(Bild: Franz Holtmann)
1961 lösten die SG/Les-Paul-Modelle mit flachem Double Cutaway-Body die wegen unbefriedigender Verkäufe eingestellten bisherigen Versionen der Les Paul-Linie mit deutlich dickerem Korpus ab. Gibson suchte, provoziert vom immensen Erfolg seines Konkurrenten Fender mit eher schlicht produzierten Instrumenten, fieberhaft nach neuen Wegen, um den Anschluss an aktuelle Entwicklungen nicht zu verpassen.
Gibson-Präsident Ted McCarty blickte mit wachsendem Unbehagen nach Kalifornien, wo Leo Fender mit den aus seiner Sicht profanen Telecaster- und Stratocaster-Modellen Furore machte. Ende der 50er-Jahre hatte man sich mit den sogenannten ‚Modernistic Guitars‘ Flying V und Explorer schon einmal weit aus dem Fenster gelehnt und war krachend gescheitert. Den totalen Bruch mit der traditionellen Gitarrenform wollte das Zielpublikum der als konservativ eingeschätzten Traditionsfirma wohl im doppelten Sinne des Wortes nicht abkaufen. Da auch die nach konventionellem Muster gestaltete Les Paul die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllte, arbeitete man fieberhaft an alternativen Entwürfen, um den sich wandelnden Zeitgeist zu treffen.
(Bild: Franz Holtmann)
Das SG-Modell überraschte denn auch mit einem offensiven und bis dahin ungesehenen Double Cutaway Design, dessen Konstruktion auf einen flachen Korpus setzte, vor allem aber den Hals, bzw. das Griffbrett bis hinauf zum letzten Bund freistellte. Realisiert werden konnte das Konzept nur mit einem lang in den Korpus hineingesetzten Halsstock, der bis unter den Hals-Pickup reichte.
Die Solid Guitar wurde anfangs noch mit dem werbewirksamen Namen Les Paul verknüpft und Lester posierte auch in Anzeigen mit der SG. Am Design selbst war er aber nicht beteiligt, er mochte es auch nicht wirklich: „a guy could kill himself on those sharp horns“. Les hatte seine besten Zeiten bereits hinter sich und den kommerziellen Bonus längst eingebüßt, auch soll die bevorstehende Scheidung von Mary Ford und die dadurch befürchteten hohen Unterhaltszahlungen eine Rolle gespielt haben, jedenfalls lief sein Vertrag aus. 1963 kamen zwar noch Exemplare mit seinem Namen aus der Produktion, der wurde aber im Laufe des Jahres gestrichen und dann war nur noch das Gibson-Logo auf dem Headstock der SGs zu finden. Das Modell kam in den Versionen SG/Les Paul Custom (weiß, drei Humbucker Pickups), SG/Les Paul Standard (cherry, zwei Humbucker Pickups), SG/Les Paul Special (cherry, zwei P-90 Pickups und SG/Les Paul Junior (cherry, ein P-90 Pickup) auf den Markt. Die Cherry-Typen waren alternativ auch in den Custom Colors TV Yellow und Polaris White erhältlich.
(Bild: Franz Holtmann)
Ab Mitte 1965 erfährt im Rahmen allgemeiner Umstrukturierungen in der Gibson-Produktion auch das SG-Modell gravierende Überarbeitungen. Der Kopfplattenwinkel wird von 17° auf 14° reduziert, die Hardware wechselt von Nickel zu Chrome, das kleine Pickguard wird von einem größeren, die Pickups umschließenden abgelöst, Letztere kommen dann bei Juniors und Specials als Soapbars, nicht mehr mit Dog Ear-Kappen. Ab 1966 wird auch noch das Griffbrettmaterial Rio-Palisander durch Indisches Palisander ersetzt.
(Bild: Franz Holtmann)
Rock’n’Roll, Baby!
