Slipknot auf der Bühne, das ist sowohl optisch als auch klanglich eine Erscheinung, wie man sie in Konzerthallen nur selten antrifft. Mittendrin die Gitarristen Mick Thomson und James Root, beides exzellente Saitenakrobaten, deren ultrapräzise Fingertechnik von Riff-Fetischisten immer wieder mit ungläubigem Staunen registriert wird.
Im August 2019 ist das aktuelle Slipknot-Album ‚We Are Not Your Kind‘ erschienen, zudem hat Mick Thomson vor nicht allzu langer Zeit seinen nagelneuen Eminence „DV 77-Divinity“-Lautsprecher vorgestellt. Möglicherweise für ihn zwei triftige Gründe, uns bei der Show in der Hamburger Barclay Card Arena Mitte Februar eines der ausgesprochen raren Interviews dieser Tour zu gewähren. Sein Angebot haben wir natürlich gerne angenommen und vor Ort einen überaus gesprächigen Musiker angetroffen, der uns einige wichtige Einzelheiten zu seinem Sound verriet.
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Mick, 20 Jahre nach eurem Debüt und angesichts des neuen Albums ‚We Are Not Your Kind‘: Was hat sich bei dir als Slipknot-Gitarrist verändert, was ist gleich geblieben?
Wir machen die Sachen halt so, wie wir sie nun einmal machen: Nichts ist wirklich geplant, keiner bekommt irgendwelche Anweisungen. Wir haben immer schon so gearbeitet, aber natürlich hat sich das System über die Jahre weiterentwickelt, sodass der Songwriting-Prozess heute ein völlig anderer ist als zu Beginn.
Inwiefern?
Na ja, es ging bei uns schon 1995 los, und seitdem haben natürlich eine Menge Veränderungen stattgefunden. Diese Band fing in einem Keller an, genauer gesagt: im Keller unseres ersten Sängers. Von dort zogen wir weiter in das Haus von Clown (Shawn Crahan, Percussionist der Band, Anm. d. Verf.), beziehungsweise in den Keller seines Hauses. Unser Leben fand also in einer Reihe von Kellerräumen statt. (grinst) Wir probten drei bis fünf Mal pro Woche, schrieben die ersten Songs. Ein Großteil des Materials auf unseren ersten beiden Scheiben stammte von diesen Keller-Sessions.
Wir spielten ausschließlich für uns selbst, niemand dachte an einen Plattenvertrag. Wir fügten Ideen zusammen, machten Demos, spielten einfach nur und hatten unseren Spaß. Doch den Leuten, die es hörten, gefiel es, und so wurde die Sache zunehmend größer. Alles verlief organisch, ehrlich und sehr natürlich.
Im Laufe der Jahre veränderte sich dann natürlich die Situation. Wir bekamen einen Plattenvertrag, verbunden mit Verpflichtungen und konkreten Zeitvorgaben, der Druck wuchs also. Damit veränderte sich natürlich auch die Arbeitsweise. Trotzdem versuchen wir immer noch, ohne konkretes Kalkül zu arbeiten. Jedes unserer Alben unterscheidet sich vom vorherigen, doch das geschieht ohne bewusste Absicht. Wir haben keine festen Vorstellungen, wie etwas klingen soll, bis es fertig ist.
Die Leute denken immer, wir seien eine Firma, aber das sind wir absolut nicht. Wir bleiben uns selbst treu, es gibt keine Einmischung von außen, wie etwa die Aufforderung, eine Radionummer zu schreiben. Wenn ein Song fürs Radio taugt, dann taugt er halt fürs Radio, aber nicht, weil wir es bewusst darauf angelegt haben. So war es bei uns schon immer.
