Es scheint, als hätte die mit allerlei wilden Techniken gespielte Akustikgitarre in puncto Coolness-Faktor und Angeber-Vehikel der elektrischen Shred-Gitarre endgültig den Rang abgelaufen. Überall machen sich talentierte junge Saiten- Akrobaten auf den Weg, um via YouTube solo die Welt zu erobern. So auch drei unserer diesjährigen Guitar-Summit-Highlights: Petteri Sariola aus Finnland, Janek Pentz aus Polen und der Russe Alexandr Misko.
Bei genauerem Hinsehen haben der 34-jährige Sariola, der 20-jährige Pentz und der 21-jährige Misko, obwohl sie mit ihrem musikalischen Ansatz in denselben Gewässern fischen, gar nicht so viele Gemeinsamkeiten. Zur Einstimmung auf den diesjährigen Guitar Summit im September stellten wir ihnen exakt dieselben Fragen und bekamen, wie nicht anders zu erwarten, recht unterschiedliche Antworten.
Petteri Sariola
(Bild: AJ Savolainen)
Wie hat das Ganze mit dir und der Gitarre angefangen? Und wie bist du so gut geworden?
Wenn ich ganz weit zurückdenke, kann ich mich daran erinnern, dass ich schon sehr früh Musik in meinem Kopf komponiert habe. Als Kind fühlte es sich dann so an, als würde die Gitarre mich rufen. Das war in den frühen 90er-Jahren, als es noch Musikvideos gab, in denen die Gitarren- Helden in Spandex-Klamotten auf Bergkuppen standen. Und ich wollte genau so ein Superheld sein. Die Musik bot mir in den turbulenten Zeiten meiner Jugend immer Trost und einen privaten Rückzugsort, in den ich wirklich eintauchen konnte.
Neben dem Komponieren von Songs und dem Versuch, sie so gut wie möglich zu spielen, hatte ich immer das Ziel, großartige Kunst und faszinierende Geschichten zu erschaffen. Deswegen bilden meine ersten drei Veröffentlichungen mit eigenem Material (,Silence!’ 2007, ,Phases’ 2009, ,Resolution’ 2017) auch eine Albumtrilogie über den Bogen des Lebens – Geburt, Erwachsensein und Tod.
Warum hast du dich für die Akustikgitarre als dein Hauptinstrument entschieden?
Das passierte eher zufällig. Als ich sieben Jahre alt war, wollte ich Rock’n’Roll spielen, aber es gab in meiner Umgebung nur die Möglichkeit, klassischen Gitarrenunterricht zu nehmen. Also musste ich damit Vorlieb nehmen. So kam es, dass ich mich mehr als zehn Jahre lang auf die klassische Gitarre konzentriert habe, und nur nebenbei autodidaktisch etwas E-Gitarre lernte. Irgendwann in meinen Zwanzigern konzentrierte ich mich dann voll auf die E-Gitarre, aber als ich irgendwann Michael Hedges hörte, ging mir auf, dass mir eine Akustikgitarre mit Stahlsaiten das Beste aus beiden Welten bietet.
Wann und warum ist dir klar geworden, dass dir die Möglichkeiten des „normalen“ Gitarrenspiels zu wenig sind?
Ich liebe die „normalen“ Spielweisen, aber ich bin als Teenager irgendwie nebenbei auf den Slap-Bass gestoßen und fing an, diese Tricks auf meine EGitarre zu übertragen. Allerdings hat das im Bandkontext nie funktioniert. Ich übte immer wieder alle möglichen seltsamen Gitarrentechniken und -tricks, aber hauptsächlich, weil es für mich etwas Meditatives hatte. Ich musste es einfach tun. Mit den Stahlsaiten konnte ich endlich diese fortschrittlichen Techniken nutzen, die sich dann zu dem entwickelten, was ich heute mache. Derzeit arbeite ich an meinem fünften Soloalbum, das nächstes Jahr erscheinen wird. Es ist eine Live-Aufnahme und wird zusammen mit fast drei Stunden Videomaterial veröffentlicht. Es war interessant, dafür meine alten Songs durchzugehen, denn es gibt eine Menge technischer Ansätze, die sich seither stark weiterentwickelt haben.
Wie entwickelst du deine Arrangements?
Wenn ich eine Cover-Version erarbeite, dann versuche ich zunächst einmal immer einen Weg zu finden, den jeweiligen Song auf eine Weise zu spielen, die sich für mich natürlich anfühlt. Ich möchte ja nicht einfach nur das Original kopieren und eine Akustik-Version daraus machen. Das wäre langweilig. Für gewöhnlich krempele ich das Original ziemlich auf links, wodurch es mir ermöglicht wird, wirklich Spannung zu erzeugen. Dann spiele ich mit dem Rhythmus, der Basslinie und den Harmonien so lange herum, bis daraus etwas Neues für den Song entstanden ist. Dann erst mache ich mir Gedanken über die verschiedenen Stimmen und Ebenen und wie ich sie nach und nach in das Arrangement integriere, damit es sich zum Ende hin aufbaut.
