Potzblitz, nun kommt aber echt Alarm auf in der Brotbüchsenkompanie. Am Anfang noch schlicht und schmal, wurden und werden sie sukzessiv immer leistungsfähiger, die kleinen Röhren-Amps zum Unter-den-Arm-klemmen. Das hier dürfte nun, zumindest vorläufig, der Höhepunkt sein: Drei Kanäle in Vollröhrentechnik plus geschickte Extras, der V3M plustert sich auf wie ein großer. Wenn er auch entsprechend auf den Putz haut, könnte er zum Platzhirsch avancieren.
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Mit so einem kompakten Verstärkerkonzept tun sich natürlich noch andere Möglichkeiten auf, als nur ein Topteil zu offerieren. Das schreit ja geradezu nach einem Combo. Genau, bietet Carvin auch an, in der platzsparenden 1×12-Ausführung mit Celestion-Speaker (ca. € 1150). Außerdem gibt es für das Topteil Montagewinkel für die Unterbringung im 19″-Rack. Als Ergänzung zum Head eignen sich z. B. die Boxenmodelle 112V und 212V (Preise n.n.b.). Für den Transport empfiehlt sich der als Extra erhältliche „Carrying Bag“, der mit ca. € 66 zu Buche schlägt.
Noch ein Wort zu Carvin selbst, da es in letzter Zeit hierzulande recht still um das US-Unternehmen war und somit längst nicht jeder mit dem Namen etwas anfangen kann. Wer hätte z. B. gedacht, dass die Firma bereits vor 65 Jahren, 1946, gegründet wurde, damals schon mit der Idee des Direkt-Marketings. Das Angebot hat sich mit der Zeit auf quasi alle Bereiche der Musikelektronik ausgeweitet, vom handgefertigten Instrument bis zum professionellen P.A.-System; und ja, in den Staaten ist Carvin durchaus eine große Nummer. Die ins Auge gefasste Ausweitung des Vertriebs in Europa kommt nun langsam in Gang. In Deutschland fungiert Station-Music in 89343-Jettingen/Scheppach als offizieller Distributor.
Konstruktion des Carvin V3M
Viel Forschung musste Carvin für die Realisierung des V3M-Projektes nicht betreiben. Befand sich das R&D-Department doch in der komfortablen Lage, auf erprobtes Material zurückgreifen zu können. Carvin hat nämlich schon seit einiger Zeit eine V3-Serie im Programm, die sich um ein ausgewachsenes dreikanaliges Power-Topteil (100 Watt, 4xEL34) gruppiert. Dessen Technik bildet die Grundlage für den V3M. Es wurde mehr oder weniger nur die EL34-Endstufe durch eine mit vier EL84 ersetzt, die zugunsten maximaler Leistungsausbeute im Class-AB-Betrieb arbeitet. Dementsprechend erfolgt die Gleichrichtung über Halbleiterdioden. So erzeugt der V3M die respektable Nennleistung von ca. 50 Watt.
Beachtlich ist die Konzeption des kompakten Topteils aber vor allem, weil es drei großzügig ausgestattete Preamp-Kanäle offeriert. Jede Sektion verfügt über einen Drive/Gain-Regler und ein (Master-)Volume-Poti, sowie eine Vierbandklangregelung mit Bass, Mid, Treble und Presence. Die Funktionsweise der klassisch passiv arbeitenden Tonsektion kann obendrein mit dem sogenannten EQX-Schalter verändert werden. Das (nur in Englisch vorliegende) Handbuch verspricht eine zweite Regelebene, die in den Höhen und Bässen breitere Frequenzbereiche abdeckt – wir werden sehen. In jedem Kanal steht außerdem ein Dreiwege-Schalter zur Verfügung, der die Gain-/Vorverstärkungsstruktur verändert. Eine Maßnahme, die seinerzeit von Mesa/Boogie eingeführt wurde und z. B. neben vielen anderen Modellen auch beim Modell Transatlantic für klangliche Vielfalt sorgt.
Die Gesamtlautstärke des Verstärkers lässt sich über das Master-Volume bestimmen. Sinnigerweise liegt dies hinter dem seriellen FX-Weg, was optimal für die Handhabung ist und zudem garantiert, dass etwaige, durch externe Geräte bedingte Pegeldifferenzen weitreichend abgefangen werden können. Der V3M selbst hat auch schon einen Effekt an Bord, einen digitalen Reverb/Hall. Ein weiteres nützliches Extra ist der schalt- und regelbare Booster (max. +6 dB), der ein zweites Lautstärkeniveau anbietet um z. B. Solos hervorzuheben.
