Perfekt ist hier nichts, dafür aber roh und aggressiv.

Sach- & Krachgeschichten: Napalm Death ‘Scum’

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(Bild: Kevin Estrada)

Das Birmingham der 60er- bis 80er-Jahre als eine triste Stadt zu beschreiben, ist wahrscheinlich noch eine starke Untertreibung. Die graue Industriemetropole im Herzen des Vereinigten Königreichs war seit jeher ein Ort, an dem trotz widriger Umstände immer wieder großartige Bands entstehen konnten.

Judas Priest, Black Sabbath und eben Napalm Death schafften es, der schmutzigen Großstadt zu entkommen und eine beeindruckende Karriere hinzulegen. Wir schreiben das Jahr 1981 als Nick Bullen im Alter von gerade einmal 13 Jahren beschließt, dass es an der Zeit sei, eine Band zu gründen. Britische Punk- und Crust-Bands wie Discharge, Disorder oder Amebix hatten bereits die Grundlage für einen neuen, rasanteren Sound geschaffen und Napalm Death kreierten auf dieser Basis 1987 mit ,Scum‘ ein Album, das einen wichtigen Platz in der Entstehungsgeschichte extremer Musik einnimmt.

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Scum

Nach einer Handvoll Demos und diversen Shows in der Underground-Szene von Birmingham, war 1986 die Zeit reif, die A-Seite für die Scum-LP einzuspielen. Gemeinsam mit Mick Harris am Schlagzeug und Justin Broadrick (der nur ein Jahr später Godflesh gründen sollte) an der Gitarre, nahm Bassist und Sänger Nick Bullen die Songs im Rich-Bich-Studio nahe Birmingham mit einem Acht-Spur-Rekorder in nur 48 Stunden auf. Das Ergebnis ist ein unheimlich roher Batzen, der sich irgendwo zwischen dem räudigen Anarcho-Punk jener Tage und dem Sound der frühen Hardcore-Bands ansiedeln lässt.

Perfekt ist hier nichts, dafür aber roh und aggressiv. Eine solch rasante und kompromisslose Interpretation von Hardcore-Punk war damals neu. Die ungestüme Härte, die Geschwindigkeit und der Gesang von Nicholas Bullen verliehen diesem ersten Teil der Scum-LP einen eigenen und bis heute faszinierenden Charme. Unglücklicherweise kam es nach den Aufnahmen der ersten Hälfte der Platte zu dermaßen starken, bandinternen Spannungen, dass sich, abgesehen von Schlagzeuger Mick Harris, innerhalb von wenigen Monaten das gesamte Line-Up ändern sollte.

Sowohl Bullen als auch Broadrick verließen die Band und wurden durch Jim Whiteley am Bass und Bill Steer (der später mit Carcass eine beeindruckende Karriere hinlegen sollte) an der Gitarre ersetzt. Den nun wesentlich tieferen und am Death Metal orientierten Gesang übernahm Lee Dorrian und so konnte im Sommer 1987 die B-Seite des Scum-Albums eingespielt werden. Die Songs stammten diesmal überwiegend aus der Feder von Drummer Harris, der nach eigenen Angaben zwar nicht Gitarre spielen konnte, die Lieder aber auf einer zweisaitigen Klampfe zu Hause komponiert hatte.

Das Ergebnis ist besonders im Vergleich zum ersten Teil des Albums ziemlich spannend. Wo auf der A-Seite noch wüster und teilweise etwas holperig gespielter Anarcho-Crust-Punk den Ton angibt, findet sich auf der B-Seite eine viel härtere, am Death Metal der damaligen Zeit orientierte Version der Band. Die Saiteninstrumente wurden ein gutes Stück tiefer gestimmt und auch Dorrians Stimme wütet in viel tieferen Registern als Bullens heiseres Punk-Geschrei.

Ich bin mir sicher, dass wir hier den vielleicht wichtigsten Prototypen für die Entwicklung des Grind-Genres und dessen Verschmelzung von Punk und Metal finden. Fast könnte man so weit gehen, dass die B-Seite klingt, als würde eine Horde Punks – nach dem ein oder anderen Bier im örtlichen Pub – versuchen, Metal-Songs zu schreiben. Vielleicht war es ja genauso … Songs wie der superharte Opener ,Life?‘ oder das rasende ,Negative Approach‘ belegen diesen Stilmix ganz wunderbar.


(Bild: Earache)

Wer die Birminghamer in absoluter Höchstform hören will, dem seien die Peel Sessions von Napalm Death empfohlen, welche es sowohl auf Vinyl als auch auf Streaming-Plattformen zu hören gibt. Hier kann man einen Großteil des Songmaterials der ,Scum‘-LP in besserem Sound und einer unglaublich guten Performance hören.


Klar – mit den perfekt ausproduzierten Metal-Alben unserer Zeit hat ,Scum‘ absolut nichts zu tun. Man muss sich schon für die rohe Brutalität der Platte begeistern können, um diesem wirklich extremen Wirbelsturm etwas abgewinnen zu können. Lässt man sich aber darauf ein, eröffnen sich absolut interessante Klangwelten, die auf ihre Art und Weise völlig einzigartig sind.

Mit dem Song ,You Suffer’ stehen Napalm Death für den kürzesten Song überhaupt – immerhin nur fünf Sekunden lang – im Guiness Buch der Rekorde.

(erschienen in Gitarre & Bass 10/2019)

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