Erzähl etwas über die Gitarre, die du spielst. Was ist das für ein Modell und warum bevorzugst du ausgerechnet dieses?
Meine Hauptgitarren sind von der Firma Cuntz Guitars. Die eine ist mein Signature-Modell und die andere ein Semi-Baritone- Anniversary-Modell, das überholt worden ist, weil vor ein paar Jahren die Decke gebrochen ist. Beide lassen sich sehr leicht bespielen, klingen großartig und die Decken sind verstärkt, damit sie meine Bassdrum-Schläge gut mitmachen. Ich habe den Eindruck, dass ich alles mit diesen Gitarren machen kann, egal ob sanftes Fingerpicking in einer ruhigen Ballade oder kraftvolles Percussion-Zeug. Wenn ich mal einen Verstärker brauche, habe ich am liebsten einen Hughes & Kettner Era 1.
Welche Stimmungen verwendest du?
Oh Mann, es sind so viele! Fast alle meiner Songs sind in unterschiedlichen Tunings, es müssten also so um die 50 verschiedene sein. Das erste andere Tuning, das ich nach Jahren in Standardstimmung ausprobiert habe, war DADGAD, und ist so etwas wie mein zweites Zuhause. Meine größte Neuentdeckung ist BbFCGCC. Es ähnelt der Stimmung von Cello und Violine. Damit habe ich für mein letztes Album drei Stücke komponiert.
Petteri Sariola live auf dem Guitar Summit 2019:
Janek Pentz
Wie hat das Ganze mit dir und der Gitarre angefangen? Und wie bist du so gut geworden?
Angefangen hat es, als ich sieben Jahre alt war. Ich hatte das Glück, von Anfang an sehr gute Lehrer zu haben, die mich einerseits in die Welt der klassischen Gitarrenmusik einführten und mir andererseits zeigten, wie man improvisiert und rockt. Dieses Tandem aus alter und moderner Musik beeinflusst mich immer noch am meisten. Im Moment studiere ich klassische Gitarre an der Fryderyk-Chopin-Universität in Warschau, kann das Experimentieren mit Noten und das Komponieren neuer Musik aber auch nicht lassen. Für mich ist es eine tolle Sache, mir musikalische Fähigkeiten und Wissen anzueignen und das dann mit der Suche nach neuen Wegen des künstlerischen Ausdrucks zu verbinden.
Warum hast du dich für die Akustikgitarre als dein Hauptinstrument entschieden?
Da war einfach eine Magie. Die akustische Gitarre gibt dir die Möglichkeit, ganze musikalische Räume zu erschaffen.
Wann und warum ist dir klar geworden, dass dir die Möglichkeiten des „normalen“ Gitarrenspiels zu wenig sind?
Hmm, ich denke nicht, dass ich zwischen normalem und unnormalem Gitarrenspiel unterscheide. Die verschiedenen Techniken sind meine Werkzeuge, die mir dabei helfen, die Inhalte jenseits der Musik zum Ausdruck zu bringen.
Wie entwickelst du deine Arrangements?
Im Allgemeinen beginne ich mit mehreren Ideen, die eine ähnliche Stimmung haben oder die etwas Ähnliches erzählen. Diese Ideen basieren meist auf Harmonien, Melodien oder Riffs. Der nächste Schritt besteht dann darin, eine geeignete Form für das Musikstück zu finden und es mit dem zu füllen, was zu Beginn der Arbeit mein Anliegen war. Anschließend arbeite ich an den Details, um für jede Note den richtigen Platz zu finden. Dann ist das Lied fertig.
Erzähl etwas über die Gitarre, die du spielst. Was ist das für ein Modell und warum bevorzugst du ausgerechnet dieses?
Ich spiele zwei Baton Rouge X7C/GACE Suzanna, das sind Grand-Auditorium-Akustikgitarren mit Zedernholzdecke sowie Bocote-Boden und -Zargen. Diese Gitarren haben etwas Einzigartiges, das dem Hörer das Gefühl gibt, als läge etwas Hall auf dem Klang, auch wenn das gar nicht der Fall ist. Ich verwende zwar auf der Bühne zusätzlich Reverb, aber diese Gitarren lassen mich auch beim Spielen im Wohnzimmer viel Raum spüren. Außerdem fühlen sich diese Instrumente für mich sehr angenehm an und der Klang ist universell, was sehr nützlich ist, wenn ich zum Beispiel als Teil eines Sinfonieorchesters oder in einer Rockband auftrete.
Welche Stimmungen verwendest du?
