Ilja Lappin von der Artcore/Progressive-Band The Hirsch Effekt berichtet von den Auswirkungen durch Covid-19, seiner Herangehensweise ans Songwriting, seinem Equipment und den Eigenschaften, die man als Vollzeitmusiker mitbringen muss. Einige Tipps für die Leser hält er dabei auch parat.
In diesen Zeiten ist es für eine eher dem Independent-Segment zuzuordnende Band gar nicht so leicht, ein neues Album an die Hörerschaft zu bringen. Dass das Trio aus Hannover es mit dem fünften Album ‚Kollaps‘ trotzdem wieder in die deutschen Charts geschafft hat, zeigt, was für einen hohen Stellenwert die Drei inzwischen genießen. Immerhin ist ihre Musik alles andere als leichte Kost für den Otto-Normal-Hörer und nichts, was im Radio nennenswerte Rotation bekommen würde.
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Ilja, wir leben aktuell in einer schwierigen Phase, insbesondere für Kulturschaffende ist es nicht leicht. Wie stark bist du durch Covid-19 betroffen?
Sehr stark. Ich habe einen Verdienstausfall von 100%. Ich habe vier Tourneen verloren, darunter eine Albumreleasetour mit meiner eigenen Band. Der Schaden ist natürlich groß, weil es in unserem Bereich keine Kompensation oder Ausfallgagen gibt. Der Band sind auch einige Partner abgesprungen, der Albumverkauf leidet unheimlich stark unter der Krise. Das hat dem Verkaufsplan, den wir vor der Coronakrise aufgebaut hatten, natürlich einen Strich durch die Rechnung gemacht. ‚Kollaps‘ ist auch ungefähr 50 Plätze hinter der letzten Platte in die Charts eingestiegen … Aber immerhin ist sie überhaupt in den Charts. Das einzig Schöne, das ich daraus lesen kann, ist, dass wir sehr viele geile Fans haben. Das sehe ich eher als Dankeschön. Die hätten das Album auch nur streamen können, weil jetzt alle gar kein Geld ausgeben wollen.
Finanzen sind ein gutes Stichwort. Ihr finanziert euch mit The Hirsch Effekt. Funktioniert das gut für euch? Bleibt für euch etwas dabei übrig?
Früher war das mit Patreon ein bisschen schwierig, weil das Konzept bei den Leuten noch nicht so angekommen war, denke ich. Inzwischen ist es das aber. Das Schöne an dieser Plattform ist, dass da kein Label oder eine Agentur dazwischensteht und die Leute mehr oder weniger der Band direkt das Geld zukommen lassen. Natürlich für den Content, den sie dann produziert. Man muss wirklich froh sein, dass es Patreon gibt, weil das im Moment die einzig konstante Möglichkeit ist, über die man als Künstler monatlich Geld generieren kann. Im Moment fließt das alles aber erstmal in die Bandkasse.
Du hast auf ‚Kollaps‘ einen Song im Alleingang geschrieben. War deine Arbeitsweise anders als wenn du nur deine Bass-Parts ausarbeitest?
Ich habe auch schon früher für die Band alleine Songs geschrieben. Wir schreiben alle für mehrere Instrumente, das ist für mich ein natürlicher Prozess. Ich gehe da meist nach Gefühl und habe eine Vision im Kopf, wie ich mir den Song vorstelle. Wenn ich mir Bass-Parts überlege, dann höre ich natürlich, was die Gitarre und das Schlagzeug und alle anderen Instrumente machen. Auf dieser Basis versuche ich dann, eine Linie zu finden, die perfekt in diesen Song reinpasst und die anderen Instrumente unterstützt.
Kannst du anderen Bassisten Tipps geben, wie sie ihre Basslines interessanter gestalten können?
Ja, da gibt es ein paar ganz allgemeine Tipps. Wenn die Nummer auf einem Bass-Riff basiert, hat man natürlich unendlich viele Möglichkeiten. Und da kann man dann natürlich total durchdrehen und verrückte Sachen machen, auch mit Technik usw., wie zum Beispiel bei der Band Primus. Anders ist es, wenn du mit einer Band arbeitest, wo schon ein Riff da ist oder ein Schlagzeug-Part, wie im Fall von ‚Kris‘ auf dem neuen Album. Bei dem Song waren Gitarre und Schlagzeug schon fertig und ich musste mir dann etwas überlegen.