Wenden wir uns der Rückseite bzw. den peripheren Funktionen zu. Links außen finden sich zwei Lautsprecheranschlüsse mit umschaltbarer Impedanz (4/8/16 Ohm), daneben ein klangkorrigierter Line-Out für die D.I.-Abnahme. Es folgen, senkrecht übereinander angeordnet, Send und Return des Einschleifwegs, der ins Gehäuse zurück versetzte Boost-Level-Regler, sowie zwei Footswitch-Anschlüsse. Die fünfpolige DIN-Buchse mag zunächst MIDI-Kompatibilität suggerieren, stellt aber lediglich den Input für das optional erhältliche Fußschaltpedal FS422L dar. Dieses stand uns im Test zur Verfügung: Eine solide Konstruktion mit vier Schaltern und erfreulich hell leuchtenden LEDs, die den Kanalwechsel und den Status des Boosts und des Reverbs fernbedienbar macht. Das Kabel ist mit einer Länge von ca. 4,2 Metern leider eher knapp bemessen und auch qualitativ nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss; nun ja, kostet ja auch nur € 44. Wenn es lediglich um den Kanalwechsel geht, kann man sich die darunter liegende Stereo-Klinkenbuchse zunutze machen und ein Fußpedal seiner Wahl anschließen (oder Carvins FS22). Mit alledem nicht genug, hat der V3M am Ende noch ein Schmankerl in petto: Die Leistung der Endstufe ist in drei Stufen umschaltbar, 50/22/7 Watt.
Seitens der Verarbeitung und des Aufbaus erleben wir keine Überraschungen. Die Umsetzung entspricht dem, was man in der Preisklasse erwarten darf: Maximal rationalisiert durch konsequente Platinenkonzeption, aber grundsolide und in Hinsicht auf die Bauelemente qualitativ hochwertig. Auch mechanisch gibt es an der Konstruktion mit ihrem stabilen, verwindungssteifen Stahlblechchassis nichts auszusetzen. Etwas ungeschickt ist lediglich, dass – rein theoretisch – durch die recht große Spalte an der Rückseite im Bereich der DIN-Buchse kleine Gegenstände in das Innere geraten könnten. An Carvin: wie wärs mit einem kleinen Filzring zum Abdichten?
Der Carvin V3M in der Praxis
Einschalten, hui, das ist ja ein Macker, hat innen sogar Flutlicht, Blue-Motion, warum nicht, kann man durchaus schick finden. Wahlweise darf das Licht auch Reeperbahnrot sein. Na, ja und wer es gar nicht mag, kann die schummerige Innenbeleuchtung auch ausschalten, dank der beiden noch nicht erwähnten kleinen grauen Druckschalter an der Rückseite. Nette Spielerei fürs Auge, woran dürfen sich die Öhrchen ergötzen?
Beginnen wir mit der harmlosesten Gain-Ebene, den Cleansounds. Ooops, man denkt Channel-1 müsste dafür an den Start gehen, aber nein, beim V3M ist die Sektion 3 dafür zuständig. Alle Regler Mitte, Hall lassen wir für den Anfang erst einmal weg, Master-Volume kommen lassen. Hhmm, das ist schön luftig, aber wenig laut. Braucht wohl mehr Gain. In der Tat. Gesagt, getan. Danke, das ist jetzt eine klare Ansage. Mächtige Impulse beim Attack, fettes Klangbild, über die 4×12-Box fast schon zu kräftig, schöne Transparenz. Ah ja, EQX ist aktiviert, das ist die Ursache für das Volumen. Der Schalter bewirkt nämlich so etwas wie eine Hi-Fi-Loudness-Korrektur, also eine Überhöhung der Bässe/Tiefmitten und der Höhen. Nimmt man die raus, wird die Wiedergabe deutlich luftiger und schlanker. Mit dem anderen Mini-Schalter könnte man nun Soak wählen und dem gleich wieder entgegenwirken, wobei sich ein massiver Gain-Schub einstellt und etwas andere Farben entwickeln als eben mit EQX-On. Oder doch Bright anheben, Gain nachführen und mit der sehr effizient arbeitenden Klangregelung die Ergebnisse bestimmen? Äähh, Verwirrung? Ja, die könnte beim Ausloten der Möglichkeiten bei dem einen oder andern durchaus aufkeimen. Aber zum Glück im absolut positiven Sinne, denn die Ursache dafür ist schlicht die weit überdurchschnittliche Variabilität des Kanals.