Den Song ‚Wait And Bleed‘ hatten wir bereits lange vor unserem ersten Album, lange vor unserem ersten Plattenvertrag. Irgendwann landete er im Radio, lief hervorragend und öffnete uns viele Türen. Und genauso verhält es sich auch mit den Radionummern der anderen Alben: Es sind einfach nur weitere Songs von uns. So gesehen hat sich nichts geändert, wir sind immer noch die gleichen Menschen wie früher und machen nur das, was wir wollen.
Kommen wir auf euer aktuelles Album zu sprechen: Ich hörte, du hast im Studio einen neuen Amp eingesetzt. Kannst du etwas darüber erzählen, auch darüber welche Gitarren und welche Effekte zum Einsatz gekommen sind?
Ja, ich habe alle meine Gitarrenparts mit Amps von Omega aufgenommen. Ich arbeite mit Mike Smith von Omega schon eine ganze Weile zusammen und habe ihre Verstärker bislang nur zu Hause gespielt. Im Studio kamen zwei Omega ‚Obsidians‘ zum Einsatz, die ich direkt in eine 4x12er Box gespielt habe. Dies war mein Setup im Studio und ist es auch auf dieser Tour.
Alle Songs auf ‚We Are Not Your Kind‘, die in Drop-B gestimmt sind, wurden mit meiner grünen Jackson eingespielt. Andere Gitarren klingen je nach Riff oder Powerchord mal fetter, mal dünner, die grüne Jackson dagegen klingt immer gleichbleibend druckvoll.
Das ist das Gute an Pro-Tools: Man kann fünf Spuren mit dem gleichen Riff aber unterschiedlichen Gitarren aufnehmen, und erst am Ende entscheiden, welche Spur die beste ist. Denn deine Lieblingsgitarre muss nicht zwangsläufig für jedes Riff die geeignetste sein.
Ich stelle mitunter fest, dass nicht unbedingt die Gitarren mit dem dünnen Hals, die perfekt für mein temporeiches Spiel sind, im Studio am besten klingen, sondern Gitarren mit dickerem Hals, die einen fetteren Sound erzeugen. Wie gesagt: Für die Drop-B-Parts war meine grüne Jackson perfekt, für die Songs in Drop-A habe ich die schwarze Jackson eingesetzt, die ich ebenfalls heute Abend dabei habe.
Drop-A ist für Gitarren eine ziemlich große Herausforderung.
Richtig! Drop-A ist so tief, dass die Spannung der Saiten problematisch wird. In Drop-A mutiert die Gitarre vom Instrument zu einer Art Werkzeug, und man muss allerlei Tricks anwenden, um die Frequenzen perfekt einzufangen. Dafür benötigt man einen besonderen Gitarrentyp und spezielle Saitenstärken. In meinem Fall sind es 68er-Strings auf der tiefsten Saite. Drop-A funktioniert nicht zwangsläufig auf jeder Gitarre, man muss schon sehr sorgfältig testen, bis man das geeignete Instrument gefunden hat.
Zum Glück ist meine schwarze Jackson dafür wie geschaffen, deshalb spiele ich sie sowohl im Studio als auch auf der Bühne. Auf ‚We Are Not Your Kind‘ kann man übrigens auch meine weiße Jackson hören, in die ich Seymour Duncan P-90 verbaut habe. Die Soloist kam bei einigen Overdubs zum Einsatz und wurde mit unterschiedlichen Fuzztone-Pedalen in einen Fender Super Reverb Reissue gespielt.
Bild: Matthias Mineur
Micks weiße Jackson The Soloist mit Seymour Duncan Blackouts in
Drop-A-Tuning mit Saitensatz 0.12 auf 0.68
Bild: Matthias Mineur
Prototyp seiner Jackson USA The Soloist MT Signature in Gloss Black
Bild: Matthias Mineur
Jackson Soloist aus Kohlefaser – Limited Version mit Mick Thomsons
Signature-Bridge
Bild: Matthias Mineur
Jackson The Soloist in Greenville-Finish, mit D‘Addario XT-Strings .011 auf .058 in Drop-B-Tuning
Mit einer solchen Kombination hätte ich auf einem Slipknot-Album ehrlich gesagt nicht gerechnet!