Da kann ich nur den Tipp geben: Hör darauf, was die anderen Instrumente machen. Da geht es weniger um Spielkunst oder Technik, aber im besten Fall lässt sich das irgendwie integrieren. Hör genau hin, was Gitarrist und Schlagzeug gemeinsam machen, und was unterschiedlich? Wo ist die Lücke, die du füllen könntest? Der Bass muss, meiner Ansicht nach, immer noch als Rhythmusinstrument gezählt werden, du bist der Groove. Versuch erstmal die Gitarre und das Schlagzeug zusammenzukleben, dann erst kommt die Melodie.
Und wenn man merkt, dass da noch etwas Platz für die Bassline ist, dann bring vielleicht einen Slap oder etwas anderes Besonderes rein. Aber erzwing es nicht. Du musst abwägen, ob die Bassline wirklich zu den Ideen passt und die Musik dadurch etwas gewinnt. Das finde ich enorm wichtig.
Welche Hard- und Softskills braucht ein moderner Bassist, um erfolgreich zu sein?
Man muss sich immer über sein Instrument und die Funktion bewusst werden. Ich kann bei THE nur deswegen so viel rumzocken, weil Nils, unser Gitarrist, mir auch den Platz lässt. Da kann man sich ausleben, bei anderer Musik ist das nicht so. Deswegen muss man immer verstehen, dass der Bass Schlagzeug und Gitarre oder Keys zusammenklebt. Da muss man sich eher zurückhalten. Ich glaube, Victor Wooten hat mal gesagt, dass die Leute aufhören zu tanzen, wenn der Bass weg ist. Weil du eben alles zusammenhältst und diese Groove-Ebene ist das Wichtigste überhaupt.
Die meisten Spieltechniken, die im Internet suggeriert werden, wie etwa Slapping und Tapping, braucht man, ehrlich gesagt, in der mir bekannten Berufsmusikerwelt nicht. Es ist nie verkehrt, das zu können, aber ich würde immer sagen, lern erstmal: grooven, grooven, grooven. Das ist viel wichtiger. Phrasierung, Ton-Länge, Slides, Anschlagsstärke für bestimmte Arten von Bands. Ich kann mich nur schwer als Pop-Bassist anbieten, wenn ich dann die ganze Zeit reinhaue wie ein Irrer. Man ist sein ganzes Leben eigentlich permanent damit beschäftigt, herauszufinden, was seine Rolle in der Band ist. Da muss man auch immer kritisch bleiben und sich hinterfragen.
Grundsätzlich hat das aber auch ganz viel mit dem Hören im Allgemeinen zu tun. Alle guten Bassisten, die ich kenne, checken ganz genau ab, was bei jedem Instrument um sie herum passiert. Das machen andere Saiteninstrumentalisten zum Beispiel weniger, habe ich das Gefühl. Hinzukommt, dass du als Berufsmusiker komplett durchorganisiert sein musst. Du musst erreichbar sein, wenn Gig- oder Tournee-Anfragen kommen. Keiner möchte erst nach vier Tagen von dir eine Antwort haben. Dann hast du den Job nicht, den hat dann jemand anderes. Das klingt krass, aber so ist die Musikerwelt eben.
Du musst erreichbar sein, du musst eine Präsenz, in Form eines Instragram- oder Facebook-Accounts haben. Sich ein Profil zu gestalten ist durchaus wichtig, weil es deine Visitenkarte ist. Und auch die soziale Komponente ist am Ende des Tages manchmal wichtiger als dein Können als Musiker. Und das finde ich auch gut so. Ich kenne viele, die nicht die krassesten Musiker auf dem Markt sind, aber sie sind freundlich und organisiert. Mit denen macht es dann einfach großen Spaß auf Tour zu fahren.
Würdest du dich als Gear-Nerd bezeichnen?
Ich kenne Kollegen, die, die sind noch viel schlimmer als ich. Bei mir ist das noch so ein gesundes Mittelmaß. Ich drifte auch gern mal ab und kaufe mir viele Plugins und muss das neueste Pedal haben, aber ich habe irgendwann damit auch einfach mal aufgehört und mich darauf beschränkt, was ich habe. Vor allem hinterfrage ich wirklich, ob ich das noch brauche. Aber ich bin trotzdem sehr interessiert an Gear und neuen Sounds und Möglichkeiten. Ich glaube, das Interesse hört nie auf, weil der Markt sich stetig entwickelt und immer irgendetwas Neues kommt, oder man ältere Sachen entdeckt, von denen man gar nicht wusste, dass es sie gibt.
