Reloaded

Test: The Heritage Standard H-150

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(Bild: Dieter Stork)

Noch heute habe ich den Aufschrei der Gitarristengemeinde in den Ohren, als Anfang der 80er durchsickerte, dass Gibson sich aus sei­nem legendären Kalamazoo-Werk in südlichere Gefilde verdrücken würde. Nach dem Umzug 1984 taten sich ehemalige Mitarbeiter zusammen, erwarben am traditionsreichen Standort in Michigan einige Räumlichkeiten der Fabrik inklusive der Maschinen und Werkzeuge und gründeten 1985 die Heritage Guitar Inc.

Es war zu erwarten, dass sich die (bis heute überschaubare) Heritage-Modellpalette an Gibson-Klassikern orientieren würde. Um Plagiatsstreitigkeiten zu vermeiden, mussten diverse Design-Merkmale, vor allem aber das der Kopfplatte, modifiziert werden. Am Ende verließen das kleine Werk erstklassi­ge handgefertigte Gitarren, die bei den Kunden großen Zuspruch fanden. Zwar wurde es u. a. wegen diverser Vertriebswechsel bis­weilen recht ruhig um „die Erben“, nachdem jedoch 2016 neue Besitzer die Firma übernommen haben, soll jetzt wieder voll durchgestartet werden. Verstehen wir also den Heritage-Klassiker Standard H-150, der fast seit der ersten Stunde zum Lineup zählt, mal als Appetizer.

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HOCHWERTIGE ZUTATEN

Unübersehbar hat für die H-150 die gute alte Gibson Les Paul Stan­dard Modell gestanden. Während Korpusform und -dicke 1:1 über­nommen wurden, ist das Cutaway-Horn etwas kürzer und runder ausgefallen. Bei Heritage finden ausnahmslos handselektierte Höl­zer Verwendung: Einteiliges Mahagoni für den Body, massiver, dezent geflammter und bookmachted gefügter Ahorn für die histo­risch korrekt gewölbte Decke, die von cremefarbenem Kunststoff-Binding umgeben ist. Dass Heritage trotz aller Handarbeit auch CNC-Fräsen am Start hat, ist an den präzise gearbeiteten Pickup-, Elektrik- und Schalterfächern zu erkennen. So sitzen die exakt Oberkante bündig abschließenden Kunststoffdeckel passgenau in ihren Fräsungen, ohne mit Werkzeug herausgehebelt werden zu müssen.

(Bild: Dieter Stork)

Im großzügig dimensionierten Schalterfach haust ein kleiner solider Toggle-Switch, im abschirmungsfreien E-Fach etwas zäh rotierende CTS-Potis (für mein Empfinden). Ein Kunststoffplättchen trägt die Pure-Tone-Klinkenbuchse, deren beiden Vollkontakte den Stecker zuverlässig sichern. Als Gurtknöpfe die­nen altbekannte Aluminium-Pins.

(Bild: Dieter Stork)

Den einteiligen Mahagonihals hat man traditionell mit dem Korpus verleimt. Der Fuß endet mit der halsseitigen Wand der Pickup-Frä­sung. Somit verwendet Heritage einen sogenannten Short Neck Tenon. Das mit 12″-Radius gewölbte Palisandergriffbrett trägt 22 per PLEK-Verfahren vorbildlich bearbeitete Jescar-Medium-Jum­bo-Bünde, deren Enden vom hochgezogenen Binding „entschärft“ werden.

1A Fret / PLEK-Job (Bild: Dieter Stork)

Um gänzlich auf Füllmaterial verzichten zu können, besit­zen die präzise eingesetzten Trapez-Inlays gerundete Ecken. Als Sattelmaterial gibt Heritage zwar „Corian“ (Verbundwerkstoff) an, ich tippe bei dem vorzüglich ab- und ausgerichteten polierten Sat­tel jedoch eher auf Knochen.

Sowohl beim Neigungswinkel des Halses als auch bei dem der keil­förmigen, gleichmäßig 17 mm dicken Kopfplatte hält sich der Her­steller an Vorgaben aus den 50er-Jahren. Die Grover-Tuner erlauben geschmeidiges präzises Stimmen, ein trapezförmiges Plastik­plättchen verschließt den Zugang zum Halsjustierstab.