Kann ich mir vorstellen! Aber Fuzztone-Pedale lieben Singlecoils. Mit meinem aktiven Super-High-Output-Humbucker sollte man nicht über Fuzz-Pedale spielen. Die reine Verschwendung! Aber Singlecoils durch ein Fuzztone in einen relativ cleanen Fender, diese Kombination ist großartig und etwas ganz Spezielles. Allerdings, wie schon gesagt: Diese Extraspuren laufen nie alleine, sondern immer in Kombination mit meinen anderen Gitarrensignalen. Es hat dennoch riesigen Spaß gemacht, sie einzuspielen.
Sind auf ‚We Are Not Your Kind‘ weitere Effektpedale zum Einsatz gekommen?
Wie erwähnt wurden mit den Fuzztones lediglich Overdub-Tracks gespielt, nur um den Sound anzudicken oder als kleines Gimmick am Ende eines Songs, und dies auch nur bei etwa der Hälfte aller Stücke. Der Rest ist ausschließlich meine Gitarre durch den Omega-Amp in eine Box mit meinen neuen Eminence-DV-77-Divinity-Mick-Thomson-Signature-Speakern, die ich gerade auf der NAMM-Show vorgestellt habe. Diese Kombination gilt für alle Songs des Albums und kommt auch bei sämtlichen Shows der aktuellen Tournee zum Einsatz.
An den Eminence-Speakern arbeiten Mike Smith und ich schon seit einigen Jahren. Es gab eine ganze Reihe von Prototypen, immer nach dem Prinzip von „trial and error“, bis wir schließlich zu einem wirklich großartigen Ergebnis gekommen sind. Mein Sound kommt also aus meinen Fingern direkt über den Amp in die Boxen, es gibt bei mir kein ständig eingeschaltetes Effektpedal. Manche Gitarristen haben permanent einen Overdrive mitlaufen, bei mir ist das nicht der Fall.
(Bild: Matthias Mineur)
Was ist der Grund dafür?
Ich verstehe, weshalb Overdrives in Kombination mit passiven Pickups sinnvoll sind. Aber wenn man, so wie ich, aktive Tonabnehmer spielt – egal ob meine eigenen oder EMGs –, wären Overdrive-Pedale zu viel des Guten. Man würde eine Menge Bottom End verlieren, eine Menge des organischen Sounds. Natürlich machen Overdrive-Pedale das Gitarrespielen einfacher, denn je mehr Kompression vorhanden ist, umso weniger exakt muss man auf die Finger achten. Andererseits wird der Sound weitaus fetter, wenn man die Verzerrung ein wenig zurückfährt. Besser ist es, hart zu greifen, hart anzuschlagen, und den Amp seine Arbeit verrichten zu lassen. Nur dann bekommt man einen wirklich transparenten Klang.
Ist dies das Geheimnis deines amtlichen Live-Sounds: das pure Signal, ohne allzu viele Effekte?
Sehr gute Frage! Denn in einer Band mit neun Musikern kämpft natürlich jeder um seinen Platz im Gesamt-Sound. Die unterschiedlichen Frequenzen der anderen Instrumente fliegen einem auf der Bühne förmlich um die Ohren. Man möchte einen möglichst guten Gitarren-Sound, will aber gleichzeitig nicht den Gesamteindruck der Band zerstören.
Diesbezüglich die richtige Mischung zu finden, ist eine echte Herausforderung. Insofern muss man vor unserem FOH-Mann den Hut ziehen, denn er behält alles im Blick und findet die richtige Mischung, damit es nicht zu einem Riesenkrach ausartet. Wenn man also meine Gitarre im Publikum gut hören kann, dann macht vor allem unser Mischer einen exzellenten Job.
