sehr fokussiert bei der Sache.
Spielst du mit Finger oder mit Plektrum?
Sowohl als auch. Der Bass hat im Gesamt-Sound von All Them Witches eine große Bedeutung, deswegen bevorzuge ich beispielsweise Half-Round-Strings, um sowohl mit Fingern als auch mit Plektrum spielen zu können. Ich brauche immer eine unmittelbare Reaktion des Instruments auf die Art, wie ich anschlage.
(Bild: Robby Staebler)
Und bist du eher Melodie- oder Groove-orientiert?
Ich glaube, ich bin stärker auf den Groove fokussiert. Mein Vater war selbst ein außerordentlich talentierter Bassist. Er hatte als Musiker zwar nicht übermäßig viel Erfolg, besitzt aber ein tolles Feeling. Er spielte vornehmlich Blues und Jazz, und von ihm lernte ich auch die ersten Griffe. Dann wechselte ich zur Gitarre, war aber nur Rhythmusgitarrist, weil ich einfach keine Soli spielen kann. Letztlich bin ich dann aber wieder beim Bass gelandet.
Wer hat dich als junger Musiker am stärksten beeinflusst?
Ich finde, man hört, dass ich in Louisiana aufgewachsen bin. Dort sind Cajun Music und Blues an der Tagesordnung. Aber natürlich ist jeder Rockmusik-Fan immer auch ein wenig von Metallica inspiriert, oder? Meine ältere Schwester war früher ein großer Hardrock-Fan, durch sie kam ich schon als kleiner Junge mit dieser Musik in Berührung. Allerdings: Ein konkretes Vorbild aus diesem Genre könnte ich dir gar nicht nennen. Ich liebe Pink Floyd und Little Feat. Lustig ist: Wenn mein Vater singt, klingt er fast wie Lowell George. (lacht)
Ich habe immer schon Lowell Gorges Slide-Spiel geliebt. Das Album ‚Dixie Chicken‘ ist bei mir sicherlich schon 3000 Mal gelaufen. Wo wir gerade beim Thema sind: Kannst du mir eigentlich die Wahrheit über Lowell Georges Ausstieg bei Frank Zappa sagen? Stimmt es, dass er gefeuert wurde, weil er unbedingt einen Song über Drogenkonsum spielen wollte?
Die Version, die ich gehört habe, lautet: Zappa äußerte gegenüber Lowell George, dass er eigentlich zu gut sei, um keine eigene Band zu haben. Daraufhin hat er Little Feat formiert.
Oh gut, das beruhigt mich. Ich mag so etwas. Ich finde, wenn man Musik macht, muss es das eigene Leben verändern. Alles andere interessiert mich an Musik nicht. Ich gehe nie auf Partys, so wie es eigentlich alle Rockmusiker machen. Ich betrinke mich auch nie. In dieser Hinsicht bin ich für meine Berufsgruppe ein eher unorthodoxer Zeitgenosse.
Eigentlich der prädestinierte Solomusiker, oder?
Da sagst du etwas! Ich habe in den zurückliegenden zehn Jahren eine ganze Reihe eigener Songs zusammengetragen, um die ich mich derzeit kümmere, da ich wegen der abgesagten Tour von All Them Witches jetzt endlich die Zeit dazu finde. Ich bin deshalb extra wieder zurück auf die Farm meiner Familie gezogen, um mich darauf konzentrieren zu können.
Unser Drummer Robbie ist ein völlig anderer Typ Mensch. Er ist ein toller Fotograf, macht Videos, designt Skateboards und hilft als Engineer jüngeren Bands. Ich dagegen lebe eher abgeschieden, spiele etwas Gitarre und schreibe Lieder, die ein wenig in Richtung der Sad Bastards gehen. Ich mache alles selbst, außer den Drums. Ich spiele Gitarre, Bass, Klavier, Violine und Akkordeon, ich singe und schreibe Texte. Manche nennen das, was ich mache ‚Southern Gothic‘, was immer damit gemeint sein könnte.
Danke für das nette Gespräch!
(erschienen in Gitarre & Bass 10/2020)