(Bild: Dieter Stork)

Wie gewohnt, lagern die beiden Seymour-Duncan-59-Humbucker höhenjustierbar in cremefarbenen Kunststoffrähmchen. Verwaltet werden die Pickups per Dreiwegschalter, zwei Volume- und zwei Tone-Potis. Schade, dass auf Positionszeiger verzichtet wurde, die auch optische Kontrolle gestattet hätten. Bridge und Tailpiece kommen von Tone Pros (System II) und sind arretierbar, was die Schwingungsübertragung fördert und Saitenwechsel vereinfacht.

BEKANNTE TUGENDEN

Mit ihren 3,96 kg trifft die H-150 die von Gitarristen für diesen Modelltyp als – warum auch immer – optimal bezifferten 4 kg fast exakt. Sie ist perfekt ausbalanciert, und ihr kräftiges aber rundes early-59er Halsprofil füllt meine Hand angenehm aus. Wohlfühlen ist angesagt, woran auch die mittels PLEK-System vorbildlich ver­rundeten und polierten Bundkanten maßgeblichen Anteil haben. Akustisch gibt sich unsere Standard H-150 extrem resonanz- und Sustain-freudig und glänzt dank lebendiger Ansprache und flinker Tonentfaltung mit bester Dynamik. Ihr kraftvolles, luftiges und spritziges Klangbild hält straffe konkrete Bässe, warme bauchige Mitten, klare seidige Höhen und ein breites reichhaltiges Spektrum an Obertönen bereit.

Die Model 59 Humbucker sind Seymour Duncans Pendants zu den Gibson PAFs der späten 50er und werden seit Jahren von zahlrei­chen Gitarrenherstellern bevorzugt. Am cleanen Amp liefert der Hals-Pickup den typischen warmen, klaren, samtig schmatzenden Ton. Insgesamt dringt er etwas kraftvoller, in den Mitten offener und in den Höhen spritziger als das Original ans Ohr, gibt sich aber ebenso warm, rund und homogen bei präziser Saitentrennung. Der zerrende Amp verleiht dem Sound mehr Biss im oberen Fre­quenzbereich und druckvolleren Punch wie auch erhöhte Transpa­renz in den Bässen, während die Mitten klar und durchsetzungs­stark bleiben.

Der Model 59 Steg-Humbucker findet bei Gitarrenbauern eher sel­ten Verwendung, da in dieser Position meist ein Duncan JB erste Wahl ist. Heritage setzt bei der Standard H-150 jedoch kompromisslos auf Vintage. Der Seymour Duncan tönt einen Hauch lufti­ger, brillanter, direkter und insgesamt knackiger als der Urahn, lässt jedoch etwas von dessen Wärme vermissen. Dies bestätigt sich auch, wenn der Verstärker im Overdrive-Betrieb läuft: Fett schmatzende, harmonisch zerrende Sounds voller Dynamik, Transparenz und Leben, getragen vom überaus kontinuierlich abklingenden, standfesten Sustain dieses Les-Paul-Typs treten hervor. Feine Brillanz und ein breites Obertonspektrum sorgen für krönende Würze, und die Bässe drücken selbst im High Gain straff und definiert. Bestens aufeinander abgestimmt, liefern die Pickups auch in der Kombi die beliebten glockigen Klarklänge und drücken auch Leadsounds ihren markanten Stempel auf.

Zunehmende Anschlagsintensität verleiht den Sounds verschärf­ten Biss, bringt mehr Aggressivität ins Geschehen und lässt ein­zelne Lead-Töne schnell in deren Harmonics kippen. Dennoch bestimmt stets die individuelle Spielweise den Ton und die Zerrintensität, die auch von den gleichmäßig agierenden Potis präzise kontrolliert werden kann. Alles ein Indiz für die vorbildliche Dynamik der Heritage H-150.

RESÜMEE

Während dieses Tests zeigte sich erneut, dass die Heritage Standard H-150 eine der ganz wenigen echten Alternativen zu aktuellen Reissues des Originals ist. Mit derartigen Qualitäten von Schwingpotenzial, Sustain, Klang, Dynamik und Verarbeitung ist sie, vor allem gemessen am Preis, locker in der Lage, einem Original auf Augenhöhe zu begegnen. Wer also eine professionelle High-End-Paula zum fairen Preis sucht und dabei auf den Namen mit dem großen G verzichten kann, sollte hier mal einen Test riskieren.

PLUS

  • authentische Sounds
  • Klangqualität
  • Schwingfreude, Dynamik & Sustain
  • Qualität der Hölzer & Hardware
  • Pickups
  • Spielbarkeit
  • Verarbeitung

(erschienen in Gitarre & Bass 04/2020)

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