Stereofonie – dieses Thema scheint auf den ersten Blick so vertraut und selbsterklärend, dass man meistens nicht auf die Idee kommt, sich damit näher zu befassen. Das ist aber falsch, falsch, falsch! Also bevor jemand sagt „bah, weiterblättern“, bitte kurz ausharren, denn es kommt gleich knüppeldick.
Das Arbeiten im Stereofeld hat nämlich mehr Optionen als nur am Panorama-Poti herumzudrehen und die Tracks wie auf einer gespannten Leine zwischen den beiden Lautsprechen „aufzuhängen“. Zudem muss man unbedingt wissen, was man tun kann, um ein Stereosignal zu verbreitern, zu verengen oder anders auszubalancieren. Außerdem gibt es jede Menge Tricks, ein Mono-Signal auch ohne Hall oder Delay zu verstereofizieren. Los jetzt:
Auch wenn es kompliziertere Definitionen gibt, ist im Folgenden mit Stereofonie die Wiedergabe zweikanaliger Musik über zwei (unabhängige) Lautsprecher gemeint, welche zusammen mit der Hörposition ein gleichseitiges Dreieck bilden. Letzteres ist wichtig, damit Stereofonie überhaupt sein Potential ausspielen kann, nämlich die Erschaffung eines fast perfekten Raumeindrucks, jedoch nur aus frontaler Richtung (wie bei einem Konzertbesuch).
Das ist nicht so selbstverständlich wie man glaubt, da es beim natürlichen Hören normalerweise einzelne Schallquellen irgendwo im Raum gibt, und unser Gehirn mithilfe der Ohren, ihrem Abstand zueinander, ihren je nach Einfallswinkel unterschiedlich färbenden Ohrmuscheln und dem Kopf als Trennkörper dazwischen ein akustisches, räumliches Bild zeichnet.
Bei der Stereofonie haben wir jedoch genau zwei statische Schallquellen, welche uns dennoch einiges an Räumlichkeit vorgaukeln. Damit das Prinzip Stereo funktioniert, benötigen wir dringend das Phänomen der Summenlokalisation oder auch der „Phantom-Schallquelle“. Denn nur dadurch nehmen wir bestimmte Signale nicht getrennt auf jedem Lautsprecher einzeln wahr, sondern lokalisieren sie als eine „Schallquelle“ irgendwo dazwischen. Das funktioniert jedoch nur, wenn diese Signale auf beiden Kanälen mindestens „sehr ähnlich“ sind.
Sind sie absolut identisch, so orten wir die Schallquelle im Panorama Monofon, also genau in der Mitte. Haben die Signale gleiche Kurven aber eine andere Lautstärke je Kanal, so verschiebt sich die Schallquelle aus der Mitte heraus. Bei einer Pegeldifferenz von ca. 18 dB hören wir das Signal schließlich nur noch aus einem der Lautsprecher, da das andere Signal akustisch vollständig überdeckt wird. Diese 18 dB sind übrigens schon ein gutes Stück vor dem Pan-Pot-Ende erreicht.
Mit diesem Wissen kann man sich nun überlegen, ob man für ein Signal das z. B. nur von rechts kommen soll, dieses ganz aus dem linken Speaker verbannt (Pan-Pot ganz nach rechts), oder noch leise vorhanden lässt. Aus Sicht des linken Kanals ist es besser alles rauszuschmeißen was nicht „gebraucht“ wird, da so mehr Platz beim Mix bleibt. Geht man aber davon aus, dass das ideale Stereodreieck nicht immer gegeben ist, bzw. es in vielen Fällen eine einzige Farce ist, dann ist es nicht schlecht, von dem Signal auch auf dem anderen Speaker etwas zu lassen, da es sonst je nach Standort nicht mehr zu hören ist. Das ist besonders bei öffentlichen Beschallungen wie Disko, Kaufhaus etc. der Fall.
Auch bei Live-Konzerten ist man quasi nie genau mittig zwischen der P.A., weshalb FOH-Mischer breites Stereo von vorne herein vermeiden. Auch wenn man sich realistisch gesehen seine eigene Musik noch nicht an öffentlichen Orten vorstellen kann, spricht noch folgendes Argument gegen 100 % Panning: Die Wiedergabe über Kopfhörer.