Nimmt man sich mit einiger SG-Erfahrung ein Exemplar der frühen Produktionsphase vor, wie etwa die hier vorliegende Junior von 1963, so gefällt zunächst vor allem das kraftvolle breite Halsprofil. Nach 1965 wurden die Hälse bei Gibson grundsätzlich erst einmal ungewöhnlich schmal. Da musste der Spieler schon schauen, ob das noch zu seiner Hand passte. Mehrere Streiks führten 1966 sogar zu einem 16-tägigen Produktionsausfall, schlimmer noch zur Abwanderung von gut ausgebildeten Fachkräften, was nach Auskunft des Music Trades Magazine das ganze Jahr über bei Gibson zu einer Produktionseffizienz auf relativ geringem Niveau führte. Obwohl bis Ende der 60er-Jahre schon noch gute SGs gebaut wurden, gelten doch die Jahrgänge bis 1965 als die hochklassigeren.(Bild: Franz Holtmann)
Zurück zur 63er SG Junior: Das Prinzip der Simplizität, das unkompliziert Einfache und Direkte ist bekanntlich bei allen Junior-Designs Thema. Und tatsächlich gibt der von keiner Pickup-Fräsung beeinträchtigte, stabile Hals/Korpusübergang den Junior-Modellen etwas konzentriert Besonderes in der Schwingungsentfaltung und Resonanztiefe. Die Holzfasern werden eben nicht gleich hinter dem eingeleimten Hals durchtrennt und es gibt auch keinen Hals-Pickup der die Saitenschwingungen durch sein Magnetfeld beeinträchtigen könnte. Weiterhin existiert die Vermutung, dass der einzeln montierte Pickup, wo er schon die ganze Arbeit allein machen muss, nach Stärke ausgesucht wurde. Ergebnis ist auf jeden Fall ein enorm vitaler Ton, der vom kraftvollen P-90 am Steg höchst präsent und geradezu elektrisch aufreizend übertragen wird.
Protagonisten
Die SG Junior ist ein Rockbrett, keine Frage. Carlos Cavazo von Quiet Riot, Jake E. Lee oder auch Daron Malakian von System of a Down wussten entsprechend mit ihr umzugehen. Dennoch findet sie auch im Mainstream ihren Platz, etwa bei Henry McCullough (Paul McCartney, Grease Band), James Walbourne (Pretenders) oder Nancy Wilson von Heart. Der junge Bill Frisell zeigte sogar, was auch im Jazz-Kontext mit einer SG Junior möglich ist. Er nutzte den langen Hals der SG-Konstruktion für Bendings oder Vibrato-ähnliche Tonmodulationen, indem er während des Spiels am Hals zog und ihn vor und zurück bewegte.
(Bild: Franz Holtmann)
Statistik
In Summe wurden von der SG Junior bis 1963 mit Les-Paul-Script-Logo und in den zwei Jahren danach ohne LP-Beschriftung jeweils keine 7000 Exemplare gebaut, wovon natürlich nicht alle unbeschadet überlebt haben. Ein gewisser Schwund ist verzogenen Hälsen, Kopfplattenbrüchen u. a. geschuldet und nicht jede Ausfertigung ist gut, nur weil sie alt ist – ein genauer Blick und die Prüfung mit eigener Hand sind also unbedingt angeraten. Findet man aber ein gutes Exemplar, ist dieses oft nicht nur federleicht – das dargestellte Objekt etwa wiegt nur lässige 2,5 kg – sondern auch erstaunlich klangstark. Der kleine Screamer haut einen in Zerre mit seiner aggressiven und obertonsatten „straight into the Face“-Attitüde und drückenden Klangpotenz schlicht aus den Socken. So geht Rock’n’Roll pur!
(Bild: Franz Holtmann)
Auf dem Markt sind nicht viele SG Juniors aus der Zeit mit breitem Hals bis einschließlich 1965 zu finden. Die Preise beginnen bei etwa € 3500, erreichen je nach Zustand aber inzwischen auch schon mal das Doppelte und die selteneren TV-Ausführungen sind in der Regel sowieso noch teurer. Wichtiger Hinweis noch: Frühe 60er-Halsprofile fallen gelegentlich recht flach aus.
(erschienen in Gitarre & Bass 09/2019)