Siehst du einen Trend in der Gear-Industrie? Wohin geht, deiner Meinung nach, die Reise?
Ich denke, die Reise wird vor allem digitaler. Gerade im Profimusiker-Business ist das gut zu beobachten. Ich kenne keine professionelle Produktion, die keinen Kemper am Start hat. Und wenn es kein Kemper ist, dann ein Axe-Fx oder Helix oder etwas ähnliches. Es gibt inzwischen so viele gute Plugins, die so echt und grandios klingen, dass wir mit The Hirsch Effekt die letzten beiden Platten auch komplett ausschließlich über Kemper aufgenommen und und die Signale dann mit Plugins bearbeitet haben. Ich glaube, das ist es, wo der Trend hingeht.
Hast du für dein eigenes Setup Pläne oder Wünsche? Du bist mit Kemper plus Board ja breit aufgestellt.
Mein Traum-Setup wäre tatsächlich eine Mischform aus Plugins, Kemper und einem DI-Gerät. Zuhause habe ich ein Avalon U5, was ich sehr gern benutze. Daraus würde ich gern ein DI-Signal ans FOH geben, parallel zum Kemper gehen und dann noch einen Weg haben, bei dem ich das Parallax-Plugin von Neural DSP oder ein anderes verwenden könnte. Aber das wäre für die Live-Situation extrem aufwendig und ich frage mich, ob irgendjemand den Unterschied hören würde …
Du spielst ja hauptsächlich Spector. Hattest du schon einmal DEN einen Bass in der Hand, der dir nicht aus dem Kopf geht?
Ich finde schon, dass der Spector genau das ist, was ich immer gesucht habe und was ich als sinnvoll und nützlich empfinde für die Musik, die ich mache. Und dieser Bass ist so etwas wie mein Sound geworden. Ein US-Spector zu haben, der nochmal ein Stück geiler ist als ein Euro, das wäre tierisch. Der Spector ist für mich mein Hauptbass, und davon will ich auch nicht weg. Aber wenn ich gerade nicht Spector spiele, spiele ich gern Precis. Die sind völlig anders, aber Precis funktionieren für viele Musikstile unglaublich gut. Als Bassist bleibt man immer offen für die Bässe, die auf einen zukommen. Aber ob das dann wirklich ein Must-Have ist, ist eine ganze andere Frage.
Bild: Ilja Lappin
Neben Spector-Bässen stehen vor allem Precis hoch im Kurs.
Bild: Ilja Lappin
Spector Euro 5-Saiter
Wer sind deine Bassidole? Und merkst du deren Einflüsse in deinem Spiel?
Ja, natürlich. Ich habe mich von vielen Bassisten beeinflussen lassen. Ich bin großer Flea-Fan und würde sagen, dass mein Spiel auch von seiner Herangehensweise und von seinem fetten, funkigen Bass-Sound inspiriert ist. Er hat im Rockband-Kontext einfach unglaublich viel bewegt. Victor Wooten ist auf jeden Fall auch ein Einfluss. Als ich ihn zum ersten Mal hörte, hat sich für mich eine ganz eigene, neue Welt eröffnet. Ich glaube, dass ich im Akkordspiel oder was Tapping-Ideen betrifft, von ihm beeinflusst bin. Ferner noch Les Claypool, Marcus Miller, Jaco, etc.
Und das mag jetzt etwas komisch klingen, weil er eigentlich kein Bassist ist, aber ich habe mich auch ein Stück weit von der Herangehensweise von Trent Reznor inspirieren lassen. Seine Riffs bei Nine Inch Nails bestehen aus nur ganz wenigen Tönen und trotzdem hat man das Gefühl, dass dem Song nichts fehlt. Er spielt zwei Töne und man denkt sich: „Warum bin ich nicht selbst auf diese Bassline gekommen? Der hat den Job des Bassisten besser verstanden als ich.“ (lacht)
Vielen Dank für deine Zeit, Ilja. Klar, sehr gern.