Beim natürlichen Hören gibt es keine Situation, bei der man ein Schallereignis nur auf einem Ohr hört. Eine Schallwelle kommt immer auch auf der anderen Seite an, nur etwas leiser, später und dumpfer. Beim Kopfhörer ist das jedoch anders. Deshalb kann Musik mit einseitigen Signalen über Kopfhörer bei manchen Leuten für körperliches Unwohlsein mit Schwindel und Kopfschmerzen verantwortlich sein, da wir evolutionär nicht auf Kopfhörer vorbereitet sind.
Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, ein Signal im Panorama zu verschieben. Diese beruht nicht auf Pegel- sondern auf Laufzeitunterschieden zwischen den Kanälen. Dabei handelt es sich um den Haas-Effekt, auch „Gesetz der ersten Wellenfront“ genannt. Dieses Phänomen besagt, dass der zuerst beim Hörer eintreffende Schall die Richtung vorgibt. D. h. wenn ein Signal z. B. auf dem linken Kanal leicht verzögert wird, dann orten wir es von rechts. Dies funktioniert natürlich in Abstufungen und nur in einem kleinen Zeitfenster, da eine zu große Verzögerung irgendwann zum Echo wird.
Bei Hörversuchen wurde ausgetüftelt, dass etwas unter 1 ms eine Ortung von 100 % rechts bzw. links ergibt (so wie die 18 dB bei den Pegeldifferenzen). Bei ungefähr einer viertel Millisekunde (entsprechend ca. 7 dB Pegelunterschied) orten wir das Signal halb von der Seite. Je nach Audiomaterial nehmen wir eine Verzögerung ab 1 – 5 ms schließlich als Echo wahr. Wer kein Delay-Plugin mit Werten unter 1 ms hat (so wie ich), muss dies leider mittels Dreisatz in Samples umrechnen, abhängig von der verwendeten Samplerate. Oder kommt, lasst, ich habe schon was vorbereitet (für 48 kHz): 100 % Seite = 39 Samples, 75 % = 20, 50 % = 13, 25 % = 7.
Auch eine Kombination aus Pegel- und Delay-Panning ist eine Idee, um dem drögen Pan-Pot-Rühren zu entkommen, zumal dies dem natürlichen Hören am ehesten entspricht. Die Richtwerte sind wie gesagt nur im Stereodreieck gültig. Stehen wir irgendwo im Raum oder sind die Boxen nach Feng Shui ausgerichtet, dann haben wir an der Abhörposition zusätzliche akustische Laufzeit- und Pegeldifferenzen, und alles ist dahin. Zudem sind die Werte nicht kompatibel mit der Kopfhörerwiedergabe. Hier muss man eine Verschiebung der Ortung einkalkulieren. Das ist übrigens auch einer der Gründe, weshalb Musik fast ausschließlich im und für das Stereodreieck produziert wird.
So, das war jetzt genug „Panning-Mache“, weiter im Text mit der „Stereobreite“. Oft hat man im Mix jede Menge Stereo-Signale: stereofon aufgenommene Overheads, Raummikros Akustik-Gitarren, Pianos, aber auch Keyboards und Gitarren mit Stereo-Effekten. Zu viel Stereo kann aber schnell in die Hose gehen. Darum muss häufig die Stereobreite einiger Signale kleiner gemacht werden, um einen vernünftigen Mix hinzubekommen. Manche eher unwichtige Signale kann man einfach in Mono umwandeln.
Nachhaltiger ist es jedoch, wenn man die Stereo-Datei in zwei Mono-Tracks splittet. Dann hat man pro Seite einen Pan-Regler (anstatt des Balance-Reglers einer Stereo-Spur), womit man die Kanäle beliebig von den Seiten in Richtung Mitte dreht. Am einfachsten jedoch sind „Breitenregler“ („Width-Control“), welche manche DAWs sogar schon im Kanalzug haben, ansonsten sind sie wahrscheinlich in der Effekt-Liste zu finden. Auch schön ist es, die Breite im Mix zu automatisieren, sodass man manche Signale z. B. in der Strophe fast Mono lässt, und dann im Refrain: WHOOAAA!
