(Bild: Dan Sturgess)
Seit 15 Jahren kratzen Alter Bridge nun schon am Rock-Olymp. Sie haben fünf Alben aufgenommen, die mit Edelmetall ausgezeichnet wurden, haben vier Mal das Label gewechselt und sich in immer größere Hallen gespielt. Jetzt, mit ,Walk The Sky’, machen sie das halbe Dutzend voll und planen den entscheidenden Schritt nach vorne. Ein Ehrgeiz, der sich auch musikalisch äußert: Die Songs warten mit vielen kleinen Neuerungen auf. Nur: Reicht das zum ganz großen Wurf?
Ein verregneter Donnerstagmorgen im Berliner Büro ihrer Plattenfirma: Mark Tremonti und Myles Kennedy betreten den Konferenzraum in bester Rock’n’Roll-Manier: Mit lautem Bohei, lockeren Sprüchen, Jeans- & Lederjacken-Outfits, verspiegelten Sonnenbrillen und einem „how you´re doing?“ als Begrüßungsfloskel.
Doch die beiden sind längst nicht so klischeehaft und oberflächlich wie die meisten Vertreter ihres Berufsstandes: Mit 45 (Mark) und 49 (Myles) zählen sie zum reiferen Semester, haben mit Creed bzw. The Mayfield Four nachhaltige Erfahrung im Musikzirkus gesammelt, toben sich regelmäßig mit Solo- wie Nebenprojekten aus und gelten als Koryphäen ihres Fachs: Tremonti ist einer der besten Gitarristen der letzten 20 Jahre. Kennedy ein hervorragender Rock-Sänger, der sich auch als Saiten-Virtuose auszeichnet.
Zusammen bilden sie ein starkes Songwriter-Duo, das die Geschicke von Alter Bridge seit 15 Jahren durch unruhige Gewässer steuert, dabei kontinuierlich gereift und gewachsen ist und inzwischen nicht nur Musikerkollegen wie Slash, Jimmy Page oder Jerry Cantrell begeistert, sondern auch eine ständig wachsende Fangemeinde. Das einzige, was noch fehlt, ist der eine Schritt, der in die Welt der Arenen und der Platin-Alben führt. Genau den hoffen sie mit ,Walk The Sky’ zu machen – schauen wir mal…
Interview
Meine Herren, als Künstler, die fast jedes Jahr ein Album veröffentlichen: Lohnt sich die Mühe überhaupt? Ist ein Tonträger finanziell noch lukrativ oder nichts anderes als ein Werbeträger für eine Tournee?
Mark: Ein Album ist nichts, womit sich Geld verdienen lässt, soviel ist klar. Es ist ein reines Marketing-Tool. Aber: Gleichzeitig ist es auch unsere Kunst. Also das, was wir tun. Und wovon wir uns nicht abbringen lassen.
Auch Streams im sechsstelligen Bereich werfen keinen Profit ab?
Myles: An Streaming verdient ein Künstler gar nichts. Es sind andere, die damit Geld machen, nicht wir. Aber davon darf man sich nicht runterziehen lassen. Für uns verkörpert ein Album immer noch die Möglichkeit, sich auszudrücken. Es stillt unser Verlangen als Songwriter, sich kreativ zu verwirklichen. Und das ist nicht zu unterschätzen.
Aber: Es geht auch mit dem Wissen einher, dass man etwas Ansprechendes und Vernünftiges vorlegen muss, weil es ansonsten das Interesse an der Tour mildert. Von daher kann es dir also nicht ganz egal sein, was du da ablieferst, denn wenn es keine vernünftige Arbeit ist, verlieren die Leute schlichtweg das Interesse.
Im Vergleich zu früheren Alben fallen die neuen Songs weniger atmosphärisch und episch aus – sie sind energetischer und kürzer. Eine Kurskorrektur?
Mark: Ich denke nicht, dass wir irgendeine ausformulierte Idee hatten, wohin wir mit diesem Album wollten. Und lustigerweise ist dieses atmosphärische Ding bislang immer unser Markenzeichen gewesen. Insofern ist das wohl reiner Zufall – es entspricht einfach dem, wie sich die 14 Songs, die wir letztlich gewählt haben, dargestellt haben. Und als uns klar wurde, dass dieses Element fehlt oder diesmal nicht so ausgeprägt ist wie sonst, haben wir noch ,Dying Light’ hinzugefügt. Also ein ziemlich ausuferndes, durchkomponiertes Stück.
Habt ihr euch diesmal selbst editiert? Nach dem Motto: „Vier Minuten, das reicht – wir müssen zum Ende kommen?“
Myles: Es war eher ein befreiendes, als ein einschränkendes Vorgehen. Denn die Art, wie wir dieses Album zusammengesetzt haben, war eben, dass wir über weite Strecken der Aufnahmen voneinander getrennt waren. Dass wir also nicht gleichzeitig in einem Raum waren. Allein deshalb habe ich beim Anfertigen meiner Demos darauf geachtet, dass sie so ausformuliert wie eben möglich sind.