Im Studio ist dies nicht viel anders, auch da muss der Grundsound stimmen, damit man ein überzeugendes Gesamtergebnis bekommt. Deshalb setzt man Effekte nur sehr sparsam ein, fährt die Verzerrung zurück und hebt gleichzeitig die Mitten ein wenig mehr an als auf der Bühne. Seit ich Omega-Amps spiele, ist dies aber gar nicht mehr notwendig.
Was man jetzt hört, ist zum ersten Mal in meiner Karriere exakt das gleiche, was ich auch im Studio spiele, ohne etwas verändern zu müssen. Mein Favorit ist ein ultrafetter, voll gesättigter DeathMetal-Sound. Aber wenn man den mit der kompletten Band spielt, würde er vollends untergehen. Also muss man einen Kompromiss finden, der beiden Seiten gerecht wird.
Wenn du einen Effekt hörst, etwa ein Over-The-Top-Fuzz, habe ich bewusst ein Pedal hinzugeschaltet. Der Rest ist ausschließlich meine Gitarre, der Amp und die Box. Wenn ich Effekte einsetze, dann greifen sie dermaßen stark in den Sound ein, dass man sie deutlich heraushören kann.
Bild: Matthias Mineur
Bei den Stompboxes regieren überwiegend Fuzz- & OverdriveEffekte, mit Electro-Harmonix Bassballs, Seymour Duncan La Super Rica, Earthquaker Plumes Overdrive, Gamechanger Plasma Pedal
& Zuul Fortino Noisegate …
Bild: Matthias Mineur
… plus Eventide H9, Nanolog Audio Orbital Fuzz und Wampler Tumnus
Dies betrifft also auch deinen Studio-Sound?
Exakt. Und genau hierin besteht die größte Herausforderung, nämlich einen großartigen Aufnahme-Sound auf die Bühne zu übertragen. Und was noch viel schwieriger ist: Wie realisiert man einen großartigen Bühnen-Sound auch im Studio? Mit solchen Überlegungen jonglieren wir ständig. Für uns ist das nicht immer einfach, und ich denke, dass sich auch andere Bands mit dieser Problematik beschäftigen. Mit Ausnahme von AC/DC, da lautet das Motto: alle Effekte raus, den Großteil der Verzerrung raus, einfach nur hart anschlagen und laut spielen. So etwas funktioniert im Studio genauso wie live.
Hat sich diesbezüglich dein Geschmack in den zurück liegenden 20 Jahren verändert?
Oh ja, absolut, denn je länger man Musik macht, je mehr man gespielt hat, umso anspruchsvoller wird man. Beim ersten Album weiß man noch gar nichts, man ist blutiger Anfänger. Man verwendet die Effekte, die alle verwenden, kauft sich das Equipment, das man sich leisten und in seinem kleinen Heimatort bekommen kann. Das Equipment besteht dann aus einem Amp, der bezahlbar war, und einem Lautsprecher, den man bei anderen Musikern entdeckt hat.
Das funktioniert ja auch tatsächlich, sodass sich daraus der erste eigene Stil entwickelt. Und dieser Stil entwickelt sich dann mit verändertem Equipment weiter. Ich klinge auch heute noch genauso wie vor 20 Jahren, spiele aber weitaus besseres Equipment. Je mehr man spielt, umso mehr weiß man über kleine Details und wie man seinen eigenen Stil klanglich noch verfeinern kann.
Bei manchen Musikern war der eigene Sound von Beginn an da, beispielsweise bei Eddie Van Halen. Er veröffentlichte die erste Van-Halen-Scheibe, alle waren begeistert und riefen: „Ändere nichts! Es ist perfekt, so wie du es spielst!“ Bei uns ist das anders, wir haben auf jedem Album einen anderen Gitarrensound. Vor allem auf den ersten Scheiben war er ungeheuer aggressiv. (grinst) Aber man lebt und lernt! Und wenn man zu diesem Zeitpunkt unserer Karriere nichts dazugelernt hätte, wäre man ein Idiot! (lacht)