Exklusive Video-Premiere & Solo-Masterclass: Max Frankl – ‚Eiszeit‘
von Wolfgang Kehle,
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(Bild: M. Poganiatz)
Max Frankl gehört zu den innovativsten und modernsten Jazz-Gitarristen Europas. Viele werden den sympathischen Ibanez-Endorser von seinen Clinics kennen. In zahlreichen Videos, besonders auch im Rahmen der Max Frankl Academy, teilt der ECHO-Preisträger sein riesiges Wissen − das er durch sein Studium bei den Meister-Gitarristen Wolfgang Muthspiel und Kurt Rosenwinkel, sowie durch mehrfache Aufenthalte in New York erworben hat − und hat schon so manchem Rock-Gitarristen Wege in die wunderbare Welt des Modern Jazz gezeigt.
Pünktlich zur Video-Premiere seiner Komposition ‚Eiszeit‘, von der neuen CD ‚72 Orchard Street‘, die im Laufe des Jahres erscheinen wird, präsentieren wir das wunderbare Solo in einer superexakten Transkription, die keine Wünsche offenlässt.
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Interview
Max, erzähl uns doch mal, was dich zu deinem neuen Album inspiriert hat.
Die Idee zum Album kam wieder mal aus New York. Das ist die Stadt, in der ich sehr produktiv bin. Ich begann, Stücke zu schreiben über Orte, an die ich gute Erinnerungen habe. Es gibt auch andere Musiker, die solche Platten machen wie Brad Mehldau mit seinem Album ‚Places‘, und ich fand es immer schon cool, zu Orten Musik zu machen.
Ihr habt in den Powerplay Studios Maur in der Nähe von Zürich aufgenommen, wo auch Europe ihren Riesenhit ‚The Final Countdown‘ eingespielt haben.
Ja, wir hatten zwei Tage, am 27. und 28. März 2019 haben wir aufgenommen und das Ganze auch gefilmt. In diesen legendären Studios ist viel Rock und Pop produziert worden, aber auch für Jazz passt alles wunderbar. Dort steht ein altes Neve-Pult, das wahnsinnig gut klingt, die haben die amtlichen Mikrofone und Pre-Amps, alte Gitarren-Verstärker und einen sehr gut klingenden Aufnahmeraum.
Und wir haben nicht auf eine rigide Trennung der einzelnen Instrumentenkanäle geachtet, sondern vielmehr gemeinsam in diesem tollen Raum aufgenommen. Das Ziel war, die Band so klingen zu lassen wie live beim Gig. Der Nachteil dieser Produktionsweise ist natürlich, dass man hinterher nicht wie ein Chirurg in den Spuren herumschneiden kann. Wir mussten also zu mindestens 99 % super spielen.
Wie läuft bei dir der Kompositionsprozess? Wartest du auf Inspiration, oder setzt du dich hin mit dem Vorsatz, zu komponieren?
Beides! Ich brauche für ein neues Stück eine Initialzündung, das kann ein Akkord, eine Melodie, oder ein Groove sein, bei dem ich das Gefühl habe, dass ich etwas Besonderes gefunden habe − toller als der Rest, den ich sonst so spiele. Aber ich habe bemerkt, dass mir Komponieren leichter fällt, wenn ich es mir zur Gewohnheit mache, also zum Beispiel immer am Montag- und Dienstag-Morgen. So mache ich mich unabhängiger von spontaner Inspiration und komme immer zu Ergebnissen, die sich weiterverfolgen lassen.
Dabei vergesse ich aber nie, dass der Radiergummi wichtiger ist als der Stift. Ich editiere, stelle Sachen um, und zwar solange, bis ich eine vollständige Form habe, die cool ist. Dann bringe ich die Idee ein in die Band, und wir suchen gemeinsam nach einer adäquaten Interpretation und schauen, ob der Song funktioniert. Dieser Prozess hat sich über die Jahre bewährt und verfestigt.
Wie lange habt ihr geprobt für die Aufnahmen?
(Lacht) … Ich weiß nicht, ob es PR-technisch so klug ist, das zu sagen, aber wir haben drei Tage lang geprobt. Aber Musiker wie der Nils, und das gilt auch für alle anderen, sind so wahnsinnig schnell, dass sie die Stücke schon vor der ersten Probe draufhaben. Und ich schreibe jetzt ja auch nicht so zappaeske Musik, die man noch ewig üben muss. Das sind Stücke, die man gut nachvollziehen kann vom melodischen Fluss, da muss man keine „5 gegen 19“ üben. Und ich spiele mit dieser Band schon seit zehn Jahren, ich weiß wie die klingen und kann als Bandleader jeden in die Richtung dirigieren, wo er sich am besten ausdrücken kann. Ich suche z. B. die Solo-Spots so aus, dass sich jeder zu 100 % in seinem Element fühlt.