Die meisten meiner Stücke sind für die DADGAD- oder die DADFAD-Stimmung geschrieben, manchmal mit einem Kapodaster. Ich verwende aber auch andere Stimmungen, z.B. CisGisCisGisBCis oder DADGisAE. Vor Kurzem habe ich damit angefangen, an Fingerstyle-Stücken im Standard-Tuning zu arbeiten.
Janek Pentz live auf dem Guitar Summit 2019:
Alexandr Misko
(Bild: Baton Rouge)
Wie hat das Ganze mit dir und der Gitarre angefangen? Und wie bist du so gut geworden?
Das passierte zufällig. Meine Eltern kauften mir eine klassische Gitarre zu Weihnachten als ich zwölf Jahre alt war und ich begann sofort mit klassischem Gitarrenunterricht. Das habe ich drei Jahre lang gemacht und dann bin ich wieder durch einen Zufall über YouTube auf die Musik von Don Ross gestoßen. Don ist einer der besten Fingerstyle-Gitarristen der Welt und ich war so begeistert von der Schönheit seiner Kompositionen, dass ich mir all seine Songs und hunderte andere Fingerstyle-Kompositionen draufschaffte, unter anderem von Andy McKee, Jon Gomm, Mike Dawes, Thomas Leeb, Preston Reed, Pino Forastiere und Trevor Gordon Hall.
Warum hast du dich für die Akustikgitarre als dein Hauptinstrument entschieden?
Ich mag es einfach, wie die Akustikgitarre klingt und bin sehr daran interessiert, zu experimentieren und ihre Möglichkeiten zu erkunden. Es ist erstaunlich, was sich in dieser einfachen Holzkiste mit Saiten so alles verbirgt. Man kann sie in eine vollständige Band oder sogar ein Orchester verwandeln. In der Fingerstyle-Welt entstehen jeden Tag neue Techniken und Ideen, und ich bin glücklich und privilegiert, ein kleiner Teil dieser Bewegung zu sein.
Wann und warum ist dir klar geworden, dass dir die Möglichkeiten des „normalen“ Gitarrenspiels zu wenig sind?
Ich halte es für falsch, Begriffe wie „normal“, „nicht normal“, „paranormal“ oder was auch immer zu verwenden. Jeder Spieler hat einen Stil, den er am meisten mag und der für ihn völlig normal ist. Aber in der Tat mag ich zwar das Fingerstyle-Spiel, bin aber auch davon fasziniert, Metal-Riffs mit einem Pick zu spielen und manchmal kann ich sogar Lagerfeuer-Songs anstimmen. Das alles zeigt einfach, wie vielseitig dieses Instrument ist.
Wie entwickelst du deine Arrangements?
Arrangements zu machen ist sehr einfach, wenn der Song bereits geschrieben ist. Man muss die gezeichnete Vorlage dann nur noch ausmalen. Eine einzigartige Idee ist alles, was es dafür braucht. Wenn man ein Lied findet, das auf eine interessante und noch nie dagewesene Weise gespielt werden kann, muss man nur die richtige Gitarrenstimmung finden, und der Rest ergibt sich von selbst.
Erzähl etwas über die Gitarre, die du spielst. Was ist das für ein Modell und warum bevorzugst du ausgerechnet dieses?
Ich bin stolz darauf, ein Teil von Baton Rouge zu sein, und wir sind gerade dabei, eine neue Signature-Gitarre für mich zu bauen. Es wird ein verrücktes Instrument, also kann ich es kaum erwarten, weitere Details darüber zu veröffentlichen, sobald es fertig ist. Früher spielte ich auch Lowden-Gitarren, denn für mich ist es wichtig, ein robustes Instrument zu haben, das meine Stimmveränderungen, unterschiedliche Luftfeuchtigkeitsbedingungen und das Reisen im Allgemeinen bewältigt. Ich bevorzuge Instrumente mit einem großen Korpus, damit die Percussion-Sounds schön tief klingen. Ich benutze fünf Tonabnehmer im Inneren der Gitarre. Außerdem verfügt sie zwar über eine Menge ausgefallener Features, kann aber immer noch als normale Akustikgitarre angesehen werden. Für mich ist es sehr inspirierend zu sehen, was mit einem solchen Instrument alles möglich ist.
Welche Stimmungen verwendest du?
Fast alle Stücke, die ich spiele, haben ein eigenes Tuning. Dadurch eröffnen sich mir Möglichkeiten, die ich mit der Standardstimmung nicht hätte. Außerdem bevorzuge ich sehr tiefe Tunings, bei denen meine dickste Saite für gewöhnlich auf Bb gestimmt ist. Der Nachteil dieses Ansatzes ist, dass man nicht wirklich improvisieren kann.
Alexandr Misko live auf dem Guitar Summit 2019:
(erschienen in Gitarre & Bass 09/2019)