Mark: Beim Song ,Native Son’ war es zum Beispiel so, dass wir zwei Demo-Versionen hatten – eine von Myles und eine von mir. Im Studio mussten wir erst einmal einen gemeinsamen Nenner finden und ein Zwischending aus beiden schaffen, ehe wir das zusammen einspielen konnten. Denn das war gar nicht so leicht: Zuerst fühlte es sich an, wie neun Songs in einem, und es war wirklich heftig, all die Licks und Übergänge zu lernen. Dabei war es lediglich ein vierminütiger Song… (lacht) Nur: Da passiert halt wahnsinnig viel. Es sind viele unterschiedliche Parts.
Jetzt, da ihr bereits mit einem Orchester aufgetreten seid, große Hallen füllt und sechs Alben veröffentlicht habt – welche Ziele habt ihr noch? Geht es um die Rückkehr in Arenen, die ihr schon mit Creed gefüllt habt?
Mark: Eines unserer größten Ziele ist es, irgendwann als Headliner auf den ganz großen Festivals zu spielen und uns da zu profilieren.
Du meinst dein eigenes Festival: Tremonti-Stock?
Mark: (lacht) Zunächst einmal müsste es Alter-Bridge-Stock heißen, dann können wir weiterreden. Tremonti-Stock dann erst ab 2029. Das ist das Ziel…
Wenn ihr all eure Nebenprojekte aufbietet, dürfte das doch reichen, um ein Festival-Programm auf die Beine zu stellen, oder?
Mark: Oh ja, und darüber haben wir auch schon gesprochen. Es ist nur noch nie soweit gekommen. Einfach, weil es ein logistischer Albtraum wäre. Und weil etliche Leute, die daran beteiligt wären, auch nicht drei Mal pro Abend spielen wollen.
In puncto Gitarren und Equipment: Was verwendet ihr auf dem neuen Album und inwiefern unterscheidet sich das von früheren Produktionen?
Mark: Ich benutze im Grunde dasselbe wie immer, nämlich meine Signature-Modelle. Aber ab und zu auch einfach mal das, was halt im Studio rumsteht – wie die Eddie-Van-Halen-Gitarre unseres Produzenten. Ein wunderbares Teil mit einem Floyd-Rose, an dem ich mich richtig abreagiert habe. (lacht)
Jack White sagt, dass er nie wieder zu einer Billig-Klampfe greifen wird, seitdem er das Teil gespielt hat.
Myles: Das hat Jack gesagt?
Er hat sich gleich zwei davon zugelegt, die er jetzt auch auf Tour verwendet.
Myles: Das ist irre! Das muss ich sehen! Ich hätte nie gedacht, dass er seinen Ansatz mal so radikal ändern würde. Das ist wirklich eine Überraschung. Wahrscheinlich sollte man niemals nie sagen.
Mark: Dann dürfte er sich bald eine Randy Rhoads kaufen. Das wäre der nächste, logische Schritt.
Könntest du dir denn im Umkehrschluss vorstellen, dich mal an alten Airlines oder ähnlichen Plastik-Gitarren zu versuchen, die Jack über Jahrzehnte hinweg gespielt hat?
Mark: Nicht wirklich. Ich wüsste jedenfalls nicht, warum ich mir das antun sollte. Sie könnten nie so klingen, wie ich das von meinen Gitarren erwarte. Und wahrscheinlich muss man sie auch noch nach jedem Song neu stimmen. Darauf habe ich absolut keine Lust. Ich brauche etwas Zuverlässiges.
Myles, wie steht es mit dir?
Myles: Meine altbewährte PRS SC245, von der ich mittlerweile einige Exemplare besitze. Aber meine Hauptgitarre spiele ich jetzt schon seit der ,Blackbird’-Ära. Wobei ich zugeben muss, dass ich die Demos mit einer Telecaster aufgenommen habe. Auf der habe ich auch geschrieben – während meine Soli mit den neuen Gibson-Custom-Shop-Reissues entstanden sind, die sie seit dem Management-Wechsel produzieren und die wahnsinnig gut klingen.
Also wirklich um Klassen besser als die Jahre zuvor. Das gilt auch für dieses Teil, das sich Michael Baskette, unser Produzent, vor Kurzem zugelegt hat – mit einem 59er-Korpus, einem 58er-Hals und 57er-Innenleben. Eine Goldtop, die einfach magisch ist. Damit habe ich meine Lead-Parts eingespielt.
Was ist mit Amps?
Myles: Da verlasse ich mich auf meine deutschen Diezels. Einfach, weil man damit nichts falsch machen kann. Ich arbeite jetzt schon seit gut zwölf Jahren mit ihnen, und dies ist das erste Album, bei dem ich mehr auf den VH4 als auf den Diezel Herbert zurückgegriffen habe. Der Sound basiert diesmal zu 70 Prozent auf dem VH4 und zu 30 Prozent auf dem Herbert.
