(Bild: Dieter Stork)
Mit fünf Zerr-Modes unter der Haube ist Walrus Audios jüngster Overdrive-Streich nicht nur optisch etwas ganz Besonderes. Aber dafür hat sich die Firma aus Oklahoma City auch lange genug Zeit gelassen.
Fast vier Jahre ist es her, dass mit dem 385 Overdrive das bislang letzte neu entwickelte Stand-Alone-Zerrpedal der US-amerikanischen Effektschmiede auf den Markt kam. Danach konzentrierten sich die Macher vor allem auf Modulationsund Hall/Echo-Effekte wie das Chorus/Vibrato-Pedal Julia V2, den Phaser Lilian, das ARP-87 Digital-Delay oder den Slö Multi-Texture-Reverb, die allesamt viele Fans gefunden haben. Neben hochklassigen Komponenten und Sounds warten die Schöpfungen fast immer mit außergewöhnlichen Designs auf. Ob Taucher, Raumschiff, heulende Wölfe, Pilotinnen oder Mondsicheln – bei Walrus Audio gibt es immer auch was fürs Auge.
Doch das Design des neuen Ages toppt alle vorherigen Kreationen: Auf olivgrünem Grund schaut einem ein Elefanten-Mutant mit vier Stoßzähnen und drei Rüsseln – oder vielleicht einem Rüssel und zwei krakenartigen Tentakelbeinen – entgegen. Das Bild macht nicht nur optisch einiges her, es passt es auch perfekt zum Konzept des neuen Overdrives: Mehr von allem – und das mit jeder Menge Kraft und Energie.
5 MODES PLUS X
Herzstück des Pedals ist der fünfstufige Mode-Schalter in der Mitte der unteren Poti-Reihe, der entsprechend viele Grund-Sounds bereitstellt, die von verschiedenen internen Signalverarbeitungen erzeugt werden. Dazu gleich mehr. Außergewöhnlich ist auch der Dry-Regler, über den das unverzerrte Originalsignal dem verzerrten hinzugemischt werden kann. Als dritte, kleinere Besonderheit wurde der Bass-Regler aktiv ausgeführt und zudem im Signalweg vor der Zerreinheit platziert – wodurch er für größere Eingriffe in den Sound sorgen kann. Die restlichen drei Potis arbeiten dagegen eher konventionell: Volume kontrolliert die Ausgangslautstärke, Gain den Zerranteil, Treble dämpft die hohen Frequenzen. Die Potis arbeiten feinfühlig, sind dabei aber straff genug konstruiert, um versehentliches Verstellen bei leichten Berührungen zu vermeiden. Sämtliche Buchsen des Pedals sitzen an der Stirnseite, was auf dem Board Platz spart.
Für die fünf unterschiedlichen Sounds stehen zwei Typen von Clipping-Dioden zur Verfügung (Silikon und LED), dazu gibt es zwei interne Gain-Strukturen sowie eine weitere Schaltoption: Modus 5 arbeitet im Gegensatz zu seinen vier Vorpositionen mit Hard- statt mit Soft-Clipping. Die Platine im Inneren des Pedals ist entsprechend üppig bestückt. Hier die einzelnen Faktoren mit den Werksangaben zum Sound-Ergebnis in der Übersicht:
- Modus 1: Low-Gain, symmetrisches Silikon-Soft-Clipping. Komprimierter, weicher Ton.
- Modus 2: Low-Gain, symmetrisches LED-Soft-Clipping. Offen und spritzig.
- Modus 3: High-Gain, symmetrisches Silikon-Soft-Clipping. Erhöhte Sättigung, tighter Ton.
- Modus 4: High-Gain, symmetrisches LED-Soft-Clipping. Gesättigt, „punchy“, groß.
- Modus 5: High-Gain, symmetrisches Silikon-Hard-Clipping. Fett und komprimiert.
Diese Beschreibungen sind wie immer subjektiv, die Ergebnisse und Empfindungen können, je nach Spieler und Equipment, stark unterschiedlich sein, aber als Hausnummer und Grundlage für eigene Experimente sind sie sicher ein guter Startpunkt. Allerdings sollte man sich davon auch nicht festnageln lassen. Vereinfacht kann man sagen, dass die LED-Dioden im Vergleich zu Silikon mehr Headroom und Dynamik haben, weniger schnell in die Sättigung gehen, und dass Modus 5 mit seinem Hard-Clipping am ehesten in Richtung Distortion weist. Welchem Dioden-Typ und -Sound man den Vorzug gibt, und ob man es lieber hart oder soft clippen lässt, das ist reine Geschmackssache.