Dann lass uns konkret über unser Workshop-Stück ‚Eiszeit‘ reden. Der Song ist ja nicht neu.
Ich habe ‚Eiszeit‘ schon 2006 geschrieben. Zu der Zeit habe ich in Basel bei Wolfgang Muthspiel studiert. Die musikalische Inspiration war die Arbeit von Maria Schneider mit ihrem Orchester, die es beherrscht, ungerade Taktarten total rund klingen zu lassen. Das Stück heißt ‚Eiszeit‘, weil der Winter 2006 eine gefühlte Ewigkeit dauerte, und ich nun wirklich kein Winter-Fan bin. So dachte ich mir, wenn ich dazu einen Song schreibe, geht er vielleicht schneller vorbei.
Beim Transkribieren deiner Musik bin ich, was die rhythmische Notation anbelangt, ziemlich gefordert worden. Du hast mir früher schon erzählt, dass deine rhythmischen Konzepte auch von einem Kurs bei dem New Yorker Meister-Schlagzeuger Ari Hoenig geprägt wurden.
Grundsätzlich war für mich die rhythmische Ebene prinzipiell sehr wichtig. Ich habe schon immer aufmerksam den Schlagzeugern zugehört, und tatsächlich sind für mich in meinen Bands die Drums das wichtigste Instrument überhaupt. Wenn dieses rhythmisch fließt, kann das auch die ganze Band. Die Clinic mit Ari Hoenig und Johannes Weidenmüller am Bass war 2003 am Conservatorium van Amsterdam. Mich hat fasziniert, wie die beiden es geschafft haben, die Time zu stretchen, also mit metrischen Modulationen innerhalb der Form auf ein langsameres Tempo zu wechseln und dann wieder zum Ausgangstempo zurückzukommen. Das ist eine Art von Zeitmaschine, mit der du Tempo und auch das Feel wechseln kannst.
In Basel hatte ich dann einen Workshop bei dem Posaunisten Adrian Mears, in dem die Metric Modulations Thema waren. Auch Wolfgang Muthspiel hat betont, dass Time unendlich weiterentwickelt werden kann und eines der wichtigsten Elemente unserer Musik ist. Umso kompetenter man sich ausdrücken kann, desto besser fließt auch die Musik. Ich schreibe sehr gerne in ungeraden Taktarten und spiele aber auch Überlagerungen über einen normalen Puls, was z. B. in ‚Eiszeit‘ zu hören ist.
(Bild: M. Sasseville)
‚Eiszeit‘ ist in 7/4 geschrieben. Ungerade Taktarten gibt es ja überall, in osteuropäischer Volksmusik, bei so unterschiedlichen Bands wie Genesis, Tool, Led Zeppelin oder auch im Jazz. Die Angst vieler Musiker vor ungeraden Metren ist aber eigentlich ganz unnötig, wenn man weiß, dass sich ungerade Metren immer aus kleineren Einheiten zusammensetzen. Bei ‚Take 5‘ ist der 5/4-Takt eigentlich 3/4 + 2/4, der 7/4-Takt von ‚Eiszeit‘ 4/4 + 3/4.
Genau!
Gehen wir zu konkreten Stellen im Solo. In Takt 8 spielst du über Am11/E eine lange Kette von Sechzehntel-Offbeats. Diese so „in the pocket“ zu spielen wie du, ist gar nicht so einfach. Hast du Tipps?
Das kann man zunächst sehr technisch üben. Man gibt sich einen möglichst nicht zu schnellen Beat vom Metronom vor und spielt erst mal nur einzelne Töne auf dem jeweils zweiten und vierten Sechzehntel und blendet zunächst die melodische Ebene völlig aus, um sich nicht noch zusätzlich zu stressen. Dann spielt man alle Off-Beats hintereinander, bis das gut funktioniert, ohne dass man umsteigt und dann doch wieder auf dem Downbeat oder auf der „+“ landet.
Der zweite Punkt ist das Entwickeln von melodischen Ideen. Wenn ich an die Aufnahme zurückdenke, habe ich da nicht an die Rhythmik gedacht, sondern an die Melodik. Ich würde also als zweites Melodien üben, die nur auf den Sechzehntel-Offbeats liegen. Beim Improvisieren tauchen dann solche vorher geübten Inhalte im Flow automatisch auf, sie sind dir zur „second nature“ geworden. Ich glaube nicht daran, spezielle Rhythmen bewusst abzurufen, das muss im Fluss der Musik passieren.