Die drei Gain-Stufen stellen die Weichen, die Klangregler langen entschlossen zu, die resultierende Bandbreite deckt ein sehr weites Feld ab. Bis hin zu anzerrenden Einstellungen. Mit dem Channel-1 kann man sich in unterschiedlichsten Stilarten bewegen, von Country-Clean und -Lead über Jazz/Bebop, Funk und Garagenband-Geschraddel bis hin zu Texas-Blues. Alles schön markant. Und dank der hohen Bassreserven und der ausgeprochen kräftigen Dynamik macht der Kanal-1 auch an kleineren Cabinets eine sehr gute Figur. Überaus wichtig bei diesen Kleinst-Topteilen, denn viele User werden ja eben wegen der kompakten Maße angelockt sein. Aber bitte nicht mit irgendwelchen Billig-Speakern hantieren. Der V3M hat an sich schon eine drängelnde, in den Mitten und Höhen leicht aufdringliche Note, und die wird einem über so einen Economy-„Quäker“ durchaus auf die Nerven gehen. Während diese Eigenschaft sonst eher die Artikulation und die Durchsetzungskraft fördert, also positiv punktet.
Wie man es auch sehr schön bei der Distortion der anderen beiden Kanäle erlebt. Die haben sehr hohe Gain-Reserven, zeigen aber selbst unter deren Ausnutzung noch gesunde Präzision im Ton. Das Voicing, die klangliche (und technische) Grundkonzeption der beiden Sektionen ist identisch. Wie langweilig?! Nö, überhaupt nicht. Durch die hier wiederkehrende sehr flexible Effizienz der Bedienungselemente wird im Gegenteil viel Abwechslung geboten. Kein Problem, dem einen Kanal ultrakompaktes Metal-Brett zu entlocken, dem anderen britisch Traditionelles. Dreh- und Angelpunkt für die Abstimmung ist jeweils wieder der Dreiwege-Schalter neben dem Drive-Regler. Die Verzerrungen sind im Charakter durchaus offensiv, aber angenehm harmonisch in ihrer Zusammensetzung. Wobei nicht primär Luftigkeit das Klangbilds dominiert, sondern wuchtiger, komprimierender Druck, der sich wie eine Wand aufbaut (mal halblang, nur Rigips, nicht Beton ;-). Quintakkorde und andere unkritische Mehrklänge haut der V3M daher souverän heraus. Durdreiklänge – speziell die erste Umkehrung – bereiten ihm dagegen Mühe, erst recht bei niedrigem Gain, wo die Kontouren leicht zerbröseln und nicht mehr so geschmeidig wirken; da wird die Distanz zu den echten Könnern des Genres, z. B. Bogners Ecxtasy deutlich. Na ja der kostet aber auch mehr als das Dreifache. So gesehen darf man mit der Leistung des V3M wirklich sehr zufrieden sein, zumal er sich bei Soli als sehr tragfähig und lebendig erweist. Nebenbei, zunächst gar nicht auffällig, ist ihm eine sehr schätzenswerte und alles andere als selbstverständliche Tugend zueigen: Der V3M erzeugt nur sehr geringe Nebengeräusche. D. h. selbst die maximal fetten Gain-Settings sind überraschend still. Yeah, auch eine Wonne, wenn in Spielpausen keine Sturzbäche hinter einem rauschen.
Ein Highlight ist zweifellos auch die Reverb-Sektion. Dank der digitalen Aufbereitung unempfindlich für mechanische Störungen, klingt der Halleffekt sehr natürlich und dicht in den Reflexionen. Der Effects-Weg glänzt ebenfalls mit eleganter Funktion. Schön, dass sein Status fernbedienbar ist und wie bei den anderen Schaltfunktionen auch hier die Nebengeräusche äußerst gering sind. Oh Mann, gibt es denn gar nix zu meckern?! Doch, die Lautsprecherbuchsen sind leider echte Weicheier, packen kaum zu, geben schon bei leichtem Zug am Kabel den Stecker frei. Wieder erfreulich ist dagegen das Benehmen des Cabinet-Voiced-Line-Out. Mit kräftigen Hochmitten und gut dosierten Höhen entwickelt sein Signal hohen Gebrauchswert, kann für das Recording wie auch die Live-Situation nützliche Dienste erweisen. Die Aussage greift natürlich nur wenn man nicht darauf erpicht ist, sehr präzise den Speaker-Ton zu übertragen. Gewisse Abstriche muss man bei solchen Line-Outs bekanntlich immer in Kauf nehmen.
Resümee
In der Endabrechnung steht Carvins nicht einmal 10 Kilo schwerer Vollröhren-Gnom eigentlich nur gut da. Ein ausgesprochener Charakterkopf ist er zwar nicht, dennoch glänzt er mit versierter Tonformung, satter Ausgangsleistung und hoher Variabilität. Die Symbiose aus amerikanischen und britischen Sound-Tugenden gibt dem Gitarristen in Verbindung mit der funktional gesunden Vollausstattung ein sehr fittes Werkzeug in die Hand. Preis und Leistung stehen insofern ganz klar in einem unkritischen Verhältnis.