Dennoch sollte schon an diesem Punkt klar geworden sein, dass es sich beim Ages um einen ziemlich flexiblen Vertreter seiner Art handelt, der in vielen Setups gut einsetzbar ist. Alles Weitere sollte man daher im persönlichen Test für sich herausfinden, denn nicht nur das restliche Equipment, der Musikstil und die eigenen Finger spielen dabei eine große Rolle. Ob das Ages alleine für Drive sorgt, etwa vor einem cleanen Amp, oder ob weitere Gain-Komponenten wie andere Treter oder ein angezerrter Verstärker im Spiel sind, beeinflusst das Ergebnis maßgeblich. Walrus Audio jedenfalls empfiehlt das Pedal auch für den Einsatz in einem Multi-Drive-Setup. Wie bei anderen Zerren, kann auch das Volume-Poti in die Sound-Formung einbezogen werden, indem es die nachfolgenden Komponenten mit höheren Pegeln an- und ggf. überfährt. Seine Entwickler haben dem Ages dafür einiges an Schub-Potential mit auf den Weg gegeben.
(Bild: Dieter Stork)
BANDBREITE
Beim Test kam zunächst eine Les Paul Custom zum Einsatz, mit der das Ages eine breite Palette an Rocksounds bis hin zu satten, Gary-Moore-artigen Zerrklängen abdeckte. Die nachfolgende Tele brachte dann zusätzlichen Biss ins Spiel. Beide waren bei jeder Stellung der Potis klar zu unterscheiden. Das Pedal ist also das ziemliche Gegenteil eines Gleichmachers. Beeindruckend waren aber vor allem die vielfältigen Soundoptionen und -nuancen, die das Ages bietet. Mit zurückgenommenem Gain-Anteil lässt es sich mit einer Strat auch bestens bluesen. Dabei reagiert das Pedal sehr feinfühlig und dynamisch auf das Attack und die Stellung des Volume-Potis an der Gitarre.
Neben der Wahl zwischen Humbucker- oder Singlecoil-bestückten Gitarren hat auch die Position des Dry-Potis große Auswirkungen auf den Sound. Mit höherem Anteil wird der Ton transparenter und bekommt ein breiteres Fundament sowie mehr Attack – dabei im Mix aber natürlich einen verringerten Zerranteil. Damit lässt sich also der Sound aufklaren, ohne dass man dafür die Gain-Position verändern muss. Über den aktiven Bassregler lassen sich tendenziell mumpfende Humbucker verschlanken und umgekehrt dünnere Singlecoil-Sounds unten herum anfetten.
Wenn man die Sounds 1 und 3 sowie 2 und 4 mit ihren identischen Dioden und Clipping-Varianten direkt vergleicht, wird der Gain-Sprung offensichtlich, vor allem bei zurückgenommenem Dry-Poti. Modus 5 eignet sich sehr gut für singende Leadsounds – mit erhöhtem Dry-Anteil wird er auch für deftige Rhythmusklänge interessant. Doch selbst in dieser heftigsten Position reicht die Zerrmenge nicht für derbe Metal-Einsätze, auch der Grundsound ist dafür zu wenig extrem. Da hat Walrus Audio mit dem Iron Horse ein vielleicht passenderes Pedal im Programm. Oder man stellt dem Ages ein weiteres Drive-Aggregat oder einen EQ zur Seite.
Eine Sache sollte man beim Einsatz nicht aus den Augen verlieren: Durch die verschiedenen Komponenten und Signalbearbeitungen der einzelnen Modes, unterscheiden sich deren Pegel zum Teil signifikant. So vielseitig das Ages auch ist – einfach mal zwischen Refrain und Solo den Modus und damit den Sound zu ändern, funktioniert nicht ohne Weiteres. Und dafür ist das Pedal auch nicht konzipiert – sonst hätte es vielleicht auch einen Fußschalter zum Wechsel der Modes spendiert bekommen. Im Live-Einsatz sollte man sich also eher auf einen Sound konzentrieren.
Da sich das Ages aber sehr gut mit anderen Gain-Einheiten verträgt, kann mittels Stacking für Sound-Vielfalt gesorgt werden. Und da spielt der olivgrüne Elefant wahrlich seine Stärken aus. Durch seine große Bandbreite lässt sich das Pedal auch sehr gut in ein vorhandenes Setup integrieren. Damit kann man es in der Tat als echten Multi-Drive bezeichnen.
Zum Ende noch ein kleiner Geheimtipp: Im Inneren des Ages sitzt ein kleiner Trimmer, mit dem der Presence-Anteil reguliert werden kann. Ab Werk ist er auf die dunkelste Einstellung gesetzt, es lässt sich also obenrum noch etwas nachjustieren.
RESÜMEE
Das Warten hat sich gelohnt. Mit dem Ages präsentiert Walrus Audio ein äußerst vielseitiges Drive-Pedal, das außer derbem Metal fast alles kann. Mit seinen vielfältigen Optionen hebt es sich von den meisten seiner Mitbewerber ab und bietet damit, trotz des nicht gerade kleinen Preises, viel fürs Geld. Einen Sonderpunkt gibt es für das extravagante und originelle Design.
PLUS
- Sound-Qualität und -Vielfalt
- Ausstattung
- Preis-Leistungs-Verhältnis
- Design
(erschienen in Gitarre & Bass 08/2020)
Silikon ist das Zeug was man in Fugen schmiert.
Das Material aus den Dioden ist Silicium.