Wie entscheidet ihr, wer was auf dem Album spielt? Übernimmt derjenige, der einen Leadpart geschrieben hat, ihn auch zwangsläufig bei der Studio-Umsetzung?
Mark: Bei diesem Album war es so, dass ich tagsüber aufgenommen habe und Myles am Abend. Wobei ich immer mit den Songs angefangen habe, die mir am geläufigsten waren – und das gilt auch für ihn. Dadurch sind wir uns kaum in die Quere gekommen. (lacht) In der Vergangenheit war es aber schon so, dass es eine klare Rollenverteilung gab.
Nämlich: Ich war mehr für die Grundelemente eines Songs zuständig, und Myles hat dann die netten kleinen Effekte und den verträumten Kram hinzugefügt. Und was die Soli betrifft, so war das zwar meine Hauptaufgabe, aber es kam auch immer wieder vor, dass ich meinte: „Myles, könntest du das übernehmen?“ Einfach weil es auf Dauer so viele verfluchte Soli sind, dass einem irgendwann kein neuer Ansatz mehr einfällt.
Da bleibt dir dann nichts anderes, außer zu sagen: „Mann, kannst du mir mal eben aus der Patsche helfen?“ Denn Myles liebt es, Gitarre zu spielen und es wäre verdammt schade, wenn er nicht zeigen könnte, was er drauf hat. Also teilen wir uns mittlerweile die Lead-Gitarre. Und ich muss zugeben, dass ich es mag, wenn die Fans nicht genau wissen, wer was gespielt hat. Das ist ein nettes Kompliment.
Myles: Beim Gesang handhaben wir es ähnlich. Ich mag es, wenn Mark zum Sänger wird. Doch noch mal zu den Soli: 80 Prozent von dem, was man auf dem Album hört, kommt von Mark. Ich habe nur ein paar Passagen, die einfach ein bisschen melodischer sind. Etwa den Anfang von ,In The Deep’. Da ist die Gitarrenlinie wie eine Hook und nicht so eine geshredderte Lead-Angelegenheit.
Insofern bin ich wohl der Typ für die notenlastigen Sachen. Und am Ende von ,Indoctrination’ hört man schnellen, lustigen Gitarren-Geek-Kram, der ebenfalls von mir stammt. Aber ganz allgemein gesprochen, ist Mark halt der Lead-Gitarrist dieser Band – und ich helfe aus, wenn er mich darum bittet. Das ist OK, damit habe ich kein Problem. Was aber interessant ist: Er hat vorhin über ätherische, verträumte Gitarren-Parts geredet. Und ich erinnere mich noch an einen Moment, als ich mal etwas früher im Studio war und Mark gerade dabei war, sein Tagespensum zu beenden. Da war er es, der ein paar verträumte Passagen aufgenommen hat. Und insofern glaube ich wirklich, dass wir durch unsere lange Zusammenarbeit genau wissen, welche Tricks der jeweils andere auf Lager hat.
Und dass wir uns gegenseitig perfekt imitieren können. Nicht, dass ich behaupten würde, ich wäre technisch genauso gut wie er. Aber: Ich weiß mittlerweile nur zu gut wie er tickt. Und wenn es darauf ankommt, kann ich jederzeit für ihn einspringen – und er für mich als Sänger. Ich denke, das ist eine gute Basis.
Mark: Wir mussten die Ideen des jeweils anderen in den letzten 15 Jahren so oft doppeln, dass wir richtig gut darin geworden sind.
Myles, wirst du die Sessions mit den Jungs von Led Zeppelin, die ihr 2008 abgehalten habt, je veröffentlichen?
Myles: Nein! Und da wurde auch nichts aufgenommen. Es waren einfach ein paar Jams, um zu sehen, wie wir miteinander klarkommen. Mehr nicht. Es waren vier Typen, die in einem Proberaum ein bisschen was getestet haben. Aber davon wurde nichts aufgenommen. Jedenfalls nicht professionell.
Mark: Hast du eine Kopie davon?
Myles: Nein und ich bete zu Gott, dass das niemals in Umlauf kommt. Ich war an dem Tag nämlich wirklich nicht gut drauf…
Wie kommt´s?
Myles: Ich habe neben Jimmy Page gestanden und versucht, meine Aufregung einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Das war eine surreale Situation. Aber: Es ist nichts draus geworden. Und irgendwie bin ich auch froh darüber. Ich meine, was wäre aus Alter Bridge geworden? Ich liebe diese Band, Mann…
Diskographie
- One Day Remains (Wind-up/Sony Music, 2004)
- Blackbird (Universal, 2007)
- AB III (Roadrunner/Warner, 2010)
- Fortress (Roadrunner/Warner, 2013)
- The Last Hero (Napalm, 2016)
- Walk The Sky (Napalm, 2019)
(erschienen in Gitarre & Bass 11/2019)