Und wäre das Solo in eine andere Richtung gegangen, hätte ich diese Stelle so gar nicht gespielt. Hier unterscheidet sich die Musik, die ich liebe, auch von vorstrukturierter Musik, bei der Soli sogar im Voraus festgelegt sind. Mir ist wichtig, dass bei jedem Gig ganz unterschiedliche Musik entsteht, die nicht vorhersagbar ist.
PRAXIS
Max Frankls Tipps für die Arbeit mit der Transkription
Grundsätzlich lohnt es sich, verschiedene Stellen nachzuspielen, ohne sie genauer zu analysieren. Dadurch bekommst du einen unmittelbaren Eindruck von der Phrasierung, dem Timing, dem Sound und dem generellen Spielgefühl des Solos. Eine zweite wichtige Taktik ist es, Stellen, die dir besonders gut gefallen, intensiv einzeln zu üben. Du nimmst dir ein bestimmtes Lick vor und spielst es im langsamen Tempo. Zusätzlich dazu schaust du, welcher harmonische Hintergrund dieser Phrase zugrunde liegt.
Ich werde zusätzlich auf www.maxfranklacademy.com und in der Facebook-Gruppe der „Jazzgitarrenhelden“ viel Input geben.
Du analysierst die gespielten Noten in Bezug auf das Akkordsymbol. Übe das Lick erst langsam zur Originalaufnahme und erhöhe dann schrittweise das Tempo, bis du es auf 100% spielen kannst. Danach überträgst du dieses Lick in verschiedene Tonarten, damit du es flexibel in deiner Musik anwenden kannst. Lautet der Akkord des Licks also Am11/E, überträgst du es z. B. auf Fm11/C oder Dm11/A. Das kannst du in allen zwölf Tonarten machen. So bist du dann komplett flexibel und kannst meine melodische Idee in jedem Kontext anwenden.
Viel Spaß damit!
In dem Solo gibt es auch einige wirklich superschnelle Stellen mit hoher musikalischer Dichte, für die wohl das gerade Gesagte genauso gültig ist. Die Passage über Am11/E, die im letzten Beat von Takt 25 beginnt, kann man wohl weder im Voraus planen noch üben, oder?
Richtig! Die melodischen Wege auf dem Griffbrett über Am11/E sind mir natürlich bekannt, ich weiß, welche Töne da passen. Wenn die Inspiration mit der vorher geübten technischen Kapazität zusammenkommt, kann man solche Sachen spielen. Das ist der Flow, über den der Begründer der Flow-Theorie Mihaly Csikszentmihalyi sagt, dass man Bewegungsabläufe so verinnerlichen muss, dass sie dann ganz wie von selbst automatisch passieren, ohne dass man bewusst steuernd eingreift. (Max zeigt in einem Video auf seinem YouTube-Channel einige der Übungen, mit denen er seine Griffbrett- Kenntnisse der möglichen Wege zu Am11/E erlangt hat, dazu gibt es auch Transkriptionen, Anm. d, Verf.)
Ganz wichtig ist natürlich, wie ein Solo endet. Das ist dir wirklich wunderbar gelungen, und du spielst über B/C eine ternäre Linie mit dem melodischen Material des Dreiklang-Paars B-Dur/C-Dur. Damit konstituierst du den Sound von E-Harmonisch-Moll.
Richtig. Aber der Sound von B-Dur über C wird wahrscheinlich für viele Gitarristen zunächst sehr gewöhnungsbedürftig sein. Als Einstieg bietet sich zum Beispiel das Triad-Pair F-Dur-/G-Dur an, mit dem man den Sound von F-Lydisch darstellen kann. Damit sind wir in der Steve-Vai/Joe-Satriani-Abteilung, die ja für viele Rock-Gitarristen bekanntes Terrain ist…
… Ich habe für die Gitarre-&-Bass-Leser zum Einstieg in die wunderbare Welt der Triad-Pairs ein Video gemacht, in dem ich am Beispiel von F-Lydisch zeige, wie man das am besten Üben kann:
Der Blick hinter die Kulissen bei der Entstehung der neuen CD von Max ist sehr interessant. Ich habe Max bei einer Master-Class für Jazz-Gitarre beim Guitar Summit in Mannheim kennengelernt und an seiner Herbst Academy teilgenommen. Er versteht es einfach sehr gut, Lerninhalte zu vermitteln und Dich auf der Gitarre besser zu machen. Ich bin schon sehr gespannt auf seine neue CD.
Der Blick hinter die Kulissen bei der Entstehung der neuen CD von Max ist sehr interessant. Ich habe Max bei einer Master-Class für Jazz-Gitarre beim Guitar Summit in Mannheim kennengelernt und an seiner Herbst Academy teilgenommen. Er versteht es einfach sehr gut, Lerninhalte zu vermitteln und Dich auf der Gitarre besser zu machen. Ich bin schon sehr gespannt auf seine neue CD.