Ein umgekehrtes Szenario ist es, wenn eine Stereospur zu eng und unspektakulär klingt und gepimpt werden muss. Dafür gibt es Stereo-Verbreiterer, welche meist auf internem M/S-Splitting (M = Mitte, S = Seite) basieren, und im Verhältnis einfach das „S“- Signal verstärken. Manchmal wird dabei auch ein kleiner Anteil des Seitensignals phasengedreht auf die andere Seite gegeben. I
n dieser Machart gibt es zahllose gute Plugins wie z. B. den Waves S1 Stereo Imager. Dieser hat mit der Shuffling-Funktion auch die Möglichkeit, gezielt den Bassanteil des Signals zu weiten. Das ist ein guter Trick, um z. B. einen Stereo-Synthie mit viel Bass aus der Mitte in die Seiten zu drücken, und so für maximalen Punch von Kick und Bass die Mitte freizulassen. Zudem bieten solche Plugins meist die Option, die Mitte neu auszurichten, was z. B. bei versemmelten Overhead-Aufnahmen praktisch sein kann.
Ab und zu möchte man auch bestimmte Mono-Signale wie z. B. Gesang oder Gitarrensolo etwas fetter tönen lassen als nur Punktförmig aus der Mitte. Normalerweise ist das ein klassischer Fall für Stereo-Hall und -Delay. Wenn man es aber gerne möglichst tight möchte, kann man stattdessen auch in die „Pseudo-Stereo“ Trickkiste greifen. Eine einfache Methode ist es, den Track zu duplizieren, zu „pannen“ und einen davon etwas zu verzögern (und je nach Versatz eventuell noch in der Phase zu drehen). Für eine „Pseudo-Dopplung“ kann man zusätzlich noch eine der Seiten durch einen sanft eingestellten Pitch-Autotuner schicken (Tipp für lichte Arrangements mit nur einer Mono-Gitarre).
Man kann das Signal auch mittels mehrerer Bandpässe in einzelne Frequenzbänder splitten, und diese dann im Panorama verteilen. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, man sollte nur beim Gesang darauf achten, dass nichts außerirdisches dabei rauskommt. Auch hierfür gibt es viele gute Plugins, sodass man nicht alles von Hand machen muss. Sehr überzeugend ist der „Stereo-Maker“ von Brainworx, welcher übrigens peinlich genau auf Phasengenauigkeit und Monokompatibilität achtet, sodass man sich keine anderen Probleme ins Haus holt.
Zu guter Letzt gibt es noch spezielle Prozessoren, welche die Signale über die Stereobasis hinaus tragen können. Das bekannteste Beispiel ist QSound von QLabs, welches Anfang der 90er einen Hype verzeichnete, als Künstler wie Michael Jackson und Madonna ihre Alben damit verschönerten. So umwerfend dieser Effekt im idealen Stereo-Dreieck (mit grade gerichtetem Kopf!) auch sein kann (Tipp: Roger Waters ,Amused To Death‘), so marginal bis degradierend wirken ihre „Phasenschweinereien“ bei fast allen anderen Situationen.
Heutzutage fristet QSound nur noch ein Dasein als OEM-Gimmick in Handys und Boomboxen. Verrückt wenn man bedenkt, dass für die streng geheimen Algorithmen in den 80ern über 500.000 Hörversuche gemacht wurden. Auch das TDM-Plugin, welches es zwischenzeitlich mal gab, ist klammheimlich vom Erdboden verschwunden. Eine traurige Geschichte, da QSound für einzelne „Show-Effekte“ unschlagbar ist. Vollständigen Surround-Klang über zwei Kanäle bieten letztendlich nur „binaurale“ Aufnahmen und Prozessoren.
Leider funktioniert dies nur über ohrumschließende Kopfhörer, und verursacht bei der Wiedergabe über Lautsprecher unschöne Verfärbungen. Das Plugin „Panorama“ von Wave Arts ist auf diesem Sektor sehr überzeugend. Vor allem ist es aber durch die optionale Crosstalk-Auslöschung interessant, wodurch die binauralen Signale mit obigen Einschränkungen aber dennoch recht imposant auch auf Lautsprechern funktionieren. QSound Fans werden mit diesem Plugin bestimmt etwas Trost finden (Demos auf der Website anhören!).
In der nächsten Ausgabe geht es dann um die stereofone Tiefenstaffelung mittels Hall etc. Bis dahin, viel Bass!
Alle Folgen zum Homerecording: www.gitarrebass.de/thema/homerecording
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